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Ein feiger Überfall

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Carol geht dem Indian an diesem Vormittag sehr bewusst und überaus erfolgreich aus dem Weg. Sie weiß nicht, wie sie sich verhalten soll, zu sehr hat das, was sie beobachtet hat, ihr Innerstes verletzt. Schließlich gibt der Mann den Versuch auf, mit dem jungen Mädchen reden zu wollen und geht, um sich selber ein wenig abzulenken, mit einigen Kriegern auf die Jagd.

Carol, die dies aus dem Verborgenen beobachtet, kräuselt unwillig die Lippen und ärgert sich insgeheim über ich selbst, denn ein klärendes Wort wäre sicher nicht das Schlechteste gewesen.

Als einige der Indianerfrauen mit den Kindern des Stammes in den Wald gehen, um Beeren und Pilze zu sammeln, schließt sie sich mit ihren eigenen Kindern der Gesellschaft an, denn Arbeit hat sie schon immer von Problemen abgelenkt und das Zusammensein mit den fröhlich kichernden Frauen wird ihr sicherlich gut tun, insbesondere da sie Weiße Feder bislang nicht in der Gruppe ausmachen kann.

Der Nachmittag verläuft ungemein harmonisch und voller Frieden und fast könnte sie ihren Zorn auf David vergessen, wenn sich nicht immer wieder dieses grauenvolle Bild des sich scheinbar vereinigenden Paares vor ihrem inneren Auge auftauchen würde. Suchend schaut sich Carol nach einer Weile um, doch sie kann Weiße Feder noch immer nirgendwo entdecken.

Die junge Weiße beißt sich auf die Unterlippe. Hoffentlich ist die Squaw den Kriegern nicht heimlich gefolgt, um sich wieder an David heran zumachen. Das Girl erschauert leicht und wieder wächst ihr Unmut auf sich selbst weiter an. Warum hat sie ihrem Mann nur nicht erlaubt, sich mit ihr auszusprechen.

Plötzlich zerreißt der Klang von entfernten Schüssen und schreienden Stimmen die friedliche Stille und lässt das Blut in den Adern gefrieren. Carol hört das Wort „Überfall" und begreift sofort.

„Geschieht das öfter?", will sie hastig wissen, denn eigentümlicher Weise sind die indianischen Frauen nicht sonderlich überrascht, nur sehr erschrocken. Ein junges Mädchen nickt verstört. „Ja, alle paar Monde und die Kerle werden immer widerlicher und brutaler."

„Scheiße!", entfährt es dem Kindermund. „Und wieso ausgerechnet, wenn sich fast alle kampffähigen Krieger auf der Jagd befinden?"

Natürlich erntet sie auf diese Frage keine Antwort, sondern nur ein Schulterzucken allenthalben.

Carol schaut in die Runde der bleich gewordenen Gesichter und erkennt in den weit aufgerissenen Augen der Kinder Tränen der Angst.

Sie atmet tief ein und versucht ihre Gedanken zu sammeln. Im Dorf sind nur einige Kinder, Squaws und ältere Männer zurückgeblieben, das bedeutet, die Angreifer haben nicht mit sonderlich viel Gegenwehr zu rechnen und können in aller Ruhe ihr ekelhaftes, schändliches Vorhaben, wie immer das auch aussehen mag, durchführen.

Die junge Frau zieht die rechte Hälfte ihrer Unterlippe zwischen die Zähne, während sich ihre Gedanken überschlagen. „Ihr bleibt hier! Versteckt Euch mit den Kindern, bis ich oder jemand anderes von Eurem Stamm Euch holen kommt!", befiehlt sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. „Gebt mir alles an Waffen, was Ihr bei Euch habt."

Es ist leider nur eine äußerst magere Ausbeute, was Carol schließlich an Waffen in den Händen hält und kann eigentlich noch nicht mal als Waffen bezeichnet werden, denn die Frauen führen lediglich einige Messer bei sich. Doch natürlich lässt sich das junge Mädchen von dieser schlechten Bewaffnung nicht abschrecken und sie rast todesmutig los, ohne eine rechte Vorstellung davon zu haben, was sie eigentlich unternehmen will.

Im Reservat angekommen, der Weg ist ihr vorgekommen, als sei er viele Meilen weit gewesen, muss sie aus einer schlechten Deckung hinter einem dünnen Baum heraus mit ansehen, wie zwei alte Männer, ehrenwerte Stammesmitglieder, Stricke um den Hals, gerade von Stühlen getreten werden. Sie ist leider etwas zu spät gekommen und daher nicht mehr in der Lage, den beiden noch irgendwie zu helfen.

