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Vorwort

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Dieses Buch ist von einer Lernenden für Mitlernende geschrieben. Die Verfasserin war in einem Alter, in dem andere es wagen dürfen, sich Lehrer zu nennen, gezwungen, ihren Weg von vorn zu beginnen. Sie war in der Schule Edmund Husserls herangebildet und hatte eine Reihe von Arbeiten nach phänomenologischer Methode geschrieben. Diese Abhandlungen waren in Husserls Jahrbuch erschienen, und dadurch wurde ihr Name bekannt gerade zu einer Zeit, wo sie aufgehört hatte, philosophisch zu arbeiten, und an nichts weniger dachte als an eine öffentliche Wirksamkeit. Sie hatte den Weg zu Christus und Seiner Kirche gefunden und war damit beschäftigt, die praktischen Folgerungen daraus zu ziehen. Als Lehrerin an der Lehrerinnenbildungsanstalt der Dominikanerinnen zu Speyer durfte sie in der wirklichen katholischen Welt heimisch werden. Dabei mußte sehr bald der Wunsch erwachen, die gedanklichen Grundlagen dieser Welt kennen zu lernen. Es war fast selbstverständlich, daß sie zuerst zu den Schriften des hl. Thomas von Aquino griff. Die Übersetzung der Quaestiones disputatae de veritate bahnte ihre Rückkehr zur philosophischen Arbeit an.

Der hl. Thomas fand eine ehrfürchtige und willige Schülerin – aber ihr Verstand war keine tabula rasa, er hatte schon eine sehr feste Prägung, die sich nicht verleugnen konnte. Die beiden philosophischen Welten, die darin zusammentrafen, verlangten nach einer Auseinandersetzung. Der erste Ausdruck dieses Verlangens war der kleine Beitrag zur Husserl-Festschrift: »Husserls Phänomenologie und die Philosophie des hl. Thomas von Aquino«, noch während der Arbeit an den »Untersuchungen über die Wahrheit« geschrieben. Als die Übersetzung abgeschlossen und im Druck war, wurde der Versuch einer Auseinandersetzung aufs neue in Angriff gekommen, diesmal auf breiterer sachlicher Grundlage. Es entstand i. J. 1931 ein umfangreicher Entwurf. Im Mittelpunkt stand die Erörterung der Begriffe »Akt« und »Potenz«; nach ihnen sollte auch das Ganze benannt werden. Eine gründliche Überarbeitung – damals schon als unerläßlich erkannt – mußte zugunsten andersgearteter Berufsarbeit zurückgestellt werden.

Nachdem die Verfasserin in den Orden der Unbeschuhten Karmeliten aufgenommen war und ihr Noviziatsjahr beendet hatte, 1935 erhielt sie im vergangenen Jahr von ihren Vorgesetzten den Auftrag, den alten Entwurf für den Druck vorzubereiten. Es ist eine ganz neue Fassung entstanden; von der alten sind nur wenige Blätter (der Anfang des I. Teils) übernommen worden. Der Ausgang von der thomistischen Akt-Potenz-Lehre wurde beibehalten – aber nur als Ausgang. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Sein. Die Auseinandersetzung zwischen thomistischem und phänomenologischem Denken erfolgt in der sachlichen Behandlung dieser Frage. Und weil beides – das Suchen nach dem Sinn des Seins und das Bemühen um eine Verschmelzung von mittelalterlichem Denken mit dem lebendigen Denken der Gegenwart – nicht nur ihr persönliches Anliegen ist, sondern das philosophische Leben beherrscht und von vielen als eine innere Not empfunden wird, darum hält sie es für möglich, daß ihr Versuch anderen helfen könnte, so unzulänglich er ist. Über die Unzulänglichkeit ist sie sich vollkommen klar. Sie ist in der Scholastik ein Neuling und kann sich das, was ihr an Kenntnissen fehlt, nur ganz allmählich und stückweise anzueignen suchen. Darum konnte es ihr auch nicht einfallen, eine geschichtliche Darstellung der behandelten Fragen zu geben. Die Anknüpfung an vorliegende Lösungen ist immer nur Ausgangspunkt für eine sachliche Erörterung. Und das dürfte nicht nur der Weg zu größerer sachlicher Klarheit sein – kein menschliches Gedankensystem wird je so vollkommen sein, daß wir dessen nicht mehr bedürften –, sondern auch der Weg zu lebendiger Fühlungnahme mit den Geistern der Vergangenheit und zu der Einsicht, daß es über alle Zeiten und Schranken der Völker und der Schulen hinweg etwas gibt, was allen gemeinsam ist, die ehrlich nach der Wahrheit suchen. Wenn dieser Versuch etwas dazu beiträgt, den Mut zu solchem lebendigen philosophischen und theologischen Denken zu wecken, so ist er nicht umsonst gewesen.

