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Doppeltes Glück

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Auf der Willow-Tree-Ranch fließt die Zeit zwar angefüllt mit viel harter Arbeit, aber dennoch ruhig dahin. Es war seit Carols Auftauchen nicht mehr so friedlich im Haus, wenn auch selten so viel gearbeitet werden musste. Darüber wacht die junge Verwaltersfrau mit unerbittlicher Härte, teilweise härter als es ihr Mann zu seinen besten Vormannzeiten getan hat. Sie treibt die Leute derart an, dass selbst der Indian, der wirklich ein sehr guter, harter Arbeiter ist, sie hin und wieder bremst.

Trotz aller Arbeitswut macht dem Kind die dritte Schwangerschaft, die sie in so kurzer Zeit ihrem Körper zumutet, wesentlich mehr zu schaffen, als die beiden vorangegangenen.

Ihr schmächtiger, kleiner Körper wird enorm schnell rundlich und durch das ständige Gewicht nach vorne hat sie andauernde Rückenschmerzen, dennoch kann sie nichts und niemand davon abhalten, sich neben aller Arbeitsverteilung auf der Ranch auch noch ausgiebig über Milchwirtschaft und die Haltung von Milchkühen zu informieren.

John ist von den, seiner Meinung nach, recht abstrusen Plänen seiner Schwester nicht sonderlich angetan, dennoch lässt er sich als Vormann dazu breitschlagen, in die Planung von entsprechenden Stallungen einzutreten.

Da der Winter in diesem Jahr verspricht, etwas milder zu werden, als es der Winter 1893/94 war, bleibt die Umtriebigkeit der jungen Herrin ungebrochen.

Die junge Frau hält alle Angestellten gehörig auf Trab und trotz heimlichen Murrens kann sich ihr keiner entziehen. Niemand wagt es allerdings laut aufzumucken, denn immerhin sind alle froh, dass auch in diesem Winter kein einziger Cowboy seinen Job verloren hat.

Alle Angestellten hoffen auf ein ruhiges und gemütliches Weihnachtsfest, ohne ständig herumkommandiert zu werden, denn die Markamps haben ihren Besuch angekündigt und werden sicherlich wenigstens ein bisschen was von Carols Energie auf sich lenken.

Endlich ist die gemütlichste Zeit des Jahres da und Mitch fährt nach Ebony Town, um Susan, die Enkelin des alten Ranchers und ihren Mann Bruno von der Bahn abzuholen. Begeistert erzählt er den beiden von den vielen Neuerungen im Betrieb und freut sich über die sehr aufmerksamen Zuhörer.

Im Haus angekommen, wirbelt Susan als erstes den kleinen James, der ihr sofort entgegen krabbelt, durch die Luft. „Mein Gott, Du bist aber ein großes Kerlchen. Schade, dass wir Dich erst heute kennen lernen.“

Sie schaut sich um und entdeckt die Freundin im Türrahmen zum Wohnzimmer. Rasch drückt sie das Baby ihrem Mann in den Arm und läuft auf das rothaarige Wesen zu, um sie zu umarmen.

Verblüfft hält sie plötzlich inne, tritt einen Schritt zurück, stutzt und sagt dann entsetzt: „Um Gottes Willen, Carol, du bist ja schon wieder hochschwanger, das wusste ich ja gar nicht, davon hast Du mir überhaupt nichts geschrieben. Du musst komplett verrückt sein, Du platzt ja bald.“

Abwehrend hebt die Rothaarige die Hand. „Wieso sollte ich verrückt sein? Jedes Kind ist doch das sichtbare Zeichen für die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Und ich liebe David noch immer wie verrückt.“

