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Davids Wurzeln

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Der Indian hält Wort und Ende Oktober, die Ranch ist schon wieder fast winterfest und in die neuen Stallungen haben einhundertfünfzig schwarz bunte Milchkühe holländischer Abstammung Einzug gehalten, reisen die Widefields zusammen mit ihren drei Kleinkindern nach Texas, um dort einige der noch lebenden Angehörigen des Mannes zu besuchen.

Es ist schon fast dunkel, als die kleine Familie nach einer anstrengenden, mehrtägigen Fahrt endlich das Reservat erreicht.

Die erste, die ihnen entgegen tritt, ist eine uralte, zahnlose Frau mit schlohweißen Haaren. Interessiert mustert sie die Ankömmlinge aus zusammengekniffenen Augen.

David springt vom Kutschbock nachdem er Carol die Zügel in die Hand gedrückt hat und eilt auf die Alte zu.

Ein freudiges Aufleuchten geht über das faltenzerfurchte Gesicht der Frau, als sie den Mann erkennt und Carol hört, wie sie sagt: „Schwarzer Bär, das ist aber schön, dass ich Dich noch einmal sehe, bevor ich den großen Fluss überschreiten muss. Wie viele Monde bist Du nun schon weg und hast Dich nicht mehr blicken lassen, ganz so, als hättest Du Deine Wurzeln vergessen.

Du warst noch ein sehr junger Mann, als Du von uns fortgegangen bist. Du hattest damals einen großen Kummer und Dein Herz war schwer, weil Deine Frau und Dein Kind den Fluss viel zu früh überquert haben.“ Die Frau schaut stirnrunzelnd zu dem Wagen. „Aber sag, wen hast Du uns denn da mitgebracht?“

Mittlerweile ist Carol ebenfalls vom Kutschbock geklettert, hat Klein Jimmy heraus geholfen und in jeden Arm einen Zwilling genommen. David, der das sieht, eilt ihr sofort zu Hilfe und nimmt seiner Frau den kleinen Carl ab. Dafür greift Jimmy sofort angstvoll nach Mutters endlich freier Hand und versucht sich hinter ihrem Rock zu verbergen.

„Weise Tante, darf ich Dir meine Frau vorstellen? Carol, das ist Luk‘ana, die älteste Schwester meiner Mutter.“

Die Alte betrachtet Carol wohlwollend und verzieht den zahnlosen Mund. „Du hast ein Kind zur Frau genommen. Seid ihr glücklich?“

Beide nicken und antworten wie aus einem Munde: „Ja, wir sind sogar sehr glücklich!“

„Und wen haben wir da? Wer bist Du denn?“

Jimmy blinzelt hinter Carols Rock hervor und zieht sich ganz schnell den Stoff vor sein Gesichtchen, als er merkt, dass die komische Frau zu ihm spricht.

David lacht und sagt: „Das sind meine Nachkommen, weise Tante. Jimmy, Carl und Poana.“

“Poana, wie meine Schwester. Ihr habt sogar eine Zweikindgeburt zustande gebracht. Die Götter sind Euch sehr wohlgesonnen und Du scheinst meinem Neffen eine gute Squaw zu sein.“

Die Alte nickt Carol zu, kitzelt dann Carl und nimmt ihn auf den Arm. „Es ist lange her, seit ich Dich so auf dem Arm halten durfte. Viele Monde sind vergangen und Menschen sind gekommen und wieder gegangen, aber der Kleine hier sieht ganz genau so aus, wie Du damals ausgesehen hast, als Du selbst noch ein Baby gewesen bist.“

Sie schaut wieder Carol an, dann meint sie nach einem kurzen Moment des Schweigens: „Du hast Dir eine sehr schöne Frau genommen, mein Junge, aber sie ist jetzt sehr müde und die Kinder auch und bestimmt seid ihr auch sehr hungrig. Kommt, und lasst uns die anderen Verwandten sehen.“

Es gibt ein großes Hallo und eine sehr herzliche Begrüßung und sofort wird zu Ehren der Gäste ein kleines Fest vorbereitet. Die kleinen Indianermädchen umringen Carol, denn sie sind alle vollkommen fasziniert von ihren roten Haaren. Die etwas älteren Mädchen sind entzückt von den Zwillingen und Klein Jimmy, der langsam auftaut, erobert alle Herzen im Sturm.

