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D.Andere juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts (§ 99 Nr. 2 GWB)

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16Der öffentlichen Hand ist ein weitreichender Gestaltungsspielraum in der Frage eröffnet, mit welchem Träger und in welcher Rechtsform öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden. Immer mehr Aufgaben werden von den sog. „klassischen Auftraggebern“ im Sinne der Nr. 1 auf andere, selbstständige Rechtsträger verlagert.38 § 99 Nr. 2 GWB folgt den Gestaltungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand und stellt sicher, dass der Staat nicht durch Aufgaben- oder Organisationsprivatisierung aus den Bindungen des Kartellvergaberechts flüchtet und sich dadurch bewusst oder unbewusst dem (europaweiten) Wettbewerb entzieht. § 99 Nr. 2 GWB unterwirft dabei insbesondere auch juristische Personen des Privatrechts mit einer gewissen Staatsnähe dem Regime der öffentlichen Auftragsvergabe.

17Der Begriff der juristischen Person i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB ist wegen der unionsrechtlich vorgegebenen weiten Auslegung nicht (wie nach deutschem Verständnis) technisch zu verstehen. Juristische Person im Sinne der Vorschrift ist jedes Rechtssubjekt, welches selbstständig klagen und verklagt werden kann. Eine Teilrechtsfähigkeit reicht aus (z. B. bei der Außen-GbR). Natürliche Personen sind aufgrund des Wortlauts des § 99 Nr. 2 GWB von dem Anwendungsbereich ausgenommen.

18Zur Bestimmung, ob juristische Personen (des Privatrechts) „im Lager“ des Staates stehen, sieht § 99 Nr. 2 GWB Kriterien vor, bei deren kumulativem Vorliegen die juristische Person als öffentlicher Auftraggeber zu qualifizieren ist:39

– juristische Person

– gegründet zur Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben

– Handeln in nichtgewerblicher Art

– besondere Staatsverbundenheit i. S. v. § 99 Nr. 2 lit. a)–c) GWB

Wenn diese Kriterien nicht erfüllt sind, wird die juristische Person mit hoher Wahrscheinlichkeit rein erwerbswirtschaftlich tätig sein und ist wie ein gewöhnlicher Privater dem Wettbewerb ausgesetzt. Die Sicherung einer diskriminierungsfreien Auftragsvergabe ist in diesem Fall bei funktionierendem Wettbewerb nicht notwendig. Anhaltspunkte, welche juristischen Personen unter § 99 Nr. 2 GWB fallen, ergeben sich wiederum aus dem nicht konstitutiven und nicht abschließenden Anhang III Ziffer III. zur mittlerweile abgelösten VKR 2004.40 Für Deutschland enthielt der Anhang III den Kanon folgender juristischer Personen:

„1. […] Juristische Personen des öffentlichen Rechts

Die bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, insbesondere in folgenden Bereichen:

1.1. Körperschaften

– wissenschaftliche Hochschulen und verfasste Studentenschaften,

– berufsständische Vereinigungen (Rechtsanwalts-, Notar-, Steuerberater-, Wirtschaftsprüfer-, Architekten-, Ärzte- und Apothekerkammern),41

– Wirtschaftsvereinigungen (Landwirtschafts-, Handwerks-, Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Handwerkerschaften),42

– Sozialversicherungen (Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherungsträger),

– Kassenärztliche Vereinigungen,

– Genossenschaften und Verbände.

1.2. Anstalten und Stiftungen

Die der staatlichen Kontrolle unterliegenden und im Allgemeininteresse tätig werdenden Einrichtungen nichtgewerblicher Art, insbesondere in folgenden Bereichen:

– rechtsfähige Bundesanstalten,

– Versorgungsanstalten und Studentenwerke,

– Kultur-, Wohlfahrts- und Hilfsstiftungen.

2. Juristische Personen des Privatrechts

Die der staatlichen Kontrolle unterliegenden und im Allgemeininteresse tätig werdenden Einrichtungen nichtgewerblicher Art, einschließlich der kommunalen Versorgungsunternehmen:

– Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Kurmittelbetriebe, medizinische Forschungseinrichtungen, Untersuchungs- und Tierkörperbeseitigungsanstalten),

– Kultur (öffentliche Bühnen, Orchester, Museen, Bibliotheken, Archive, zoologische und botanische Gärten),

– Soziales (Kindergärten, Kindertagesheime, Erholungseinrichtungen, Kinder- und Jugendheime, Freizeiteinrichtungen, Gemeinschafts- und Bürgerhäuser, Frauenhäuser, Altersheime, Obdachlosenunterkünfte),

– Sport (Schwimmbäder, Sportanlagen und -einrichtungen),

– Sicherheit (Feuerwehren, Rettungsdienste),

– Bildung (Umschulungs-, Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen, Volksschulen),

– Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (Großforschungseinrichtungen, wissenschaftliche Gesellschaften und Vereine, Wissenschaftsförderung),

– Entsorgung (Straßenreinigung, Abfall- und Abwasserbeseitigung),

– Bauwesen und Wohnungswirtschaft (Stadtplanung, Stadtentwicklung, Wohnungsunternehmen, soweit im Allgemeininteresse tätig, Wohnraumvermittlung),

– Wirtschaft (Wirtschaftsförderungsgesellschaften),

– Friedhofs- und Bestattungswesen,

– Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern (Finanzierung, technische Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe, Ausbildung) […]“

Wie oben ausgeführt, kann der zwischenzeitlich aufgehobene Anhang III Ziffer III. zur abgelösten VKR 2004 noch immer zur Auslegung mit herangezogen werden.

