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Schneesturm

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In den folgenden Wochen normalisiert sich das Verhältnis zwischen dem Indian und seinem Girl zusehends und das anfängliche Misstrauen weicht wieder einer grenzenlosen Liebe.

Die drei Kinder wachsen und gedeihen prächtig und Klein Jimmy übt seine Sprachfähigkeiten. Er ist ein überaus intelligentes Bürschlein und spricht sehr schnell einen munteren Mischmasch aus Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch. Außer seiner Mom versteht ihn allerdings kaum einer, so trainiert Carol den Zwerg darauf, die Sprachen nicht miteinander zu vermischen.

Ruth, ihre Schwägerin, hilft ihr dabei nach allen Kräften, doch ein richtig freundschaftliches Verhältnis will zwischen den beiden Frauen irgendwie nicht aufkommen, obwohl Carol sich alle Mühe gibt, ihr die Integration so mühelos wie möglich zu machen. Aber irgendwie ist Blackys Frau einfach nicht für das Landleben geschaffen und in vielen Dingen so unpraktisch, dass Carol so manches Mal an sich halten muss, um nicht zu explodieren, sondern im Gegenteil freundlich zu bleiben. Allerdings kann Ruth hervorragend mit den Kindern umgehen und Jonny scheint mit ihr glücklich zu sein und genau das ist doch die Hauptsache.

Der Winter in diesem Jahr ist nicht ungewöhnlich, weder besonders mild, noch besonders frostig, so dass viele Arbeiten draußen erledigt werden können und wieder keiner der Arbeiter seinen Job witterungsbedingt verliert.

Carols Idee mit den Milchkühen hat sich ebenso als Goldgrübchen entpuppt, wie alles andere, das sie auf Willow-Tree und der Johnson-Ranch eingeführt hat und die Jahresbilanz 1895 zeigt einen steilen Einnahmegewinn an und auch der Überschuss ist ansehnlich.

An einem milden Februartag erwacht die junge Frau von einem starken Klatschen gegen die Fensterläden.

Seit Tagen regnet es fast ununterbrochen und das Land rings um die Ranch hat sich in eine Schlammwüste verwandelt. Ohne Ölzeug traut sich kaum jemand vor die Tür und beim Laufen muss man aufpassen, dass es einem die Stiefel nicht von den Füßen zieht.

Die junge Frau ist putzmunter und betastet ihren flachen Bauch. Die vorausgesagte Schwangerschaft hat sich als Luftnummer erwiesen und seit dem Erlebnis im Indianerreservat ist sie sogar noch schlanker geworden und sie verspürt auch sonst keinerlei Veränderungen an sich.

Sie ist darüber nicht wirklich enttäuscht, denn ihre drei kleinen Racker beanspruchen sie doch mehr, als sie es sich jemals gedacht hat, auch wenn der Löwenanteil der Arbeit an Ines hängen bleibt.

Die Zwillinge feiern bald schon ihren ersten Geburtstag und Klein Jimmy ist gerade zwei Jahre alt geworden, also ist für es für ein weiteres Baby wirklich noch ein bisschen früh.

Die junge Mutter lauscht auf die regelmäßigen Atemzüge der Babys im Nebenraum und muss schmunzeln, weil Carlchen hin und wieder kleine Schnarcher von sich gibt.

Nach einer Weile dreht Carol sich auf die Seite, stützt ihren Kopf in die Hand und betrachtet David im Lichtschein, der aus dem Kinderzimmer dringt und auf ihn fällt. Ihr Herz ist wieder voller Liebe für den Mann, dessen starke Brust sich unter regelmäßigen Atemzügen hebt und senkt.

Die junge Frau hat dem Indianer die kleine Episode mit Weißer Feder endgültig verziehen, als sie irgendwann daran denken musste, dass sie selbst ihren Mann ja als erste betrogen hat, was er allerdings niemals erfahren darf.

Sie studiert sein entspanntes Gesicht, welches ihr mittlerweile so vertraut ist, wie ihr eigenes Spiegelbild.

Schmunzelnd betrachtet sie die kleinen Fältchen um seine Augen und die wenigen silbernen Fäden in den schwarzen Haaren. ‚Hach,’ denkt sie erheitert, ‚war der Gute aber auch entsetzt, wie er feststellen musste, dass die Zeit beginnt zuzuschlagen und ihm die ersten grauen Haare beschert hat.’