Sie wendet sich ab und geht langsam und etwas schwerfällig in den Wohnraum zurück. Susan folgt ihr, noch immer kopfschüttelnd und bleibt verwundert stehen. Sie hat das mit der Schwangerschaft schlagartig vergessen, als sie sich in dem eigentlich so vertrauten Raum umsieht, der ihr heute ganz fremd und unwirklich vorkommt. „Mein Gott, ist das himmlisch gemütlich hier und wie es duftet.“ Sie schnuppert und Carol, die ob des Entsetzens der Freundin eben noch etwas beleidigt war, lächelt wieder etwas versöhnt: „Gefällt es Dir? Das sind die neuen Weihnachtsbräuche, die ich voriges Jahr eingeführt habe.“

Die Blondine nickt begeistert. „Es ist wunderschön, wirklich ganz wunderschön.“

„Freut mich, dass es Dir gefällt. Das mit dem Kranz habe ich von meiner Mum übernommen, den Brauch hat sie aus Deutschland mitgebracht und Bruno wird ihn sicherlich auch kennen. Die Krippe ist aber von Euch. Ich glaube, Dein Großvater meinte, sie hätte Deiner Mutter gehört.“

Susan nickt. „Ich glaube, ich erinnere mich noch, aber so wunderschön war sie nie aufgebaut. Du hast ein gutes Händchen für solche Sachen.“

„Danke!“, lächelt die Hausherrin ohne falsche Bescheidenheit und tritt dann zu Bruno, um ihn nun auch endlich zu begrüßen und ihm das Kind abzunehmen.

Nachdem er sie auch ganz herzlich umarmt und die romantische Weihnachtsdekoration gebührend bewundert hat, legt er seine Hand auf Carols Tönnchen und brummt: „Als Mensch freut mich Dein Glück ja, aber als Arzt muss ich sagen, Du hättest mit dieser erneuten Schwangerschaft ruhig noch etwas warten sollen. Drei Schwangerschaften in ungefähr zweieinhalb Jahren sind eigentlich etwas zu viel für den Körper einer Frau.“

„Ach, Unsinn. David soll seine Kinder doch noch aufwachsen sehen und außerdem braucht Klein James irgendwann einen Spielgefährten. Immer nur Erwachsene und Pferde sind nicht unbedingt das Richtige für ein Kleinkind.“ Sie lächelt entwaffnend. „Aber ich will trotzdem ganz ehrlich sein, das Kind war nicht unbedingt geplant. Es ist halt so passiert. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich es verhindern könnte, schwanger zu werden, denn das mit dem Aufpassen ist so eine Sache, wenn man so verliebt ist, wie David und ich es sind. Und getrennte Schlafzimmer kommen gar nicht in Frage!“

„Sag bloß nicht, dass ihr noch immer so oft miteinander schlaft“, will Susan errötend und mit gesenktem Blick wissen.

Carol, die sehr offen ist, grinst: „Ich weiß zwar nicht, was Du unter oft verstehst, aber wenn Du jede Nacht meinst, das tun wir und komischerweise immer häufiger, je dicker ich werde.“

Sie beugt sich zu Susans Ohr und flüstert: „Letzte Nacht hat mich David so oft genommen, das ich nicht mehr mitgezählt habe. Unser Bett war so nass, ein Nichtschwimmer hätte glatt darin ertrinken können.“

Susan wird leichenblass. „Um Himmels Willen, Du schwindelst doch!“

Carol schüttelt den Kopf. „Keinesfalls. Wir sind total verrückt nacheinander. Süchtig kann man schon fast sagen. Naja, aber ehrlich gesagt, das mit dem Mitzählen ist halt noch immer so eine Sache, Zählen und Rechnen lerne ich in diesem Leben bestimmt nicht mehr.“

Die Blondine schüttelt sich. „Nein, Carol, das finde ich aber ekelhaft.“

„Was? Dass ich noch immer nicht rechnen kann?“

Susan schüttelt indigniert den Kopf, ihr abschätzender Blick trifft Carols vorstehenden Leib. „Nein, Du willst mich absichtlich falsch verstehen, Ich finde es ekelig, dass ihr es noch immer so oft miteinander treibt.

