Читать книгу Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen - Страница 24
Das Ende eines Traums
ОглавлениеIn den folgenden Wochen zieht wieder die alte Harmonie auf der Willow-Tree-Ranch ein und da es auf den Winter zugeht, versucht Carol, wie jedes Jahr, die Gemütlichkeit ihrer Kindertage ins Haus zu holen. So ganz gelingt ihr das trotz wundervoller Dekorationen und köstlichen Plätzchen nicht, denn auch wenn die Liebe zwischen ihr und dem Indian fast noch größer geworden ist, als sie es jemals war, stören die Zwistigkeiten, die die Johnson-Ranch erschüttern auch die Bewohner von Willow-Tree.
Der erste Schnee bedeckt schon Ende November die Erde und Ruth verfällt in tiefe Depressionen. Carol reißt sich mächtig zusammen und versucht sie aufzuheitern, doch als es zwei Wochen lang fast ununterbrochen geschneit und das Thermometer nur noch Frostgrade angezeigt hat, packt Mrs. Blake ihre Koffer und verlässt Knall auf Fall Mann und Kind.
Zuerst sind natürlich alle wie vor den Kopf gestoßen, besonders weil diese Aktion zwar vorhersehbar gewesen ist, aber doch nicht so plötzlich erwartet wurde.
Andererseits hat die junge Frau in den ganzen vergangenen Monaten überall nur noch für Unfrieden und Streit gesorgt, so dass letzten Endes keiner richtig in der Lage ist, ihr auch nur eine echte Träne nachzuweinen und Kevin ist glücklicherweise noch so klein, dass er von dem Drama nicht viel mitbekommt, insbesondere auch weil sich Mrs. Johnson immer so liebevoll um den Kleinen gekümmert hat, als wäre er ihr eigenes Kind.
Carol, die bei allen ihren Kindern mehr Milch hatte, als diese benötigten, selbst bei den Zwillingen, nimmt sich des Säuglings mit großer Herzlichkeit an. Der kleine Junge ist ein entzückendes Kerlchen und gedeiht unter Carols Obhut prächtig.
Auch die junge Mrs. Johnson kümmert sich nicht nur rührend um den Kleinen sondern auch um seinen verlassenen Vater, dass die Widefields froh sind, dass sie seinerzeit ihrer Bitte nachgekommen sind, noch eine Weile auf der Ranch bleiben zu dürfen.
Niemand spricht davon, dass sie sich doch eigentlich etwas Neues suchen wollte und die junge Frau schaut sich nur noch halbherzig die Stellen- und Wohnungsinserate in den großen Zeitungen an.
Da John die Weihnachtstage gerne mit seinem Sohn verbringen möchte, wird er eingeladen, diese auf Willow-Tree zu verbringen. Dankbar nimmt er an und meint: „Das wird wundervoll. Ich freue mich schon darauf, denn es erinnert mich doch jedes Jahr wieder an Zuhause.“
Carol grinst. „Klar, Dein Magen spricht, das kenne ich schon. Wenn Du Christstollen siehst, bist du hin und weg.“
„Stimmt, mein Liebes. Nichts gegen Mutters Kochkünste, aber wenn ich ehrlich bin, Dein Weihnachtsbrot mit dem Marzipan drin schmeckt mir noch besser.“
„Danke für die Blumen!“, erwidert seine Schwester trocken und blickt ihn forschend an. „Was meinst Du, ob Mrs. Johnson nicht auch gerne die Tage mit uns verbringen würde? Sei so lieb und frage sie und überbringe ihr unsere herzliche Einladung.“
„Das ist eine tolle Idee, dann ist die Ärmste nicht so alleine. Es wird ihr sicher Freude machen, denn die Feiertage mit dem alten Johnson waren bestimmt auch nicht unbedingt ein Fest.“
So kommt es, dass John die Weihnachtstage und den Jahreswechsel wie mit einer richtigen Familie auf Willow-Tree verbringt.
Zwischen den Feiertagen gibt es noch eine ganz besondere Feier auf der Ranch, denn Carol wird endlich volljährig, sie feiert ihren einundzwanzigsten Geburtstag.