In seinem ersten Schreck wollte er sie sich ausreißen, doch die kluge kleine Frau hat ihn energisch daran gehindert, mit der

Begründung: „Ich liebe diese Silberfäden, mein Schatz. Ich liebe Dein Alter und Deine Lebenserfahrung, also wage es Dich nicht, Dir auch nur einen davon auszureißen. Ich bin stolz auf Dich, also sei Du gefälligst auch stolz auf Dich selbst!“

Vorsichtig kuschelt sich das Mädchen in die Achselhöhle des Geliebten und spürt, dass sie sofort fest umfangen wird und kurze Zeit später versinkt die Welt im Taumel der Liebe.

Nachdem beide viel später endlich wieder zu Atem gekommen sind, streicheln Davids Hände über Carols Bauch und er flüstert: „Du bist so flach und zierlich, wie in unserer ersten gemeinsamen Nacht. Ich glaube, um die Weissagungen der Indianer ist es auch nicht mehr so gut bestellt, wie früher. Luk‘ana und der Medizinmann hatten Unrecht mit der Behauptung, Du seist schon wieder in guter Hoffnung.“

Carol lacht leise: „Genau das habe ich mir heute Morgen auch überlegt. Vielleicht hat der Zwerg aber damals den Überfall und meine Verletzung doch nicht überstanden und sich verdrückt. Ich hatte während unserer Heimreise ganz leichte Blutungen.“

Erschrocken hält David die Luft an. „Davon hast Du mir aber nie was gesagt.“

„Stimmt! Zu dem Zeitpunkt waren wir ja gerade nicht mal mehr höflich zueinander, deswegen habe ich nichts erzählt und später wollte ich Dich nicht beunruhigen. Ich dachte, Du wirst es schon selber merken, wenn ich nicht dicker werde.

Außerdem, ich war mir gar nicht so sicher, ob es eine richtige Blutung gewesen ist. Heute bin ich mir aber um so sicherer.“

Carol schluckt, dann seufzt sie: „Weißt Du, ganz ehrlich gesagt, ich finde es gar nicht so schlimm, dass ich nicht in Umständen bin. Ich bin gerade erst zwanzig geworden und wir haben immerhin schon drei wohlgeratene Kinder. Wenn ich dann weiter überlege und daran denken muss, dass ich ursprünglich vorhatte, überhaupt erst mit zwanzig oder einundzwanzig zu heiraten, dann merke ich, dass ich mein Soll doch schon mehr als erfüllt habe.“

Sie kuschelt sich wieder in seine Arme und kichert: „So, und jetzt haben wir es wieder einmal beredet, das heißt wohl, dass ich in ein paar Wochen morgens wieder spucke, wie ein Reiher.“

Ein leises Husten aus dem Kinderzimmer lässt die junge Frau leise stöhnen. „Ich glaube, Poana hat sich erkältet. Sie hat schon heute Nacht immerzu gehustet.“

„Ist ja bei der Nässe im Moment auch kein Wunder. Meinst Du, wir müssen sie zu Doc Steel bringen?“

„Ich glaube nicht. Blacky hat mir gestern aus der Stadt eine riesige Flasche Fenchelhonig und ein frisches Paket Lindenblütentee mitgebracht. Außerdem stehen im Keller noch ein paar Flaschen Holundersirup. Das kriegen wir schon wieder in den Griff, mein Schatz. – Du meine Güte, horch doch nur, wie der Wind auf einmal heult!“

Die junge Frau schwingt die Beine aus dem Bett und erschauert. „Verdammt, ist das kalt. Ich habe das Gefühl, die Temperatur fällt rapide von Minute zu Minute.“

Sie tappt zum Fenster und stößt die Läden auf. „Oh mein Gott, was ist das denn?“

Das Girl traut seinen Augen nicht. Der Sturm treibt so dichte Schneemassen vor sich her, dass sie nicht mal den Baumwipfel vor ihrem Fenster sehen kann, obwohl er normalerweise ohne Anstrengung zu ergreifen ist.

„Verdammt! Das ist ein richtiger Blizzard. Haben wir schon seit Jahren nicht mehr gehabt.“

David springt in seine Kleider und stürmt aus dem Zimmer, ohne sich zu waschen und zu rasieren. Das hat Carol noch nie erlebt und ihr wird es auf einmal ganz beklommen zumute.

Erst spät am Abend stolpern David, John und die Cowboys Mitch und Fess wieder ins Haus, nachdem sie in mühevoller Arbeit den Schnee von der Veranda entfernt und die Haustür freigelegt haben.