Außerdem solltest Du in Deinem Zustand an so etwas gar nicht mehr denken!“

Carol bedenkt ihre tugendhafte Freundin mit einem schiefen Seitenblick. „Susan, bist Du närrisch? Es gibt doch nichts Schöneres, als mit dem Menschen, den man liebt ganz eng verbunden zu sein. Bei Klein James haben wir es auch bis kurz vor der Geburt immer wieder gemacht und wie Du siehst, es hat ihm und mir nicht das Geringste geschadet.

Nach der Geburt musste ich dann fast drei Wochen warten, bis wir uns endlich wieder lieben durften, das war schrecklich, aber dafür haben wir dann auch drei Nächte gar nicht geschlafen.“ Sie wirft den Kopf in den Nacken, lacht und setzt, um die Freundin, über die sie sich doch ein wenig ärgert, noch ein wenig zu reizen: „David ist zeitweise überhaupt nicht aus mir raus gegangen.

Na gut, man ist morgens schon reichlich gerädert, zugegeben, aber spätestens abends, wenn das Licht endlich wieder aus ist ...“, Carol beendet den Satz nicht und blinzelt Bruno an.

Der junge Mann blinzelt zurück. Er merkt, dass das Mädchen seine Frau nur ein wenig aus der Reserve holen will, doch er glaubt ihr durchaus, dass die Widefields es nach wie vor jede Nacht mehrmals miteinander treiben. ‚Zwei Naturmenschen, denen die Körperlichkeit über alles geht’, denkt er ein bisschen wehmütig und kitzelt den kleinen Wonneproppen, der den Bauch seiner Mama als Hügel zu besteigen versucht.

Der Kleine streckt sofort seine Ärmchen aus und brabbelt: „Jamie zu Onkel!“

Der junge Arzt nimmt das Kind auf seinen Schoß und spielt ‚Hoppe, Hoppe Reiter’ mit ihm. Der Zwerg jauchzt vor Vergnügen und Carol stellt sachlich fest: „So ein Kind stünde Dir gut zu Gesicht!“ und an Susan gewandt: „Wie sieht es denn bei Euch so mit Nachwuchs aus?“

Die Freundin zuckt die Schultern und schaut an der Rothaarigen vorbei. „Ich möchte noch kein Kind. In Boston lebt es sich herrlich. Man kann toll spazieren gehen, einkaufen, abends in ein Theater und hinterher essen gehen.

Stell dir vor, da gibt es Caféhäuser, die ihre Tische und Stühle in Gärten haben. Mit einem Kind könnte ich das alles doch gar nicht mehr genießen. Außerdem, ich habe Angst, dass ich meine Figur hinterher nicht wieder in den Griff bekomme und dass womöglich mein Busen nach dem Stillen hängt. – Ach nein, das mit einem Kind hat noch furchtbar viel Zeit.“

Carol seufzt und schaut an sich herunter. „Du hast Probleme! Über meine Figur habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. – Gib es ruhig zu, Du willst nicht so rumlaufen, wie ich. Dicker Bauch, geschwollene Finger, schmerzende Füße und unbeweglich wie eine Eisenbahnschiene.“

Susan druckst ein wenig herum, dann nickt sie kaum wahrnehmbar und flüstert mit einem scheuen, schuldbewussten Blick zu ihrem Mann: „Ehrlich gesagt, ich finde es grässlich, so plump und fett durch die Gegend zu watscheln.“

Die werdende Mutter lacht laut auf und Bruno zuckt zusammen wie unter heftigen Schlägen. „Susan, was fällt Dir denn ein? Carol ist kein bisschen fett! Das sind doch nur das Kind und das Fruchtwasser! Nach der Geburt verschwindet das alles wieder und Carol ist dann wieder so schlank wie früher!“

Die roten Haare schüttelnd wehrt das Girl ab: „Lass es gut sein, mein Freund. Ich kenne Susan lange genug, um zu wissen, wie sie meint was sie sagt. Ich bin ihr nicht böse, denn sie ist nur offen und das ist doch gut so. Es ist doch immerhin besser, als wenn sie säuseln würde: ‚Ach, das ist ja wundervoll, Liebes. Dauernd schwanger, herrlich und für eine Landpomeranze genau das Richtige.’ – Weißt Du, Bruno, jeder muss sein Leben leben, wie er es für richtig hält. Und bestimmt ist das Leben in einer Stadt wie Boston, Washington oder San Francisco nicht mit unserem Leben hier in der Einsamkeit zu vergleichen.

