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Mehr als nur ein kleines Problem

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Von dieser an sich recht leichten Geburt erholt sich die junge Frau ungewohnter Weise längst nicht so rasch, wie von den vorangegangenen und erst Mitte August ist sie in der Lage, das Bett zu verlassen und wieder ganz langsam mit dem normalen Leben zu beginnen.

Sie sehnt sich nach Davids Zärtlichkeiten, doch dieser ist spröde und zugeknöpft. Er begegnet seiner jungen Frau zwar mit der gewohnten Aufmerksamkeit, doch lässt er es zu keinerlei körperlichen Kontakten kommen. Das verstimmt Carol zunehmend und immer häufiger bricht sie wegen Nichtigkeiten einen Streit vom Zaum. Sie ist ganz einfach süchtig danach, mit ihrem Mann zu schlafen und das herrliche Gefühl der Hingabe zu genießen und hat schon regelrechte Entzugserscheinungen.

Acht Wochen nach der Herrin der Willow-Tree-Ranch entbindet auch ihre Schwägerin. Ruth bringt einen gesunden, kräftigen Jungen zur Welt, doch nach dessen Geburt beginnt die junge Ehefrau ihren Mann immer offensichtlicher abzulehnen, worunter John mehr leidet, als er es zugeben mag.

Nach einiger Zeit wird es so dramatisch, dass Mrs. Johnson, die sich noch immer ausgesprochen fürsorglich und umsichtig um den kleinen Haushalt kümmert, bei den Widefields Rat einholt.

David ist nicht sonderlich begeistert davon, denn er ist der Meinung, dass sich niemand in die Angelegenheiten der Blakes einzumischen habe.

Carol sieht das natürlich ganz anders und sie reitet immer häufiger zur Johnson-Ranch und wäscht dort ihrer Schwägerin jedes Mal gehörig den Kopf, worüber diese sich dann wiederum heftigst bei dem Indianer beschwert.

Das führt dann jedes Mal zu Auseinandersetzungen zwischen David und Carol, die schließlich immer mehr eskalieren und damit enden, dass sich der Mann und seine kleine Frau so sehr in die Haare geraten, dass das rothaarige Girl schlussendlich mit ihrem Säugling zornbebend ins Blaue Zimmer zieht.

„Na toll!“, flucht der Indian. „Ich habe doch gleich gesagt, es bringt nichts, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen.“

Carol ist für diese Argumentation absolut nicht empfänglich und zeigt sich vollkommen unversöhnlich und uneinsichtig, wenn die Sprache auf ihren Bruder und dessen Frau kommt.

Sie ist nicht zum Einlenken bereit und so beschließt der ehemalige Vormann der Willow-Tree-Ranch, dass eine vorübergehende Trennung vielleicht das Beste gegen ihre Beziehungskrise ist und so vereinbart er mit Max Perkins, dass er mit diesem zusammen den letzten Viehtrieb des Jahres 1896 durchführen wird.

„Dann hat der kleine Irrwisch Zeit genug, um wieder mit sich, ihrer Umwelt und vor allem ihrer Verwandtschaft ins Reine zu kommen“, lacht er, „und ich komme nicht ganz aus der Übung. Ich verkomme immer mehr zu einem Büromenschen.“

Als die junge Frau schließlich von diesem Vorhaben erfährt, sind bereits alle Vorkehrungen getroffen und für David ist es selbstverständlich, dass er den Job auch wie geplant durchzieht.

Das Mädchen rast bei seinem Aufbruch vor unverhohlenem Zorn, insbesondere, da sie gerade erfahren hat, dass Ruth ihren Mann aus dem gemeinsamen Schlafzimmer geworfen hat, mit der Begründung, er würde doch bei jeder Zärtlichkeit nur an Carol denken.

Der rothaarige kleine Feger ist über diese Unterstellung stinksauer und bräuchte gerade jetzt dringend jemanden, mit dem sie diese haarsträubende Angelegenheit besprechen könnte, doch David zeigt sich dazu nicht im Geringsten bereit und so fühlt sie sich hilflos und alleine gelassen, was wiederum dazu führt, dass sie noch mehr mit dem Indian hadert.

Wutentbrannt macht sich das Energiebündel, ohne lange zu überlegen, zusammen mit dem alten Festus auf den Weg zur Johnson-Ranch.

Der alte, lebenserfahrene Cowboy hat unterwegs das kleine Wunder vollbracht, das Girl ein wenig zu beruhigen und so gelingt es der jungen Frau sogar, den Besuch wie einen ihrer üblichen Routineinspektionstage aussehen zu lassen.