In ihrem grenzenlosen Zorn verlässt sie ihre sowieso mangelhafte Deckung und schleudert ein Messer so genau auf einen der weißen Banditen, dass es sich tief in seinen Körper bohrt und er mit einem gurgelnden Laut zu Boden geht und dort liegen bleibt, ohne sich noch einmal zu rühren.

Wild schaut Carol sich um. Sie hat nicht die leiseste Ahnung, wie vielen Gegnern sie eigentlich gegenüber steht und wo sie Deckung nehmen könnte.

„Erschießt die Hexe!", tönt da ein Schrei und eine Kugel zischt so scharf an ihrem Kopf vorbei, dass sie den Lufthauch spüren kann. Instinktiv und ohne überhaupt zu denken, lässt sich das Girl zu Boden fallen und rollt sich hinter einen niedrigen Steinbrunnen.

Vor Angst ist ihre Kehle wie zugeschnürt und sie schafft es nicht mal, zu schlucken, so dass ihr der Speichel aus den Mundwinkeln rinnt.

Nur Sekunden später hört sie rechts von sich den unterdrückten Schrei einer Frau, robbt um den Brunnen herum und sieht, wie eine junge Squaw von einem der Kerle gewaltsam aus dem Reservat geschleift wird.

Ein Königreich für eine Waffe! Ihr Blick fällt, wie durch eine göttliche Fügung gelenkt, auf runde, handliche Steine.

Sie ergreift einen der glatten Kiesel und wiegt ihn abschätzend in der Hand, dann zielt sie und landet direkt einen Volltreffer.

Sofort sirren ihr wieder Kugeln um die Ohren. Das junge Mädchen duckt sich tiefer und legt, wie zum Schutz, ihre Hände über den Hinterkopf. Es fallen noch mehr Schüsse und plötzlich sirren Pfeile wie Raubvögel durch die Luft, leise, unheimlich und sehr zielsicher.

Nach einer knappen halben Stunde ist der Spuk endlich vorbei. Ein Teil der Gangster gibt Fersengeld und die, die nicht mehr fliehen können, liegen mehr oder minder schwer verletzt im Staub.

Der, den Carol mit dem Messer erwischt hat, ist tot, und der, den der Stein getroffen hat, hockt noch immer benommen, mit einer riesigen Beule am Hinterkopf, am Boden.

Steifbeinig geht die junge Frau zu dem Gangster mit der Stichwunde und beugt sich zu ihm herab. Ein junger Indianer tritt neben sie und brummt: „Das hast Du sehr gut gemacht, Tautropfen. Ein glatter, sauberer Einstich direkt ins Herz. Er hat nicht viel gespürt, sein Herz hat augenblicklich aufgehört zu schlagen. Schau nur, es ist noch nicht mal viel Blut ausgetreten."

David, der zusammen mit den Kriegern beim Jaulen der Schüsse ebenfalls zurückgekehrt ist, kniet sich neben seine Frau, doch die springt rasch auf. Der Mann versucht, seine Frau zurückzuhalten. „Ich glaube, wir müssen miteinander reden und zwar sofort, auch wenn der Moment makaber scheint!"

„Später, David, später! Ich habe erst noch was viel Wichtigeres zu erledigen. Außerdem muss jemand den Frauen im Wald Bescheid geben, dass der Spuk ein Ende hat."

Das rothaarige Girl schüttelt den Arm seines Mannes ab, springt auf und rennt los in Richtung Fluss.

Sie ist erst knappe einhundert Fuß gelaufen, da weist ihr ein gellender Schrei den Weg und wenig später steht sie wieder vor einem Paar in eindeutiger Haltung, doch sie sieht genau, dass dieses Mal Gewalt angewendet wird.

Weiße Feder, sie ist die Squaw, die aus dem Reservat gezerrt worden ist, hat eine riesige Beule an der Stirn und ist bewusstlos, während ein grobschlächtiger, dicker Kerl sich an ihr zu schaffen macht.

„Vielleicht ist das der Vater des Kindes, das Du Dir so sehr wünschst!" brummt Carol ziemlich laut und der schwitzende Mann springt auf. „Ha, was haben wir denn da Leckeres? Von der hier habe ich genug, komm her, mein Täubchen, jetzt werde ich Dich anbumsen. Ich habe noch genug Saft um Euer ganzes Dorf mit Babys zu versorgen."

