Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 43

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4.Rentenversicherungsträger

50Auch die Rentenversicherungsträger sind öffentliche Auftraggeber.159 Bei ihnen handelt es sich um juristische Personen des öffentlichen Rechts in Gestalt von Körperschaften des öffentlichen Rechts, die keinem Insolvenzrisiko und aufgrund der Pflichtmitgliedschaften keinem echten Wettbewerb ausgesetzt sind. Die Rentenversicherungsträger werden – ebenso wie die gesetzlichen Krankenkassen – überwiegend durch den Staat finanziert. Ihre Finanzierung beruht zwar im Wesentlichen auf der Einziehung von Beiträgen bei den Versicherten selbst, den Arbeitgebern und Sozialleistungsträgern und – mit Ausnahme von ergänzenden Zuschüssen und Ausgleichszahlungen – nicht auf einer direkten Finanzierung durch den Bund. Allerdings besteht gem. §§ 1 ff. SGB VI überwiegend Versicherungspflicht und damit eine staatlich abgesicherte Finanzierung. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann es keinen Unterschied machen, ob der Staat Finanzmittel erst einzieht und die Einnahmen dann dem Sozialleistungsträger zur Verfügung stellt oder ob der Staat Einrichtungen das Recht einräumt, die Finanzmittel selbst einzuziehen.160

5.Sparkassen, Girozentralen

51Zu der Frage, ob Sparkassen und Girozentralen öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sind, besteht – trotz der erheblichen praktischen Bedeutung – kaum Rechtsprechung. Die frühere Gewährträgerhaftung (unbeschränkte Haftung des Rechtsträgers für Verbindlichkeiten der Anstalt) und Anstaltslast (Bereitstellung von Mitteln, damit die Anstalt ihre Aufgaben erfüllen kann) sprachen bis zum 18.7.2005 durchaus dafür, die Sparkassen als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren, da sie nicht insolvenzfähig waren und im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnahmen.161 Ferner bestimmten die jeweiligen Gebietskörperschaften als Träger der Sparkassen üblicherweise die Mehrheit der Mitglieder der Aufsichts- und Geschäftsführungsgremien.

52Mit der sog. Brüsseler Konkordanz verständigte sich die Bundesregierung mit der Europäischen Kommission darauf, dass die Gewährträgerhaftung der bisherigen öffentlich-rechtlichen Träger zugunsten von Sparkassen und Landesbanken grundsätzlich nur noch bis zum 18.7.2005 bestehen sollte. Danach mussten die Sparkassen und Landesbanken für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem gesamten Vermögen haften. Die Kreditinstitute selbst wurden insolvenzfähig. Durch den Wegfall der Gewährträgerhaftung stehen die Sparkassen wie „normale“ Banken im Wettbewerb. Das OLG Rostock hat daher die Eigenschaft einer Sparkasse als öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB verneint.162

6.Banken und Finanzkrise

53Im Zuge der Finanzkrise stellte sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen staatlich gestützte Banken ggf. auch als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren sind. Notleidende Banken können nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz und der Finanzmarktstabilisierungsfondsverordnung Unterstützung in Gestalt von Garantien für Schuldtitel und Verbindlichkeiten, von Rekapitalisierungen und Risikoübernahmen erhalten.163 Umstritten ist zunächst, ob hieraus eine im Allgemeinwohl liegende Aufgabe erfüllt wird. Hierfür sprechen die damit verbundenen Ziele der Stabilisierung des Finanzmarktes, der Setzung neuer Wirtschaftsimpulse oder etwa der Förderung des Mittelstandes.164 Das Tatbestandsmerkmal des nichtgewerblichen Handelns kann man in dem fehlenden Insolvenzrisiko sehen, welches durch die staatliche Unterstützung faktisch eingreift und den Banken im Wettbewerb einen Sonderstatus einräumt.165 Ob es durch die vorgenannten staatlichen Maßnahmen zu einer überwiegenden Finanzierung einer privaten Bank oder zu einer Aufsicht über deren Leitung durch den SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) kommt, lässt sich nur einzelfallabhängig beurteilen und hängt insbesondere davon ab, wie weitgehende Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der SoFFin sich einräumen lässt.166