I.Juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts

1.Juristische Personen des öffentlichen Rechts

19In Deutschland besteht für juristische Personen des öffentlichen Rechts verwaltungsrechtlich ein numerus clausus. In Betracht kommen als juristische Personen daher nur Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen sind wegen des systematischen Vorrangs des § 99 Nr. 1 GWB gegenüber § 99 Nr. 2 GWB von diesem nicht erfasst. Beispiele für juristische Personen des öffentlichen Rechts sind Universitäten, berufsständische Kammern,43 Sozialversicherungen, kassenärztliche Vereinigungen etc. In der Praxis sind kommunale Eigenunternehmen in der Rechtsform der Anstalt öffentlichen Rechts von besonderer Bedeutung. Handelt eine juristische Person des öffentlichen Rechts, müssen darüber hinaus auch die weiteren Kriterien des § 99 Nr. 2 GWB erfüllt sein.44 Die Gründung zur Erfüllung im Allgemeinwohl liegender Aufgaben wird in diesem Fall jedoch widerlegbar vermutet.45

2.Juristische Personen des Privatrechts

20Juristische Personen des Privatrechts sind nach allgemeinem Verständnis die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die GmbH,46 die Genossenschaft, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und der eingetragene Verein. Auch ein altrechtlicher Verein nach Landesrecht kann juristische Person i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sein.47

21Per Definition sind die Personengesellschaften (GbR, oHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft, EWIV) keine juristischen Personen. Die funktionale und weite Auslegung des Auftraggeberbegriffs im Lichte des Unionsrechts erfordert aber, auch die Personengesellschaften als juristische Personen i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB zu betrachten.48 Anderenfalls wäre die Frage nach der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber letztlich doch eine Frage der Rechtsform. Staatliche Stellen könnten sich durch einen Wechsel der Rechtsform ihrer Eigenschaft als öffentliche Auftraggeber entledigen. Neben der oHG und der KG kann daher auch die GbR49 dem § 99 Nr. 2 GWB unterfallen. Juristische Personen i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB sind ebenfalls die Partnerschaftsgesellschaft und die EWIV.

22Die Eigenschaft als juristische Person des Privatrechts kann auch bereits im Gründungsstadium angenommen werden. Denn bereits im Gründungsstadium kann die Gesellschaft Trägerin eines Unternehmens und einer Firma sein. Ferner ist sie partei-, grundbuch- und insolvenzfähig. Diese Übereinstimmungen zwischen der Vor-Gesellschaft und der Voll-Gesellschaft rechtfertigen es, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch in der Vor-Gesellschaft eine juristische Person des Privatrechts i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB zu sehen.50

II.Besonderer Gründungszweck der juristischen Person

23Juristische Personen des Privatrechts sind nur öffentliche Auftraggeber, wenn sie zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Bei den Tatbestandsmerkmalen „im Allgemeininteresse“ und „nichtgewerblicher Art“, die kumulativ vorliegen müssen, handelt es sich um die beiden ausfüllungsbedürftigsten Begrifflichkeiten innerhalb der Legaldefinition des funktionalen Auftraggeberbegriffs nach § 99 Nr. 2 GWB.51 Trotz der Kritik an der unscharfen Formulierung von § 98 Nr. 2 GWB a. F.52 hat es der Gesetzgeber unterlassen, die Tatbestands­vor­aussetzungen näher zu konkretisieren. Bedauerlicherweise beinhaltet § 99 Nr. 2 GWB die identische Formulierung der Vorgängernorm, weshalb weiterhin entscheidend auf die objektive Ausrichtung des Unternehmens auf eine bestimmte Tätigkeit und eine bestimmte Wettbewerbsform abzustellen ist.53

