Читать книгу Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen - Страница 12
Hochzeit im Vormann-Haus
ОглавлениеDie Hochzeitsvorbereitungen laufen auf Hochtouren und Johns großer Tag rückt unaufhaltsam immer näher. Die Arbeiten am Vormann-Haus machen, dank Carols unermüdlichem Einsatz und ihrer harten Hand, gute Fortschritte und einige Tage vor dem großen Ereignis ist es geschafft und alles fertig.
John dankt dem lieben Gott in diesen Wochen immer wieder für diese großartige Schwester und für das günstige Schicksal, welches sie beide seinerzeit wieder zusammen geführt hat.
Endlich ist der Hochzeitstag angebrochen und in der Riesenhektik bemerkt niemand, dass das rothaarige Girl sehr niedergeschlagen und angespannt wirkt. Die junge Frau sagt auch ihrem Mann nicht, dass sie an diesem Morgen mit ungewöhnlich starken Bauchkrämpfen erwacht ist und sie hofft im Stillen, dass sie den Tag halbwegs mit Anstand hinter sich bringen wird.
Während der feierlichen Zeremonie denkt sie an ihren eigenen großen Tag vor einigen Jahren zurück und darüber verschwinden die Schmerzen tatsächlich vollständig.
Auf der anschließenden Feier, die wieder einmal von Mr. Carpenter ausgerichtet wird, spürt sie nichts mehr und tanzt ausgelassen mit jedem männlichen Wesen. Glückselig nimmt sie die vielen, ehrlich gemeinten Komplimente für ihre so schnell wieder aufregend gewordene Figur entgegen und fühlt sich rundherum wohl.
Schließlich tanzt sie auch mit Mr. Carpenter und es ist seit langem wieder das erste Mal, dass sie sein Verlangen spürt, als er sie fest an sich presst.
Plötzlich merkt sie seine Lippen auf ihren Haaren und leise geflüsterte Worte dringen an ihr Ohr. „Du bist einfach ein wundervolles Wesen, mein kleines Mädchen. Warum erfüllst Du mir nicht endlich meinen Herzenswunsch?“
Obwohl Carol bislang dachte, sie könne zwischenzeitlich mit den Wünschen und Träumen des alten Herren ganz gut umgehen, besonders da seit dem denkwürdigen Frühstück vor langer Zeit keine Bemerkung in diese Richtung mehr gemacht worden ist, versteift sich ihr Körper und sie flüstert zurück: „Aber James, ich dachte, das hätten wir ausgestanden.“
„Das stehe ich niemals aus. Ich wünsche mir nur noch ein einziges Mal eine körperliche Liebe in meinem Leben zu genießen und zwar mit Dir. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Kleines, ich fühle, dass ich älter werde.“
„Ich könnte das nicht, James. Bitte sei mir nicht böse, aber Du bist wie ein naher Verwandter für mich. Ich könnte es mir auch nicht vorstellen, dass ich, wenn er noch leben würde, es mit meinem Vater machen würde. Es heißt doch nicht ohne Grund Unzucht!“
Der Mann schiebt vorsichtig sein Bein zwischen Carols Schenkel und flüstert: „Ein Mal nur, Geliebte, nur ein einziges Mal, bitte!“
Obwohl sie es eigentlich gar nicht will, bemerkt Carol plötzlich ein Kribbeln im Bauch und aus Angst vor ihren eigenen Gefühlen versucht sie von Carpenter abzurücken.
„James, ich bitte Dich, bedränge mich nicht weiter. Du bist mehr als sechzig Jahre älter als ich. Ich dachte eigentlich, dass man das in Deinem Alter gar nicht mehr macht.“
Carpenter grinst und zieht die kleine Hand seiner Tänzerin an sich. „Man macht es nur dann nicht mehr, wenn man nicht mehr kann. Ich kann aber noch!“
Carol zieht ein wenig empört ihre Hand weg, schaut sich um und zischt leise: „Aber ich will nicht!“
Glücklicherweise ist der Tanz gerade in diesem Moment beendet und das Girl bedankt sich höflich, aber mit versteinerter Miene.
Schnell eilt sie an ihren Tisch zurück, wo Richter Harrods, Mr. Miller und der alte Mr. Johnson sowie Max Perkins heiße politische Diskussionen führen.