Mit einem widerlichen Grinsen schwankt er auf die Weiße zu. „Du bist viel hübscher, als der schmutzige Dreckfink da unten."

Mit gierigen Händen und unübersehbarer Männlichkeit greift er nach Carol, die ruhig einen großen Sprung zur Seite macht, heftig ausholt und ihm mit der flachen Hand von unten gegen die Nase schlägt. Gleichzeitig reißt sie ihr linkes Knie hoch und rammt es heftig in den Unterleib des Mannes. Gurgelnd geht der Typ zu Boden.

Die junge Frau kümmert sich nicht weiter um ihn, denn nach dem Hieb in den Bauch ist er erst mal für eine Weile schachmatt und wird so schnell keinen Gedanken mehr daran verschwenden, irgendwen schwängern zu wollen und damit in die Familienpolitik des Indianerstammes einzugreifen. Sie beugt sich stattdessen zu ihrer Rivalin herab und betastet deren Beule. Weiße Feder flattert mit den Augenlidern und stöhnt leise.

‚Was mache ich denn jetzt nur mit ihr?', fragt sich Carol, zieht ihr automatisch den Rock über die Blöße des vergewaltigten Körpers und kratzt sich nachdenklich und ein wenig hilflos, an der Nase, wobei sie keinen Blick von der Bewusstlosen lässt.

Schließlich versucht sie sich das Indianermädchen über die Schulter zu ziehen, aber sie muss dieses Vorhaben schnell wieder aufgeben, denn Weiße Feder ist gut einen halben Kopf größer und wesentlich kräftiger als sie selber.

Vorsichtig bettet sie den Kopf der noch immer Ohnmächtigen auf ihren Schoß und tätschelt ihr die Wangen, wobei sie ihr gut zuredet, doch die junge Squaw gibt nur ein leises Röcheln von sich.

Plötzlich fällt eine Schatten auf die beiden Frauen und der Kopf des rothaarigen Mädchens fliegt erschrocken herum. Wenn jetzt noch einer der Banditen aufgetaucht ist, dann sind sie beide wehrlos, doch glücklicherweise erblickt sie David und Häuptling Shi-Pa, die sich neben ihnen aufgebaut haben.

„Was ist denn hier passiert?", will Widefield wissen, während er seine Augen kreisen lässt. Carol zuckt mit den Achseln, misst ihren Mann mit einem eisigen Blick und sagt an den Häuptling gewandt: „Der Kerl da", sie nickt in Richtung des am Boden liegenden Mannes, „hat Weißer Feder Gewalt angetan. Bevor er sich an mir vergreifen konnte, habe ich ihm eine verpasst!"

„Du hast ihm sehr gründlich eine verpasst", knurrt Shi-Pa, nachdem er den Mann kurz untersucht hat, „er ist tot!“

„Oh Gott, nein!", Carol wird leichenblass. „Das wollte ich wirklich nicht, er sollte einen fairen Prozess bekommen. Wieso stirbt der an einer Ohrfeige?"

Der Indianer mustert die kleine, weiße Frau. „Das war keine Ohrfeige, Du hast ihm seine Nase zertrümmert und wahrscheinlich ist einer der Knochensplitter in seinen Kopf eingedrungen und hat sein Gehirn zerstört."

„Oh Scheiße!", entfährt es Carol und sie schließt die Augen. Sie hat den dringenden Wunsch, sich in Davids starke Arme zu flüchten, doch irgendetwas in ihrem Kopf hält sie davon ab. Also springt sie auf, widersteht ihrem Wunsch, schluckt den sich einen Weg nach oben bahnenden Mageninhalt wieder runter, schlägt die Hände vor ihr Gesicht und rennt davon.

Kopfschüttelnd schaut Shi-Pa hinter ihr her. „Sie hat das Herz einer Löwin, obwohl sie wirkt, wie ein zarter, belebender Tautropfen in der aufgehenden Sonne. Du hast gehört, wie Kleiner Fuchs sie so genannt hat? Er hat recht, Deine Frau ist wie dieses kleine Wunder der Natur, rein, klar und schön."

Aus zusammengekniffenen Augen starrt der Alte David an. „Aber seit heute Morgen steht etwas Dunkles zwischen Euch, etwas, das gestern noch nicht da war."