24Anhaltspunkte für den Zweck, zu dem eine juristische Person gegründet worden ist, können sich aus der Satzung und anderen Gründungsdokumenten ergeben. Sofern eine juristische Person zunächst nicht im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrgenommen hat oder gewerblich tätig war, kann der besondere Zweck, den die juristische Person verfolgt, auch erst später durch eine Satzungsänderung hinzutreten.54 Dabei ist jeweils auf das sich objektiv bietende Bild abzustellen, das sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit und der Art des Auftretens der juristischen Person nach außen manifestiert.55 Maßgeblich ist stets der mit der Gründung oder Änderung tatsächlich verfolgte, erkennbare Zweck. Der besondere Gründungszweck kann sich aber auch aus anderen Anhaltspunkten ergeben. So kann die besondere Verpflichtung auf das Allgemeininteresse auch einem Privatisierungsakt oder speziellen Rechtsnormen zu entnehmen sein. Zu beachten sind alle gesetzlichen und vertraglichen Regelungen, die den Rahmen der Tätigkeit der juristischen Person bestimmen. Ob die juristische Person noch immer (bzw. ggf. erstmalig) solche besonderen Aufgaben wahrnimmt, ist bei jedem Vergabevorgang neu zu prüfen.56 Auch diese nationale Regelung ist im Hinblick auf das funktionale Verständnis des Europarechts weit auszulegen. Bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen ein öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB ist, kann es nicht abschließend auf den Gründungszweck ankommen. Ausschlaggebend ist vielmehr der von dem Unternehmen im Zeitpunkt der Vergabe verfolgte Unternehmenszweck.57

25Die juristische Person muss nicht ausschließlich zu dem Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, gegründet oder bestimmt worden sein. Ausreichend ist, dass die juristische Person unter anderem solche besonderen Aufgaben wahrnimmt.58 Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es insoweit nicht auf ein bestimmtes zahlenmäßiges Verhältnis zwischen den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art und den insgesamt wahrgenommenen Aufgaben an. Gemäß der vom EuGH59 entwickelten „Infizierungstheorie“ reicht bereits die Wahrnehmung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art schlechthin aus, um die gesamte Tätigkeit des Unternehmens vergaberechtlich umzuqualifizieren. Die juristische Person unterliegt dann auch für die Geschäftsfelder, die nicht im Allgemeininteresse liegen oder gewerblicher Art sind, dem Kartellvergaberecht. Die in der Literatur60 teilweise vertretene These, dass es auf eine gewisse Spürbarkeit des Anteils der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ankomme und somit die öffentliche Auftraggebereigenschaft erst entstehe, wenn die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben mindestens 10 % der Geschäftstätigkeit einer juristischen Person erreicht oder übersteigt, ist abzulehnen. Sie steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH und zum Sinn und Zweck der VRL. Praktisch lässt sich diese Infizierung durch die gesellschaftsrechtliche Ausgliederung der im Allgemeininteresse liegenden Geschäftsbereiche vermeiden. Diese Möglichkeit stellt – wie der EuGH anerkannt hat – keine Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften dar.61 Ob die Mutter- und/oder die Tochtergesellschaft im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt, ist für jede Gesellschaft gesondert festzustellen.62

1.Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben

26Welche Aufgaben im Allgemeininteresse liegen, bestimmt weder die VRL noch § 99 Nr. 2 GWB. Der Begriff ist bislang trotz seiner besonderen Bedeutung weitgehend ohne klare Konturen geblieben. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist auch dieses Tatbestandsmerkmal weit auszulegen.63 Die Inhalte des aus dem nationalen öffentlichen Recht bekannten Begriffs des öffentlichen Interesses lassen sich wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts trotz gewisser Ähnlichkeiten nicht übertragen.64

27Aufgaben liegen im Allgemeininteresse, wenn ihre Erfüllung nicht nur einzelnen Personen, sondern zumindest einer Personenmehrheit zugutekommt.65 Ausreichend dafür ist bereits, dass die Aufgabenerfüllung im Interesse eines Teils der Bevölkerung liegt, z. B. in einem Gemeindegebiet. Diese Aufgaben müssen aber einschränkend eine gewisse Nähe zum Staat aufweisen, sodass dieser wenigstens ein Interesse daran hat, sich einen entscheidenden Einfluss vorzubehalten.66 Hierzu reichen vor dem Hintergrund der weiten Auslegung auch Fernziele aus, wie bei der Erhebung des Rundfunkbeitrags die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen. Ähnlich liegt es bei den in staatlicher Hand befindlichen Lotterien, welche auch die Aufgabe haben, das Glückspiel einzudämmen und der Spielsucht vorzubeugen.67 Ferner darf die Aufgabenwahrnehmung nicht nur im eigenwirtschaftlichen Interesse liegen und einzelnen privaten Interessen dienen. Es kommt nicht darauf an, ob private Unternehmen die Aufgaben ebenfalls übernehmen könnten.68 Im Allgemeininteresse liegen somit vor allem Aufgaben der Daseinsvorsorge und genuin staatliche Aufgaben (innere und äußere Sicherheit, Herstellung und Ausgabe von amtlichen Druckerzeugnissen wie Führerscheinen, Personalpapieren etc.).69 Angesichts der Dynamik, mit der sich das staatliche Aufgabenverständnis wandelt, wird sich eine abschließende Definition der „Aufgaben im Allgemeininteresse“ wohl nicht entwickeln lassen.70