Viel später am Lagerfeuer, die Kinder schlafen alle schon längst, wendet sich der Stammeshäuptling an David und brummt streng: „Deine weiße Frau ist wunderschön, aber sie ist noch ein Kind. Haben die weißen Herren nichts gegen Eure Verbindung einzuwenden gehabt?“

Carol lächelt sanft. Sie weiß, dass sie noch immer aussieht, wie ein zwölfjährige Göre, deshalb murmelt sie errötend: „Das ging nicht mehr. Nachdem ich von David schwanger geworden war, waren einfach alle Einwände zu spät. Ich war da aber auch schon sechzehn!!“

Der alte Indianer zieht die Augenbrauen hoch, ignoriert den Einwand hinsichtlich des Alters und sagt düster zu David: „Haben Dir das die Weißen beigebracht, ein Kind zu schwängern? Ich dachte, Du hättest bei uns Zurückhaltung und die Beherrschung Deiner Gefühle gelernt.“

David sieht erst fast ein wenig zerknirscht aus, dann brummt er: „Es ist schwer, sich zu beherrschen, wenn man seinem Lebensglück begegnet und dann mit ansehen muss, wie andere Männer gierig ihre Finger danach ausstrecken.

Außerdem habe ich mich so lange beherrscht, bis Carol sich mir freiwillig hingegeben hat.“

Carol wird puterrot und murmelt: „Ich bin aber kein verdorbenes Flittchen, auch wenn das jetzt fast so klingt. David war mein erster Mann und auch er ist mein Lebensglück. Es gab damals viele andere Frauen, schöne Frauen, intelligente, erwachsene Frauen, mit viel Erfahrung. Ich dachte damals auch, ich müsste handeln, bevor eine andere ihn mir wegnimmt.“

„Und was haben Deine Eltern dazu gesagt?“

„Ich habe schon lange keine Eltern mehr und selbst wenn ich noch welche hätte, sie hätten bestimmt mit Freuden meiner Wahl zugestimmt, denn David ist meine perfekte Ergänzung.“

„Aber er ist ein Halbblut und die meisten Weißen mögen kleine Mischehen.“

„Ja, das stimmt schon, viele oder wahrscheinlich sogar die meisten Weißen lehnen alles Indianische ab, aber meine Eltern waren da sehr offen und liberal. Ihnen war immer nur der Mensch wichtig, nicht seine Hautfarbe oder seine Herkunft.

David ist schon seit vielen Jahren der beste Freund meines Bruders und schon alleine das zeigt doch, dass wir frei von dummen Vorurteilen sind. Ich habe mich als Kind sofort in David verliebt, ohne zu wissen, dass es Liebe war. Als Jugendliche, nachdem ich das dann endlich kapiert hatte, wollte ich ihn für mich und nie mehr missen und jetzt als Frau will ich nur noch an seiner Seite alt werden.

Ich kann nur mit ihm zusammen glücklich sein. Ich hätte niemals von einem anderen Mann Kinder haben wollen.“

Die alte Squaw Luk‘ana schaut Carol tief in die Augen. „Ihr beiden liebt Euch wirklich sehr und Ihr seid fruchtbar, wie ein Kornfeld. Du trägst ja schon wieder ein Kind in Dir, auch wenn Du gerade erst vor ein paar Wochen eines verloren hast. Du selber kannst noch nichts von Deinem Zustand wissen, doch mir sagen Deine Augen, dass Du wieder ein Baby haben wirst.“

David stöhnt und ein strafender Blick trifft ihn aus schwarzen Augen. „Du musst nicht stöhnen, Du musst dem großen Geist dankbar sein, dass Du so viele Nachkommen zeugen kannst.“

„Ich bin auch dankbar Tante, aber Carols Körper kann bald nicht mehr. Seit sie sechzehn ist, ist sie immerzu schwanger. Sie hat nun schon vier Kinder ausgetragen, auch wenn davon eins bei der Geburt gestorben ist, hat sie drei Mal die Strapazen einer ganzen Schwangerschaft über sich ergehen lassen müssen. Und dann zuletzt die Fehlgeburt. Ich weiß nicht, meine Frau ist noch nicht einmal zwanzig Jahre alt und soll jetzt schon zum fünften Mal in anderen Umständen sein? Nein, das ist nicht gesund!“

„Daran bist Du aber keinesfalls unschuldig, Schwarzer Bär!“, mahnt der Stammesälteste nachdrücklich.