Wenn ich in Boston leben würde, würde ich vielleicht genau so denken wie Sue. Aber ich lebe nun mal hier auf einer Ranch, mitten im Lande ‚Fernab von allem’, mit sehr viel Arbeit, recht wenig Zerstreuung und noch weniger Einkaufsmöglichkeiten. Hier bedeutet Kinderkriegen halt eine willkommene Abwechslung.“ Sie lacht wieder glockenhell auf. „Nicht nur für uns, sogar für die Stadtbewohner. Jeder fiebert mit, wird es wohl wieder ein Junge oder dieses Mal ein Mädchen? Man muss sich hier sein Theater selber machen und das Essen für hinterher sowieso.“

Sie schnuppert und grinst. „Kinder sorgen in jedem Falle für Abwechslung. Zum Beispiel bringen sie Abwechslung ins Raumklima. Wenn Du gleich narkotisiert zu Boden gehst, Bruno, so liegt das daran, dass unser Wonneproppen die Windel bis zum Anschlag voll haben muss.“

Die junge Frau nimmt den Buben auf den Arm. „Bekommt Mamis Sonnenschein jetzt wieder ein sauberes Popöchen?“

Der kleine Racker klatscht in die Händchen und jauchzt: „Jimmy A-A macht. Jimmy puuh!“ Er nimmt die Fingerchen vor die Nase und Bruno biegt sich vor Lachen. „Mein Gott, ist der Fratz süß, wirklich allerliebst!“

Schon in der Tür dreht sich Carol noch einmal um. „Herzallerliebst ist er dann, wenn er endlich gelernt hat, alleine auf den Topf zu gehen oder aber sich wenigstens zu melden, wenn er mal muss, aber ich fürchte, das lässt noch eine Weile auf sich warten.“ Sie verschwindet und lässt die Markamps zurück.

Bruno schaut sich um, dann nickt er anerkennend. „Carol hat wirklich ein Händchen dafür, eine anheimelnde Atmosphäre zu schaffen. Man sollte kaum glauben, dass sie so früh aus dem wärmenden Nest des Elternhauses gefallen ist und sich wie ein Vagabund durchs Leben hat schlagen müssen. Das alles passt gar nicht zu dem raubeinigen Cowgirl, welches ich seinerzeit kennen gelernt habe. Man fühlt sich hier richtig wohl, auch ohne fließendes Wasser und elektrisches Licht.“

Er macht eine Pause und holt tief Luft. „Nur warum Du Deine angeblich beste Freundin sofort so hart angreifen musst Susan, das ist mir schleierhaft. Sie hat Dir doch nichts getan und dass sie sich einen ganzen Stall voller Kinder wünscht, ist auch kein Geheimnis.“

Er runzelt die Stirn. „Außerdem ist der gute Widefield nicht mehr so ganz neu und wenn sich Carol ihren Wunschtraum erfüllen will, müssen die beiden sich ranhalten.

Nur ganz so oft sollten sie es wirklich nicht machen, sonst hat er irgendwann sein ganzes Pulver verschossen und dann ist nichts mehr mit Kindern. – Übrigens schade, dass Du so partout keine Kinder möchtest.“

Susan, die Moralpredigten nicht mag, erhebt sich und funkelt zornig: „Du kannst Carol ja mal fragen, ob sie Dir irgendwann ein Kind abgibt. Ich will mir jedenfalls mein Leben nicht durch so einen lästigen, hilflosen Wurm kaputtmachen lassen!“

Hoch erhobenen Hauptes rauscht die junge Frau beleidigt aus dem Wohnzimmer und stapft mit lauten, energischen Schritten die Treppe hinauf.

