Читать книгу Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen - Страница 5
Freudige Mitteilung
ОглавлениеIn dem nach der Hitze in der Kirche angenehm kühl wirkenden Untersuchungszimmer wird sie gründlich auf den Kopf gestellt und untersucht, wobei sich der Mediziner ein gelegentliches „Hm, na so was“, und „Tz, das gibt es doch gar nicht“, nicht verkneifen kann.
Nachdem Carol sich wieder angekleidet und der Arzt sich die Hände gewaschen hat, schaut er seine kleine Patientin ernst an, dann bittet er sie vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen und fragt scheinbar zusammenhanglos: „Wie ist es denn so mit dem Baby?“
Carol kann schon wieder strahlen, denn in den Räumen des Doktors ist es wirklich wesentlich angenehmer, als in der überfüllten Kirche. „Wundervoll, Doc, einfach unbeschreiblich schön. Jimmy ist so wonnig, alle lieben ihn und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich mal ohne das Kind gelebt habe.
Wenn ich daran denke, wie entsetzt ich damals das erste Mal über Ihre Diagnose einer Schwangerschaft gewesen bin.“
Sie schüttelt indigniert den Kopf und lacht leise auf. „Ich könnte mich noch heute für mein blödes Verhalten glatt ohrfeigen.“
Steel schmunzelt: „Da waren Sie gerade erst sechzehn, Kindchen, da ist das normal. Glauben Sie mir, ich war über meine eigene Diagnose nicht weniger erschrocken, um nicht zu sagen entsetzt, wie sie selber. Im Geiste habe ich alle Männer der Stadt Revue passieren lassen und überlegt, welcher Schuft Sie geschwängert haben könnte. Ich hätte ihm alle Knochen gebrochen, wenn ich ihn zwischen die Finger gekriegt hätte.
Allerdings wäre ich niemals auf das Nächstliegendste, ihren Boss, gekommen. Schon komisch, genau diesem Mann hätte ich niemals zugetraut, dass er sich an ein Kind ran machen könnte.“
Belustigt schaut das ‚Kind‘ den Arzt an. „Nicht er hat sich an mich herangemacht, ich mich an ihn. Von alleine hätte der die Initiative bestimmt nicht so früh ergriffen und sicherlich meine Volljährigkeit oder aber meine Bereitschaft zur Heirat abgewartet.“
Sie lacht laut auf, als sie daran denkt, wie sie sich an den Vormann herangeschlichen hat, als er sich an der Pumpe auf dem Vorplatz gewaschen hat.
„Das glaube ich Ihnen sogar, Mrs. Widefield.“ Unvermittelt wird der Mann nun aber wieder ernst.
„Hm“, er räuspert sich vernehmlich. „Nun, Sie wissen, dass ich nicht besonders begeistert davon war, dass Sie nach der Totgeburt so umgehend wieder schwanger geworden sind, aber Sie mussten Ihren Dickkopf ja unbedingt durchsetzen.“
Carol lacht verhalten. „Diesen Dickkopf habe ich von meinem Vater geerbt, den haben wir Blakes alle. Mein Bruder ist da auch keine Ausnahme.