David kratzt sich am Kopf, dann deutet er mit einem Kopfnicken auf Weiße Feder. „Sie wollte unbedingt ein Kind von mir und ...“

„... und dabei hat Tautropfen Euch beobachtet!", ergänzt der weise Indianerhäuptling ruhig. „Ach, mein lieber Junge dieses Dilemma hatten Deine Eltern auch schon. - Was würdest Du sagen, wenn es anders herum gewesen wäre?"

„Du meinst, wenn Carol mit einem anderen Mann?"

Shi-Pa nickt ernst, ohne etwas darauf zu sagen.

„Ich würde ihn umbringen! Das glaube ich zumindest. Ich würde Carol niemals hergeben, weder freiwillig, noch gezwungen."

„Aber Du würdest ihr verzeihen?"

David seufzt: „Ich denke schon, immerhin ist sie die Mutter meiner Kinder."

„Und Du bist der Vater ihrer Kinder. Sie wird Dir verzeihen, aber sie wird sicherlich misstrauisch bleiben, zu mindestens noch für eine ganze Weile.

Aber denke daran, was das Auge des Weisen gestern gesehen hat. Ihr werdet noch viele Kinder haben. Mehr, als Finger und Zehen an Händen und Füßen! Das kann doch nur bedeuten, dass Tautropfen Dir verzeihen wird."

Ein Stöhnen lässt die Männer herumfahren. Weiße Feder hat sich aufgerichtet und betastet die Beule an ihrem Kopf, dann beginnt sie zu weinen.

Mit einem Satz ist der alte Indianer bei ihr und zieht sie an seine Brust. „Es ist vorbei und es wird alles wieder gut werden. Die Squaw von Schwarzer Bär hat Dir geholfen, obwohl Du ihr sehr weh getan hast, weil Du Dich ihrem Mann hingeben wolltest.“

Die junge Frau krümmt sich, übergibt sich heftig, dann wirft sie einen scheuen Blick auf ihren Peiniger. „Er hat mich genommen, als wäre ich ein Tier“, flüstert sie leise. „Er hat mich gar nicht losgelassen und mehrfach seien Samen in mich ...“, ihre Stimme erstirbt, dann reißt sie sich wieder ein wenig zusammen. „Es war schauderhaft. Er hat so gestunken und hässlich geschwitzt.“ Ihr Blick geht wieder scheu zu dem Toten. „Was ist mit ihm?“

„Carol hat Dich gerächt. Der Mann ist in die ewigen Jagdgründe seines Volkes eingegangen.“

Weiße Feder erschauert und schluckt. „Das gibt wieder Ärger mit dem Marschall. Der glaubt sicher nicht, dass eine Weiße den Kerl getötet hat.“

David schaut erstaunt von einem zum anderen. „Ist das denn immer noch nicht besser geworden? Sind die Indianer noch immer die Wurzel allen Übels?“

Gelassen zieht Shi-Pa die Schultern hoch. „Wenn doch ein Sündenbock gebraucht wird.“

David presst die Lippen aufeinander, nimmt Weiße Feder auf die Arme und knurrt: „Wir sollten ins Reservat zurückkehren. Weiße Feder braucht jetzt Beistand und sie will sich sicherlich waschen.“ Er holt tief Luft. „Und ich werde mit Carol wohl oder übel zum Sheriff müssen.“

Müde entgegnet der Häuptling: „Den Weg kannst Du Dir sparen, der kommt von ganz alleine zu uns und zwar schneller, als uns lieb ist.“

Die beiden Männer sind mit ihrer Last erst wenige Schritte gegangen, da tauchen mehrere Krieger aus dem Gebüsch auf. Sie sagen nichts, doch steht ihnen der Kummer über das ganze Ausmaß des Geschehens deutlich ins Gesicht geschrieben.

Shi-Pa gibt nur knapp die Anweisung, den Toten ins Reservat zu bringen, dann setzen sie, jeder in seine Gedanken versunken, ihren Weg ins Dorf fort.

Obwohl sich David dort sofort wieder auf die Suche nach seiner kleinen Frau macht, kann er sie nirgends entdecken. Er erfährt schließlich, dass sie sich ins Frauenhaus zurückgezogen habe, um ihre Babys zu füttern.

‚Sie geht mir aus dem Weg’, denkt der Mann voller Reue und ist bemüht, das Frauenhaus im Auge zu behalten.