‚Na, das können ja reizende Feiertage werden’, denkt Bruno ernüchtert und folgt seiner Frau in den ersten Stock um Mr. Carpenter, der sich in seinem Zimmer aufhält, zu begrüßen.

Die Weihnachtszeit wird aber trotz Brunos Bedenken sehr gemütlich und auch der Jahreswechsel findet in ausgesprochen besinnlicher Stimmung, ohne neuerlichen Zank und auch ohne böse Worte, statt.

Carols deutsche Gemütlichkeit lässt in Bruno Heimweh aufkommen und sie weckt in Susan eine gewisse Sehnsucht nach der Ferne.

Von den Unmengen Backwaren, die Carol gemeinsam mit Ines gezaubert hat, sind nicht nur die Ranchbewohner sondern auch alle Gäste restlos begeistert. Neben Stollen, Lebkuchen und Spekulatius haben in diesem Jahr auch Printen, Zimtsterne, Vanillehörnchen und Anisschäume Einzug auf Willow-Tree gehalten und so mancher Stadtbewohner nimmt eigens für eine Tasse Kaffee und das herrliche Gebäck den beschwerlichen Weg zur Ranch, nur auf einen kleinen Plausch und für die obligatorischen Weihnachtsgrüße, in Kauf.

Auch der Sheriff ist wieder ein sehr häufiger Gast, denn ihm fehlt in seinem Zimmer neben dem Office die familiäre Gemütlichkeit.

Zwei Tage vor dem Fest erscheint endlich auch noch Stacy auf der Ranch und macht damit die Familienidylle endgültig perfekt.

Es wäre fast alles genau so wie früher, wäre da nicht ein kleiner Zwerg, der dauernd an Mamis Rockzipfel hängt und sehr viel Aufmerksamkeit beansprucht, die ihm auch von allen Seiten zuteil wird.

Stacy, der den Kleinen auch seit der Taufe nicht mehr gesehen hat, ist begeistert, wie weit das Kerlchen in allen Dingen schon ist. Ein Freund in Washington hat einen fast gleichaltrigen Buben, der noch kein einziges Wort spricht, sich nur rückwärts robbend oder kullernd fortbewegt und wegen jeder Kleinigkeit brüllt, wie am Spieß.

Als er seine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringt, meint Dr. Markamp, sich am Kopf kratzend: „Das ist mir schon öfter aufgefallen. Kinder, die auf dem Land aufwachsen und mangels einer ‚Nurse‘“, er näselt dieses Wort, „in den ganz normalen Alltag von Geburt an eingebunden werden, schauen sich von den Erwachsenen eine Menge ab und vor allen Dingen erlauschen sie sich unglaublich viel.

Die Kindermädchen verwöhnten Stadtkinder, liegen viel mehr im Bettchen oder einem Kinderwagen und werden zur „Abwechslung“ höchstens mal in den Park geschoben. Und sie sind vor allen Dingen längst nicht so, wie soll ich sagen, praktisch angezogen. Wenn ich Jimmy betrachte, so in das Pumphöschen gekleidet, er hat richtig Bewegungsfreiheit.

Wenn ich da an die Kinder vieler meiner Patientinnen denke, die sind so lange wie Mumien fest eingewickelt, die können gar nicht lernen, wie sie sich bewegen müssen, um krabbeln, stehen oder gar laufen zu üben.