Vielleicht wird von mancher Seite gefragt werden, in welchem Verhältnis dieses Buch zu der »Analogia entis« von Pater Erich Przywara S.J. stehe. Es handelt sich ja hier und dort um dieselbe Sache, und P. E. Przywara hat in seinem Vorwort darauf hingewiesen, daß die ersten Bemühungen der Verfasserin um eine Auseinandersetzung zwischen Thomas und Husserl für ihn von Bedeutung gewesen sind. Die erste Fassung ihres Buches und die endgültige Fassung der »Analogia entis« sind etwa gleichzeitig geschrieben, aber sie durfte die früheren Entwürfe der »Analogia entis« einsehen und hat überhaupt in den Jahren 1925–1931 in lebhaftem Gedankenaustausch mit P. E. Przywara gestanden. Dieser Austausch hat wohl auf seine wie auf ihre Fragestellung bestimmend eingewirkt. (Für sie bedeutete er darüber hinaus eine starke Anregung zur Wiederaufnahme der philosophischen Arbeit). Sachlich ist der erschienene I. Band der »Analogia entis« eine methodisch-kritische Vorerwägung zur Behandlung der Fragen, die in diesem Buch in Angriff genommen wurden und die P. E. Przywara für seinen zweiten Band vorgesehen hat (Bewußtsein – Sein – Welt). Eine gewisse Überschneidung liegt aber doch vor, da auf der einen Seite die Analogie als das Grundgesetz aufgewiesen wird, das alles Seiende beherrscht und darum auch für das Verfahren maßgebend sein muß, auf der andern Seite die sachliche Untersuchung des Seienden auf den Sinn des Seins hin zur Aufdeckung desselben Grundgesetzes führt. Die Untersuchungen, die hier durchgeführt sind, umfassen nicht die ganze Breite der Fragestellung, wie sie in »Analogia entis I« entwickelt ist. Das Bewußtsein ist als Zugangsweg zum Seienden und als eine besondere Gattung des Seins behandelt, aber es wird nicht durchgehend die Wechselbezogenheit von Bewußtsein und gegenständlicher Welt zugrunde gelegt, und es werden nicht die Bewußtseinsgestaltungen untersucht, die dem Aufbau der gegenständlichen Welt entsprechen. Ebenso wurde das Gedankliche nur als eine Gattung des Seienden hereingezogen und die Wechselbezogenheit von Seiendem und begrifflicher Fassung nur gelegentlich erwogen, aber nicht als eigentliches Thema umfassend behandelt. Das geschah in bewußter Selbstbeschränkung: was hier versucht wird, ist der Grundriß einer Seinslehre, kein System der Philosophie. Daß die Seinslehre für sich allein in Angriff genommen wurde, das setzt freilich eine Auffassung ihres Verhältnisses zur Lehre von den konstituierenden Bewußtseinsgestaltungen und zur Logik voraus, die nur in einer durchgeführten Erkenntnis- und Wissenschaftslehre zureichend begründet werden könnte.

