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1. Einhaltung eines unabdingbaren Grundrechtsstandards
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Der historisch erste Bereich, in dem das BVerfG seine Prüfungskompetenz gegenüber Rechtsakten der Union ungeachtet des Anwendungsvorranges behauptete und später ausdifferenzierte, betrifft den Grundrechtsschutz gegen Maßnahmen der EU. Hatte sich das BVerfG anfangs eine Prüfung auf Einhaltung der Grundrechte vorbehalten, „solange“ die Organe der EG einen hinreichenden Grundrechtsschutz nicht gewährleisteten (BVerfGE 37, 271 [285] – Solange I), ging es später dazu über, auf die Überprüfung von Unionsrechtsakten am Maßstab der deutschen Grundrechte zu verzichten, solange ein dem deutschen System gleich zu achtender und den Wesensgehalt der Grundrechte generell sicherstellender, wirksamer Schutz durch die Organe der EG gewährleistet ist (BVerfGE 73, 339 [378 ff.] – Solange II; Näheres dazu unter → Grundrechte: Historische Entwicklung).
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Mittlerweile werden Verfassungsbeschwerden gegen Sekundärrechtsakte für von vornherein unzulässig erachtet, es sei denn, der Beschwerdeführer könnte darlegen, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH seit der Solange-II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken, also der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet sei (BVerfGE 102, 147 [164] – Bananenmarktordnung). Das BVerfG nimmt insoweit lediglich im Anwendungsbereich von Art. 1 GG eine Identitätskontrolle vor (dazu unten Rn. 72 f.). Im Übrigen ist mit dieser Rechtsprechung der Anwendungsvorrang im Verhältnis zu den Grundrechten faktisch und auf absehbare Zeit gesichert; die Grundrechtsgewährung obliegt den europäischen Gerichten nach Maßgabe der Unionsgrundrechte.