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3.3.1 Kommunikative Gemeindepraxis als konziliare Realisierung von Freiheit

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Christof Bäumlers Veröffentlichungen zur «Gemeindepraxis»[452] wollen kein fertiges «von oben» durchzuführendes Programm entwerfen, das die Gemeindeglieder vorwiegend in der Rolle der Adressaten belässt und sie ihrer Freiheit als verantwortliche Subjekte beraubt. Es geht ihm vielmehr darum, eine theologische Theorie zu entwickeln, die zwar die Bedingungen «für eine besser gelingende Gemeindepraxis» untersucht und auf Möglichkeiten einer Realisierung hinweist, die aber die konkrete Umsetzung dem Prozess einer die ganze Gemeinde umfassenden diskursiven «Suchbewegung» überlässt.[453] Die Gemeinde soll als Subjekt der Gemeindepraxis wiedergewonnen werden. Die normative Leitvorstellung, an der sich die theologische Theorie und die jeweils am geschichtlich-gesellschaftlichen Ort zu entwickelnde «Praxistheorie von Kirchengemeinden»[454] orientiert, ist die «Gemeinde der Befreiten»[455]. In ihr werden alle getauften Gemeindeglieder als verantwortliche und freie Subjekte ernst genommen und bringen sich in den Prozess Gemeinde ein. Die «Gemeinde der Befreiten» ist eine «konkrete Utopie»[456], die «nicht als bloßes Ziel behauptet oder gefordert wird, sondern aus den in der jeweiligen Situation enthaltenen Möglichkeiten entwickelt wird»[457].

«Als Arbeitshypothese der Gemeindepraxis kann deshalb formuliert werden: in den amorphen oder verkrusteten, betriebsamen oder gelähmten, selbstzufriedenen oder resignierten Gemeinden leben Elemente der Gemeinde der Befreiten. Keine Gemeinde ist dazu verurteilt, sich mit ihrem jeweiligen Zustand abzufinden. Sie hat immer die Möglichkeit, sich selbst im Vollzug ihrer Praxis zu überschreiten, um zu ihrer Wahrheit zu finden.»[458]

Das Ziel der kommunikativen Gemeindepraxis ist es, die verborgenen Elemente der «Gemeinde der Befreiten» zu entdecken, zu fördern und zu vermehren. Das Grundmodell der Gemeindepraxis, das dieser Leitvorstellung entspricht, ist der offene Diskurs. In Anknüpfung an die Habermas’sche Diskursethik versteht Bäumler ihn als ideale Kommunikationssituation, in der die regulativen Prinzipien Offenheit, Herrschaftsfreiheit, Partizipation und Solidarität Geltung haben. Benachteiligung und Bevormundung seien ausgeschlossen und jeder Teilnehmer werde als gleichwertiger Partner ernst genommen.[459] Der mündige Christ sei das «kritische Prinzip der Gemeinde».[460] Christliche Gemeindepraxis in der offenen Volkskirche müsse daher immer «konziliare Realisierung der Freiheit»[461] sein und sich als «kommunikative Gemeindepraxis» gestalten[462]. Sie verwirkliche sich als diskursiver Prozess, an dem idealerweise alle getauften Gemeindeglieder sich über ihre religiösen Bedürfnisse verständigen, gemeinsam eine Praxistheorie ihrer Kirchengemeinde am Ort entwerfen und nach Möglichkeiten ihrer Realisierung fragen.[463] Die kommunikative Gemeindepraxis ist somit Ziel und zugleich Weg zum Ziel. Insofern in ihr das gegenseitige Erwünscht- und Anerkanntsein aller getauften Gemeindeglieder mitgeteilt und zugleich erfahren werde, entspreche ihre Struktur dem Inhalt des Evangeliums von der sich in Jesus Christus durchsetzenden Gottesgerechtigkeit. In und durch die kommunikative Gemeindepraxis ereigne sich die prinzipiell dialogische Kommunikation des Evangeliums und zugleich ansatzweise und fragmentarisch die Gottesgerechtigkeit als «Inbegriff aller Möglichkeiten unverzerrter Kommunikation»[464].

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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