Читать книгу Edith Stein: Endliches und ewiges Sein - Edith Stein - Страница 15

§ 7. Das Sein des Ich und das ewige Sein

Оглавление

Woher aber kommt dieses empfangene Sein? Nach dem, was bisher über das Ichleben festgestellt wurde, scheinen verschiedene Möglichkeiten zu bestehen. Entweder das Ich erhält sein Leben wie seine Erlebnisgehalte aus den »jenseitigen Welten«, die sich ihm durch seine Erlebnisse ankündigen, aus der äußeren oder der inneren Welt oder aus beiden. Oder es verdankt sein Sein unmittelbar dem reinen Sein, das ewig-wandellos, selbstherrlich und selbstverständlich aus sich selbst und in sich selbst ist. Die zweite Möglichkeit würde die erste nicht völlig ausschließen. Wenn das Ich unmittelbar durch das reine Sein ins Dasein gesetzt und darin erhalten würde, so könnte daneben doch eine Abhängigkeit seines Lebens von der äußeren oder der inneren Welt, von einer von ihnen oder von beiden bestehen. Dagegen ist ein Empfangen des Seins unabhängig vom ewigen Sein undenkbar, weil es außer diesem nichts gibt, was wahrhaft im Besitz des Seins wäre. Alles Endliche ist ein ins Sein gesetztes und darin erhaltenes und darum von sich aus nicht fähig, Sein zu setzen und zu erhalten. Indessen, über das Verhältnis des Ich zu den ihm jenseitigen Welten werden wir erst etwas sagen können, wenn wir die Beschränkung der Betrachtung auf den uns unmittelbar und unabtrennbar zugehörigen Seinsbereich aufheben. Können wir über das Verhältnis zum reinen Sein schon innerhalb dieser Beschränkung etwas sagen?

Mein Sein, so wie ich es vorfinde und mich darin finde, ist ein nichtiges Sein; ich bin nicht aus mir selbst und bin aus mir selbst nichts, stehe jeden Augenblick vor dem Nichts und muß von Augenblick zu Augenblick neu mit dem Sein beschenkt werden. Und doch ist dies nichtige Sein Sein und ich rühre damit jeden Augenblick an die Fülle des Seins. Es wurde früher gesagt, das Werden und Vergehen, wie wir es in uns finden, enthülle uns die Idee des wahren Seins, des wandellos-ewigen. Die Erlebniseinheiten, deren Sein ein Werden und Vergehen ist, bedürfen des Ich, um zum Sein zu gelangen. Aber das Sein, das sie durch das Ich erhalten, ist nicht das wandellos-ewige, ist vielmehr nur eben dieses Werden und Vergehen mit einer Seinshöhe im Augenblick des Übergangs vom Werden zum Vergehen. Das Ich scheint dem reinen Sein näherzustehen, weil es nicht nur für einen Augenblick die Seinshöhe erreicht, sondern in jedem Augenblick darin erhalten wird, freilich nicht als ein wandelloses, sondern mit einem ständig wechselnden Gehalt seines Lebens.

Das Ich kann nicht nur von dem Werden und Vergehen seiner Erlebnisgehalte her, sondern auch von der Eigentümlichkeit seines nur von Augenblick zu Augenblick gefristeten Seins her zur Idee des ewigen Seins gelangen: es schrickt zurück vor dem Nichts und verlangt nicht nur nach endloser Fortsetzung seines Seins, sondern nach dem Vollbesitz des Seins: einem Sein, das seinen gesamten Gehalt in wandelloser Gegenwart umfassen könnte, statt das eben zum Leben Emporgestiegene sich immer wieder entschwinden zu sehen. So kommt es zur Idee der Fülle, indem es an seinem eigenen Sein das durchstreicht, was ihm selbst als Mangel bewußt ist.

Es erfährt aber auch in sich selbst Grade der Annäherung an die Seinsfülle. Seine »Gegenwart«, das, was sein Jetzt erfüllt, ist nicht immer vom gleichen Umfang. Das kann daran liegen, daß sich ihm in verschiedenen Augenblikken ein Mehr oder Minder an Gehalten bietet. Es selbst hat aber auch in verschiedenen Augenblicken eine mehr oder minder große Spannweite. Und etwas Ähnliches zeigt sich im Verhältnis zu dem, was es von Vergangenem und Zukünftigem noch oder schon festhält. Zu den Unterschieden der Spannweite kommen Unterschiede in der Stärke der Lebendigkeit des Gegenwartslebens, mehr oder minder hochgespannten Seins. Über alle ihm selbst erreichbaren Stufen gedanklich hinausgehend bis an die äußerste Grenze des denkbar Möglichen kann das Ich zur Idee eines allumspannenden und höchstgespannten Seins gelangen. Es zeigt sich dabei, was früher ins Auge gefaßt wurde, daß die ständige Aktualität des Ich eine Gradabstufung zuläßt. Dem vollendeten Sein, dem »reinen Akt« gegenüber erscheint das »aktuelle« Sein des Ich als ein unendlich fernes und schwaches Abbild, aber es gibt in dieser Ferne noch Abstufungen, und von jenen »Vorstufen« des Seins, die wir als »Potenzialität« bezeichneten, erscheint es so scharf abgehoben, daß es nicht angemessen erscheint, es selbst wegen seiner Abstufungen und der Möglichkeit eines Überganges von tieferen zu höheren Stufen – die besteht – in die Potenzialität einzubegreifen. Höchstens wäre es angebracht, von einer Verbindung von Aktualität und Potenzialität zu sprechen. Dies wäre aber eine andere »Verbindung« von Aktualität und Potenzialität als die, die wir bei den Erlebniseinheiten fanden.