Am Morgen dieses Tages gesteht sie ihrem Mann, während sie ihm den Binder knotet: „Ich glaube, Liebster, unsere stürmische Liebesnacht nach der Enthaltsamkeit und dem Streit hatte Folgen. Mir ist es seit einigen Tagen morgens immer furchtbar übel.“
David zieht das Kind in seine Arme. „Ehrlich? Das macht Dir so schnell keine nach. An Deinem einundzwanzigsten Geburtstag zum sechsten Mal schwanger und schon vier prachtvolle Kinder, die wachsen und gedeihen als wären sie alles verhätschelte Einzelkinder.“
Die junge Frau kneift die Augen zusammen. „Soll das nun Kritik oder ein Kompliment sein?“
„Ein Kompliment, Geliebte. Ich will damit nur sagen, dass keines unserer Kinder zu kurz kommt, weil noch Geschwister da sind.“ Er küsst die Frau leidenschaftlich und fragt sich wieder einmal, womit er alter Zausel so viel Glück eigentlich verdient hat.
Zum Frühstück erscheinen beide ein wenig aufgelöst, aber mit glücklich strahlenden Augen.
Ines schaut das Verwalterpaar scharf und prüfend an, derweil sie das Essen aufträgt, dann fragt sie unvermittelt: „Mrs. Carol, Sie haben so ein Leuchten um sich herum, ja, Sie sehen fast so aus, wie damals nach der Taufe von unserem Jimmy, als Sie uns mit der Nachricht überrascht haben, das Sie schon wieder schwanger sind. – Sind Sie jetzt etwa auch wieder schwanger?“
Alle Köpfe rucken herum und starren auf das Girl, das verschmitzt die Lippen zusammenpresst und dann leise gesteht: „Ich glaube schon, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher.“
Ines fällt vor Schreck fast die Kaffeekanne aus der Hand. „Ach Kindchen, was machen Sie denn nur für Sachen?“, jammert sie. „Wann müssen wir denn mit dem freudigen Ereignis rechnen?“
An Carols statt antwortet David, da er weiß, dass seine Frau so schnell die richtige Antwort nicht auszählen kann. „So ungefähr im August würde ich mal sagen.“
„Jesses, nein, dann ist Joseph ja grade erst ein Jahr alt. Wollen wir nur hoffen, dass alles gut geht.“
Mrs. Johnson lächelt ein wenig gequält, als sie der junge Frau gratuliert und Carol legt sinnend den Kopf schief. Ihre großen, grünen Augen ruhen auf der jungen Frau, die sich von den Strapazen der Pflege ihres Schwiegervaters wieder sehr gut erholt hat, dann meint sie leise: „Ihnen war es nicht vergönnt, ein Kind zu bekommen, nicht wahr?“
Ein trauriges Kopfschütteln ist die Antwort, dann folgen leise die Worte: „Deswegen war meine Ehe ja auch so eine Katastrophe. Mein Mann hat mich immer als unfruchtbare Hülle bezeichnet und ist daher laufend fremd gegangen und die halbe Stadt hat mir das Gleiche unterstellt. Ich kann leider keine Kinder kriegen.“
Während des letzten Satzes hat sich ein sehr nachdenklicher Ausdruck auf Carols Gesicht breit gemacht und sie murmelt: „Sind Sie da ganz sicher? Vielleicht hat es ja gar nicht an Ihnen gelegen, vielleicht konnte Ihr Mann ja gar keine Kinder zeugen, vielleicht war er die taube Nuss.“
Schlagartig setzt sich eine unnatürliche Stille am Tisch durch und ein leichtes Erschrecken ist auf allen Gesichtern zu lesen, nur Carpenter schmunzelt still vor sich hin, denn Carol hat seinen eigenen Gedanken laut ausgesprochen.
Johnson Junior war ein schlimmer Schürzenjäger. Schon als er sechzehn war, war kein Mensch in einem Rock vor ihm sicher und er hat sich jede genommen, die nicht schnell genug auf den Bäumen war, aber niemals ist etwas ruchbar geworden, dass er irgendwo einen Treffer hätte landen können.
