Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 39
A.Vorbemerkungen
ОглавлениеI.Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016
1Die Neuregelung des § 98 GWB a. F. beruht maßgeblich auf der Trennung des öffentlichen Auftraggebers gem. § 98 Nr. 1–3, 5 GWB a. F. vom Sektorenauftraggeber (§ 98 Nr. 4 a. F.) sowie vom Konzessionsgeber (§ 98 Nr. 6 a. F.).1 § 99 GWB normiert separat nur noch den öffentlichen Auftraggeber, weshalb die Nr. 4 und Nr. 6 GWB a. F. aus der Vorschrift gestrichen und gesondert in § 100 GWB und § 101 GWB geregelt worden sind. Hinsichtlich des Tatbestands des öffentlichen Auftraggebers wurden zum Großteil nur redaktionelle Änderungen vorgenommen, welche inhaltlich keine Neuerungen mit sich bringen.2 So sind die bisherigen Alternativen des § 98 Nr. 2 a. F. nunmehr für den Leser übersichtlicher unter lit. a)–c) festgeschrieben. Im Zuge der sprachlichen Verbesserung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass für den in § 98 Nr. 2 Satz 2 GWB a. F. genannten Fall auch der Beherrschungstatbestand „Ausübung der Aufsicht über die Leitung“ gilt. Mit der Änderung der Formulierung „finanziert“ in „subventioniert“ in § 99 Nr. 4 GWB wollte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich sprachlich weiter fassen.3 Inhaltlich bringt diese Änderung jedoch eher mehr Verwirrung als Klarheit, da das vom Gesetzgeber intendierte weitere Verständnis bereits vorher durch Rechtsprechung und Literatur galt.4 Mit der sprachlichen Veränderung drängt sich die Frage auf, ob der Gesetzgeber für Nr. 4 ein weiteres Verständnis als in Nr. 2 schaffen wollte, da er hier den Begriff „finanzieren“ unverändert gelassen hat. In der Gesetzesbegründung finden sich hierzu keine Angaben. Vielmehr ist nach wie vor von dem bisher geltenden ohnehin weiten Verständnis auszugehen und sind die unterschiedlichen Begrifflichkeiten als redaktionelles Versehen zu verstehen. Im Ergebnis kann damit zur Auslegung des § 99 GWB der bisherige Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur herangezogen werden.
II.Grundsätze des Begriffs „öffentlicher Auftraggeber“
2Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers geht seit seiner erstmaligen Definition im Jahr 19935 auf die Vorgaben der europäischen Vergaberichtlinie zurück. Seit diesem Zeitpunkt ist der persönliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts immer vor dem Hintergrund der praktischen Wirksamkeit des Europarechts auszulegen. Durch diesen Wandel kommt es für die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber – anders als noch nach früherem Verständnis – daher nicht auf die öffentlich-rechtliche Organisationsform an. Vielmehr herrscht heute ein funktionales Verständnis. Die weite Auslegung des Auftraggeberbegriffs begründet der EuGH damit, dass die VKR6 der Öffnung des (europaweiten) Wettbewerbs und der Schaffung von Transparenz bei der Vergabe von Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte dienen soll. Um diese Ziele zu erreichen und Umgehungen durch die Mitgliedstaaten zu verhindern, ist der Auftraggeberbegriff in der VKR abschließend definiert. Die Mitgliedstaaten sind zwar berechtigt, ergänzendes und ausfüllendes mitgliedstaatliches Recht zu erlassen. Sie sind aber durch die VKR gehindert, den Begriff des öffentlichen Auftraggebers – etwa zur Bevorzugung einheimischer Bieter oder aus Überlegungen, die nichts mit einer wirtschaftlichen Beschaffung zu tun haben – einzuschränken. Zugleich hat die Bundesregierung aber im Jahr 2006 erklärt, dass über die VKR hinausgehende, strengere Verpflichtungen für den öffentlichen Auftraggeber nicht bestehen sollen.7 Die VK Bund hatte ebenfalls bereits im Jahr 2006 entschieden, dass eine erweiternde, analoge Anwendung des Auftraggeberbegriffs über den in der VKR definierten Gehalt nicht in Betracht kommt.8
3Die als öffentliche Auftraggeber zu qualifizierenden juristischen Personen waren im Anhang III Ziffer III. zur VKR 20049 aufgezählt. In der aktuellen Fassung der VKR wurde dieser Anhang ersatzlos gestrichen. Warum der Anhang nicht übernommen wurde, ist aus den Materialien zur Verabschiedung der neuen Richtlinie nicht ersichtlich. Denkbar ist, dass der Katalog aus Gründen der Klarstellung abgeschafft wurde, um der Annahme, bei den im Anhang aufgezählten juristischen Personen handele es sich stets um öffentliche Auftraggeber oder der Katalog sei als abschließend zu verstehen, entgegenzutreten. Der Katalog war nämlich weder abschließend noch konstitutiv.10 Er begründete zwar eine Vermutung durch Anhaltspunkte für die Stellung einer Einrichtung als öffentlicher Auftraggeber. Ob eine juristische Person öffentlicher Auftraggeber ist, kann letztlich aber nur einzelfallbezogen anhand der Vorgaben der VRL und der einschlägigen nationalstaatlichen Vorschriften bestimmt werden.11 Trotz der Streichung dieses Katalogs hat sich an der Beurteilung der dort aufgezählten juristischen Personen jedoch grundlegend nichts geändert. Deshalb kann der Katalog nach wie vor als Indiz für die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber herangezogen werden.