Wenn man das Verfahren, das in diesem Buch tatsächlich eingeschlagen ist, mit dem in »Analogia entis I« geforderten vergleicht, so tritt darin sicher das »innergeschichtliche« Denken zurück gegenüber dem Streben nach »übergeschichtlicher Wahrheit«. Es findet sich aber für den Weg, den die Verfasserin gewählt hat, eine Rechtfertigung in dem, was P. E. Pryzwara als »kreatürliches Denken« bezeichnet: verschiedene Geistesart bedingt auch eine Verschiedenheit des wissenschaftlichen Verfahrens, und aus der wechselseitigen Ergänzung der Beiträge, die verschiedene Geister auf Grund ihrer einseitigen Begabung leisten können, ergibt sich der Fortschritt in der Annäherung an die »übergeschichtliche Wahrheit«. Zu diesen natürlich bedingten Einseitigkeiten gehört es, daß es für einen Denker der gewiesene Weg ist, den Zugang zu den »Sachen« durch die begriffliche Fassung zu finden, die ihnen andere Geister bereits gegeben haben, – seine Stärke ist das »Verstehen« und das Aufdecken der geschichtlichen Zusammenhänge; ein anderer ist durch seine Geistesart zu unmittelbarer Sachforschung berufen und gelangt zum Verständnis fremder Geistesarbeit nur mit Hilfe dessen, was er sich selbst zu erarbeiten vermag, – diese Geister bedingen (als große Meister oder kleine Handlanger) die »Urgeschichte«, d. h. das Geschehen, dem alle Geistesgeschichte nachgeht. Die zweite Geistesart ist die aller geborenen Phänomenologen. Danach ist zu erwarten, daß der II. Band der »Analogia entis«, wenn er einmal erscheint, durch seine umfassende »Innergeschichtlichkeit« eine wesentliche Ergänzung zu den Untersuchungen dieses Buches bringen wird, wie sie der I. schon für gewisses Fragen bietet.

Grundsätzliche Übereinstimmung findet sich in der Auffassung des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf und auch des Verhältnisses von Philosophie und Theologie; zu dem zweiten wird allerdings an späterer Stelle noch etwas anzumerken sein. Gemeinsam ist ferner beiden Büchern eine Stellung gegenüber Aristoteles und Plato, die kein Entweder – Oder für sie anerkennt, sondern eine Lösung versucht, die beiden ihr Recht gibt, und ähnlich für den hl. Augustinus und den hl. Thomas.

Vielleicht wird angesichts mancher Ergebnisse dieses Buches die Frage auftauchen, warum sich die Verfasserin nicht statt an Aristoteles und Thomas an Plato, Augustinus und Duns Scotus angeschlossen habe. Darauf ist nur zu antworten, daß sie eben tatsächlich von Thomas und Aristoteles ausgegangen ist. Wenn die sachliche Erörterung zu gewissen Zielen geführt hat, die sie von einem andern Ausgangspunkt her vielleicht schneller und leichter hätte erreichen können, so ist das doch kein Grund, nachträglich den Weg zu verleugnen, den sie gegangen ist. Es kann wohl sein, daß gerade die Hindernisse und Schwierigkeiten, durch die sie sich auf diesem Wege hindurchkämpfen mußte, für andere von Nutzen sein mögen.

Schließlich ist noch ein Wort über das Verhältnis dieses Buches zu den bedeutsamsten Versuchen einer Grundlegung der Metaphysik zu sagen, die in unserer Zeit gemacht worden sind: zu Martin Heideggers Existenzphilosophie und ihrem Gegenbild, der Seinslehre, die uns in den Schriften von Hedwig Conrad-Martius entgegentritt. In der Zeit, als die Verfasserin Husserls Assistentin in Freiburg war {{1916–18}}, vollzog sich Heideggers Annäherung an die Phänomenologie. Das führte zu persönlicher Bekanntschaft und einer ersten sachlichen Fühlungnahme, die aber bald durch räumliche Trennung und Verschiedenheit der Lebenswege unterbrochen wurde. Heideggers »Sein und Zeit« hat die Verfasserin bald nach dem Erscheinen gelesen und davon einen starken Eindruck erhalten, ohne aber damals zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen zu können.

Erinnerungen, die von dieser um Jahre zurückliegenden ersten Beschäftigung mit Heideggers großem Werk zurückgeblieben waren, sind wohl gelegentlich bei der Arbeit an dem vorliegenden Buch aufgetaucht. Aber erst nach seinem Abschluß ergab sich das Bedürfnis, diese beiden so verschiedenen Bemühungen um den Sinn des Seins gegenüberzustellen. So ist der Anhang über Heideggers Existenzphilosophie entstanden.

Von Hedwig Conrad-Martius hat die Verfasserin durch nahes Zusammenleben in einer jetzt lange zurückliegenden, aber für beide entscheidenden Zeit richtunggebende Anregungen empfangen. Dem Einfluß ihrer Schriften wird man in diesem Buch wiederholt begegnen.

Allen, die zum Gelingen des Werkes beigetragen haben, spreche ich meinen herzlichen Dank aus.

Köln-Lindenthal, 1. September 1936 Die Verfasserin

Edith Stein: Endliches und ewiges Sein

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