Die Männer sind blau gefroren und in ihren Haaren glitzert der Reif. „Wenn das so weiter schneit, kommen wir morgen zu keiner Tür mehr raus und in den Ställen und Unterständen geht das Vieh an Luftmangel kaputt!“

Davids Stimme klingt müde und in Fess Augen liegt eine unendliche Traurigkeit, als er brummt: „Das ist vielleicht eine Scheiße, da geht an einem Tag die Arbeit von Jahrzehnten kaputt.“

Jonny braust auf. „Jetzt rede nicht so einen gequirlten Unsinn daher. Noch ist nichts kaputt und wenn die Unterstände nicht unter den Schneemassen zusammenbrechen, hat sich die viele Arbeit vom Herbst dicke ausgezahlt.“

Carol, die Ines bisher nur bedeutungsvoll angesehen und vor jeden der Männer einen Becher mit heißem Kaffee hingestellt hat, lässt sich neben ihrem Mann auf einem Stuhl nieder und fragt leise: „Ist es draußen wirklich so furchtbar?“

John nickt heftig und obwohl Carol weiß, dass ihr Bruder zu haarsträubenden Übertreibungen neigt, kennt sie ihn zu genau, um zu bemerken, dass er dieses Mal seine Worte kein bisschen aufbauscht.

„So einen Schneesturm hatten wir seit Jahren nicht mehr. Zum Teil liegt der Schnee fünf bis sechs Meter hoch.“

Die junge Frau schaut den Cowboy ein wenig verständnislos an. „Nun ja, das ist schlimm, aber das hatten wir doch schon öfter, das ist doch nichts Neues.“

„Als Verwehung in den Bergen haben wir das wirklich jedes Jahr, aber das hat dann immer Tage gedauert, bis es sich so angehäuft hatte. Aber solche Schneemassen in acht bis zehn Stunden, das ist tödlich!“ Er trinkt kopfschüttelnd einige Schlucke Kaffee und das Girl ist sich nicht sicher, ob er sich über ihre Dummheit wundert.

Sie schluckt krampfhaft und fährt, von einem Räuspern, welches aus Richtung Tür herüber dringt, aufgeschreckt, herum. Im Türrahmen steht Mr. Carpenter mit bleichem Gesicht und lächelt ein wenig gequält. „Habt Ihr für einen einsamen, alten Mann auch noch ein Tässchen Kaffee?“

Ines ist schon zum Schrank gelaufen und beeilt sich, dem Rancher rasch eine Tasse des schwarzen Gebräus hinzustellen. Danach schüttet sie den Cowboys ihre Tassen noch einmal voll und zieht sich an ihren Herd zurück, um „ihre Menschen“ zu beobachten.

Carpenter setzt sich seinem Verwalter gegenüber und schaut fragend in die Runde, dann bleibt sein Blick an seinem Vormann hängen. „Wie schlimm ist es, Blake?“

Der so Angesprochene zuckt mit den Achseln: „Es geht so, Sir. Wenn die Dächer das Gewicht aushalten können, wird es nicht so schlimm werden. Im Wald dürfte es allerdings mächtigen Schneebruch gegeben haben. Da werden wir im Frühjahr eine Menge Feuerholz sammeln können.“

„Ach, was soll das, John? Sie wissen doch genau, auf was ich hinaus will. Was ist mit den Tieren?“

An Blackys Stelle antwortet der Indian ruhig: „Die Verluste werden sich in Grenzen halten. Die Milchkühe stehen alle in Ställen und die Longhorns in den Unterständen.

Die Schafe sind schon eine ganze Weile in ihren Verschlägen und auch die Pferde stehen alle in den Ställen.“

Er wirft seiner Frau einen langen Blick zu. „Die Karnickel hat Festus ebenfalls in den Pferdestall umquartiert, weil wir befürchten, die Villa Rabbit könnte zusammen krachen.“

„Und was ist mit den Hühnern?“, will Carol leise wissen.