Von den Indianern hindert ihn niemand daran, denn alle sind zu sehr damit beschäftigt, die Wunden, die der feige und brutale Überfall geschlagen hat, zu behandeln.

Auf Seiten der weißen Angreifer hat es drei Opfer gegeben, von denen Carol alleine zwei auf dem Gewissen hat.

Der dritte Mann ist durch einen Pfeil so schwer verletzt worden, dass er trotz sofortiger Behandlung und Verbindens der Wunde an den Folgen dieser schweren Verletzung gestorben ist. Neun weitere weiße Männer sind bei der Schlacht verletzt worden und nun sitzen sie verbunden und aneinander gefesselt, vor Angst schlotternd, in der Nähe des großen Lagerfeuers und harren der Dinge die auf sie zukommen werden. Sie fürchten sich entsetzlich vor dem Marterpfahl, dessen Schreckgespenst noch immer durch ihre Gehirne geistert, obwohl ihn noch nie einer zuvor gesehen hat.

Unter den Bewohnern des Reservats sind fünf Opfer zu beklagen, vierzehn weitere zu behandeln und medizinisch zu versorgen.

Die beiden strangulierten Alten, ein erschossener Krieger, eine alte, erwürgte Frau und ein junges, sehr stark misshandeltes Mädchen, welches diese Misshandlungen aufgrund ihrer ungemeinen Schwere nicht überleben konnte, sind etwas außerhalb der Wohnhäuser aufgebahrt und werden dort laut weinend beklagt.

Im Langhaus sind die verwundeten Männer und Frauen untergebracht und werden dort durch den Medizinmann behandelt.

Da sich Carol einfach nicht blicken lässt, es ihm aber strengstens untersagt ist, das Frauenhaus zu betreten, sucht David nach Luk‘ana und erfährt, dass sie unter den Verwundeten ist.

Widefield betritt das Langhaus und betrachtet nachdenklich das unheimliche Szenario.

Dicht neben der Tür sitzt ein kleines, höchstens acht oder neun Jahre altes Mädchen und starrt ihn aus schreckensgeweiteten Augen an. Es ist ein Blick, der dem sonst immer recht harten Mann bis tief unter die Haut geht und ihn erschauern lässt.

Der Cowboy lässt seine Augen schweifen und endlich entdeckt er die Weise Tante, die bleich, mit geschlossenen Augen unter einer Decke liegt und zu schlafen scheint.

Er tritt leise neben sie und hockt sich vorsichtig, um sie nicht zu stören, bei ihr nieder.

Ohne die Augen zu öffnen, flüstert die Alte: „Hallo, Schwarzer Bär, traurig, dass Euer Besuch bei uns durch dieses grauenvolle Erlebnis so nachhaltig gestört worden ist. Ich hoffe, es geht den Deinen allen gut und es ist keiner zu Schaden gekommen.“

„Keine Sorge, Weise Tante, uns geht es allen ganz gut, außer dem Schrecken, den wir erst verdauen müssen. Aber was fehlt Dir, Weise Tante?“

„Es ist nichts Schlimmes, mein Junge. Ich habe das Ufer des Flusses noch nicht gesehen. Ich habe lediglich einen Streifschuss an der Hüfte, weiter nichts. Ich werde es überleben.“

Nach einer schweigenden Weile fragt die Alte tonlos: „Was ist mit Deiner Frau und Deinen Kindern? Werden ihre Seelen lange Probleme mit diesem Erlebnis haben?“

„Ich denke nicht, Luk‘ana. Sie sind unverletzt und das ist die Hauptsache. Die Kinder waren mit im Wald, als es passierte und Carol kann ziemlich gut auf sich aufpassen. Sie hat schon ganz andere Dinge gesehen und erlebt, ihr Geist wird davon sicherlich keinen Schaden nehmen. Und die Kinder sind noch so klein, die werden sich schon in ein paar Monaten nicht mal mehr an diese Schrecksekunden erinnern.“

Er schweigt und schaut sich erneut um. „Es sind so viele Frauen hier!“, stellt er dann leise fest.