Ich bin übrigens froh, dass ich diesen sturen Willen habe und dass ich mich durchsetzen konnte. Ein Leben ohne Kind ist mit gähnender Leere angefüllt.“
„Trotzdem, zwei Schwangerschaften innerhalb von gut eineinhalb Jahren, das zehrt gerade bei einem so jungen, noch nicht mal voll ausgereiften Körper an der Konsistenz. Sie wirken schmal und durchscheinend, wie eine Porzellanpuppe.“
„Ja, ich weiß“, lacht die junge Frau nun unbekümmert. „Ich muss in der nächsten Zeit mit meinen Kräften ein wenig haushalten, das sagt Ines auch immer. Ich verspreche Ihnen, ich schone mich in Zukunft etwas mehr und mit einer neuerlichen Schwangerschaft lasse ich mir auch noch ein bisschen Zeit.“
Der Arzt schürzt die Lippen, dann holt er tief Luft. „Lobenswerte Vorsätze, mein liebes Kind, aber ich fürchte, dafür ist es schon etwas zu spät. Wenn ich das richtig sehe, sind Sie schon wieder in anderen Umständen. Noch nicht besonders weit fortgeschritten, aber so im zweiten bis eher dritten Monat dürften Sie schon wieder sein.“
Er seufzt bei dem Blick in ihre ungläubig aufgerissenen Augen. „Haben Sie eigentlich nichts anderes zu tun? Ich dachte immer, eine so große Ranch wie Willow-Tree würde viel Arbeit machen, aber Sie beweisen mir gerade das Gegenteil.“
Carol, die erst etwas bleich geworden ist, hat ihre Ungläubigkeit überwunden und strahlt auf einmal, wie der helle Sonnenschein. „Ich finde es prima und durchaus in Ordnung. Ich wollte immer mindestens zwölf Kinder und da muss ich mich ran halten.“
„Aber müssen Sie die zwölf Kinder unbedingt in einem Zeitraum von neun Jahren haben wollen? Suchen Sie sich ein Hobby und beziehen Sie ihr eigenes Schlafzimmer!“
Carol grinst viel sagend: „Das käme überhaupt nicht in Frage, denn nicht nur das Kinderkriegen ist schön, ich finde besonders den Produktionsvorgang einfach unbeschreiblich toll.“
Steel schüttelt mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf. „Kindchen, Kindchen, Sie müssen ruhiger werden. Was wird ihr Mann zu dem neuerlich ins Haus stehenden Ereignis sagen?“
„Na, ich hoffe doch, dass er sich freut. Immerhin empfindet er die Produktion ja auch nicht gerade als lästig.“
Der Arzt betrachtet seine Fingernägel, dann hebt er den Kopf und fragt: „Nur so nebenbei, rein aus medizinischem Interesse, ihr Mann ist ja kein Jüngling mehr, wie oft, hm, - liegen Sie mit ihrem Mann?“
Carol schmunzelt. Ihr ist das Thema viel weniger peinlich, als offensichtlich dem Arzt, der eigentlich von Berufswegen da viel abgeklärter sein müsste.
„Nach Ines Meinung viel zu oft. Schließlich sind wir doch schon ein ganzes Jahr verheiratet. Sie ist davon überzeugt, dass wir es viel zu oft miteinander ‚treiben’ würden. Sie ist der Auffassung, vier bis fünf Mal sei zu häufig.“
Steels linke Augenbraue wandert belustigt in die Höhe. „Aha, Ines zählt also mit. Na herrlich! Da sieht man doch mal, wofür Personal so alles gut ist.“
Er grinst. Ines, die gute Seele der Ranch, bewacht Carol noch immer wie eine liebende Mutter ihr Kind. „Vier bis fünf Mal im Monat? Oder etwa in der Woche?“
Jetzt blickt Carol etwas verwundert aus der Wäsche, dann begreift sie und schlägt die Augen nieder. „Nein, nein, in jeder Nacht!“, haucht sie leise und errötet dabei bis unter die Haarwurzeln.
Der Arzt schluckt und lässt sich nach hinten gegen seine Stuhllehne fallen. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie jede Nach mit ihrem Mann zusammen sind und das mehrfach?“
Carols Röte im Gesicht wird noch um einige Nuancen tiefer. Sie zieht die Oberlippe zwischen die Zähne, dann nickt sie ernst.
„Ja, fast jede Nacht. Es geht nicht anders. Die Zeit nach der Geburt war furchtbar schlimm. Wir sehnten uns beide so irrsinnig nach der Vereinigung, dass mir die Wochen, die ich geblutet habe, fast wie eine Ewigkeit vorgekommen sind.“
Steel ist perplex. Das Kind spricht darüber, als sei es das Natürlichste und Normalste auf der Welt. „Sagen Sie nicht, Sie haben auch noch bis kurz vor der Entbindung ...?“
„Nee, da war ich doch ein paar Tage krank, da hat Ines schon auf mich aufgepasst, wie ein Schießhund, dass ich mich ja nicht unnötig bewege. Die hätte meinen Mann aus dem Zimmer geprügelt.“
Carol lacht. „Aber bis zu dem Tag war es immer noch wunderschön, auch wenn mein Bauch manchmal ziemlich im Weg war“, giggelt sie.