„Stecken Sie den Kopf nicht in den Sand, meine Liebe. Sie hätten sich längst einen neuen Mann suchen sollen.“
„Das sagen Sie so leicht daher, Mrs. Widefield.“
„Carol!“, entgegnet diese nun bestimmt. „Nennen Sie mich einfach Carol, das tun doch alle.“
„Gerne, Carol, dann müssen Sie aber auch Jane zu mir sagen.“
„Einverstanden, Jane. Das ist ein wunderschöner Name. Aber nun zurück zu unserem eigentlichen Thema. Sie haben da gerade etwas gesagt, womit mein dummes, kleines Gehirn einige Schwierigkeiten hat. Wieso sagt sich das für mich so leicht, von wegen neuem Mann und so?“
Fast ein wenig trotzig erwidert die verwitwete junge Frau: „Ihnen liegen alle männlichen Bewohner von Ebony Town zu Füßen, egal, ob sie verheiratet oder ledig sind. Allen voran der Sheriff und dieser dünne Bankmensch, aber auch der Doktor und der Pfarrer kommen ins Schwärmen, wenn von Ihnen die Rede ist und nicht zu vergessen, der blonde Herr da drüben.“ Sie nickt in Blackys Richtung, der daraufhin so tut, als suche er denjenigen, den Jane meinen könnte. „Sie bräuchten doch nur zu husten und jeder der Herren würde Sie mit Freuden zum Altar führen.“
„Ach, das ist doch Unsinn. Und außerdem, was sollte ich zum Beispiel mit so einem schrecklichen Menschen dort anfangen?“ Sie deutet auf John. „Igitt, mit dem bin ich doch schon verwandt. Meinen Sie nicht, dass das mehr als genug der Beziehung ist?“
Allgemeines Gelächter quittiert diesen Einwurf und John macht pro Forma ein etwas beleidigtes Gesicht, dann fährt Carol fort: „Bei dem Überangebot an Männern hier in der Gegend dürfte es doch für eine so gut aussehend Person wie Sie es sind, keinerlei Schwierigkeiten geben, einen halbwegs passablen Gatten zu finden.“
„Ach Gottchen, vor ein paar Jahren vielleicht, aber heute?“
„Jane, ich kann mir so was gar nicht anhören. Sie sind eine äußerst attraktive Frau. So attraktiv, dass sogar ein Mord wegen Ihnen verübt worden ist.“
Mrs. Johnson lächelt gequält. „So ganz stimmt das nicht, was Sie da sagen.”
„Doch, doch, das stimmt sehr wohl. Ich habe es nicht vergessen, immerhin ging es damals um den Kopf meines einzigen noch lebenden Verwandten.“
„Ja, das war das Schlimmste an der Sache, dass beinahe ein Unschuldiger aufgehangen worden wäre. Das hat meinen Schwiegervater später ziemlich mitgenommen. Er hat sich immer wieder gefragt, wie man so verbohrt und halsstarrig sein kann, dass man sogar aus Rache hinnimmt, dass ein Unschuldiger, der nicht nur seine Unschuld beteuert, sondern auch für sein freundliches Wesen bekannt ist, verurteilt wird.“
Sie seufzt leise. „Das hat er sich bis zu seinem letzten Tag nicht verzeihen können, insbesondere, weil alle Bewohner von Willow-Tree, insbesondere Mister Carpenter und Ihr Mann, dafür gesorgt haben, dass sein Lebenswerk, die Johnson-Ranch weiter existieren konnte und kein einziger von Ihnen, nicht einmal der Hauptbetroffene, Mr. Blake, sich nach Abschluss der Verhandlung auch nur das Geringste von dem Unrecht haben anmerken lassen.“ Sie ist während ihrer Worte rot angelaufen und schluckt nun schwer.
Carol winkt ab. „Oh Gott, ich wollte keine alten Geschichten aufwärmen, ich wollte damit nur sagen, dass, wenn ich alles noch richtig im Kopf habe, der gute Max Perkins zum Beispiel, mehr als nur ein Auge auf Sie geworfen hatte. Wieso ist da eigentlich niemals was draus geworden?“
„Max ist ein guter Freund, weiter nichts. Er hat mich ein paar Mal vor den Prügelattacken meines Mannes beschützt, aber das war es dann auch schon. Er steht auf dem Standpunkt, ein Cowboy kann sich vieles leisten, aber eine Familie nicht.“
Beifälliges Nicken zeigt, dass sowohl der Indian, wie auch John diese Aussage nur bestätigen können. Carol allerdings tippt sich mit einem Blick auf die Beiden an die Stirn. Diese Meinung geht ihr gehörig gegen den Strich, weil genau diese beiden Männer das glatte Gegenteil bewiesen haben.