Nun muss Mitch trotz der angespannten Stimmung grinsen. „Unser Feuerkopf hat Angst, dass es morgen kein Frühstücksei gibt.“

Die grünen Augen blitzen. „Nö, das nicht, aber ich habe keine Lust, weiße Eier in weißem Schnee zu suchen. Aber wenn Du so viel Freude daran hast, bist Du schon mal für morgen ausgeguckt.“

Mitch wird ernst und er antwortet: „Nur keine Bange, auch die Hühner haben wir im Pferdestall untergebracht. Bei so einer Menge Viehzeug ist der Pferdestall wahrscheinlich in den nächsten Tagen der wärmste Ort.“

Der alte Rancher trinkt bedächtig einen Schluck Kaffee und brummt dann anerkennend: „Gute Arbeit Jungs, wirklich gute Arbeit!“

John schaut seinen dunkelhaarigen Freund an, dann knurrt er: „Wir müssen der Chefin dankbar sein. Wenn sie nicht so hartnäckig auf Unterständen beharrt hätte, wären die Longhorns wahrscheinlich alle abzuschreiben.“

Der blonde Junge schaut zu seiner Schwester hin, die so angelegentlich ihre Fingernägel betrachtet, als wäre von vollkommen Fremden und von Dingen, die sie nichts angehen, die Rede, dann leckt sie sich über die trockenen Lippen und haucht: „Ach, und dabei habe ich gar nicht an den Winter mit großen Schneemassen gedacht, sondern eher an Sonne und Regen.“

„Egal, an was Du gedacht hast oder auch nicht, Schwesterchen, Du hattest mal wieder den richtigen Riecher.“

John hat sich erhoben und legt dem Mädchen seine Hand auf die Schulter. „Ich glaube, ich werde jetzt mal besser wieder rüber gehen. Ruth weiß sicher nicht mehr ein noch aus, oder aber sie langweilt sich zu Tode, weil sie nicht vor die Tür kann.“ Der blonde Knabe seufzt und stapft dann aus der Küche.

Carol schaut ihm mit zusammengekniffenen Augen nach und brummt dann leise: „Ruth langweilt sich auch tödlich, wenn sie vor die Tür kann. Sie gehört zu den Menschen, die nichts mit sich anzufangen wissen und sich dabei auch noch selber im Wege stehen.“

Niemand erwidert etwas auf diese recht unfreundliche Bemerkung, bis Mitch seinen Kollegen Fess anstupst und ihm bedeutet, mitzukommen.

„Wir wollen dann auch mal. Der Boss hat uns gerade eine Schneise geschlagen. Wenn wir uns beeilen, ist sie noch nicht zugeweht. Außerdem war der Tag verdammt hart und ich brauche dringend trockene Klamotten.“

Nachdenklich starrt der alte Carpenter seine Verwalter an und nachdem die beiden Cowboys aus der Küche gepoltert sind, murrt er: „Irgendwie war die kleine McIntire wohl doch nicht Blackys richtige Wahl.“

Der Indian hebt abwehrend die rechte Hand. Das geht ihn nichts an und er hütet sich davor, etwas zu diesem Thema zu sagen.

Carol dagegen gähnt verhalten. „Bei manchen Männern sinkt der Verstand in die Hose, wenn er einen bestimmten Typ Frau sieht. Ruth hat eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Mutter, ohne allerdings deren praktisches Geschick zu besitzen. Ruth ist meines Erachtens nach auch genau die Frau, die ein Cowboy niemals heiraten sollte. Sie hätte sich besser einen Bankmenschen oder einen Lehrer gesucht. Und das nach Möglichkeit in der Stadt. Fürs Landleben ist sie nämlich auch nicht geeignet.“

Ines stemmt energisch die Hände in die Hüften. „Das ist doch alles Quatsch! Die Frau müsste sich nur etwas mehr Mühe geben. Mr. Blake ist ein feiner Mann und Cowboy oder nicht, er verdient eine Frau, die sich darauf einstellt, dass das Landleben sich doch gehörig vom Leben in einer Großstadt unterscheidet.

Hoffentlich wird die Frau niemals schwanger. Mit den Strapazen einer Geburt würde die nie fertig. Die hätte schon in den letzten Monaten einer Schwangerschaft nur Schwierigkeiten.“

Zwei Tage später ist der Spuk mit dem Schnee vorbei, der Wind dreht und bringt milden Regen mit sich. Die weißen Massen tauen nun so rasch, wie sie sich aufgetürmt haben. Überall steht das Wasser und Ebony Town vermeldet überall nur noch Land unter, wie nach einer Sintflut.

Selbst der Keller des Herrenhauses von Willow-Tree ist vollgelaufen, was bisher noch niemals in der gesamten Geschichte der Ranch geschehen ist.