Der Arzt kratzt sich am Kopf. „Ihr zwei seid unmöglich! Da haben sich wohl zwei Naturmenschen getroffen.“
Fast hätte er „Wilde“ gesagt, sich aber gerade noch rechtzeitig zurückhalten können.
„Na ja, wenn es Euch Spaß bereitet und es Euch nichts ausmacht, müsst ihr selber sehen, wie ihr Eure Nächte gestaltet. Was mir aber nicht gefällt, ist die Tatsache, dass Sie Ihrem Körper schon wieder eine Schwangerschaft zumuten wollen. Ich habe Angst, dass Sie davon so geschwächt werden, dass Sie bei der nächsten Entbindung ernstlichen Schaden nehmen könnten.“
Die junge Frau wirft ihre langen Haare zurück und lacht wieder ihr unbekümmertes Kinderlachen. „Ach, Unsinn, Sir! Ich fühle mich blendend und jetzt, wo ich weiß, weshalb es mir eben so flau geworden ist, geht es mir noch viel besser und ich bin wirklich rundherum glücklich, glücklicher könnte ich gar nicht sein.“
Rasch verabschiedet sich Carol von dem sehr besorgt aussehenden Mann und eilt zu ihrer Familie, die sie bereits ganz aufgeregt erwartet.
Klein James jammert vor sich hin und das Girl schwingt sich behände in die Kutsche.
„Lasst uns heimfahren!“, ruft sie gut gelaunt. „Ich brauche dringend einen Kaffee, außerdem geht es mir wie meinem Jimmy, ich habe tierischen Hunger!“
Schnell klettern alle in die Kutsche. John und David nehmen auf dem Kutschbock Platz und die beiden Carpenters sitzen den Frauen gegenüber.
Carol hat Ines Ihr Baby abgenommen und herzt es liebevoll, dann öffnet sie ungeniert ihre Blusenknöpfe und beginnt das Kind vor allen Augen zu stillen.
Stacy senkt wohlerzogen den Blick und auch der alte Carpenter tut so, als würde er interessiert die Landschaft betrachten.
Ines kneift die Augen zusammen, denn obwohl sie Verständnis dafür hat, dass die dringendsten Bedürfnisse des Babys gestillt werden müssen, findet sie die Situation höchst unschicklich, besonders da sie merkt, dass die Männer immer wieder verstohlene Blicke wandern lassen.
Doch wie in jeder Lebenslage hat die gute Seele auch dieses Mal einen hervorragenden Einfall. Sie knotet ihr Schultertuch auf und hält es zwischen die junge Mutter und die neugierigen Männerblicke, dazu erklärt sie rigoros: „Das arme Kind bekommt ja sonst womöglich noch einen Sonnenstich bei dieser unerträglichen Hitze!“
Auf der Ranch angekommen, erwartet Carol eine Überraschung, die ihr durch ihre Übelkeit in der Kirche vollkommen entgangen ist. Auf dem Vorplatz steht ein Wagen, den Carol als den des jungen Richters Harrods erkennt.
„Ach, das ist aber eine nette Überraschung“, ruft sie strahlend, „habt ihr Kenneth zum Kaffee eingeladen?“
Sie schaut in Richtung Haus und ihre scharfen Augen erkennen in diesem Moment neben Kenneth noch den Sheriff und zwei weitere Männer, die, den Ankommenden den Rücken zugewandt, auf der Veranda im Schatten Platz genommen haben.
Das Girl drückt David, der schon vom Kutschbock gesprungen ist, seinen Sohn in den Arm und hört seine Worte: „Es kommt noch netter!“
John, der sich galant um Ines bemüht, grinst viel sagend: „Ihr kennt aber echt merkwürdige Leute. So einen Umgang hätte ich Euch niemals zugetraut.“
Carol schaut ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie versteht diese komische Andeutung nicht, denn wen kennt sie schon großartig, den der Bruder nicht auch kennt?
Ihr Blick wandert wieder zur Veranda, dann läuft sie entschlossen los, um die Gäste zu begrüßen.
Sie strahlt, als sie den alten Richter Harrods erkennt, der ihr mit ausgestreckten Armen entgegenkommt.