28Die Praxis behilft sich bei der Abgrenzung, ob ein Unternehmen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt, mit (widerleglichen) Vermutungen.71 Handelt eine juristische Person des öffentlichen Rechts, wird in der Regel davon ausgegangen, dass diese im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt.72 Der Staat ist grundsätzlich nicht berechtigt, juristische Personen des öffentlichen Rechts zu gründen, wenn diese nicht im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahrnehmen sollen. Bei juristischen Personen des Privatrechts gilt die widerlegliche Vermutung, dass sie nicht im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnehmen und sich grundsätzlich im uneingeschränkten Wettbewerb mit anderen privaten Unternehmen befinden. Diese Vermutung gilt dann als widerlegt, wenn die wahrgenommenen Aufgaben eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind. Der EuGH geht davon aus, dass im Allgemeininteresse liegende Aufgaben durch eine juristische Person des Privatrechts erfüllt werden, wenn das Unternehmen rechtsverbindlich mit der Erfüllung einer Aufgabe betraut ist und diese Aufgabe auch dann erfüllen muss, wenn seine unternehmerischen Eigeninteressen der Aufgabenwahrnehmung entgegenstehen.73 Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn die betroffene Einrichtung entweder hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, mit Aufgaben der Daseinsvorsorge betraut oder sonst eng mit dem institutionellen Funktionieren des Staates verbunden ist.74

29Folgende Aufgaben liegen klassisch im Allgemeininteresse:

– Abfallentsorgung,75

– Fernwärmeversorgung,76

– Betrieb öffentlicher Bäder,77

– Betrieb öffentlicher Krankenhäuser,78

– Betrieb öffentlicher Verkehrseinrichtungen,79

– Betrieb öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten,80

– Förderung der Landwirtschaft,81

– Sozialer Wohnungsbau,82

– Rentenversicherungswesen,83

– Wirtschaftsförderung,84

– Verteidigungsangelegenheiten85.

2.Nichtgewerblicher Art

30Allein die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben führt nicht zu der Qualifizierung einer juristischen Person als öffentlicher Auftraggeber. Hinzutreten muss ferner die nichtgewerbliche Art der Aufgabenwahrnehmung. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach der Rechtsprechung des EuGH gesondert zu prüfen.86 Der EuGH hat klargestellt, dass es sich bei der Nichtgewerblichkeit um ein eigenes Tatbestandsmerkmal handelt, das nicht bereits im Begriff des Allgemeininteresses enthalten ist. Was exakt unter der Nichtgewerblichkeit der Aufgabenerfüllung zu verstehen ist, regelt ebenfalls weder die VRL noch § 99 Nr. 2 GWB. Auch der deutsche Gewerbebegriff kann zur Kriterienbildung nicht herangezogen werden, weil er mit dem Nichtgewerblichkeitsbegriff der VRL unter Berücksichtigung der Auslegungsgrundsätze des Europarechts nicht vollständig übereinstimmt.87

31Zur Bestimmung, ob eine juristische Person in nichtgewerblicher Art handelt, kommt es auf eine objektive Gesamtbetrachtung des wirtschaftlichen Handelns des Unternehmens an. Die Rechtsprechung hat dazu Grundsätze herausgearbeitet. So hat der EuGH entschieden, dass eine juristische Person regelmäßig gewerblich handelt, wenn sie unter normalen Marktbedingungen (ohne Sonder- oder Ausschließlichkeitsrechte) tätig ist, Gewinnerzielungsabsicht hat und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Verluste selbst trägt.88 Indizwirkung für die Nichtgewerblichkeit haben somit folgende Eigenschaften der juristischen Person:

– fehlender Wettbewerb/Monopolstellung,

– besondere Marktstellung des Unternehmens im Wettbewerb aufgrund staatlicher Aufgabenübertragung (z. B. Beleihung, abfallrechtliche Pflicht zu Überlassung an juristische Person nach § 17 Abs. 1 KrWG), Verpflichtung zur Entgeltregelung nach dem Kostendeckungsprinzip (keine Gewinnerzielungsabsicht),

– Risiko von Verlusten trägt der Staat oder ein anderer öffentlicher Auftraggeber (z. B. Gewährträgerhaftung oder Verlustausgleich durch Subvention),

– juristische Person ist keinem Insolvenzrisiko ausgesetzt (z. B. wegen eines Beherrschungsvertrages).89

32Die Durchführung einer Gesamtbetrachtung hat zur Folge, dass die Verneinung einzelner Indizien nicht automatisch zur gewerbsmäßigen Tätigkeit führt. So kann ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht handeln und trotzdem in nichtgewerblicher Art tätig sein. Unschädlich ist beispielsweise, wenn die strittige Tätigkeit zu Gewinnen in Form von Dividendenzahlungen an die Anteilseigner der juristischen Person führen kann, doch die Erzielung solcher Gewinne nicht der Hauptzweck der Einrichtung ist.90 Demgegenüber ist das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbes kein zwingendes Kriterium für eine gewerbliche Tätigkeit.91 Im Ergebnis ist nach den Grundsätzen der Vergabe darauf abzustellen, ob ein Wettbewerber sich nach wirtschaftlicher Betrachtung marktkonform verhalten muss oder Belange ideeller Art berücksichtigen kann.92 Für die Frage, ob eine juristische Person im Allgemeininteresse liegende Aufgaben in nichtgewerblicher Art wahrnimmt, kommt es nicht auf einen Mindestanteil an, wenn die juristische Person auch andere Aufgaben wahrnimmt.93 Ausreichend ist, dass sie auch im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblich erfüllt.94

