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Geschäftstüchtig

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Natürlich wäre es wider ihre Natur, wenn die junge Frau sich nicht freuen könnte, denn immerhin hat sie sich über Monate nichts sehnlicher gewünscht, als dieses Baby endlich in den Armen halten zu können.

Nachdem die erste Anstrengung vergessen ist und sich das Mädchen von den Strapazen der Geburt erholt hat, ist sie nicht mehr zu bremsen. Nur unter größten Mühen gelingt es, sie wenigstens ein paar Tage im Wochenbett festzuhalten und so platzt sie schier vor Tatendrang, als sie endlich wieder aufstehen darf.

Baby James erobert im Handumdrehen alle Herzen und Mr. Carpenter, der Besitzer der Willow-Tree-Ranch, ist außer sich vor Freude, dass der kleine Kerl nach ihm benannt wird. Er kümmert sich rührend um das Kind und manchmal merkt Carol kaum, dass sie ein Baby hat.

Endlich hält auch der Frühling wieder Einzug ins Land und die Ranch erwacht aus ihrem Winterschlaf.

Carol strotzt nur so vor Ideen und hält den neuen Vormann, ihren Bruder John, der seinen Freund auf dieser Stelle beerbt hat und die Cowboys damit wahnsinnig auf Trab.

Sogar die benachbarte Johnson-Ranch, die vor einiger Zeit in den Besitz des Ranchers Carpenter übergegangen ist, bekommt ihre Tatkraft zu spüren, denn die junge Frau überwacht höchstpersönlich die Schafherden und die Verwendung, Verarbeitung und Vermarktung aller Produkte. Eigentlich war die Gegend immer Rinderzuchtgebiet, doch Carol hat die Zeichen der Zeit erkannt und den Rancher davon überzeugt, als zweites Standbein auf Schafzucht zu setzen.

Zur Verzweiflung des Johnson-Ranch Vormanns, Max Perkins, will sie mit unterschiedlichen Schafrassen experimentieren und sie beginnt mit der Hilfe der von Carpenter eingestellten irischen Schafhirten nach besonders ergiebigen Milchlieferanten, hochwertigen Wollschafen und guten Fleischtieren Ausschau zu halten, um diese miteinander kreuzen zu können.

An einem Morgen, als Carol, unterstützt von einem der irischen Männer, der ein absoluter Fachmann in Bezug auf Schafzucht ist, mal wieder besonders stur an einer Idee festhält, nimmt der Johnson-Vormann den Indian beiseite, legt in gespielter Verzweiflung die rechte Hand über die Augen und fragt: „Sagen Sie, Widefield, wo nimmt das zarte Wesen die ganze Energie her? Nicht nur, dass sie Willow-Tree aufmischt und hier alle in Aufruhr versetzt, sie hat doch auch noch das Baby, allein das zehrt doch sicher schon genug an der Kraft Ihrer Frau.“

„Und wie und nicht nur an den Nerven und der Kraft meiner Frau!“, David streicht sich mit einer etwas müden Handbewegung über sein Kinn. „Vor allem nachts zehrt es. Heute Nacht hatte der Kleine wohl Bauchweh und er hat ununterbrochen gebrüllt. Aber selbst in normalen, ruhigen Nächten füttert Carol das Kind zwei bis drei Mal. Ich warte nur darauf, dass sie eines Tages mal einschläft und aus dem Sattel purzelt.“

Die junge Frau ist zu den beiden Männern getreten und fragt

grinsend: „Redet Ihr etwa über mich? Das werdet Ihr nicht erleben, dass ich aus dem Sattel kippe, höchstens wenn ich angeschossen werde.“

Auch die Männer grinsen und Carol wird unvermittelt ernst. Ihre Stimme bekommt einen strengen, geschäftsmäßigen Tonfall, als sie fragt: „Ich denke aber, was ich erreichen möchte, ist klar. Wir brauchen das alles nicht noch einmal durchzukauen, oder? Im Zweifel wendet Ihr Euch an O’Hara, der hat genau verstanden, was ich meine und geht mit mir konform.“

Perkins hebt abwehrend die Hand und brummt: „Es ist alles klar, Ma’am. Die Iren wissen um was es geht und das mit der Schur klappt dieses Mal auch ganz gut.“

„Das will ich doch hoffen, Perkins. Wir könnten einen wirklich ausgezeichneten Preis erzielen. Die Vliesqualität ist sehr hoch und die Wolle dürfte sich auch gut verkaufen. Allerdings nur, wenn die Schur in diesem Jahr reibungslos von statten geht.“

Die beiden Männer wissen, warum Carol diese Bemerkung macht, denn die letzte Schur wäre ohne das Eingreifen der Iren zu einem Verlust geworden, weil die an Rinder gewöhnten Cowboys sich teilweise nur sehr schwer mit den filzigen, wolligen und dazu auch noch blökenden Tierknäueln anfreunden können.