Und die Nannys lesen lieber einen Liebesroman, als mit dem Kind zu reden. Wie sollen die Kleinen da Lautbildung lernen?“

Stacy, der dieser langen Rede wortlos gelauscht hat, nickt und stimmt dem Schwager zu. „Du hast recht. Der Kleine von meinem Bekannten ist nur ganz selten bei den Eltern dabei. Das Kindermädchen kümmert sich um alles. Ich glaube, ich habe den Jungen noch nie bei einer Mahlzeit erlebt und die Eltern sind auch häufig auf Empfängen oder anderen Veranstaltungen, wo das Kind nur stören würde.“

Nachdenklich runzelt er die Stirn. „Ich denke, die eigene Mutter hat ihm noch niemals eine Windel gewechselt.“

Nachdem sich die Spannung zwischen den Mädchen gelegt hat und Susan ihr Entsetzen über Carols Zustand überwunden hat, kichern und albern die beiden wieder ausgelassen herum wie in den Zeiten, als sie noch keine braven Ehefrauen gewesen sind und sie wagen sogar eine Schneeballschlacht gegen die Cowboys, bei der diese natürlich haushoch überlegen sind, denn Carol ist aufgrund ihrer Leibesfülle nicht so flink, wie gewohnt.

Es endet schließlich damit, dass John seiner Schwester das Gesicht heftig mit Schnee abreibt und sie, erstmals in ihrem Leben, um Gnade bitten muss.

Doch kaum hat er sie losgelassen, lacht sie schon wieder. „Das zahle ich Dir im nächsten Jahr heim, dann bin ich rank und schlank wie eh und dann hast Du schon so gut wie verloren!“

Leider geht auch die schönste Zeit einmal vorüber und nachdem die Gäste abgereist sind, kehrt der gewohnte Ablauf auf der Ranch ein. Klein Jimmy feiert seinen ersten Geburtstag und seine Mutter verzweifelt diesmal insgeheim fast an den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft.

David merkt, dass es seiner kleinen Frau nicht besonders gut geht und er beobachtet sie unauffällig sehr genau mit wachsendem Unbehagen. Sie hat einen beinahe unnatürlichen Umfang angenommen und schnappt schon nach wenigen Schritten heftigst nach Luft.

Besorgt erkundigt er sich bei Doktor Steel ob noch immer alles seine Richtigkeit hat, doch dieser beruhigt den werdenden Vater.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Widefield. Bei Carol ist das gesamte Gewebe halt so stark überdehnt, dass die Gebärmutter dieses Mal besonders stark nach vorne kippt. Und das ist kein Wunder, es hatte ja keine Zeit, sich wieder zu festigen. Also wirklich, kein Grund zur Panik. Außerdem, beobachten Sie doch mal korpulentere Menschen, wie schnell die aus der Puste kommen. Das ist bei Übergewicht ganz normal und Carol hat im Moment wirklich erhebliches Übergewicht. Hinzu kommt, dass sie in jeder nur erdenklichen Körperzelle Wasser angesammelt hat, welches bestimmt neben dem Kind auch noch ein paar Pfunde ausmacht.“

Der Februar hält Einzug und bringt heftiges Tauwetter mit sich. Rings um die Ranch versinkt alles in knöcheltiefem Matsch und es ist so gut wie unmöglich, sich von einem Ort an einen anderen zu begeben.

David beginnt sich Sorgen wegen der bevorstehenden Geburt zu machen, denn es ist wirklich aussichtslos, rasche ärztliche Hilfe aus der Stadt zu holen, wenn sie denn nötig werden sollte. Sogar wenige Yards verlangen einem Pferd alles ab und man ist sogar zu Fuß fast schneller, wie zu Pferd.

In der Nacht vom vierten auf den fünften Februar setzt zu allem Überfluss und aller schon vorhandenen Nässe auch noch ein heftiger, sintflutartiger Regen ein und nun ist so gut wie alles überflutet, insbesondere natürlich die tiefer gelegenen Wege und auch alle Weiden.

Und wie es der Teufel immer so will, setzen bei Carol genau in dieser trostlosen oder besser gesagt aussichtslosen Situation die Wehen ein.

Glücklicherweise behält Ines, wie immer in den vertracktesten Situationen, einen klaren Kopf. Sie hat nun schon bei etlichen Geburten, nicht nur der ihrer Herrin, sondern bei denen ihrer jüngeren Schwester assistieren dürfen und weiß, dass das Baby von ganz alleine kommt, wenn es so weit ist und so strahlt sie eine gelassene, positiv wirkende Ruhe aus.