„Hallo, da kommt ja Mrs. Carol“, strahlt der Richter, „die einzige Frau die ich kenne, die sich für Politik interessiert, mitreden kann und sogar weiß, über was sie spricht. Vor über zwei Jahren, auf Ihrer eigenen Hochzeit, haben Sie vorausgesagt, dass unser neuer Präsident wieder Cleveland heißen würde und genau so ist es gekommen.“
Die junge Frau lässt sich auf einen freien Stuhl fallen und lächelt erhitzt. „Das war ja auch durchaus nicht schwer vorauszusagen, da zu dem Zeitpunkt die Wahl ja schon so gut wie gelaufen war. Er war der einzig annehmbare Kandidat und wenn wir ehrlich sind, er ist doch ein recht brauchbarer Präsident, wenn ich das richtig sehe. Er genießt Ansehen nicht nur in seinen eigenen Reihen sondern auch beim politischen Gegner und ist beim Volk, so glaube ich gehört zu haben, ziemlich beliebt.
Aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich seit meiner Eheschließung kaum noch zum Zeitung lesen komme.“
Sie fühlt Hände auf ihren Schultern und hört Carpenters Stimme, die keinesfalls böse ob der erteilten Abfuhr klingt. „Das ist ja auch kein Wunder. Drei Kinder und eine große Ranch, da musst Du Dich gehörig tummeln und außerdem ist doch Fachliteratur hinsichtlich Rindviechern zu Deinem Hobby geworden und da steht recht wenig zu politischen Themen drin.“
Der Alte zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich neben das junge Mädchen. Im Schutze des langen Tischtuches presst er seinen Oberschenkel gegen den der jungen Frau, die nicht weiß, wohin sie flüchten soll, denn das Tischbein lässt es nicht zu, dass sie ihre Beine weg dreht.
Sie hört nur mit halbem Ohr hin, als Miller erzählt, dass er vor zwei Jahren in Chicago auf der Weltausstellung gewesen ist, zu sehr ist sie damit beschäftigt, sich gegen das erneut aufsteigende Kribbeln in ihrem Bauch zu wehren, welches der fordernde Druck des Männerbeins in ihr erzeugt.
Mechanisch nimmt sie Stellung zu der Frage, was sie von der Gründung eines Komitees für Olympische Spiele hält und staunt, als Perkins erzählt, er habe von einem Rennen von Automobilen gehört, welches in Frankreich stattgefunden haben soll, bei dem die Fahrzeuge nicht durch Muskelkraft oder Pferdestärke sondern durch eigenen Antrieb gefahren wären.
Die Herren reden weiter von solchen kuriosen Ereignissen und Carpenter wird derweil immer dreister. Seine Hand liegt auf dem Oberschenkel der jungen Frau und wandert immer höher.
Bill Fawkes, der mit David gerade ein Problem wegen sich immer mehr häufender Viehdiebstähle erörtert hat, sieht, dass Carol einen irgendwie unglücklichen Gesichtsausdruck zeigt und befreit sie rasch aus der Herrenrunde, indem er sie zum Tanzen auffordert.
Nur zu gerne und erleichtert folgt das Mädchen dem Freund auf die Tanzfläche und lässt sich von ihm durch den Tanz führen.
„Na, was macht Dein Ehejoch? Ebony Town ist richtig langweilig geworden, seitdem Du keine Findelkinder von Viehtrieben mehr anschleppst, keine Gangster mehr anlockst, um sie dann zu stellen und auch keine Reisen mit Gerrit mehr unternimmst.“
Die grünen Augen blitzen schon wieder vergnügt. „Ich empfinde meine Ehe keinesfalls als Joch, mein Lieber. Ich genieße jeden Tag meines Daseins.“
„Na, Du, Dein Gesichtsausdruck eben hat aber etwas ganz anderes erzählt.“
„Ehrlich? Das liegt nur daran, dass es mir immer, wenn mir Carpenter seine Liebe gesteht, Angst und Bange wird.“
Der Sheriff zieht verwundert die Augenbrauen hoch. „Davon wirst Du Dich doch wohl nicht unterkriegen lassen, was?“
„Aber nein, ich habe ja David und der wird schon auf mich Acht geben.“
„Ach, es ist ein Jammer! Ich habe das dumpfe Gefühl, ich bleibe auf ewige Zeiten chancenlos.“
„Nicht mehr und nicht weniger wie andere, mein heiß geliebter Sheriff. Sollte David mich mal ärgern, komme ich bestimmt als erstes zu Dir, um mich auszuweinen und trösten zu lassen.“
„Ich sagte ja, es ist aussichtslos. David ist so verliebt in Dich, der ärgert Dich nie im Leben und ich muss weiterhin träumen.“
„Ach Bill, ich hoffe, das sollte jetzt kein eindeutig zweideutiges Angebot sein. Sei so lieb und verschone mich. Mein Bedarf für heute ist schon gründlich gedeckt. Tanze mit mir, gesittet und anständig, wie es sich für einen Mann des Gesetzes gehört und hör bloß auf, Süßholz zu raspeln, das haben andere schon genug getan.“
Für den Rest des Nachmittags versucht die junge Frau ihrem Rancher aus dem Weg zu gehen, dafür tanzt sie aber sehr häufig mit Max Perkins, dem Vormann der Johnson-Ranch, der sie formvollendet behandelt und keinerlei Anstalten macht, ihr zu nahe zu treten.