Luk‘ana öffnet die Augen und schaut ihn starr an. „Wir werden im nächsten Sommer viele Babys haben. Lauter kleine Bastarde, die aber von ihren Müttern geliebt und zu guten Kriegern erzogen werden. Ich denke, auch Weiße Feder wird ein solches Baby haben und sie wird dann glücklich darüber sein.“

Die Alte räuspert sich. „Das Baby wird seinen weißen Vater niemals kennen lernen müssen, denn wie ich gehört habe, hat Deine Frau kurzen Prozess mit dem Mann gemacht.“

David sagt darauf nichts, nur seine Stirn umwölkt sich ein wenig, dann fällt ihm der Blick des kleinen Mädchens ein und er schaut sich nach dem Kind um.

Luk‘ana folgt seinem Blick mit ihren Augen und ohne dass er eine Frage stellen muss, flüstert sie leise: „Ja, auch das Kind haben sie geschändet. Sie wird jetzt immer Angst vor Männern haben. Ihre Kindlichkeit ist Vergangenheit, ihre Natürlichkeit verflogen. Sie wird nun jede Nacht von bösen Träumen heimgesucht werden und niemals mehr ein normales Leben als Squaw führen können. Sie sagt, es seien vier Männer nacheinander gewesen und es wären sicher noch mehr gekommen, wenn die Krieger nicht zurückgekehrt wären. Wahrscheinlich hätten sie die Kleine später getötet, das machen die Weißen mit den kleinen Mädchen, die sie sich mit Gewalt nehmen fast immer so, aber ...“, sie stockt, dann fügt sie noch leiser hinzu: „...aber vielleicht wäre es für Nachtnebel besser gewesen, tot zu sein, als mit diesem Erlebnis weiterleben zu müssen.“

David ist bei den Worten der Frau blass geworden. Erschüttert stammelt er: „Passieren solche Überfälle denn öfter?“

Luk‘ana schließt die Augen. „Nicht immer so schlimm und brutal, wie heute, aber alle paar Monde geschieht es schon. Manchmal werden nur ein paar Frauen im Wald vergewaltigt oder es wird eine Hütte angezündet, manchmal aber fallen sie auch wie die Tiere über uns her. Wir sind eben in den Augen der weißen Männer nichts weiter wie Vieh und das lassen sie uns immer wieder spüren.

Selten erleben sie solche Gegenwehr, wie sie Deine Frau geleistet hat. Ich bin stolz, dass so eine tapfere Frau zu unserer Familie gehört, aber leider ist diese Zugehörigkeit nicht ungefährlich. Die Dorfbewohner werden auch Deine Carol ab heute jagen und ich fürchte, Eure Familie wird unruhigen Zeiten entgegengehen, obwohl ...“, sie macht eine kurze Sprechpause, überlegt einen Augenblick und setzt dann ihre Rede fort: „ ...vielleicht habt Ihr ja Glück, denn wenigstens der Sheriff ist nicht mehr gegen uns.

Seit einigen Monden hat die Gegend einen neuen Ordnungshüter. Bei dem alten Sheriff wäre Carols Leben kein Staubkorn mehr wert und ich könnte Euch nur raten, so schnell wie nur möglich zu fliehen. Der Mann hätte gar nicht erst nach dem Wieso oder Warum gefragt, der wäre gekommen, hätte sich Deine hübsche Frau als Schuldige herausgepickt und sie ohne großes Aufheben zu machen vor aller Augen, auch der Eurer Kinder, erschossen.

Der neue Sheriff tut zwar nichts, um uns zu helfen, aber er behandelt uns auch nicht automatisch als die alleinig Schuldigen. Er wird Deiner Squaw wenigstens Gelegenheit geben, sich zu den Taten zu äußern. Allerdings kann ich Dir nicht sagen, was danach geschehen wird.“

Müde schließt die Alte die Augen und David schluckt betroffen seine aufsteigende Panik und seinen Zorn hinunter, dann knurrt er: „Also ist mit wenig Gnade zu rechnen, weil dieses Mal auch noch einige der Banditen haben dran glauben müssen.“

Die alte Frau zuckt mit den Schultern: „Wahrscheinlich, aber wie gesagt, wir wissen noch nicht, wie der neue Sheriff sich verhalten wird. Seit er da ist, gab es noch keine so schlimmen Überfälle, nur hin und wieder kleine Zwistigkeiten. Das kennen wir alles schon.“

David ballt die rechte Hand zur Faust und schimpft: „Verdammt noch mal, und ich komme einfach nicht an Carol heran, um mit ihr zu reden und einen Schlachtplan auszuarbeiten. Es ist zum junge Hunde kriegen!“

Unbewusst hat er einen von Carols Lieblingssprüchen benutzt und plötzlich wird ihm seine ganze Angst vor der nahen Zukunft bewusst.