Wenn wir das wirkliche Sein als Akt bezeichnen, so stehen dem reinen Akt als dem vollendeten Sein, dem wandellos-ewigen, alle Fülle mit der denkbar höchsten Lebendigkeit umspannenden, die endlichen Akte als unendlich schwache Abbilder in mannigfacher Abstufung gegenüber; ihnen selbst aber entsprechen wiederum als ihre Vorstufen verschiedene Potenzen: Der endliche Akt ist aber, in dem Bereich, in dem wir die Betrachtung vorläufig halten, zunächst und eigentlich Sein des Ich, und nur durch das Ich haben die Erlebniseinheiten daran Anteil.

Die Idee des reinen Aktes oder des ewigen Seins wird für das Ich, das sie einmal erfaßt hat, zum Maß seines eigenen Seins. Wie kommt es aber dazu, darin auch die Quelle oder den Urheber seines eigenen Seins zu sehen? Die Nichtigkeit und Flüchtigkeit seines eigenen Seins wird dem Ich klar, wenn es sich denkend seines eigenen Seins bemächtigt und ihm auf den Grund zu kommen sucht. Es rührt auch daran vor aller rückgewandten Betrachtung und Zergliederung seines Lebens durch die Angst, die den unerlösten Menschen in mancherlei Verkleidungen – als Furcht vor diesem und jenem –, im letzten Grunde aber als Angst vor dem eigenen Nichtsein durchs Leben begleitet, ihn »vor das Nichts bringt«. Die Angst ist freilich durchschnittlich nicht das beherrschende Lebensgefühl. Sie wird es in Fällen, die wir als krankhaft bezeichnen, aber normalerweise wandeln wir in einer großen Sicherheit, als sei unser Sein ein fester Besitz. Das kann darauf beruhen, daß wir bei jeder Oberflächensicht stehen bleiben, die uns in einer »stehenden« Zeit ein »bleibendes und dauerndes« Sein vortäuscht und uns durch das »Sorgen« für unser Leben den Anblick seiner Nichtigkeit verdeckt. Aber allgemein und schlechthin ist die Seinssicherheit nicht als bloßes Ergebnis solcher Täuschung und Selbsttäuschung anzusprechen. Die rückgewandte, denkende Zergliederung unseres Seins zeigt, wie wenig Grund zu solcher Sicherheit in ihm selbst gegeben ist, wie sehr es in der Tat dem Nichts ausgesetzt ist. Ist damit jene Seinssicherheit als sachlich unbegründet, also »unvernünftig« erwiesen und als vernünftige Lebenshaltung eine »leidenschaftliche … ihrer selbst gewisse und sich ängstende Freiheit zum Tode«? Keineswegs. Denn der unleugbaren Tatsache, daß mein Sein ein flüchtiges, von Augenblick zu Augenblick gefristetes und der Möglichkeit des Nichtseins ausgesetztes ist, entspricht die andere ebenso unleugbare Tatsache, daß ich trotz dieser Flüchtigkeit bin und von Augenblick zu Augenblick im Sein erhalten werde und in meinem flüchtigen Sein ein dauerndes umfasse. Ich weiß mich gehalten und habe darin Ruhe und Sicherheit – nicht die selbstgewisse Sicherheit des Mannes, der in eigener Kraft auf festem Boden steht, aber die süße und selige Sicherheit des Kindes, das von einem starken Arm getragen wird – eine, sachlich betrachtet, nicht weniger vernünftige Sicherheit. Oder wäre das Kind »vernünftig«, das beständig in der Angst lebte, die Mutter könnte es fallen lassen?

Ich stoße also in meinem Sein auf ein anderes, das nicht meines ist, sondern Halt und Grund meines in sich haltlosen und grundlosen Seins. Auf zwei Wegen kann ich dahin gelangen, in diesem Grund meines Seins, auf den ich in mir selbst stoße, das ewige Sein zu erkennen. Das eine ist der Weg des Glaubens: wenn Gott sich offenbart als »der Seiende«, als »Schöpfer« und »Erhalter«, und wenn der Erlöser sagt: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben«, so sind das lauter klare Antworten auf die Rätselfrage meines eigenen Seins. Und wenn Er mir durch den Mund des Propheten sagt, daß Er treuer als Vater und Mutter zu mir stehe, ja daß Er die Liebe selbst sei, dann sehe ich ein, wie »vernünftig« mein Vertrauen auf den Arm ist, der mich hält, und wie töricht alle Angst vor dem Sturz ins Nichts – wenn ich mich nicht selbst aus dem bergenden Arm losreiße.