Die Gebärende krümmt sich vor Schmerzen. Sie ist schweißnass und stöhnt nur immer wieder: „Das überlebe ich nicht, ich sterbe, ich sterbe!“

Diesen Satz beantwortet Ines dann jedes Mal mit: „Was glaubst Du eigentlich, Kindchen, so schnell stirbt es sich nicht!“

Der Indian versucht die Ruhe zu bewahren, auch wenn es ihm sehr schwer fällt und sogar John, der sich dieses Mal nicht abweisen lässt, trägt eine erstaunliche Gelassenheit zur Schau, auch wenn sie bei näherem Hinsehen nicht sonderlich echt ist.

Ohne zu Murren lässt sich der blonde Vormann von der mexikanischen Haushälterin herumkommandieren und erweist sich daher als äußerst nützlich.

Carol versucht sich an Dr. Steels Worte zu erinnern und gleichmäßig zu atmen. Da war irgendetwas mit in den Schmerz hinein atmen und vor allen Dingen, keinesfalls die Luft anhalten.

Vor lauter Konzentration, Anstrengung und Schmerz verliert die junge Frau dennoch mehrfach das Bewusstsein und obwohl der Indianer sich nichts anmerken lässt, verzweifelt er fast an dieser schier ausweglosen Situation.

Es dämmert draußen schon und ein heftiger Sturm zerrt an den Fensterläden, klappert mit den Dachschindeln und jagt pfeifend um die Hausecken, als endlich ein dünner Schrei die Stille im Haus durchbricht.

Ines atmet auf, wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn und lächelt: „Es ist wieder ein Junge und er sieht kerngesund aus!“

Carol hört gar nicht zu und gerade als Ines ihr das Neugeborene auf den noch immer unheimlich stark gewölbten Leib legen will, schreit die Gebärende laut auf und windet sich in erneuten Krämpfen.

Erschrocken drückt Ines dem Vater das Baby in den Arm und deutet auf eine Decke: „Wärmen Sie den Kleinen einen Augenblick, Sir, ich muss mich um Ihre Frau kümmern. Ich glaube, die Nachgeburt kommt schon.“

Wieder schreit Carol vor Schmerzen auf und presst mit hochroten Kopf. „Ich werde nie wieder schwanger, nie, nie wieder! Hölle, Hölle!“

Ines, die die Nachgeburt erwartet, schaut genauer hin und wird leichenblass, dann flüstert sie: „Ich glaube, Mrs. Carol, da kommt noch ein Kind. Pressen Sie Kindchen, pressen Sie, Sie haben Zwillinge!“

Wenige Minuten nach dieser Ankündigung hält Ines mit einem etwas verstört wirkenden Gesichtsausdruck ein weiteres Bündelchen in die Höhe und flüstert: „Ein Töchterchen, Sie haben auch noch ein kleines Mädchen!“

Carol kann diese Nachricht erst einmal gar nicht fassen. „Na hoffentlich sind jetzt alle raus“, haucht sie nur tonlos, „ich kann nämlich nicht mehr!“

Ines schaut den plötzlich ganz flach wirkenden Bauch ihrer jungen Herrin an und brummt: „Ich glaube, Sie haben das Schlimmste überstanden.“

Sie drückt dem schneeweiß gewordenen Indianer auch noch das zweite Baby in den Arm. „Herzlichen Glückwunsch, Sir. Das ist ja wirklich eine kleine Sensation.“

Vorsichtig wischt Ines den Babys nacheinander die klebrige Schmiere ab, dann legt sie die Beiden auf Carols Bauch, doch die bekommt davon gar nichts mehr mit, denn sie ist vor Erschöpfung eingeschlafen.

„Baby müsste man sein“, brummt John, der mit schreckensgeweiteten Augen den gesamten Geburtsverlauf aus einer Ecke heraus beobachtet hat und weder von Ines noch von David weiter beachtet oder auch nur wahrgenommen worden ist.

