Читать книгу Basislehrbuch Kriminalistik - Christoph Keller, Bijan Nowrousian - Страница 102

II.Anzeigenaufnahme

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Für die Aufnahme der Anzeige gilt, dass diese zwingend aufzunehmen ist, wenn sie einen Anfangsverdacht begründet, Anlass für Vorermittlungen bietet und beziehungsweise oder der Bürger auf der Aufnahme besteht.

Letzteres gilt auch dann, wenn schon das Anzeigenvorbringen auch bei Wahrunterstellung keinen zureichenden Anhaltspunkt für eine verfolgbare Straftat bietet. Der aufnehmende Polizeibeamte ist zwar in solchen Fällen grundsätzlich berechtigt, den Bürger auf diesen Umstand hinzuweisen. Beharrt der Bürger aber darauf, dass die Anzeige aufgenommen wird, muss dies auch geschehen. Freilich sollte der Polizeibeamte in solchen Fällen die Akten nach Anzeigenaufnahme sogleich der Staatsanwaltschaft in der oben beschriebenen Art mit der Bitte übersenden zu prüfen, ob Ermittlungen überhaupt geführt werden sollen.

Die Anzeigenaufnahme muss dabei zugleich zugewandt und mit professioneller Distanz erfolgen. Abweisend wirkendes Verhalten schädigt nicht nur den Ruf der Polizei, sondern kann auch dazu führen, dass ein entmutigter Anzeigender nur noch unvollständig berichtet. Zu eindeutig mitfühlendes und bestärkendes Verhalten kann Hoffnungen wecken, die womöglich nicht zu erfüllen sind. Diese Balance zu halten, ist gerade bei gravierenden Taten wie Sexualdelikten nicht einfach, muss aber deshalb umso mehr der Anspruch sein.

Die Anzeigenaufnahme ist dabei mehr als ein bloßes Niederschreiben des Anzeigendenberichts. Zwar ist dieses Niederschreiben das Herzstück und muss die Aussage natürlich so wiedergeben, wie sie tatsächlich erfolgt ist. Jedoch hat der aufnehmende Beamte schon bei der Anzeigenaufnahme den Vorgang auf eine mögliche Strafbarkeit hin zu durchdenken, weil er nur so gezielte und sachgerechte Nachfragen stellen kann.

Die Bedeutung solcher Nachfragen und damit des Vorgangs der Anzeigenaufnahme selbst sollte daher auf keinen Fall unterschätzt werden! Zwar ist es grundsätzlich möglich, Zeugen bei der Anzeigenaufnahme nicht gestellte Fragen im Nachgang im Zuge der Ermittlungen noch zu stellen. Auch dann, wenn Zeugen nicht bewusst falsch aussagen, lehrt jedoch die kriminalistische Erfahrung, dass sämtliche Auskunftspersonen, also Zeugen wie Beschuldigte, in immer größerem Maße taktisch denken, je länger das Verfahren dauert. Die Chance auf spontan richtig getätigte Äußerungen ist also bei lange nach der Anzeigenaufnahme erfolgten Nachfragen geringer als bei Nachfragen im Rahmen der Anzeigenaufnahme selbst. Gleiches gilt im Blick auf das Erinnerungsvermögen, das ebenfalls mit fortschreitender Zeit schlechter wird. Erst recht von zentraler Bedeutung sein können Nachfragen bei Selbstanzeigen durch den Beschuldigten. Denn dieser kann sich jederzeit im Laufe des Verfahrens, also auch bei Nachfragen zu einer erstatteten Anzeige, auf sein Schweigerecht berufen. Weitere Fragen sind dann schlicht nicht mehr möglich. Da aber die einmal getätigten Aussagen (zumindest bei richtiger Belehrung) als Beweis weiterverwendet werden dürfen, können Nachfragen schon im Rahmen der Anzeigenaufnahme hier Gold wert sein. Schon der aufnehmende Beamte hat daher im Kopf stets zu subsumieren, in welche strafrechtliche Richtung das angezeigte Verhalten gehen könnte.

Im Rahmen der Anzeigenaufnahme ist auch stets daran zu denken nachzufragen, ob Strafantrag gestellt werden soll. Dass polizeilicherseits vergessen wird zu klären, ob Anzeigende beziehungsweise Verletzte eine Verfolgung auch wollen, ist im Rahmen einer Anzeigenaufnahme auf der Wache freilich recht unwahrscheinlich. Leicht und in der Praxis leider nicht selten kann dies aber passieren, wenn am Beginn des Verfahrens nicht eine geordnete Anzeigenaufnahme, sondern eine chaotische Sachverhaltsklärung am Tatort steht. Es ist daher auch in solchen Fällen zumindest bei der Niederschrift des Einleitungsvermerks daran zu denken, alle mutmaßlich Verletzten zu fragen, ob Strafantrag gestellt werden soll!

Die Anzeigenaufnahme selbst entspricht in Art und Weise der Durchführung einer zeugenschaftlichen Vernehmung, orientiert sich mithin an den dort einzuhaltenden Abläufen und Formalien. So ist im Rahmen der Entgegennahme der Strafanzeige dem Anzeigenerstalter zu ermöglichen, den Sachverhalt zunächst zusammenhängend ohne Zwischenfragen zu schildern (sogenannter „freier Bericht“). Der aufnehmende Beamte sollte sich dabei bereits Notizen zum Inhalt und zu möglichen Fragen machen; Nachfragen sollte er nur dann stellen, wenn er etwas nicht verstanden hat. Nach der Schilderung ist der Sachverhalt durch Nachfragen weiter zu erforschen. Der Inhalt sollte die „sieben goldenen W“(W-Fragen = Bestimmungsfragen) umfassen, deren Reihenfolge und Inhalte jedoch variieren können.12 Die kriminalistische Fragestellung, die es zu beantworten gilt, lautet:13

Wer (Täter) hat was (Tat) wo (Tatort) wann (Tatzeitzeit) wie (Modus Operandi) womit (Tatwerkzeug) warum (Motiv) getan?

(1)Wer hat den relevanten Sachverhalt begangen/unterlassen?

(2)Wann ist der Sachverhalt begangen worden?

(3)Wo hat sich das Geschehen abgespielt?

(4)Was hat der Täter getan oder unterlassen?

(5)Wie ist der Täter vorgegangen?

(6)Womit wurde die Tat verwirklicht?

(7)Warum ist die Tat begangen worden?

Diese Fragen sind wegen ihrer Abstraktheit nach Sachverhaltsgestaltung und infrage stehendem Tatbestand unterschiedlich zu präzisieren.14

Basislehrbuch Kriminalistik

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