Carol watet mit Ines, Mitch und Fess knietief durch die eisige Brühe, um zunächst alles, was in Bodennähe steht, in höhere Gefilde zu retten und anschließend das Wasser mit Eimern aus dem Gewölbe zu tragen.

Es ist eine lausige Arbeit und die vier Menschen sind froh, als sie endlich dem kalten Wasser entfliehen dürfen und darüber diskutieren, ob es nicht doch sinnvoll ist, weiter zu schöpfen, doch Carol winkt ab und deutet auf diverse Rinnsale, die aus der Wand fließen und verhindern, dass der Wasserspiegel im Keller merklich sinkt.

Endlich beschließen sie aufzugeben und mit abgestorbenen Beinen in die Küche zurückzukehren. Dort finden sie Ruth mit verweinten Augen, die ihnen vorwurfsvoll entgegen schaut, als wolle sie sagen: ‚Ich heule mir hier die Seele aus dem Leib und ihr vergnügt Euch im Keller anstatt mich zu bedauern.’

Carol verdreht unmerklich die Augen, als sie ihrer Schwägerin ansichtig wird, wirft jedem der beiden Cowboys ein Handtuch zu, reicht Ines ein weiteres und ergreift selbst das letzte, dann rubbelt sie ihre Füße und Waden trocken, bis sie krebsrot sind. Rasch zieht die junge Frau sich danach dicke, graue, selbstgestrickte Socken an und knotet ihren Rock los, so dass er wieder zu Boden fällt.

Mit weit aufgerissenen Augen hat Ruth auf Carols vernarbtes Bein gestarrt und obwohl sie erst eine bissige Bemerkung wegen des unzüchtig in die Höhe gerafften Rocks hatte machen wollen, kriegt sie kein Wort heraus. Bei dem schauderhaften Anblick stockt ihr fast der Atem und sie vergisst beinahe sogar ihren eigenen Kummer darüber. Sie kennt zwar die diversen Stories über die Verletzungen ihrer Schwägerin, doch wie schlimm die ganzen Wundmale tatsächlich sind, davon hat sie sich bisher kein rechtes Bild machen können und es sich auch in ihren bösesten Alpträumen nicht ausgemalt.

Carol greift nach einer Flasche, die sie aus dem Keller mitgebracht hat und öffnet sie geschickt. Nachdem sie sie auf den Tisch gestellt hat, hebt sie die Finger und zählt ab: „Ines, Mitch, Fess, Du und ich!“ Damit verschwindet sie mit dem Kopf im Geschirrschrank.

Wenige Minuten später stehen fünf gefüllte Weingläser auf dem Tisch und die junge Herrin prostet den anderen zu: „So ein schönes Glas Wein steht uns nach der Maloche jetzt gut zu Gesicht. Und gleich gibt es auch Kaffee, denn unsere gute Ines hat das Wasser schon aufgesetzt.“

Ruth ist ein wenig enttäuscht, denn eigentlich ist die in die Küche gekommen, um sich bei Carol ihren Frust von der Seele zu reden und gehörig auszuweinen über die Ungerechtigkeit der Welt. Das mag sie jedoch nicht vor den Ohren der beiden Cowboys tun.

Carol, die so etwas in der Richtung ahnt, kümmert sich nicht weiter um die Frau, die ihrer Meinung nach Jonnys größter Irrtum war, sondern bespricht mit den Jungs die jetzt dringend anfallenden Arbeiten, denn der Schnee war schon schlimm, aber das Wasser ist fast noch schlimmer. Die Sturzbäche, die sich überall gebildet haben, reißen mit ungeheurer Wucht alles mit sich, was nicht fest verankert oder verwurzelt ist oder aber sich wagt, ihnen in den Weg zu stellen.

Nachdem die vier ‚Kellerasseln’ sich endlich wieder einigermaßen aufgewärmt haben, stapfen die Männer zu Ruths Erleichterung endlich aus der Küche, wobei sie jeder noch einen leicht vernichtenden Blick in Richtung der Frau ihres Vormanns schicken. Ines hat sich ebenfalls erhoben und beginnt damit, das Essen zu richten.

Carol lehnt sich zurück, zieht die Augenbrauen in die Höhe und schaut die Schwägerin fragend an. „War irgendetwas besonders, oder bist Du nur einfach mal so vorbeigekommen? Oder - hat sich das Besondere zwischenzeitlich über dem Wein in Wohlgefallen aufgelöst?“

„Ach, ich dachte schon, Dir seien meine Probleme vollkommen egal!“ Ruths Tonfall ist schnippisch und die rothaarige junge Frau gibt in dem gleichen Tonfall zurück: „Nicht mehr und nicht weniger, wie Dir unsere Probleme egal sind!“

Sie faltet die Hände und legt sie vor sich auf den Tisch, wobei ihr Blick kühl auf der Frau ihres Bruders ruht.