„Hallo, hübsche kleine Mama. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dem wundervollen kleinen Jungen. Sie waren so schnell aus der Kirche verschwunden, dass ich sie bisher gar nicht begrüßen konnte.“
„Hach, war es mir aber auch schlecht. Ich dachte, ich segne das Zeitliche. Schön Sie zu sehen, Richter. Ich freue mich ehrlich, dass Sie es einrichten konnten, unseren Jimmy an seinem Ehrentag zu besuchen.“
„Liebes Kind, als ob ich mir das hätte nehmen lassen. Ich soll Sie übrigens auch von Mrs. Paulis ganz herzlich grüßen. Sie wäre gerne mitgekommen, aber leider hat sie sich vor ein paar Tagen schrecklich den Rücken verhoben und ist seither fast gelähmt.“
„Ach die Ärmste. Richten Sie ihr bitte meine besten Genesungswünsche aus und sagen Sie ihr, dass sie jederzeit willkommen ist. Sollte sie sich nicht hier blicken lassen, werde ich sie bei meinem nächsten Aufenthalt in Cheyenne besuchen kommen. Das ist eine Drohung und Sie wissen, lieber Richter, dass ich sie wahr machen werde.“
Carol lacht auf, schaut wieder zur Sitzgruppe hinüber und fragt: „Wen haben Sie uns denn da anstelle von Mrs. Paulis mitgebracht?“
Der vierte auf der Veranda anwesende Mann muss der merkwürdige Typ sein, den John mit seiner Bemerkung gemeint hat.
Mit gerunzelter Stirn schaut sie zu dem jungen Mann hinüber, der sich bescheiden im Hintergrund hält und der ihr doch so merkwürdig bekannt vorkommt.
Ein klein wenig hinkend tritt er nun langsam auf sie zu und die Erkenntnis kommt schlagartig.
„Mr. Mansfall! Das ist aber eine irre Überraschung. Sie werden es mir vielleicht nicht so recht glauben, aber ich freue mich wirklich sehr, Sie zu sehen. Was bin ich froh, dass Sie noch leben. Ich habe so manches Mal an Sie denken müssen und daran, ob Sie die Verletzung wohl halbwegs heil überstanden und das Gift der Schlange überlebt haben.“
„Ich für meinen Teil habe fast ununterbrochen an Sie denken müssen, Mrs. Widefield, denn immerhin habe ich Ihnen mein Leben zu verdanken.“
Carol winkt grienend ab. „Quatsch, ich war nur unmaßgeblich an Ihrer Genesung beteiligt, der wahre Lebensretter war unser Dr. Markamp. Leider kann dieser aber heute nicht hier sein, denn er hat in seiner Praxis in Boston einfach zu viel zu tun.“
Nun erst wendet sich die junge Frau an den Neffen von Richter Harrods, nimmt strahlend seine Glückwünsche entgegen und lässt sich dann von Bill Fawkes, dem Sheriff von Ebony Town, in die Arme nehmen und auf beide Wangen küssen.
„Sag mal, Mädchen, was machst Du denn für Sachen am ersten großen Tag Eures Sohnes? Kippst einfach so mir nichts dir nichts aus den Latschen und verschwindest schon während des Schlussliedes durch die Hintertür und lässt alle Gratulanten mit langen Gesichtern zurück.“
Die junge Frau dreht die Handfläche ihrer rechten Hand nach oben, zieht die Schultern hoch und brummt: „Tja, so bin ich nun mal! Ich denke aber, David wird sich gut um alle Gratulanten gekümmert haben, nachdem er mich beim Doktor abgeliefert hatte.“
„Und wie, er ist fast geplatzt vor Stolz. Und der Kleine erst, der hat gebrüllt, wie am Spieß!“
Carol zuckt zusammen. „Gut, dass Du mich erinnerst. Mein armer kleiner Liebling ist nass bis in den Nacken. Er braucht dringend eine frische Windel.“
Sie nimmt dem ruhig, nur einen Gruß nickend, hinzugekommenen Indianer das Kind ab und verschwindet im Haus, wobei ihr wohlwollende Blicke folgen.