Das Gespräch dreht sich auch im weiteren Verlauf nur ums Geschäft, dann knurrt die junge Frau: „Sie machen das schon, Max. Ich bin zuversichtlich, dass die Johnson-Ranch über kurz oder lang mit ihren Produkten rund ums Schaf zu einem Goldgrübchen werden wird.“

Die beiden Männer blicken sich an und der Indian schmunzelt: „Sie machen das schon, Max, also machen Sie mal. Meine Frau ist hier der Boss, daran kann keiner was ändern.“

„Ha, ha! Macht Euch nur lustig. Ihr könnt doch im Grunde froh sein, dass Ihr noch Euren Job habt. Der alte Wilbur hat auch gerade das Handtuch geschmissen!“

Erschrockene Blicke ruhen auf dem Girl. „Wie, Wilbur hat das Handtuch geschmissen?“, will David wissen, denn Wilbur ist ein befreundeter Rancher, dessen Anwesen nördlich von Ebony Town liegt. Er hat zwar schon in der Vergangenheit mehrfach Weideland verkaufen müssen, doch dass es so schlecht um die Ranch steht, das wusste keiner.

„Woher willst ausgerechnet Du das denn wissen?“

Carol zuckt mit den Schultern. „Er ist dabei, alle seine Leute zu entlassen und einer hat im Mietstall nach einem Job gefragt. Außerdem dürft ihr nicht vergessen, dass ich einen glühenden Verehrer habe, der in der einzigen Bank im Umkreis arbeitet.“

„Verdammter Mist“, knurrt Perkins leise. „Ich habe den Alten Ende letzten Jahres auf einer Auktion getroffen, da war er schon ein wenig merkwürdig, hat aber nichts verlauten lassen.“

„Vielleicht hat er da noch versucht, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Viel ist nicht mehr übrig geblieben, er hat fast alles schon Häppchenweise abgestoßen.“

Carol beißt sich auf die Unterlippe, das nämlich weiß sie selber sehr genau, denn sie hat still und leise schon einen gehörigen Anteil erworben.

Sie räuspert sich und brummt dann vage: „Vielleicht wird der Rest Willow-Tree Gebiet.“

Etwas lauter fügt sie hinzu: „Aber das wollte ich damit alles gar nicht sagen, sondern nur, dass Ihr das als warnendes Beispiel nehmen und froh sein solltet, dass Ihr eure Jobs noch habt, auch wenn Ihr nur mit doofen Schafen arbeiten müsst.“

„Ist ja gut, ist ja gut“, beschwichtigt der Vormann die junge Frau. „Ich habe mich an das Blöken schon gewöhnt und Mrs. Johnson ist ganz vernarrt in die Viecher. Sie hat sogar eins adoptiert, das von dem Muttertier nicht angenommen wurde.“

Carol verdreht die Augen. „Na toll. Hoffentlich ist das Vieh mal zur Zucht tauglich, sonst gibt es beim Schlachten Heulen und Zähne knirschen.“

Perkins griemelt. „Das gibt es jedes Mal, aber ich glaube, das gäbe es auch bei netten kleinen Ferkelchen. Die Tiere sind für Mrs. Johnson wohl so eine Art Kinderersatz.“

Nachdenklich ruht Carols Blick auf dem Vormann der Johnson-Ranch. Mrs. Johnson ist die Witwe seines vor gut eineinhalb Jahren verstorben Juniorbosses. Der junge Mann war von einem durchreisenden Scherenschleifer ermordetet worden.

Mrs. Johnson ist eine hübsche, lebenslustige, junge Frau, die sich nicht selten den jähzornigen Attacken ihres oftmals gewalttätigen Mannes ausgesetzt sah und daher auch niemals von tiefer Trauer über sein Ableben erfüllt gewesen war.

Lange Zeit war sie dem sehr eifersüchtigen rothaarigen Girl ein Dorn im Auge, denn nach dem Mord an ihrem Mann hatte jeder angenommen, sie würde die Ranch mit fliegenden Fahnen verlassen und sich schnell einen neuen, netten, gut aussehenden Partner angeln, doch sie ist geblieben und kümmert sich seither in rührender Weise um ihren Schwiegervater, der nach dem Tod seines einzigen Kindes verbittert aufgegeben und die Ranch an Carpenter verkauft hatte.