Erschrockenheit zeigt sich auf dem Antlitz der jungen Mrs. Blake und sie flüstert: „Mir sind eure Probleme doch nicht egal, ich habe nur manchmal etwas Schwierigkeiten zu erkennen, wann ihr Probleme habt.“

„Ach, so nennt man das heute. Na schön, lassen wir das mal dahingestellt. Was gibt es denn so schreckliches? Hast Du unsere Ranch beim Kartenspiel verzockt?“ Carol kann sich den ironischen Unterton nicht verkneifen, denn sie weiß genau, dass Ruth jede Art von Glücksspiel verabscheut.

Doch heute braust die junge Frau bei dieser Bemerkung nicht auf, ja, sie scheint sie noch nicht einmal vernommen zu haben. Sie wird lediglich um einige Nuancen weißer und haucht tonlos: „Es ist furchtbar, ganz furchtbar, aber ich glaube, ich bin schwanger.“

Carol schaut zu Ines hinüber, die die Ohren spitzt, aber so tut, als bekäme sie nicht das Geringste mit.

„Ach“, die rothaarige junge Frau zieht die linke Augenbraue in die Höhe und fragt dann trocken: „Glaubst Du nur oder bist Du Dir sicher?“

„Ich glaube, ich bin mir sicher“, schluchzt Ruth. „Ich habe meine schlimmen Tage jetzt schon zwei Mal nicht gekriegt.“

„Gratuliere!“, erwidert die Hausherrin noch immer trocken wie Wüstensand. „Das ist doch fabelhaft. Warum freust Du Dich denn nicht? John wird aus dem Häuschen sein vor Glück. Weiß er es schon?“

Ihre Schwägerin schüttelt verunsichert den Kopf. „Nein und ich bin verzweifelt. Was soll ich denn jetzt nur tun? Ich will das Kind nicht. Es ist etwas ganz anderes, mit fremder Leute Kinder zu spielen und sie zu unterrichten, als selber die Verantwortung für so einen Wurm zu übernehmen.“

„Ach, wir sind also fremde Leute für Dich! Nett zu erfahren!“ Carol tippt sich an die Stirn. „Du spinnst meine liebe Ruth, Du spinnst vollkommen. Kinder kriegen ist etwas Wunderschönes. Außerdem sind wir Frauen doch schließlich dafür da und es ist wirklich himmlisch, so einen Zwerg zu spüren, wie er in Dir heranwächst und immer mobiler wird. Und vergiss nicht, ein Baby ist das sichtbare Zeichen Eurer Liebe. – Du liebst John doch noch, oder?“

Hilflos zuckt Ruth mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich bin mir da gar nicht mehr so sicher. Wenn er sich doch entschließen könnte, mit mir in die Stadt zu gehen, aber ich glaube, er wird Willow-Tree niemals freiwillig verlassen. Er würde es nicht schaffen, von Dir fortzugehen, das wäre für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Du bist sowieso die einzige Frau, die John wirklich liebt und die er jemals richtig lieben wird. Irgendwie ist er Dir vollkommen verfallen.“

Carol lehnt sich wieder auf dem Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und kneift unwillig die Augen zusammen. „Du bist wirklich nicht gescheit, meine Liebe. Wir sind Geschwister und haben außer uns keine anderen Verwandten mehr. Das gibt halt eine besondere Beziehung, aber mehr ist nicht.“

Ruth schluckt. „Er liebt Dich aber, Carol. Er liebt Dich mehr, als es für einen Bruder gut ist. Ich glaube, ich bin für ihn nur ein Alibi.“

„Quatsch!“ Carol braust auf und schlägt mit beiden Handflächen auf den Tisch. „Du scheinst mir grundlos eifersüchtig zu sein. Seit John Dich zum ersten Mal gesehen hat, verfügt er über Kuhaugen. Außerdem bekommst Du demnächst sein Baby, fester kannst Du ihn gar nicht an Dich binden. Du wirst sehen, Dein Jonny trägt Dich fortan auf Händen.“

Wieder erscheint der zweifelnde Ausdruck in Ruths Augen. „Ich will aber nicht auf Händen getragen werden, ich will ...“, sie schluckt, „ich will hier weg!“