Nun kommt er auf seinen Freund zu, umarmt ihn und flüstert heiser: „Mann, Ihr beiden seid aber auch fruchtbar. Ich gratuliere Dir, Du bist wirklich ein Klasseschwager. Wenn Ihr so weitermacht, wird Ebony Town in ein paar Jahren eine Großstadt sein.“

Mit feuchten Augen betrachtet der blonde junge Mann die zwei kleinen, schrunzligen Wesen, die mit geschlossenen Augen, gestützt von dem Hausmädchen, auf Carols Bauch liegen, jedes sein Mündchen um eine Brustwarze geschlossen und friedlich nuckeln. „Ihr müsst doch die glücklichsten Menschen der Welt sein!“, brummt der Cowboy und beobachtet, wie Ines liebevoll den kleinen Jungen nimmt, um ihn zu baden und wie aus weiter Ferne dringt Widefields Stimme an sein Ohr: „Morgen Blacky, morgen. Erst müssen wir uns von den Strapazen und der Überraschung erholt haben, erst dann können wir glücklich sein.“

John richtet seine Augen auf den dunkelhaarigen Freund. „Um dann gleich mit der nächsten Produktion zu beginnen.“

Entsetzt hebt David beide Hände. „So sehr ich mir viele Kinder von Carol wünsche, aber jetzt muss erst mal ein paar Jahre Pause sein. Vier Kinder in knapp zweieinhalb Jahren, das ist kaum zu überbieten. Carol geht vor die Hunde, wenn sie in den nächsten drei bis vier Jahren wieder schwanger werden sollte. Wir werden uns in der nächsten Zeit ein wenig zurückhalten.“

Versonnen schaut Blacky wieder zu seiner kleinen Schwester und brummt: „Hast recht, mein Lieber, jetzt sind erst mal andere mit Kinderkriegen dran. Vielleicht werdet Ihr erst mal Onkel und Tante.“

Ruhig schaut der Indian den blonden Jungen an, ohne etwas darauf zu erwidern, denn John wird die Katze auch ohne weitere Nachfrage aus dem Sack lassen und so ist es auch.

„Ich werde wahrscheinlich in diesem Sommer heiraten.“

Davids geschwungenen Augenbrauen wandern in die Höhe. „Kennen wir die Dame oder bist Du noch auf der Suche?“

„Ich suche schon lange nicht mehr; und Ihr kennt sie.“

David dämmert etwas und er schmunzelt: „Es ist diese Ruth Irgendwas, die Nichte von der alte Witwe aus Plumquartpinie, oder?“

John nickt begeistert. „Wir haben uns sehr oft geschrieben und auch schon einige Male getroffen.“

„Ach nein, so kommt’s dann also doch noch raus. Das waren also Deine Ausflüge mit ungenanntem Ziel. Du bist mir ja vielleicht einer, mein Junge.“

Ines, die nur mit einem viertel Ohr hingehört hat, hat inzwischen beide Babys gebadet und gewickelt. Nun stützt sie die Hände in die Hüften und befindet, dass sich einige Personen zu viel in dem Zimmerchen aufhalten, daher scheucht sie die beiden Männer energisch aus dem Raum.

„Mutter und Kinder brauchen jetzt sehr viel Ruhe, also raus hier und Ihnen Sir, rate ich in den nächsten Jahren die Finger von Ihrer Frau zu lassen. Das arme Kind ist fix und fertig. Ihr Körper hat keinerlei Reserven mehr und ich fürchte, eine kleine Influenza könnte sie schon dahinraffen!“

David schluckt und nickt gehorsam wie ein Schulbub, dann werfen beide Männer noch einen raschen Blick auf die nun ganz ruhig atmend Schlafende und verlassen leise das Zimmer, wobei John sehnsüchtig denkt: „Ich liebe Ruth und ich werde sie heiraten, doch werde ich Carol Zeit meines Lebens noch viel mehr lieben und begehren.“

Nur ein Tropfen Leben

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