Читать книгу Basislehrbuch Kriminalistik - Christoph Keller, Bijan Nowrousian - Страница 96
F.Legalitätsprinzip
ОглавлениеPrägender Grundsatz des Ermittlungsverfahrens neben der Pflicht zur Objektivität ist das sogenannte Legalitätsprinzip. Es ist normiert in § 160 Abs. 1 StPO und besagt, dass die Polizei wie auch die Staatsanwaltschaft zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet sind, sobald ein strafprozessualer Anfangsverdacht besteht.
Diese gesetzliche Regelung bedeutet freilich nicht, dass Polizeibeamte immer und überall Ermittlungen aufnehmen müssen, wenn ihnen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten bekannt werden. Grundsätzlich gilt, dass ein Polizeibeamter im Dienst und zumindest allgemein zur Verhinderung der konkreten Straftat zuständig sein muss.5
Ferner gilt, dass eine Pflicht zur Strafverfolgung auch im Falle der Kenntniserlangung im Dienst uneingeschränkt nur für die Kriminalpolizei besteht. Wer also als Kriminalbeamter im Rahmen seiner Zuständigkeit Anhaltspunkte für Straftaten erlangt, ist stets zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet.
Erlangt ein Polizeibeamter im Rahmen gefahrenabwehrender Tätigkeit entsprechende Kenntnisse, besteht eine Pflicht zur Einleitung von strafprozessualen Ermittlungen nur, wenn sich das im Bereich der Gefahrenabwehr grundsätzlich bestehende Ermessen auf null reduziert hat.
Im Normalfall wird dies bei der Kenntniserlangung von Straftaten der Fall sein, sodass auch der gefahrenabwehrend tätige Polizeibeamte bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten regelmäßig ein Ermittlungsverfahren einzuleiten hat. Dies gilt etwa, wenn im Rahmen einer Streife solche Kenntnisse erlangt werden.
Es kann indes Konstellationen geben, in denen trotz eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren nicht (sofort) eingeleitet werden muss. In Betracht kommt dies indes nur, wenn bedeutsame Belange der Gefahrenabwehr der Strafverfolgung entgegenstehen und dabei vorgehen. Dies kann insbesondere im Rahmen von Demonstrationsgeschehen der Fall sein: Wird etwa im Rahmen einer politischen Demonstration, bei der ohnehin ein hohes Konfliktpotenzial besteht, festgestellt, dass ein Demonstrationsteilnehmer eine Fahne mit einem Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation schwenkt, kann es im Blick auf Fremd- und Eigengefährdungen durchaus legal sein, einer solchen Straftat polizeilicherseits ohne Einleitung von Ermittlungen zuzusehen. Derartige Fälle bleiben indes auf Ausnahmen beschränkt.
Ist diese Rechtslage relativ klar und unbestritten, so ist sehr viel schwieriger zu beantworten, wann bei außerdienstlicher Kenntniserlangung (beziehungsweise Erlangung im Dienst bei fehlender Zuständigkeit) von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für Straftaten das Legalitätsprinzip greift und eine Pflicht zur Aufnahme von Ermittlungen besteht. Einigkeit besteht nur insoweit, als dass auch Polizeibeamte nicht immer im Dienst sind und daher nicht bei jeder außerdienstlichen Kenntniserlangung eine Verfolgungspflicht besteht.
Der Bundesgerichtshof und die herrschende Lehre nehmen in zwar umstrittener, aber ständiger Judikatur eine Pflicht zur Strafverfolgung bei außerdienstlicher Kenntniserlangung in den folgenden Fällen an6:
•bei Verdacht auf diejenigen Straftaten, bei denen nach § 138 StGB auch jeder Bürger zur Anzeige verpflichtet wäre (wobei der dortige Katalog nur besonders gravierende Delikte wie Mord, Totschlag oder Raub umfasst),
•bei Verdacht auf schwere und andauernde Delikte (was anzunehmen sein soll bei Verbrechen sowie bei besonders sozialschädlichen Vergehen wie etwa gewerbsmäßigem Handeln mit harten Drogen),
•bei Verdachtserlangung durch einen Bürger, der den Polizeibeamten zwar außerhalb des Diensts, aber gerade wegen des Berufes über die Umstände in Kenntnis setzt.
Besteht nach dem Legalitätsprinzip eine Pflicht zur Strafverfolgung, so stellt diese zugleich eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB dar. Wer als Polizeibeamter also zur Verfolgung verpflichtet ist, kann sich mithin einer Strafvereitelung durch Unterlassen gemäß § 258, (258a), 13 StGB strafbar machen, wenn er (absichtlich oder wissentlich) Ermittlungen unterlässt!7 Daneben sind bei Missachtung des § 160 Abs. 1 StPO auch dienstrechtliche Ahndungen möglich.8 Das Legalitätsprinzip ist daher für jeden Polizeibeamten eine eherne Pflicht!