Es ist heraus und das rothaarige Mädchen verzieht das Gesicht. „Ist Dir das Vormann-Haus zu primitiv?“

„Nein, das ist es nicht, aber ich vermisse ein wenig Abwechslung. Nur hin und wieder eine kleine Feier im Kreise der Bauern und am Sonntag in die Kirche, das ätzt auf Dauer grauenhaft. Ich möchte mich mal wieder über feinsinnige Dinge unterhalten.“

Carol tippt sich an die Stirn. „Wir sind Dir also alle zu dumm. Na, da magst Du ja nicht mal Unrecht haben, aber für Firlefanz bleibt uns recht wenig Zeit.“

Sie macht eine kleine Pause, um dann in ernstem Tonfall fortzufahren: „Weißt Du, worunter Du leidest? Dir geht es einfach zu gut. Dir wird von Blacky viel zu viel aus dem Weg geräumt. Vielleicht solltest Du zur Abwechslung mal den Hühnerstall ausmisten. Arbeit hat noch niemandem geschadet und wenn Du es endlich mal mit Arbeit, von der es hier wahrlich genug für jeden gibt, versuchen könntest, kämst Du möglicherweise auch wieder klar in Deinem Kopf.“

„Du hast gut reden“, begehrt die Frau des Vormanns auf. „Du wohnst hier in dem schönen Haus und Du ...“, sie stockt, denn eigentlich weiß sie nicht so recht, wieso es der Schwägerin angeblich so viel besser gehen soll, wie ihr selbst.

Das rothaarige Mädchen lacht dann auch laut auf. „Ja, ja, mir geht es klasse und viel besser, wie Dir. Ich habe nämlich sehr viel Abwechslung. Die Kinder halten mich auf Trab, die Käserei ist arbeitsintensiv, wie ich es mir niemals erträumt habe und jeden Tag muss gemolken werden.

Weißt Du was, meine Liebe, denk noch mal über den Schwachsinn nach, den Du hier verzapfst. Und noch ein guter Rat, von Frau zu Frau: Am besten erzählst Du John nichts von dieser gequirlten Scheiße. Der fragt Dich sonst nämlich, an welcher Garderobe Du Dein Gehirn abgegeben und nicht wiederbekommen hast.“

„Ach, John ist ja so ganz nett, aber richtig mit ihm reden kann man auch nicht. Ständig dreht sich bei ihm alles um die Ranch und die Tiere.“

„Soll das heißen, dass Du meinen Bruder für dumm hältst? Vielleicht kann er sich aber auch gar nicht richtig mit Dir unterhalten. Überleg Dir das doch mal in aller Ruhe. Du hast nämlich mit John einen sehr guten Fang gemacht, immerhin ist er der Vormann auf der größten Ranch weit und breit, kann lesen und schreiben, ist ein sehr guter Unterhalter und sieht auch noch dazu klasse aus. Jedes halbwegs gescheite Mädchen würde sich alle zehn Finger nach ihm lecken, nur Du bist permanent unzufrieden.“

Damit ist für Carol das Gespräch beendet, denn sie fürchtet, dass sie bald die Beherrschung verlieren und Dinge sagen könnte, die ihr schon in einer Stunde leidtun.

Sie erhebt sich, um kopfschüttelnd die Gläser vom Tisch zu räumen und beginnt dann Ines zu helfen ohne die Schwägerin weiter zu beachten, die kurze Zeit später ein wenig beleidigt, aber auch ein kleines bisschen nachdenklich die Küche verlässt.

Carol kommt nicht dazu, mit Ines das Gespräch zu durchleuchten, denn kurz nachdem Ruth den Raum verlassen hat, betreten der Verwalter und der Vormann ihn.

Carol schaut nur kurz auf und erstarrt, als sie die grauen, eingefallenen Gesichter sieht. „Um Himmels Willen, wie seht ihr denn aus? Ist Euch der Leibhaftige persönlich begegnet?“

Müde ziehen sich die Männer Stühle heran und lassen sich darauf sinken, dann brummt David tonlos: „Mit dem Leibhaftigen hast Du gar nicht mal so unrecht.“

Die junge Frau hält einen Moment die Luft an, während John direkt, wie es seine Art ist, mit der Tür ins Haus fällt. „Der alte Johnson ist tot!“

Nun muss sich auch Carol setzen. „Oh verdammt!“, entfährt es ihr, dann haucht sie: „Weiß Carpenter es schon?“