Weiße Feder, die sich bisher am anderen Ende des Langhauses aufgehalten hat, ist leise zu den beiden Menschen getreten und senkt ihren Blick zu Boden.

„Deine Frau hat mir das Leben gerettet. Es tut mir unendlich leid, dass ich Zwietracht zwischen Euch gesät habe und das ausgerechnet jetzt, wo sich die Schlinge des Bösen um uns alle hier und ganz besonders um Deine Frau, zuzieht.

Ich war so neidisch auf Euer Glück. Drei so entzückende Babys und schon wieder eins unter dem Herzen. Ich wollte einfach auch nur von Deinen fruchtbaren Samenkörnern welche haben, ohne dass ich einen Anspruch auf Dich stellen wollte. Meinst Du, ihr könnt mir verzeihen?“

David schluckt: „Na, weißt Du, das war eine ziemlich dreiste Aktion von Dir. Ich bin doch kein Zuchtbulle. Und Carol dürfte dafür überhaupt kein Verständnis haben.“

„Meinst Du denn, wenn ich mit Carol rede, könnte Euch das helfen?“

David zieht die geschwungenen Augenbrauen in die Höhe. „Das kann ich Dir nicht sagen. Carol ist ziemlich gekränkt und ich denke, es wird eine lange Weile dauern, bis sie vergessen kann, was sie gesehen hat.“

Weiße Feder gibt sich einen Ruck, dann geht sie mit energischen Schritten aus dem Gebäude, ohne sich noch einmal umzusehen.

Unschlüssig schaut David hinter ihr her und dann auf Luk‘ana herab. „Wir hatten es uns so schön gedacht, Euch zu besuchen, denn Ihr seid alles, was ich Carol von meiner Kindheit noch zeigen kann und nun stehen nur noch dicke, schwarze Gewitterwolken am Himmel und ich weiß nicht, ob ich meine Frau überhaupt noch lebend nach Willow-Tree zurückbringen werde. Diese schwarzen Wolken am Horizont sind einfach fürchterlich und sie scheinen alles vernichten zu wollen.“

„Diese Wolken werden sich verziehen, Schwarzer Bär, und dann wird der Himmel besonders klar und blau sein. Carol wird sicher nichts geschehen, denk an die Worte unseres Weisen. Er hat gestern Abend in der Zukunft gelesen, dass Ihr Euch noch stark vermehren werdet und das geht nur, wenn Deine Frau weiterlebt.“

Widefield holt tief Luft und brummelt dann: „Dein Wort in das Ohr des großen Geistes.“

„Daddy, Daddy!“, tönt da ein aufgeregtes, piepsiges Stimmchen von der Tür her und Klein James stürzt auf seinen Vater zu. Der fängt den Zwerg ein und nimmt ihn auf den Arm. „Na, mein Großer, warum bist Du denn so aufgeregt?“

„Draußen sind ganz viel Sheriffs und die wollen eine Frau mitnehmen und einhaften, weil sie jemanden totdemacht hat.“

Der dunkelhaarige Cowboy erbleicht und knurrt: „Ich glaube, der Überfall war noch nicht das Schlimmste, für uns geht der Tanz jetzt erst richtig los.“

In den Augen der alten Squaw schimmern Tränen. „Nun wird es auch noch Deiner Frau zum Verhängnis, dass sie ein Halbblut geheiratet hat. Es ist zum Verzweifeln. Ich fürchte, es kommen harte Jahre auf Euch zu und ich hoffe, Du wirst Deiner Frau nicht nur Kinder machen sondern ihr auch noch die Treue halten, wenn das Gefängnis sie binnen kurzem alt und hässlich gemacht hat.“

David schluckt und knurrt: „Wir wollen doch hoffen, dass es nicht so weit kommt!“

„Lass den Kleinen hier, wenn Ihr Euch der Meute stellt, der muss das nicht unbedingt mit ansehen!“

Der Mann nickt mit schwerem Herzen und setzt das Kind auf den Boden. „Du bleibst jetzt schön hier bei der Weisen Tante und passt gut auf sie auf. Du bist ja schon so ein großer Junge.“

Gehorsam nickt das Kerlchen und hockt sich neben sie Alte. Im Hinausgehen hört Widefield, wie der Kleine sehr ernst fragt: „Tante, hast Du großes Aua?“

Nur ein Tropfen Leben

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