7.Deutsche Bahn AG und ihre Tochtergesellschaften

54Die Auftraggebereigenschaft der Deutschen Bahn AG und ihrer Tochtergesellschaften gem. § 99 GWB lässt sich nur anhand des jeweiligen Unternehmensprofils und der wahrgenommenen Aufgaben ermitteln.167 Fraglich ist bei diesen Gesellschaften, ob es sich um öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB oder Sektorenauftraggeber gem. § 100 GWB handelt. Seit dem 1.1.1999 hat die Deutsche Bahn AG nur noch die Funktion einer Holdinggesellschaft.168 Die einzelnen Unternehmenssparten sind auf Tochtergesellschaften wie die DB Netz AG, die DB Reise- und Touristik AG, die DB Regio AG, die DB Cargo AG und die DB Station & Service AG übertragen worden. Ursprünglich ging die vergaberechtliche Rechtsprechung (VÜA Bund) davon aus, dass die Deutsche Bahn AG ein öffentlicher Auftraggeber i. S. d. heutigen § 99 Nr. 2 GWB ist.169 Im Jahr 2004 hat sich die VK Bund dieser Auffassung hinsichtlich der DB Netz AG angeschlossen.170 Die VK Bund begründete ihre Entscheidung damit, dass die DB Netz AG beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes eine vom Bund nach Art. 87e Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 GG gewährleistete Gemeinwohlaufgabe wahrnehme, für die dieser die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstelle. Auch habe damals im Bereich des Ausbaus und der Erhaltung des Schienennetzes noch kein ausgeprägter Wettbewerb bestanden, sodass die DB Netz AG insoweit auch nicht gewerblich tätig geworden sei. Die Deutsche Bahn AG sowie ihre übrigen Tochterunternehmen, die Verkehrsaktivitäten betreiben und dabei im Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehen, seien dagegen nach Auffassung der VK Bund aus dem Jahr 2004 als Sektorenauftraggeber einzustufen.

55Die Entscheidung der VK Bund ging jedoch noch von dem Vorrang des § 98 Nr. 2 GWB a. F. vor § 98 Nr. 4 GWB a. F. aus. Eigentlich als Sektorenauftraggeber zu qualifizierende Auftraggeber, die auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB a. F. erfüllten, wurden als Auftraggeber i. S. d. § 98 Nr. 2 GWB a. F. behandelt. Deshalb konnte es für die Entscheidung der VK Bund dahinstehen, inwieweit die DB Netz AG heute auch Sektorenauftraggeber ist. Der EuGH171 hat zwischenzeitlich klargestellt, dass § 98 Nr. 4 GWB a. F. spezieller und damit allein auf Sektorenauftraggeber anwendbar ist. Diese Auftraggeber müssen nicht das grundsätzlich strengere Verfahrensrecht anwenden, das für die klassischen öffentlichen Auftraggeber gilt. Dieser Rechtsprechung hat sich die VK Bund im Jahr 2010 angeschlossen,172 sodass die DB Netz AG heute unabhängig von ihrer Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB173 als Sektorenauftraggeber zu bewerten und rechtlich zu behandeln ist.174 Das Gleiche gilt für die im Personenverkehr tätige DB Regio AG.175

8.Deutsche Post AG

56Die Deutsche Post AG wurde bislang wegen des bis zum 31.12.2007 bestehenden Briefmonopols als öffentlicher Auftraggeber angesehen.176 Mit dem Wegfall der Exklusivlizenz zur Beförderung von Briefsendungen unter 50 g Gewicht besteht im Bereich der Postdienstleistungen Wettbewerbsfreiheit. Diese Änderung führt dazu, dass die Deutsche Post AG ihren Status als öffentlicher Auftraggeber mit dem Wegfall des Briefmonopols, jedenfalls aber mit Entstehen eines funktionsfähigen Wettbewerbs, verloren hat.177 Darüber hinaus ist die Staatsbeteiligung an der Deutschen Post AG im April 2013 unter 25 % gesunken, weshalb es ebenfalls an der erforderlichen Staatsnähe fehlen dürfte.178

9.Deutsche Postbank AG

57Die Deutsche Postbank AG, an der geraume Zeit die Deutsche Post AG und die Deutsche Bank AG beteiligt waren,179 ist kein öffentlicher Auftraggeber. Sie erbringt keine Monopol- oder Pflichtleistungen und steht mit ihren Leistungen voll im Wettbewerb.180

10.Deutsche Telekom AG

58Die Deutsche Telekom AG ist nicht öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 und § 100 GWB. Der Telekommunikationssektor wurde im Jahr 2001 aus dem Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie (2004/17/EG)181 herausgenommen.182