„So, so, Perkins war also immer nur ein guter Freund. Er scheint Ihrem Mann wohl nicht über den Weg getraut zu haben, was? Immer zur Stelle, wenn einem Mädchen von Johnson Junior Gefahr drohte. Mich hat er davor bewahrt, von ihm vergewaltigt zu werden.“
„Mm ja, Perkins hat mir damals davon erzählt. Er hatte am Gesichtsausdruck meines Mannes erkannt, dass er auf Sie aufpassen müsse. Außerdem haben sie es ihm damals auch sofort angetan. Er meinte sogar, es sei schade, dass Sie noch ein Kind wären, sonst hätte er Sie gerne mal zum Tanzen eingeladen.“
Carol kichert. „Hach, wie gut, dass nicht alle Männer so rücksichtsvoll zu Kindern sind.“
„Na ja, auf alle Fälle hat Perkins meinen Mann an dem Tag damals nicht aus den Augen gelassen.“
„Und das war, Gott sei Dank, auch sehr gut so, denn ehrlich gesagt, Ihr Mann war gar nicht mein Fall.“
Jane zuckt mit den Schultern. „Und ich denke mal, ich bin nicht so ganz Perkins Typ.“ Sie seufzt.
Carols Augen heften sich auf ihren Bruder, der schweigend dem Gespräch lauscht. „Und was ist mit Euch beiden?“
David, der bisher ebenfalls schweigend zugehört hat, ruft nun ungehalten: „Carol, fängst Du schon wieder an, Dich einzumischen?“
Erschrocken schaut die junge Frau ihren Mann groß an und murmelt kopfschüttelnd, aber dennoch ein wenig schuldbewusst: „Man wird doch noch mal fragen dürfen. Ich denke, dies ist ein freies Land?“
Mrs. Johnson ist blutrot angelaufen und sagt mit zittriger Stimme: „Mr. Blake ist verheiratet und er muss an sein Kind denken.“
„Eben!“, konstatiert die Rothaarige heftig. „Sie sind dem Kind vom ersten Tag an eine bessere Mutter gewesen, wie die leibliche Mutter. Außerdem denke ich, diese Ehe ist nur noch eine Frage der Zeit.“
John zuckt bei diesem Satz zusammen und presst die Lippen fest aufeinander. Er sagt erst einmal gar nichts, obwohl alle Augen auf ihm ruhen, dann räuspert er sich und brummt heiser: „Ruth hat die Auflösung unserer Ehe beantragt. Ich habe die Mitteilung als Weihnachtsgeschenk bekommen.“
„Oh mein Gott, entschuldige was ich gesagt habe, das wusste ich nicht.“
Carol schlägt sich beide Hände vor den Mund, dann haucht sie tonlos: „Und was ist mit Kevin? Sie wird ihn doch jetzt wohl nicht plötzlich haben wollen?“
„Nein, nein. Das Kind sei äußerst lästig und verzogen und wahrscheinlich sogar geistig behindert, schreibt ihr Anwalt. Sie könne den Jungen weder gebrauchen noch etwas mit ihm anfangen.“
Bei dem Ausdruck „Geistig behindert“ fallen der rothaarigen Frau Messer und Gabel aus den Händen, so sehr zuckt sie zusammen. Die Gabel klirrt auf den Teller und das Messer poltert zu Boden.
Carol ballt ihre Hände zu Fäusten und spitzt die Lippen. „Diese dumme Kuh ist doch selber geistig bekloppt. Die hat sie doch nicht mehr alle auf der Reihe. Na warte, wenn ich die in die Finger kriege, die kann aber vielleicht etwas erleben.“
Im Geiste schreibt die junge Frau bereits einen geharnischten Brief an die Witwe Gwendale, doch sie erwähnt dieses Vorhaben nicht, denn dann würden alle nur versuchen, ihr diesen Plan möglichst schnell wieder auszureden.
Betroffenes Schweigen breitet sich nun im Raum aus und keiner mag das Frühstück fortsetzen, bis Carol sich ächzend nach ihrem Messer bückt und knurrt: „Wir sollten uns von der dummen Pute nicht den schönen Tag und das Fest verderben lassen. Wir werden diese Sache durchstehen und Kevin kriegen wir auch ohne sie groß!“
Sie möchte noch unendlich viel zu dem Thema sagen, doch sie reißt sich zusammen und spricht über ganz andere Dinge, die ihre Freunde ablenken sollen. Sie redet von ihren Plänen, eine große Obstplantage anzulegen, so dass man die ganze weitere Umgebung mit Obst und Obsterzeugnissen versorgen könnte.
Über diesen sehr geschickten Schachzug vergessen alle den unangenehmen Gesprächsteil bei der Mahlzeit für den Augenblick, nur Carol bewegt alle gesagten Worte in ihrem Herzen und es wird ihr ganz schwer, wenn sie an ihren kleinen Neffen denkt, der eine so kaltherzige Mutter hat.