Der Indian verneint. „Bevor ich zu ihm gehe, muss ich mich erst mal ein wenig sammeln.“

„Wie ist es passiert?“

„Wahrscheinlich die Pumpe!“ Blackys Stimme ist heiser. „Die junge Mrs. Johnson hat ihn heute Morgen in seinem Arbeitszimmer gefunden, nachdem er nicht zum Frühstück erschienen ist. Er ist wohl schon gestern Abend gestorben.“

Carol atmet mehrmals tief ein und aus. Sie muss an die alte Fehde denken, die früher zwischen der Johnson und der Willow-Tree-Ranch bestanden hat, die aber nach dem gewaltsamen Tod des jungen Ranchers friedlich beigelegt werden konnte, was schließlich dazu führte, dass Johnson sein Anwesen an Carpenter verkauft hat. Wie lange ist das alles nun schon her.

„Und was wird jetzt?“, will sie endlich mit brüchiger Stimme wissen.

Der Indian zuckt mit den Schultern. „Das muss der Boss entscheiden, auch wenn es ihm recht schwer fallen wird.“

„Puh, der alte Johnson sah ja schon lange schlecht aus, aber dass es so schlimm um ihn stand. So alt war er doch noch gar nicht, bestimmt noch keine siebzig.“

In Carols Augen schimmern Tränen. Todesfälle nehmen sie immer sehr mit, egal wie nah ihr der Verstorbene stand. „Wie habt Ihr es erfahren?“

„Perkins hat uns informiert. Die Männer dort möchten möglichst bald wissen, wie es jetzt weitergehen wird, denn mit einem so plötzlichen Ableben des Alten hat keiner gerechnet. Na ja, und die junge Mrs. Johnson ist wohl auch fix und fertig.“

David seufzt und nickt Ines zu, die fragend die Kaffeekanne in die Höhe hält. „Gerne Ines, einen starken Kaffee können wir jetzt brauchen.“

Bedächtig trinken die Männer in kleinen Schlucken, beobachtet von den Augen der beiden Frauen. Ines stupst ihre Herrin einige Male an und nickt in Jonnys Richtung. Die junge Frau schüttelt jedoch den Kopf und haucht: „Das muss Ruth ihm schon selber sagen.“

Blacky, der etwas von Ruth gehört hat, hebt den Kopf. „Ist was mit Ruth?“, will er wissen, doch Carol schüttelt das rote Haupt und sagt betont gleichgültig: „Sie war hier und hat nach Dir gefragt, aber es schien nicht besonders wichtig zu sein.“

Blacky schiebt die Unterlippe vor und schaut seinen Freund an. „Meinst Du, dass ich mit zu Mr. Carpenter gehen sollte?“

„Nein, nein, das brauchst Du nicht, das schaffe ich schon alleine. Geh Du nur zu Deiner Frau. Vielleicht war es doch was Wichtiges.“

Der blonde Junge runzelt die Stirn, zu viele Kleinigkeiten hat seine Frau in den letzten Monaten schon zu richtigen Dramen aufgebauscht. „Na, ich weiß nicht, wir werden sehen.“

Nachdem er die Küche verlassen hat, schaut der Indian seine Frau scharf an. „Es war wichtig, stimmt’s? Ich erkenne das an Deinem betont ausdruckslosen Gesichtsausdruck.“

Carol zuckt die Schultern. „Na ja, kommt drauf an, aus welcher Warte man es sieht.“

„Komm Mädchen, rück raus mit der Sprache, was ist es? Wenn wir doch eh schon bei Hiob angekommen sind, kann diese Botschaft auch nichts mehr anrichten.“

Die junge Frau seufzt: „Ruth bekommt wohl ein Baby.“

„Na, das ist doch wunderbar, dann kriegt sie endlich was zu tun! Aber das war doch noch nicht alles, da ist doch noch was.“

Carol holt tief Luft und brummt mit Grabesstimme: „Die dumme Gans will es nicht.“

„Wie bitte? Die spinnt doch!“ David schüttelt den Kopf und sagt, wie zu sich selber, was alle anderen denken: „Das man sich so in einem Menschen täuschen kann.“

Er leert seine Tasse, schiebt den Stuhl zurück und erhebt sich. „Dann will ich dem Boss mal die Nachricht von Johnson überbringen. Ne, ne, was für ein schlimmer Tag.“

Nur ein Tropfen Leben

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