III.Besondere Staatsgebundenheit des Auftraggebers

33Juristische Personen, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnehmen, sind nur dann öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB, wenn sie zusätzlich auch ein besonderes Maß an Staatsgebundenheit aufweisen. § 99 Nr. 2 GWB sieht in lit. a)–c) alternativ drei verschiedene Arten dieser Staatsgebundenheit vor:

– überwiegende Finanzierung der juristischen Person durch öffentliche(n) Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB,

– Aufsichtsrechte über die Leitung der juristischen Person durch öffentliche(n) Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB,

– Bestimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans durch öffentliche(n) Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB.

34Es kommt nicht darauf an, ob diese Beherrschungsmittel tatsächlich zu einer Einflussnahme auf Beschaffungsvorgänge führen. Ausreichend ist die abstrakte rechtliche Möglichkeit der öffentlichen Hand, von der § 99 Nr. 2 GWB in den vorgenannten Fallgruppen ausgeht.95

1.Überwiegende Finanzierung (finanziell vermittelte Staatsgebundenheit)

35Die juristische Person wird von einem öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB überwiegend finanziert, wenn der öffentliche Auftraggeber mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gesamten Finanzbedarfs der juristischen Person deckt.96 Bei der Bemessung ist auf die Summe aller Mittel, die der juristischen Person zur Verfügung stehen, abzustellen. Dazu zählen auch die Mittel aus der gewerblichen Tätigkeit der juristischen Person.97 Regelmäßig wird bei der Betrachtung auf den Mittelzufluss pro Kalender- oder Geschäftsjahr abgestellt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Mittel des öffentlichen Auftraggebers zunächst durch den allgemeinen Haushalt fließen oder etwa durch gesetzlich geregelte Gebühren oder Beiträge der juristischen Person unmittelbar zufließen.98 Erfolgt die überwiegende Finanzierung nicht durch die öffentliche Hand, sondern durch die Beiträge der Mitglieder (sog. mittelbare Finanzierung), ist danach grundsätzlich zu unterscheiden, ob es sich um freiwillige Mitgliedsbeiträge oder um eine durch Zwangsmitgliedschaft staatlich vorgeschriebene Finanzierung handelt. Im letzteren Fall ist eine überwiegende Finanzierung der öffentlichen Hand zu bejahen.99 Der EuGH hat daher u. a. auch die hinreichende Staatsgebundenheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland angenommen, die auf Grundlage des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags über den Beitragsservice ARD, ZDF Deutschlandradio100 Beiträge erheben.101

36Auch gesetzliche Krankenkassen werden als öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB angesehen, da eine überwiegende Finanzierung durch den Staat vorliegt, wenn die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln auferlegt, berechnet und erhoben werden.102

37Fraglich ist, ob sich die Einordnung als öffentlicher Auftraggeber ändert, wenn die juristische Person berechtigt ist, die Höhe des einzuziehenden Beitrages selbst zu bestimmen. Entgegen der Vermutung der Staatsnähe bei Vorliegen einer der Tatbestandsalternativen des § 99 Nr. 2 lit. a)–c), hat der EuGH entschieden103, dass im Fall der mittelbaren Finanzierung kein öffentlicher Auftraggeber vorliegt, wenn tatsächlich keine hinreichende Einflussnahme besteht. Dies sei der Fall, wenn der juristischen Person nicht nur hinsichtlich ihrer Aufgaben, sondern auch bei der Bestimmung der Höhe der Beiträge gesetzlich eine erhebliche Autonomie eingeräumt wird, wie dies beispielsweise bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe der Fall sei. Die Rechtsprechung des EuGH hat grundlegende Bedeutung für alle Fälle der mittelbaren Staatsfinanzierung. Neben sämtlichen Berufskammern, sind damit auch die Wirtschaftsvereinigungen (z. B. Landwirtschafts-, Handwerks-, Industrie- und Handelskammern) auf den Prüfstand zu stellen, wobei sich eine generalisierte Betrachtung verbietet.104 Im Umkehrschluss zu den Entscheidungsgründen des EuGH im Fall der Ärztekammer Westfalen-Lippe kann man solange von einem öffentlichen Auftraggeber ausgehen, wie dieser die Höhe der Beiträge nur formal selbst bestimmt, d. h. es gerade an einer weitgehenden Autonomie fehlt. Hierzu müssen mindestens die Beitragserhebung, die erbrachten Leistungen und damit verbundenen Aufgaben unter Ausschluss einer Gewinnerzielungsabsicht gesetzlich festgeschrieben sein.105