Es ist alles in allem eine sehr schöne Feier und ein rundherum gelungenes Fest, doch Carol ist froh, als sie endlich abends im Wagen sitzt und es nach Hause geht. Ihr tun die Füße weh und sie fühlt sich, als sei sie am ganzen Körper angeschwollen.
Weniger als eine halbe Meile vor der Ranch passiert es dann. Sie durchzuckt ein heftiger Schmerz, spürt, wie ihr der Schweiß auf die Stirn tritt und dann krümmt sie sich zusammen.
„David, hilf mir, ich sterbe!“, ächzt sie noch, dann wird sie bewusstlos.
Als Carol endlich wieder zu sich kommt, blickt sie in die schreckensbleichen Gesichter von Ines, David und Festus, die sich über sie gebeugt haben. Verwirrt schaut sie sich im blauen Zimmer um und stammelt: „Was, was ist passiert? Wie komme ich hierher und warum guckt ihr mich alle so komisch an?“
David greift nach ihrer Hand und führt sie an seine Lippen. „Du hast eben unser Baby verloren.“ Er räuspert sich. „Es war noch nicht viel Kind, ungefähr so.“ Sein Daumen und Zeigefinger bilden eine Spanne von etwa sechs bis sieben Zentimetern.
Der jungen Frau schießen die Tränen in die Augen. „Das war ich schuld. Ich habe unser Baby getötet, ich habe einfach zu viel und zu wild getanzt.“
„Quatsch!“ empört sich Ines. „Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen. Ihr Körper konnte einfach mit dieser Schwangerschaft im Moment noch nicht fertig werden. Sie haben keinerlei Kraftreserven mehr und verbrauchen alle Energie beim Stillen der Zwillinge, deshalb hat er die Frucht abgestoßen.“
Carol schluckt. „Wo, wo habt ihr das Kleine gelassen?“
„Keine Sorge, Liebes. Wir haben es in ein Tuch gewickelt und ich werde es gleich begraben gehen. Morgen früh pflanze ich an die Stelle einen Busch.“
„Ich möchte das Kind sehen!“, begehrt Carol und schaut in die erschrockenen Gesichter der Anwesenden. „Ich will es unbedingt!“
Nur zögernd holt Ines das Handtuch und wickelt ein unbeschreiblich winziges Würmchen aus. Carol zieht das Tuch an sich und haucht dem Kleinen einen zarten Kuss auf den Kopf und flüstert: „Nimm eines von meinen guten Spitzentaschentüchern Ines und zieh es damit an. Ich will nicht, dass es nur so in dem Handtuch begraben wird. Vielleicht kann man eine von Carpenters Zigarrenkisten weich auspolstern und ihm darin ein Bettchen machen.“
Die Tränen kullern der jungen Frau aus den Augen und netzen das kleine Wesen.
Auch der sonst so ruhig und gelassene Indianer hat Tränen in den Augen, als er Carol auf die Stirn küsst und befiehlt: „Du musst jetzt aber schlafen, mein Herz, damit Du wieder zu Kräften kommst. Das war alles ein wenig viel heute. Um eine würdige Bestattung des Kindes kümmere ich mich schon. Und wenn es Dir besser geht, besuchen wir endlich meine Verwandten im Reservat, das hatte ich Dir ja schon vor zwei Jahren auf unserer Hochzeitsreise versprochen.“
„Aber bisher konnten wir nicht fahren, denn ich war ja andauernd schwanger.“ Ermattet schließt das Girl die Augen und ist im Handumdrehen eingeschlafen.