Erst als sie schließlich pro Forma zusammen mit John die Bücher der Ranch kontrolliert, obwohl sie von Zahlen noch immer keine Ahnung hat, kommt sie auf den eigentlichen Grund ihres Besuches zu sprechen.

Nachdem sie eine Weile mit ihrem Bruder geredet hat, meint sie traurig: „Ich verstehe einfach nicht, dass es so weit kommen konnte. Immerhin habt ihr Euch doch mal ganz wahnsinnig geliebt und Ruth machte anfangs einen so patenten Eindruck. Du hast sie doch wohl nicht geschlagen?“

Die Antwort kommt nicht von Blacky, sondern von der Tür her ertönt Ruths Stimme: „Nein, er hat mich nie geschlagen, aber unsere Liebe ist erkaltet und wenn ich ehrlich bin, geht mir alles hier auf die Nerven, dieses Provinzkaff, diese Öde hier auf der Ranch, die kalten, nassen Winter, das Babygeplärre, das Blöken von den Schafen und der Gestank und, ach, einfach alles. Und John mit seiner einfachen Art und seinem schlichten Gemüt ist auch nicht unbedingt mein Lebenstraum.“

Der letzte Satz lässt Carol zusammen zucken, dann fasst sie sich wieder und knurrt eisig: „Vielleicht solltest Du dann die einzig mögliche Konsequenz ziehen und verduften! Wenn ich denke, dass ich Deinetwegen mit David schon seit Wochen in Unfrieden lebe, wird es mir ganz schlecht!“

Die junge Frau erhebt sich, klappt die Bücher zu, schiebt sie energisch beiseite und verlässt, gefolgt von ihrem Bruder, hoch erhobenen Hauptes das Büro, ohne die Schwägerin auch nur noch eines einzigen Blickes zu würdigen.

Schon im Sattel sitzend schaut sie Blacky, der bisher eisern und mit verschlossenem Gesicht geschwiegen hat, an und brummelt: „Wenn sie gehen will, lass sie ziehen, aber pass auf, dass sie Kevin nicht mit nimmt. Bring ihn lieber zu mir. Ich komme mit Zwillingen ganz gut zurecht. Für das arme Kerlchen wäre Ruth die denkbar schlechteste Alternative, denn sie kann dem Kind keine wahre Zuneigung entgegenbringen. Und auch wenn man sagt, lieber eine schlechte Mutter, als gar keine, dann ist die Liebe einer Tante doch noch höher einzuschätzen.“

„Danke Carol, ich weiß Dein Angebot zu schätzen.“

In Blackys Gesicht steht eine unendliche Traurigkeit. „ Und Du hast ganz recht, ich werde nicht versuchen, Ruth zu halten, wenn sie gehen will. Auch wenn ich sie immer noch liebe, Reisende soll man ziehen lassen.“

Er seufzt, nickt Festus zu, der sein Pferd neben Silky pariert und brummt: „Grüß den Indian von mir und sag ihm, es tut mir leid, dass Ihr Euch auch noch wegen uns gestritten habt.“

Die junge Frau schnaubt durch die Nase. „David hatte die Auseinandersetzungen so gründlich satt, dass er mit Perkins zusammen auf Viehtrieb gegangen ist.“

Blake horcht auf. „Wie bitte? Wer ist denn dann noch auf der Ranch?“

Carol lächelt, sie weiß, dass John sich Sorgen macht, wenn nicht genügend kräftige Männer das Anwesen bewachen.

„Neben Ines, mir und den Kindern sind noch Festus, Mr. Carpenter und zwei Neue da. Aber mach Dir bloß keine unnötigen Sorgen, es klappt alles bestens. Mach’s gut, Bruderherz und halte die Ohren steif.“

Nachdenklich starrt der blonde Cowboy hinter den beiden Reitern her, die den Weg in Richtung Willow-Tree-Ranch einschlagen und schließlich in der Unendlichkeit verschwinden.

Es gefällt ihm gar nicht, dass die beiden Frauen mit den Kindern, zwei alten Männern und zwei Fremden alleine auf der Ranch sind. Ihm fällt das Erlebnis mit der Bennett-Bande wieder ein, er sieht wieder Carols böse zerschnittenen Arm vor sich und so sucht er kurzentschlossen seinen Vormann, dem er einige knappe Anweisungen erteilt, dann geht er ins Haus, um Mrs. Johnson von seinem Vorhaben zu unterrichten und ihr bezüglich seiner Frau und dem Baby noch einige Maßgaben zu hinterlassen.