11.Messegesellschaften

59Messegesellschaften können öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sein.183 Regelmäßig bereitet die Einordnung der Messegesellschaften als öffentliche Auftraggeber wegen des Merkmals der Nichtgewerblichkeit Schwierigkeiten.184 Bei der Frage, ob Messen überhaupt dem Wettbewerb unterworfen sind, hat die VK Düsseldorf entschieden,185 dass es hierfür nicht auf die örtliche Nähe eines weiteren Messestandortes ankommt, sondern auf den Zweck der jeweiligen Messe. So steht eine Messe zum Zweck des Marketings grundsätzlich gegenüber anderen Marketinginstrumenten im Wettbewerb. Ungeachtet des bestehenden Wettbewerbs tragen die privatrechtlich organisierten Messegesellschaften oftmals das wirtschaftliche Risiko ihres Handelns und damit auch das Insolvenzrisiko nicht selbst, sondern die dahinterstehenden (Gebiets-)Körperschaften, z. B. durch Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge oder durch sonstige Abreden.186 Hierbei ist stets auf die konkrete Ausgestaltung im Gesellschaftsvertrag zu schauen. So lässt eine nicht zwingende Abdeckung der etwaigen Jahresfehlbeträge die Nichtgewerblichkeit entfallen.187

12.Kommunale Wohnungsbaugesellschaften

60Die Rechtsprechung hat in einer Vielzahl von Fällen entschieden, dass kommunale Wohnungsbaugesellschaften öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sein können.188 Problematisch ist in der Regel die Gewerblichkeit ihrer Aufgabenwahrnehmung. Sofern kommunale Wohnungsbaugesellschaften frei auf dem Markt agieren und nicht durch Unterstützung des Staates eine besondere Marktstellung erhalten, sind sie nicht als öffentliche Auftraggeber zu behandeln.189 Für eine besondere Marktstellung kann schon die Einbindung in die öffentliche soziale Wohnraumförderung ausreichend sein.190 Nicht ausreichend ist dagegen, wenn der Wohnungsmarkt von einem deutlichen Überhang der Nachfrage über dem Angebot geprägt und insofern dysfunktional ist; dies begründet noch keine besondere Marktstellung von Wohnungsbaugesellschaften, die die Gewerblichkeit ihrer Tätigkeit entfallen ließe.191 Genügen kann es ferner, wenn damit zu rechnen ist, dass der öffentlich-rechtlich organisierte Träger der Wohnungsbaugesellschaft eine etwaige Insolvenz der Gesellschaft abwenden wird.192 Hierbei kommt es nicht auf bloße Vermutungen in einem hypothetischen Insolvenzfall an; vielmehr ist entscheidend, ob tatsächlich rechtliche Verpflichtungen zu einem Verlustausgleich bestehen.193

13.Flughafengesellschaften

61Regelmäßig handelt es sich bei Flughafengesellschaften um Sektorenauftraggeber gem. § 100 GWB. Für Fälle, in denen der Sektorenauftraggeber keine sektorenbezogenen Beschaffungen vornimmt, kann aber von Bedeutung sein, unter welchen Voraussetzungen die Auftraggebereigenschaft über § 99 Nr. 2 GWB zu bejahen ist. Üblicherweise üben Flughafengesellschaften ihre Tätigkeiten gewerblich aus. In Einzelfällen kann jedoch eine marktbezogene Sonderstellung vorliegen, z. B. wenn Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge bestehen und der öffentliche Auftraggeber das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit der Flughafengesellschaft trägt oder aber in nennenswertem Umfang Subventionen durch die Gesellschafter zur Stärkung der Liquidität zur Verfügung gestellt werden.

14.Glücksspielunternehmen

62Staatliche Glücksspielunternehmen, wie das Lotterie und Wettgeschäft, sind vorrangig darauf ausgelegt, Gewinne zu erwirtschaften.194 Allerdings ist der von ihnen verfolgte Nebenzweck, den Spielbetrieb staatlich zu mäßigen und so vor Ausbeutung und Spielsucht zu schützen, nach der Infizierungstheorie ausreichend, um eine dem Allgemeinwohl dienende Aufgabe zu erfüllen.195 Inwieweit die staatlichen Glückspielunternehmen öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sind, hängt von der Gewerblichkeit ihrer Tätigkeit ab. Etwaige vorhandene monopolistische Strukturen im legalen Glücksspielbereich können nicht bereits die Annahme rechtfertigen, dass es sich um eine nichtgewerbliche Tätigkeit handelt. Denn vor allem im Bereich der Sportwetten gibt es einen entwickelten Wettbewerb, bei dem auch illegale Anbieter nicht außer Betracht bleiben dürfen.196 Vielmehr spricht für ein gewerbliches Handeln die verfolgte Gewinnerzielungsabsicht.197 Allerdings besteht für viele staatliche Glücksspielunternehmen eine Sonderstellung im Markt, die es rechtfertigt, in der Gesamtbetrachtung eine nichtgewerbliche Tätigkeit anzunehmen.198 Hierzu trägt insbesondere der Ausschluss wirtschaftlicher Risiken und der Insolvenz bei.

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