38Erforderlich ist für die Annahme einer überwiegenden Finanzierung nicht, dass die Zuwendungen des öffentlichen Auftraggebers gem. § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB ausschließlich in pekuniären Mitteln bestehen. Ausreichend ist, dass der öffentliche Auftraggeber Sachmittel als Betriebsgrundlage zur Verfügung stellt (überwiegender Teil des Personals, Grundstücke etc.). Als Finanzierung in diesem Sinne sind indes nur solche Leistungen anzusehen, die als Finanzhilfe ohne spezifische Gegenleistung die Tätigkeit der betroffenen Einrichtung finanzieren oder unterstützen.106 Anderenfalls würde es sich nicht um eine Finanzierung, sondern um einen Austausch von Leistungen handeln. Es muss kein konkreter und direkter Einfluss des Staates oder einer anderen öffentlichen Stelle im Verfahren zur Vergabe eines bestimmten öffentlichen Auftrags durch die Finanzierung bestehen.107 Für die Verbundenheit mit dem Staat genügt allein abstrakt die überwiegende Finanzierung durch öffentliche Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB.108

2.Aufsicht über die Leitung

39Daneben kann die besondere Staatsgebundenheit auch auf einer Aufsicht über die Leitung der juristischen Person beruhen. Wann dies der Fall ist, kann sich in Einzelfällen wegen der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten schwer abgrenzen lassen. Grundsätzlich gilt, dass die Aufsicht über die Leitung der juristischen Person gegeben ist, wenn die staatliche Stelle wirksam auf Entscheidungen der juristischen Person in Bezug auf öffentliche Aufträge109 Einfluss nehmen, d. h. die Beauftragung bestimmter Dritter bewirken oder verhindern kann. Im Ergebnis muss die staatliche Stelle eigene unternehmerische Entscheidungen (durch die juristische Person) durchsetzen können. Die konkrete Einflussnahme auf einzelne Beschaffungsvorhaben ist dagegen nicht Voraussetzung. Grundsätzlich reicht für die Annahme der Aufsicht über die Leitung der juristischen Person die Möglichkeit einer lediglich nachprüfenden Kontrolle nicht aus; die staatliche Stelle muss Einfluss auf die laufende Geschäftsführung haben.110

40Eine gesellschaftsrechtliche Beherrschung liegt in der Regel dann vor, wenn die staatliche Stelle mehr als 50 % der Anteile an der juristischen Person hält oder zwischen ihr und der juristischen Person ein Beherrschungsvertrag besteht. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch eine gesellschaftsrechtliche Beherrschung vorliegen, wenn die staatliche Stelle weniger als 50 % der Anteile hält. In diesem Fall müssen aber zusätzliche Indizien (z. B. besondere Prüfungs- und Vetorechte, Call- bzw. Put-Optionen auf Gesellschaftsanteile) hinzutreten. Ferner geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine den Anforderungen des § 99 Nr. 2 GWB entsprechende Aufsicht in Fällen der Fachaufsicht, für gewöhnlich nicht jedoch in Fällen der Rechtsaufsicht besteht.111 Charakter der Rechtsaufsicht ist lediglich eine nachvollziehende rechtliche Prüfung in Aussicht genommener oder erfolgter Maßnahmen, während die Fachaufsicht auch die Zweckmäßigkeit des Handelns überprüft. Aufgrund des weiten Begriffverständnisses des EuGH kann die Einordnung in Fach- oder Rechtsaufsicht jedoch nur ein Indiz begründen und keine zwingende Vorgabe darstellen.112 So kann bei Körperschaften mit einem eng begrenzten Selbstverwaltungsrecht und Zwangsmitgliedschaft, bei denen der Staat die grundsätzlichen Entscheidungen trifft, die bloße Rechtsaufsicht ausreichen.113 Denn in diesem Falle steht die Körperschaft unter staatlicher Einflussnahme wie eine sonstige Verwaltungsbehörde, die ebenso innerhalb eines ihr vorgegebenen Rahmens weitgehend selbstverwaltend tätig sein kann. Das gilt namentlich für die Handwerkskammern.

3.Bestimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans

41Die besondere Staatsgebundenheit einer juristischen Person kann sich auch dadurch ergeben, dass die staatliche Stelle mehr als die Hälfte des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans bestimmen kann. Die mehrheitliche Besetzung von bloß beratenden Gremien reicht nicht aus. Dabei handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der in der Regel dann zur Anwendung kommt, wenn die staatliche Stelle nicht die Anteilsmehrheit an der juristischen Person hält bzw. den anderen Gesellschaftern trotz der Anteilsmehrheit der staatlichen Stelle besondere Rechte eingeräumt sind. Welche Organe die Geschäftsführung und Aufsicht wahrnehmen, richtet sich nach dem mitgliedstaatlichen Handels- und Gesellschaftsrecht. Bei der Aktiengesellschaft sind dies Aufsichtsrat und Vorstand, bei der GmbH regelmäßig die Geschäftsführer, sofern kein Aufsichtsrat besteht.114

IV.Beispiele für öffentliche Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB

42– Absatzförderungsfonds der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft,115

– Berufsgenossenschaften,116

– Bundesanstalt für Immobilienaufgaben,117

– Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe,118

– Gesellschaft für technische Zusammenarbeit,119

– Treuhandanstalt und Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben,

– öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Beitragsservice ARD ZDF Deutschlandradio,120