Der Weg des Glaubens ist nicht der Weg der philosophischen Erkenntnis. Er ist die Antwort aus einer anderen Welt auf die Frage, die sie stellt. Sie hat auch einen eigenen Weg. Es ist der Weg des schlußfolgernden Denkens, den die Gottesbeweise gehen. Grund und Urheber meines Seins, wie alles endlichen Seins, kann letztlich nur ein Sein sein, das nicht – wie alles menschliche Sein – ein empfangenes ist: es muß aus sich selbst sein; ein Sein, das nicht – wie alles, was einen Anfang hat – auch nicht sein kann, sondern notwendig ist. Weil sein Sein kein empfangenes ist, kann es in dem Seienden keine Trennung geben zwischen dem, was es ist (und was sein oder nicht sein könnte), und dem Sein, sondern es muß das Sein selbst sein. Dieses Sein, das aus sich selbst und notwendig, ohne Anfang und Ursache alles Anfangenden ist, muß Eines sein; denn wäre es eine Mehrheit, so müßte es eine Scheidung geben zwischen dem, was das eine vom anderen unterscheidet und es zu diesem macht, und dem, was es mit anderen gemeinsam hat. Eine solche Scheidung gibt es aber in dem ersten Sein nicht. Es mag sein, daß mein flüchtiges Sein einen »Halt« hat an etwas Endlichem. Aber als Endliches könnte das nicht der letzte Halt und Grund sein. Alles Zeitliche ist als solches flüchtig und bedarf des ewigen Haltes. Bin ich mit meinem Sein an anderes Endliches gebunden, so werde ich mit ihm im Sein erhalten. Die Seinssicherheit, die ich in meinem flüchtigen Sein spüre, weist auf eine unmittelbare Verankerung in dem letzten Halt und Grund meines Seins (unbeschadet möglicher mittelbarer Stützen) hin. Das ist freilich ein sehr dunkles Erspüren, kaum »Erkenntnis« zu nennen. Augustinus, der den Weg zu Gott vor allem vom inneren Sein her gesucht und das Hinausweisen unseres Seins über sich selbst zum wahren Sein in immer neuen Wendungen betont hat, bringt doch zugleich stets unser Unvermögen, den Unfaßlichen zu fassen, zum Ausdruck. »Wer … meint, es könne dem Menschen, der noch dieses sterbliche Leben führt, begegnen, daß er … die strahlende Heiterkeit des Lichtes der Unwandelbaren Wahrheit erreichte und mit einem Geist, der Gewöhnung dieses Lebens völlig entfremdet, ihr beständig und unbeugsam anhangen – der hat nicht verstanden, was er sucht, noch wer (er ist, der) sucht …« »… wenn du hinzuzutreten beginnst als Ähnlicher und anhebst, Gott durchzuspüren – im Maße, wie in dir die Liebe wächst, weil auch die Liebe Gott ist –, spürst du etwas, was du sagtest und nicht sagtest … Ehe du nämlich spürtest, meintest du Gott zu sagen: du beginnst zu spüren, und hier spürst du, wie nicht gesagt werden kann, was du spürst …« Dies dunkle Spüren gibt uns den Unfaßlichen als den unentrinnbar Nahen, in dem wir »leben, uns bewegen und sind«, aber als den Unfaßlichen. Das schlußfolgernde Denken prägt scharfe Begriffe, aber auch die vermögen den Unfaßlichen nicht zu fassen, ja sie rücken ihn in die Ferne, die allem Begrifflichen eigen ist. Mehr als der Weg des philosophischen Erkennens gibt uns der Weg des Glaubens: den Gott der persönlichen Nähe, den Liebenden und Erbarmenden, und eine Gewißheit, wie sie keiner natürlichen Erkenntnis eigen ist. Aber auch der Weg des Glaubens ist ein dunkler Weg. Gott selbst stimmt seine Sprache zu menschlichen Maßen herab, um uns das Unfaßliche faßlicher zu machen: »… da Er in jener Sendung Seines Knechtes Moses sagte: ›Ich bin, der Ich bin‹«, und: ›Sage den Söhnen Israels: Der Ist, sendet mich zu euch‹ – weil eben dieses eigentliche Sein für den menschlichen Geist schwer zu fassen ist und er (Moses) als Mensch zu Menschen gesandt wurde, wenngleich nicht von einem Menschen – … fügte er gleich hinzu: ›Sag den Söhnen Israels: der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich gesandt zu euch: das ist mein Name in Ewigkeit … Was ich sprach: Ich bin, der Ich bin, das ist wahr, aber du fassest es nicht. Was ich aber sprach: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, dies ist sowohl wahr als auch für dich faßlich … Dies nämlich: ›Ich bin der Ich bin, das gehört zu mir; dies aber: Gott Abrahams und Gott Jakobs, das gehört zu dir‹«.

Edith Stein: Endliches und ewiges Sein

Подняться наверх