Und eine hübsche junge Frau alleine unter Männern, davon viele von Willow-Tree, Carol weiß aus eigener Erfahrung, was daraus werden kann.

Und gerade der Indian, damals noch in seiner Eigenschaft als Vormann der Willow-Tree-Ranch, war oftmals mehrere Tage, also auch über Nacht, auf der Johnson-Ranch, um ihr den Willow-Tree Stempel aufzudrücken. Carol hatte sich damals die schlimmsten Dinge ausgemalt, denn sie hatte immer Angst, dass sie einer erfahrenen Frau in den Augen des Indian niemals das Wasser reichen könnte.

Aber obwohl es nach dem Verkauf nicht mal mehr etwas zu erben gab, blieb die junge Frau trotzdem bei dem alten Mann, ohne das jemals Gerüchte über eine neue Partnersuche aufgekommen wären und das rechnet ihr jeder in Ebony Town ziemlich hoch an.

Sogar Carol kann einen gewissen Respekt vor einem solchen Verhalten nicht verhehlen, auch wenn sie glaubt, dass es mittlerweile zarte Bande zwischen Perkins und der jungen Witwe gibt und sie deswegen bei Johnson Senior ausharrt.

„Warum hat Mrs. Johnson eigentlich keine Kinder? Sie war doch einige Jahre verheiratet, bevor sie Witwe wurde“, richtet Carol nun ihre Gedanken laut an Perkins.

Dieser zuckt die Schultern. „Ich weiß es nicht, Mrs. Carol. Ich glaube, sie kann keine Kinder bekommen, deswegen gab es auch oft Streit und Johnson Junior wurde immer mehr zum Schürzenjäger.“

Carol rümpft leicht die Nase. „Das ist natürlich eine Scheißsituation für die arme Frau, besonders, wenn der Herr Schürzenjäger nicht nur willige Damen beglückte, sondern sich auch noch mit Gewalt geholt hat oder es zu mindestens versuchte, was ihm freiwillig versagt wurde.“

Perkins weiß genau, auf was Carol anspielt und blickt zu Boden, während das Girl nachdenklich auf ihre Stiefelspitzen starrt.

„Mann, muss das bedrückend für eine Frau sein. Keine Kinder kriegen können muss an sich schon schlimm sein, aber wie schlimm muss es dann erst sein, wenn andere jedes Jahr ein Kind in die Welt setzen, auch wenn diese dann nicht alle leben dürfen.“

Darauf erwidert erst niemand ein Wort, Perkins nicht, weil er nicht sicher ist, was Carol andeuten will und David nicht, weil er seine Frau nur verblüfft anstarrt.

Seine Gedanken überschlagen sich. Sie wird doch wohl nicht schon wieder schwanger sein? Nein, Klein James ist noch keine drei Monate alt und sie stillt den Zwerg mit Unmengen von Milch. Sie hat so viel Milch, dass sie ohne Probleme welche in Fläschchen abfüllen kann, die Ines dem Baby füttert, wenn die Mama mal wieder nicht zu Hause ist.

Nach einer Weile bricht die junge Frau selbst wieder das Schweigen. „Ich habe übrigens eben kurz mit dem alten Johnson gesprochen. Er gefällt mir gar nicht, ist er krank?“

Perkins wiegt nachdenklich den Kopf. „Nichts Genaues weiß ich nicht. Ich denke, er kommt mit der Trauer um seinen Sohn noch immer nicht so richtig klar.“

„Na, ich weiß nicht recht. Ich denke, er ist eher ein Fall für Dr. Steel. Der Mann hat so komisch blaue Lippen, mit dem stimmt was nicht. Ich möchte Sie bitten, sich auch dieser Sache einfühlsam anzunehmen, ja?“

Ihr Tonfall klingt sehr besorgt, doch als Perkins nickt, wechselt er sofort wieder ins Unbekümmerte und nachdem sie nach dem Stand der Sonne gesehen hat, lacht sie: „Hach, ich muss sehen, dass ich nach Hause komme. Baby Widefield verhungert uns sonst noch. Ines hat bestimmt schon alle Vorräte aufgebraucht und Klein James ist unerbittlich, wenn er Hunger hat. Ich habe noch nie ein so ungnädiges Baby gesehen.“

Sie setzt ihren Stetson auf, tippt grüßend mit dem Zeigefinger an die Krempe und stürmt zu Silky, ihrem schwarzen, nicht weniger temperamentvollen Hengst wie seine Herrin, um wenige Augenblicke später in einer Staubwolke zu verschwinden.

Die Wochen auf der Ranch fliegen nur so dahin und schon ist es wieder Sommer geworden.