„Ich weiß es, großer Häuptling, aber schau Dir diese Squaw an, muss ein Mann da nicht wie ein Mann handeln?“

Der Alte seufzt und knurrt: „Weißt Du, das verliert alles an Bedeutung, je weiser und älter man wird. Aber Du hast natürlich recht, Deine hübsche Squaw wirkt sehr anregend.“

Carol starrt mit aufgerissenen Augen in die Runde. Sie ist noch dabei, die Worte der alten Frau zu verarbeiten, dann jappst sie: „Wieso bin ich schon wieder ...? Wir wollten doch jetzt ein Päuschen machen und haben so sehr aufgepasst.“

Der Medizinmann lächelt verstohlen, tritt hinter sie und legt seine Hand auf die Stirn der jungen Frau, dabei murmelt er einige unverständliche Worte. Carol starrt noch immer in das Feuer, während sich der Medizinmann wieder entfernt, ihr genau gegenüber in die Hocke geht und in eintönigem Singsang erklärt: „Du bist die Mutter von vielen Leben. Du bist ein Kaninchen, klein und zart, aber Du wirst immer und immer wieder gebären, gegen jede Vernunft und gegen jeden Ratschlag.

Viele Kinder werden in Dich gelegt und wenn Dein Körper nicht bereit ist, sie wachsen zu lassen, wird er es Dir zeigen, indem er die Frucht abstößt. Einige Kinder werden sterben und einige Schwangerschaften wirst Du kaum oder gar nicht bemerken, doch Du wirst mehr Kinder haben, als Du Finger an Deinen Händen und Zehen an Deinen Füßen hast.“

David wird bleich, das kann Carol sogar im flackernden Schein des Feuers erkennen, dann flüstert der Mann tonlos: „Beim großen Geist unserer Väter, hoffentlich werden wir die auch immer alle ernähren können.“

Der alte, weise Medizinmann greift in einen Beutel, der an seinem Gürtel hängt und wirft etwas, das er daraus hervorgeholt hat, schwungvoll ins Feuer. Sofort stieben die Funken bis hoch in den schwarzen Nachthimmel und er murmelt: „Ihr werdet niemals in Armut leben und Ihr werdet immer Freunde haben, die Euch ständig beim Mehren Eurer Güter helfen, auch wenn dies nicht immer ganz ehrbar geschehen wird.“

Seine Augen heften sich auf Carol, als sähe er einen großen dunklen Flecken in ihrer fernen Zukunft.

Die junge Frau bemerkt dies nicht, denn sie versucht noch immer, sich an den Gedanken an die neuerliche, unbeabsichtigte Schwangerschaft zu gewöhnen. ‚Kaninchen,’ denkt sie erst empört, ‚dann ist David mein Rammler!’, dieser Gedanke erheitert sie aber sofort wieder ein wenig und sie schaut ihren Angetrauten an, dann sagt sie laut, so dass alle Umsitzenden es hören können: „Du hast recht gehabt, Deine Leute sind wirklich toll und ich liebe Dich für Deine Abstammung jetzt noch viel mehr und ich liebe Deine Familie!“

„Die jetzt auch Deine ist!“

Carol schaut in die vielen, nur durch den hellen Feuerschein erkennbaren Gesichter und sagt dann schlicht: „Danke, dass ich so herzlich aufgenommen werde.“

Der Abend ist schon weit fortgeschritten und langsam wird es so kühl, dass das rothaarige Mädchen erschauert. Die alte Squaw Luk‘ana bemerkt dies und führt den Gast, nach einem abschätzenden Blick auf David, ins Frauenhaus. Dort zeigt sie ihr alles und meint dann lächelnd: „Schau nur, Deine Kinder fühlen sich richtig wohl!“

Zusammengerollt, wie kleine Kätzchen, liegen die Kleinen auf Fellen unter den wachsamen Augen mehrerer junger Mädchen und lächeln im Schlaf selig vor sich hin.

