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3.2.2.4 Kirche im Spannungsfeld zwischen Charisma und Institution

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Bildet in den bisherigen Ausführungen Krusches die einzelne Gemeinde als charismatische Gemeinschaft den wesentlichen Ausgangs- und Zielpunkt der Überlegungen, so fragt er in einem späteren Aufsatz (1989) nach ihrem prinzipiellen Verhältnis zur institutionellen Sozialgestalt der Kirche. Der Begriff «Charisma» wird dabei nicht mehr primär zur Bezeichnung einer vom Geist verliehenen Gnadengabe verwendet, sondern zumeist in einem formal-abstrahierten Sinn als Ausdruck für die charismatische Dimension der Kirche im Ganzen, für das «Gesamt der der Kirche in ihren einzelnen Gliedern gegebenen ‹Energien des neuen Leben›»[433].

Institution und Charisma sieht Krusche nicht als zwei pneumatische Strukturen, die in einem harmonisch-komplementären Verhältnis zueinander stehen. Er stimmt aber auch nicht dem Ansatz Emil Brunners zu, der einen kategorialen Gegensatz zwischen beiden Größen konstatiert. Dem gegenüber setzt Krusche Charisma und Institution in das dialektische Verhältnis einer notwendigen, aber spannungsreichen und gefährdeten Dualität: Mit Leonardo Boff versteht er das Charisma als «fundamentaler als das institutionelle Element». Es sei «das strukturierende Prinzip der Institution», der «Wurzelgrund jeder Institution» und die «Kraft, welche die Institution schafft und lebendig erhält».[434] Dennoch stehen beide Größen in Spannung. Sie gefährden sich gegenseitig: Auf der einen Seite wirken sich Missachtung oder Missbrauch des Charismas, v.a. «die Selbstüberschätzung und die Unwilligkeit, sich begrenzen zu lassen», immer institutionell aus.[435] Auf der anderen Seite sei die besondere Gefahr der Institution die «Verfestigung und die mit ihr zusammenhängende Unwilligkeit und Unbeweglichkeit gegenüber allem Neuen und ihre Tendenz zur Selbstzwecklichkeit»[436]. Die eigentliche Gefahr komme aber nicht vom Charisma oder der Institution an sich, sondern «von dem homo peccator als dem Verwalter der Institution und dem Träger des Charisma»[437].

Die notwendige Spannung zwischen Charisma und Institution führt zu Konflikten, wenn sich eine Größe gegenüber der anderen verabsolutiert. Sie kann sich aber auch unter dem Charisma der Liebe fruchtbar auswirken, wie Krusche exemplarisch anhand der Spannungsfelder von Kontinuität und Flexibilität, Gewohnheit und Entscheidung, Recht und Seelsorge, Dialog und Prophetie bzw. Dogma und Erfahrung aufzeigt: So bieten die institutionellen Regelungen und Ordnungen der Kirche zwar Kontinuität und schützen vor Willkür und unkritischer Anpassung an «jeden modischen Pfiff»[438], begrenzen aber auch die Möglichkeit, auf aktuelle Herausforderungen wie das Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung in der notwendigen Flexibilität reagieren zu können. Wie die institutionalisierte Kirche in diesem Fall von dem in den Aktions- und Initiativgruppen wirkenden Charisma abhängig ist, so lässt sich auch in den anderen genannten Spannungsfeldern die Angewiesenheit der Institution auf die Korrektur durch das Charisma aufweisen: Die vor subjektiver Überlastung bewahrende Funktion institutionalisierter Rituale, z.B. in der kirchlichen Kasualpraxis, bedarf des auf Entscheidung drängenden Charismas, um nicht zu einem allgemeinen «Gewohnheitschristentum»[439] zu führen. Die durch das Pfarrdienstrecht rechtlich fixierte kirchliche Disziplin wird ohne das im konkreten Fall wirkende «Charisma der Seelsorge» die eventuellen negativen Folgen einer unbarmherzigen Rechtsdurchsetzung für die Gemeinschaft nicht im Blick haben. Dialogoffene Äußerungen der Kirche, wie z.B. die differenzierte Stellung der EKD zur Wiederbewaffnung, ersetzen nicht das zu gewissen Zeiten unumgängliche und sich mit nicht-hinterfragbarer Autorität äußernde prophetische Charisma, wie z.B. das kategorische Nein zum Einsatz von Kernwaffen.[440] Die Kirche ist als Institution auf das Charisma angewiesen, um nicht durch Trägheit und Selbstzwecklichkeit ihre Beweglichkeit zu verlieren.

«Das Charisma sorgt dafür, dafür, daß die Institution sich nicht zu einer perfekten Institution verfestigt, sondern daß sie ‹Institution im Übergang› bleibt, - im Übergang nicht zu einer institutionsfreien ‹Geistkirche›, sondern im Übergang zu ‹angemesseneren institutionellen Regelungen›.»[441]

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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