„Sie können sich auf mich verlassen, Sir, das Kind kriegt sie nie! Nur über meine Leiche!“, nickt diese verständnisvoll und schaut ihm sinnend nach, wie er, nachdem er den Sattel kontrolliert hat, in wildem Galopp von der Ranch weg reitet.

Mr. Blake ist so ein herzensguter Mann, ständig guter Laune, nie herablassend und ziemlich intelligent, außerdem sieht er verdammt gut aus.

Die verwitwete Frau seufzt. „Warum bekommen eigentlich die dämlichsten Weiber immer die besten Männer?“, fragt sie sich und wendet sich dann wieder ihrer Arbeit zu.

Carol staunt nicht wenig, als plötzlich Jonnys blonder Schopf neben ihr im Pferdestall auftaucht, wo sie Silky trocken gerieben hat und nun liebevoll striegelt.

Der junge Mann erklärt seiner kleinen Schwester seine Beweggründe und sie lacht schallend. „Du bist ein Kindskopf, John Blake. Aber von mir aus kannst Du hier bleiben. Arbeit gibt es mehr als genug und das Gästezimmer ist derzeit frei.“

Dann runzelt sie die Stirn: „Ich weiß Kevin bei Mrs. Johnson in sehr guten Händen, aber was ist, wenn Deine Frau plötzlich ihre wirren Gedanken in noch wirrere Taten umsetzt und sich absetzt. Und nur um dich zu ärgern den Kleinen mitnimmt?“

John lächelt unendlich traurig, dann strafft er die Schultern und knurrt: „Ich habe Mrs. Johnson gebeten, sich um meinen Sohn zu kümmern und ihn auf gar keinen Fall Ruth zu überlassen, wenn sie das Weite suchen will. Sie hat mir versichert“, nun lächelt er, „Kevin unter gar keinen Umständen herauszugeben und ihn mit Ihrem Leben zu verteidigen.“

Der Mann schaut an dem Girl hinauf und hinunter, dann zieht er sie in seine Arme. „Wie lange durfte ich Dich schon nicht mehr so in die Arme nehmen, meine kleine geliebte Schwester?“

„Du darfst es auch jetzt nicht“, haucht das Mädchen atemlos, doch den jungen Mann stört ihre Bemerkung gar nicht, er beugt sich zu ihr herab und küsst sie so leidenschaftlich, als wäre er seiner großen Liebe just in diesem Augenblick begegnet.

Carol, die in den letzten Wochen die Zärtlichkeiten ihres Mannes vermisst hat, lässt es willenlos geschehen und erschauert leicht unter seinen fordernd streichelnden Händen.

Atemlos macht sie sich schließlich von ihm frei und meint ein wenig vorwurfsvoll: „Ruth hat recht, wenn sie behauptet, Du würdest mich als Frau begehren.“

„Daran ist die selber am meisten schuld. Wenn sie anders wäre, hätte ich mein Verlangen nach Dir sicher schon begraben. Ich liebe Dich und ich begehre Dich, doch es wird nichts mehr geschehen, das verspreche ich Dir! Aber ehrlich, es ist verdammt schwer, ich bin ja auch nur ein Mann und ausschwitzen kann ich das Zeug immer noch nicht.“

Die junge Frau lächelt und zieht seinen Kopf zu sich herunter, dann küssen sich die Geschwister wieder wild und leidenschaftlich, dabei bemerkt die Frau ein heißes Verlangen. Sie spürt die berühmten Schmetterlinge im Bauch und ihr Mund wird trocken.

Schnell löst sie sich aus der Umarmung und meint, während sie mit den Fingern ihre Haare ordnet: „Kümmere Dich jetzt erst mal um Deine Stute. Ich gehe schon mal ins Haus und sage Ines Bescheid, dass sie Dir das Gästezimmer richten soll.“

Verwirrt über ihre eigenen Gefühle flitzt die junge Frau über den knirschenden Kies des Vorplatzes, hüpft die Stufen zur Veranda hoch und saust ins Haus.

Ines, die von den Unstimmigkeiten auf der Johnson-Ranch weiß, wundert sich nicht weiter, sondern legt, nachdem Carol ihr versichert hat, dass Mrs. Johnson Kevin nur über ihre Leiche der Mutter überlassen würde, seelenruhig ein weiteres Gedeck auf den Tisch und verschwindet dann im Gästezimmer.

Nur ein Tropfen Leben

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