„Wenn Du sie nähren musst, wird Weiße Feder Deine Babys zu Dir bringen, habe keine Sorge.“

Carol blickt Davids alter Tante in die Augen und umarmt sie spontan. „Ich habe keine Sorge. Ich fühle mich bei Euch sehr geborgen und sicher.“

Die Squaw beobachtet die junge Frau ihres Neffen eingehend, während sie sich für die Nacht bereit machen und als die beiden Frauen endlich nebeneinander liegen, fragt sie die Fremde aus.

Nachdem sie die Lebensgeschichte des Mädchens gehört hat, meint sie nachdenklich, ohne die Weiße dabei anzusehen: „Du hast, obwohl Du Deinen Mann mehr liebst, wie Dein eigenes Leben, auch schon mit anderen Männern gelegen, nicht wahr?“

Carol erstarrt bis ins Mark und da sie weiß, dass sie der Alten nichts vorlügen kann, haucht sie: „Woher weißt Du das, Tante Luk‘ana?“

„Ich bin eine alte, erfahrene Frau und ich sehe Dinge, die andere nicht sehen. Ich kann in Deinen ehrlichen Augen bis in Deine Seele schauen. – Außerdem“, sie verzieht den zahnlosen Mund zu einem Lächeln, „ich habe es auch an der Reaktion unseres Medizinmannes erkannt.“

Die junge Frau schluckt. ‚Der auch!’, denkt sie und haucht dann: „Es stimmt, ich habe mit meinem Bruder gelegen, aber das war gegen meinen Willen und dann noch mit einem Fremden, von dem ich nicht mal den vollen Namen wusste, das war ...“, sie stockt und sagt dann fest und ehrlich, „das war pure Abenteuerlust.“

„Das weiß ich, Mädchen. Ich sagte ja, ich bin alt und erfahren. Habe keine Angst, ich werde es Deinem Mann bestimmt nicht verraten und unser Weiser auch nicht.“

Die Alte schweigt einen Augenblick, dann räuspert sie sich: „Du wirst auch noch andere Männer haben, aber Du musst nur immer dafür sorgen, dass Schwarzer Bär nichts bemerkt, das würde ihn sehr kränken. Er ist in dieser Hinsicht zu sehr von seiner weißen Denkweise geprägt, wir nehmen das eigentlich nicht so tragisch, denn warum sollte etwas, das große Lust bereitet schlecht sein.

Du sollst aber auch wissen, dass einer dieser Männer Euch Eure Zukunft sichern wird, also genieße und gräme Dich nicht!“

Carol zuckt erschrocken zusammen. „Ich will aber gar keine anderen Männer haben.“

Sie spürt förmlich körperlich das leise Lachen der Frau. „Du wirst aber noch mit vielen Männern schlafen. Du wirst sie zwar nicht lieben, dennoch wirst Du dich ihnen hingeben, sei es aus Neugier, aus Verzweiflung oder sogar ohne dass Du es eigentlich willst.

Du solltest Dir aber darüber keine Gedanken machen. Frauen sind nun mal so etwas wie Mangelware in unserem Land und Du solltest Dir immer sagen, dass Du den Männern etwas sehr Gutes tust.

Ich kann es überhaupt nicht verstehen, dass bei den Weißen die Frauen, die Männern ihre Lust befriedigen nicht gut angesehen sind. – Aber Du solltest jetzt endlich schlafen, ohne einen weiteren Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht. Du darfst jetzt nur noch an Dein Baby denken, für das Dein Leib all seine Kraft braucht.“

Die Alte rollt sich zusammen, zieht die Decke über ihren Kopf und beendet somit das Gespräch.

Nur ein Tropfen Leben

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