– Landesbanken und Girozentralen,121 öffentliche Förderbanken,122

– DB Netz AG,123

– Gesetzliche Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung Nord),124

– Gesetzliche Krankenversicherungen,125

– Träger gesetzlicher Unfallversicherung,126

– Gemeinde-Unfallversicherungsträger,127

– Gemeinsamer Bundesausschuss,128

– Studentenwerk in Nordrhein-Westfalen,129

– Universitäten130 und Universitätskliniken,131

– Messegesellschaften,132

– Wirtschaftsförderungsgesellschaften,133

– Landesentwicklungsgesellschaften,134

– Kommunale Wohnungsbaugesellschaften,135

– Sanierungs- und Entwicklungsträger,136

– Zahnärztekammer,137

– Handwerkskammer138.

V.Einzelfälle

1.Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten

43Ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber zu qualifizieren sind, war lange ungeklärt. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender sind Anstalten des öffentlichen Rechts und damit juristische Personen. Unzweifelhaft ist auch, dass sie im Allgemeininteresse liegende Aufgaben, nämlich die Gewährleistung der Grundversorgung,139 wahrnehmen. Umstritten war dagegen, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten überwiegend durch den Staat finanziert würden, eine uneingeschränkte staatliche Aufsicht bestehe oder die Mehrheit der Vertreter in Verwaltungs- und Leitungsorganen von den Gebietskörperschaften bestellt würde.140 Gegen die Eigenschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber wurde argumentiert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsfrei betrieben werde und die Rundfunkgremien durchweg pluralistisch besetzt seien. Die Rundfunkanstalten finanzierten sich nicht durch staatliche Zuwendungen, sondern durch Beiträge der Rundfunkteilnehmer und im Übrigen durch Werbeeinnahmen.141

44Der EuGH142 hat auf Vorlage des OLG Düsseldorf entschieden, dass die Staatsnähe der Rundfunkanstalten durch das staatlich gewährleistete Gebührensystem begründet werde. Der Beitrag, der die überwiegende Finanzierung der Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sicherstelle, habe seinen Ursprung im Rundfunkstaatsvertrag, also in einem staatlichen Akt. Die Beitragspflicht ist gesetzlich vorgesehen und ergibt sich nicht aus einem Rechtsgeschäft zwischen den Rundfunkanstalten und den Rundfunkteilnehmern. Die Beitragspflicht entsteht allein dadurch, dass ein Empfangsgerät bereitgehalten wurde (ehemaliger Anknüpfungspunkt) bzw. eine Wohnung bewohnt wird, und stellt keine Gegenleistung für die tatsächliche Inanspruchnahme der von den Rundfunkanstalten erbrachten Dienstleistungen dar. Auch die Beitrags­höhe ist nicht das Ergebnis einer vertraglichen Beziehung zwischen den Rundfunkanstalten und den Rundfunkteilnehmern. Gemäß dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag wird sie durch eine förmliche Entscheidung der Landesparlamente und der Landesregierungen festgesetzt, die auf der Grundlage eines von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (nachfolgend „KEF“) erstellten Berichts ergeht. Dieser Bericht der KEF orientiert sich wiederum an dem von diesen Anstalten selbst geltend gemachten Finanzbedarf. Die Landesparlamente und die Landesregierungen dürfen, ohne gegen das Grundrecht der Rundfunkfreiheit zu verstoßen, von den Empfehlungen der KEF abweichen, wenngleich nur unter engen Voraussetzungen, nämlich, wenn die Gebührenhöhe angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage eine unangemessene Belastung der Verbraucher darstellt und geeignet ist, deren Informationszugang zu beeinträchtigen. Es darf, so der EuGH, im Licht der oben erwähnten funktionellen Betrachtung zu keiner unterschiedlichen Beurteilung danach führen, ob die Finanzmittel den öffentlichen Haushalt durchlaufen, der Staat also die Gebühr zunächst einzieht und die Einnahmen hieraus dann den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Verfügung stellt, oder ob der Staat diesen Anstalten das Recht einräumt, die Gebühren selbst einzuziehen.143

45Die VRL sieht aber für bestimmte Dienstleistungsaufträge der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Ausnahmen von der Vergabepflicht vor. Art. 10 lit. b) der VRL stellt Erwerb, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Sendematerial, das für audiovisuelle Mediendienste und Hörfunkmediendienste bestimmt ist, sowie die Ausstrahlung von Sendungen vergaberechtsfrei. Der Erwägungsgrund Nr. 23 zur VRL erläutert den hinter dieser Regelung stehenden Gedanken. Dort heißt es:

„Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über bestimmte audiovisuelle und Hörfunkmediendienste durch Mediendiensteanbieter sollten besondere kulturelle und gesellschaftspolitische Erwägungen berücksichtigt werden können, die die Anwendung von Vergabevorschriften unangemessen erscheinen lassen. Aus diesen Gründen sollte eine Ausnahme für die von den Mediendiensteanbietern selbst vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträge vorgesehen werden, die den Ankauf, die Entwicklung, die Produktion oder die Koproduktion von sendefertigem Material sowie andere Vorbereitungsdienste zum Gegenstand haben, wie z. B. Dienste im Zusammenhang mit den für die Produktion von Sendungen erforderlichen Drehbüchern oder künstlerischen Leistungen. Es sollte ferner klargestellt werden, dass diese Ausnahme gleichermaßen für Rundfunk-Mediendienste wie für Abruf (on-demand) -dienste (nichtlineare Dienste) gelten sollte. Diese Ausnahme sollte jedoch nicht für die Bereitstellung des für die Produktion, die Koproduktion und die Ausstrahlung dieser Sendungen erforderlichen technischen Materials gelten.“

Als Ausnahmeregelung ist Art. 10 lit. b) der VRL grundsätzlich eng auszulegen.144 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Ausnahmeregelung in § 116 Abs. 1 Ziff. 3 GWB umgesetzt.

2.Religionsgemeinschaften

46Religionsgemeinschaften und verwandte Einrichtungen fallen nach überwiegender Meinung nicht unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers.145 Bei Religionsgemeinschaften außerhalb des Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft146 wird es grundsätzlich an der geforderten Staatsnähe fehlen. Bei den Religionsgemeinschaften, welche als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisiert sind, liegt die Ablehnung des § 99 Nr. 2 GWB jedoch nicht auf der Hand.147 Rein formalistisch betrachtet sind diese Religionsgemeinschaften juristische Personen des öffentlichen Rechts. Bei diesen wird grundsätzlich vermutet, dass sie zum Zwecke der Erfüllung im Allgemeinwohl liegender Aufgaben gegründet wurden.148 Für diese Vermutung könnte man argumentieren, dass die Aufgaben der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland einer Personenmehrheit zugutekommen und die „Grundversorgung“ der (christlichen) Religionsausübung absichern. Oftmals wird die Verneinung von § 99 Nr. 2 GWB deshalb auf die Ablehnung der überwiegenden Finanzierung gestützt, weil die Kirchensteuer eigentliche eine vom Staat durchgeleitete kirchliche Abgabe sei, welche an eine freiwillige Mitgliedschaft geknüpft ist.149 Allerdings erscheint auch diese Argumentation vor dem Hintergrund der GEZ-Entscheidung150 fraglich.151 Zum einen knüpfte der Rundfunkbeitrag (damals) auch an die freiwillige Entscheidung an, sich ein Rundfunkgerät bereitzuhalten, und zum anderen kann man die grundgesetzlich vorgesehene Steuer­erhebungskompetenz (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV), welche durch die staatliche Beitreibung abgesichert wird, nicht ohne Weiteres mit einer privaten Beitragserhebungsmöglichkeit gleichstellen.

47Nach überzeugender Ansicht sind Religionsgemeinschaften keine öffentlichen Auftraggeber, weil diese keine im Allgemeinwohl liegenden Aufgaben erfüllen.152 Die Vermutung aufgrund der Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts greift vorliegend nicht, da die Kirchen nicht vom Staat gegründet wurden und den Status historisch bedingt innehaben (Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV). So ist dieser ein Zeichen der herausragenden Stellung der in Deutschland historisch gewachsenen Kirchen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften.153 Vielmehr schreibt das Grundgesetz eine mit der religiösen und konfessionellen Neutralität des Staates verbundene Trennung zwischen Staat und Kirche vor.154 Dies zeigt sich auch in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, wonach die Religionsgemeinschaften ihre Aufgaben selbstständig verwalten. Im Ergebnis fehlt es aufgrund dieser im Grundgesetz festgelegten Trennung an einer für das Allgemeinwohl erforderlichen Verknüpfung zum staatlichen Aufgabenkreis.

3.Gesetzliche Krankenkassen

48In der Vergangenheit stellte sich immer wieder die Frage, ob die gesetzlichen Krankenkassen die für die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber erforderliche Staatsnähe aufweisen. Insbesondere war fraglich, ob die Beitragsfinanzierung der gesetzlichen Krankenkassen das Tatbestandsmerkmal der überwiegenden Finanzierung durch den Staat erfüllt.155

49Auf Vorlage des OLG Düsseldorf156 hat der EuGH157 im Jahr 2009 zu der Eigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland als öffentliche Auftraggeber Stellung genommen. Der EuGH hat ausgeführt, dass gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber sind, wenn die Tätigkeiten der gesetzlichen Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, auferlegt, berechnet und erhoben werden. Entsprechend dem Urteil zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland hat der EuGH auch bei den Krankenkassenbeiträgen eine überwiegende Finanzierung durch den Staat angenommen. Damit hat der EuGH seine Rechtsprechung zur mittelbaren Staatsfinanzierung gefestigt.158 Die Frage, ob die im Sozialgesetzbuch vorgesehene staatliche Aufsicht für die Annahme der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 2 GWB ausreicht, hat der EuGH dagegen in seiner Entscheidung offengelassen.

Vergaberecht

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