An einem heißen Sonntag im Juli soll Klein James endlich in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden.

Der Indianer weckt seine erstaunte Frau schon kurz vor Sonnenaufgang und flüstert ihr etwas ins Ohr. Rasch ist das junge Mädchen munter und erledigt in Windeseile seine Morgentoilette, dann macht sich das Ehepaar Widefield Hand in Hand auf den Weg zum Wäldchen.

Gemeinsam pflanzen die beiden dort oben auf der Lichtung, von der aus man einen so herrlichen Blick über die Ranch hat, einen zweiten Baum und David lächelt seine Frau an: „Wir werden sicherlich irgendwann noch ein Bäumchen setzen, ohne dass eine Tafel davor aufgestellt werden muss.“

Carol nickt, tritt an den Baum, der im Gedenken für ihr verstorbenes Baby gepflanzt worden ist und flüstert: „Hallo, mein kleiner Liebling, auch wenn ich wieder ein Baby habe, ich werde Dich niemals vergessen und ich sehne mich so oft nach Dir. Ich liebe Dich genau so, wie ich Deinen kleinen Bruder liebe!“ Sie wischt sich eine Träne von der Wange und streicht über einen Ast.

David hat sich hinter seine Geliebte gestellt und küsst sie in den Nacken. „Jetzt komm, mein Schatz, sonst kommen wir am ersten Ehrentag von Jimmy gleich zu spät.“

Die Taufe des Säuglings, der ein pfiffiges, aufgewecktes Kerlchen ist, soll nur in kleinem Rahmen gefeiert werden, dennoch erscheinen zum Feiergottesdienst für das fast sechs Monate alte Kind nahezu alle Bewohner von Ebony Town in der Kirche.

Die Lehrerin des Städtchens trifft zur gleichen Zeit vor dem Gebäude ein, wie die Bewohner der Willow-Tree-Ranch. Sie betrachtet das Baby und lächelt: „Mein Gott ist das ein hübsches Kind. Und es sieht wirklich ganz aus, wie sein Vater. Das soll jetzt kein schöntuerisches Gerede sein. Der Kleine hat ganz die Kopfform, die Augen und vor allem das Kinn seines Vaters geerbt.“

Carpenter lacht dröhnend. „Sie haben recht, Miss Green. Widefield kann seinen Sohn bestimmt nicht verleugnen. Klein James wird ihm wirklich von Tag zu Tag ähnlicher.“

Der Indianer hat seiner Frau den Arm gereicht und führt sie zu ihrem Platz in der ersten Sitzreihe. Die Luft in dem kleinen Gotteshaus ist stickig und schwül. Draußen auf der Straße steht die Luft und knistert förmlich nach einem aufziehenden Gewitter.

Dieser heutige Sommertag ist unglaublich heiß und in der Kirche ist es fast unerträglich, besonders da sie bis zum letzten Stehplatz gefüllt ist.

Die junge Mutter fühlt sich hundeelend. Sie trägt ein bezauberndes, dunkelgrünes Kleid mit zart gelber Spitze, spürt jedes Stäbchen des eng geschnürten Mieders und hasst es. Sie glaubt ersticken zu müssen, wenn die Zeremonie nicht bald zu Ende ist. Auf ihrer Stirn bilden sich kleine Schweißperlchen und Schauer laufen ihr über den Rücken. Das Atmen fällt ihr zunehmend schwerer und eine leichte Übelkeit beginnt sie zu quälen.

Stacy, der Enkel des Ranchers, ein guter Freund und glühender Verehrer der jungen Frau, der zur Feier des Tages eigens aus Washington angereist ist, bemerkt, dass die neben ihm sitzende Freundin unentwegt ihr Taschentuch zerknüllt und er erkennt, dass sie schwer nach Atem ringt. Als sie nur Sekunden später ganz kurz das Bewusstsein verliert, fängt er sie auf und schaut David entsetzt an, der erschrocken die Stirn runzelt.

Ines, das mexikanische Hausmädchen, die Baby James in ihren Armen wiegt, will aufspringen, doch da schlägt Carol die Augen schon wieder auf und flüstert leise: „Mir ist es tierisch heiß und irre schlecht. Aber ich hoffe, es dauert jetzt nicht mehr so sehr lange.“

Völlig verkrampft lässt das Girl die restlichen Minuten des Gottesdienstes an sich vorüber gleiten und sofort nach dem Segen, noch während des Schlussliedes wird sie von Stacy, dem Indian und Dr. Steel, dem die Unruhe in der ersten Kirchenbank nicht entgangen ist, zu dessen Praxis gebracht.

Nur ein Tropfen Leben

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