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IV. Wesen – essentia, οὐσία – Substanz, Form und Stoff § 1. »Wesen«, »Sein« und »Seiendes« nach »De ente et essentia«. Verschiedene Begriffe von »Sein« und »Gegenstand« (Sachverhalte, Privationen und Negationen, »Gegenstände« im engeren Sinn)

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Das Gebiet des wesenhaften Seins, das uns von phänomenologischer Seite her erschlossen wurde, ist ein Feld großer Untersuchungen, in die wir nur einen ersten Einblick gewonnen haben. Aber schon dieser erste Einblick mit den Unterscheidungen, die er uns zu machen gelehrt hat, fordert zu einer klärenden Gegenüberstellung mit der »Seins- und Wesenslehre« auf, die in der überlieferten »Metaphysik« enthalten ist. Wir erinnern uns an das opusculum »De ente et essentia«, das uns Potenz und Akt als Seinsweisen kennen lehrte. Wir haben »essentia« mit »Wesen« übersetzt und uns andererseits klargemacht, daß es die Übersetzung des aristotelischen Ausdrucks οὐσία sei. Daraus ergibt sich die Aufgabe, das, was wir unter »Wesen« verstanden, mit dem, was Thomas unter »essentia« und Aristoteles unter οὐσία versteht, zu vergleichen.

Das erste Kapitel von »De ente et essentia« ist der Klärung der Wortbedeutung von »ens« und »essentia« gewidmet. Aristoteles braucht den Ausdruck ὄν (= ens = Seiendes) in doppeltem Sinn. Daran knüpft der hl. Thomas hier an. »In einem Sinn ist es das, was durch die zehn Kategorien eingeteilt wird. Im andern das, was die Wahrheit von Sätzen bezeichnet. Der Unterschied zwischen beiden ist der, daß im zweiten Sinn seiend alles das genannt werden kann, worüber eine bejahende Aussage möglich ist, auch wenn dadurch nichts an sich Bestehendes (nihil in re) gesetzt wird: in diesem Sinn werden auch Mängel (privatio) und Verneinungen (negatio) seiend genannt; denn wir sagen, die Bejahung sei der Verneinung entgegengesetzt und die Blindheit sei im Auge. Aber im ersten Sinn kann nur etwas seiend genannt werden, womit etwas an sich Bestehendes gesetzt wird. In diesem ersten Sinn also ist Blindheit u. dgl. nichts Seiendes.« Thomas erörtert hier das »Seiende«, weil er das »Wesen« (essentia) als das Seiende bestimmen will. Der Sinn von »seiend«, den er ausschließend behandelt, ist aber noch ein doppelter. Er ist einmal das Sein, das in der sogenannten »Kopula«, im »ist« des Urteils ausgesprochen wird. Das wird hier als »Wahrheit von Sätzen« bezeichnet. »Die Rose ist rot« – »Die Rose ist nicht gelb«: das sind beides wahre Sätze. Beide geben einem erkannten Sachverhalt Ausdruck, und das »ist« ist die sprachliche Form, in die sich die Behauptung dieses Sachverhaltes kleidet. Das Bestehen des Sachverhaltes, das in dem »ist« des Urteils behauptet wird, ist wiederum ein eigentümliches Sein – eben jenes Sein, das den Sachverhalten zukommt. »Sachverhalte« sind Gebilde von eigentümlich gegliedertem Bau: sie haben »Gegenstände« in dem früher schon angedeuteten engeren Sinn des Wortes zur Voraussetzung; sie sind das, was (in einem bestimmten, eingeschränkten Sinn des Wortes »Erkennen«) erkannt, was im Urteil behauptet und (mit dem Urteil) im Satz ausgedrückt wird. Die eigentümliche Gliederung der Sachverhalte beruht darauf, daß in ihnen auseinandergefaltet wird, was in den zu Grunde liegenden Gegenständen beschlossen ist: Wesen und Sein zeigen sich hier in ihrer Getrenntheit und Zusammengehörigkeit zugleich, das Wesen entfaltet sich in seine Wesenszüge, es offenbart das aus ihm Folgende usw. Die Sachverhalte haben ihr Gegenspiel in einem Geist, dessen Erkennen sich in abgesetzten Denkschritten vollzieht, sie sind aber nicht als vom Geist »gebildet« anzusehen. »Gebildet« wird das Urteil, das sich dem Sachverhalt anmißt. Das Urteilen – wie alles Denken – ist in einem gewissen Sinne »frei«: es steht bei mir, ob ich urteilen will oder nicht. Aber ich darf dabei nicht willkürlich vorgehen, wenn ich »richtig« urteilen will. Der Aufbau der gegenständlichen Welt schreibt den Sachverhalten ihre Gliederung und dem schrittweise vorgehenden Denken seinen Weg vor. Demnach ist das Sein der Sachverhalte kein »bloßes Gedachtsein«, es hat ein »fundamentum in re«; aber weil es einer »Grundlage« bedarf, ist es ein abgeleitetes Sein. Die Sachverhalte sind darum nicht das Seiende, von dem unmittelbar ein Zugang zur »essentia« führt.

Der hl. Thomas hatte aber noch einen anderen Sinn von »Sein« im Auge, den er ausschließen wollte: das Sein, das auch noch den »Privationen« und »Negationen« zukommt. In dem Urteil: »Der Mann ist blind«, drückt das Wort »blind« etwas aus, was dem Mann fehlt. Statt der Fähigkeit zu sehen das Fehlen dieser Fähigkeit. So scheint es jedenfalls der hl. Thomas zu verstehen. Sachlich könnte man im Zweifel sein, ob »Blindheit« nichts weiter bedeute als Fehlen der Sehfähigkeit (z. B. wenn man daran denkt, dass »der Blinde« einen ganz eigenen Menschentypus darstellt). Aber davon dürfen wir hier absehen. Es kommt jetzt für uns darauf an, die eigene Seinsweise des »Mangels« zu erfassen, und es ist jedenfalls eine mögliche Deutung von »Blindheit«, sie als »Fehlen« der »Sehfähigkeit« zu verstehen. Die Sehfähigkeit ist etwas, was dem sehenden Menschen eigen ist, was ihm innewohnt, was in seinem Wesen begründet ist, etwas Wirkliches in ihm, was an seinem wirklichen Sein Anteil hat (Vorstufe zum wirklichen Sein – bloße »Potenz« –, sooft und solange er nicht wirklich [aktuell] sieht). Das Fehlen der Fähigkeit ist nichts Wirkliches im Menschen, obwohl sein Wesen dadurch, daß dieser Zug ihm fehlt, eigentümlich bestimmt ist. Ein Sein kommt der »Blindheit« jedenfalls zu: das Wort hat einen ganz bestimmten Sinn, und diesem Sinn ist das Sein eigen, das für allen Sinn überhaupt kennzeichnend ist. Aber ist die Blindheit dieses bestimmten Menschen nicht noch etwas darüber hinaus? Wenn ich mir einen blinden Menschen denke (in der Einbildungskraft), so ist die Blindheit wie der ganze Mensch »bloß gedacht«. Denke ich mir einen sehenden Menschen blind, so ist die Blindheit dem sehenden Menschen nur »zugedacht« und steht überdies im Widerspruch zu seiner wirklichen Beschaffenheit. Im Gegensatz zu diesen beiden Fällen hat es Sinn, von einer »wirklichen« Blindheit zu sprechen. Sie ist zwar nicht so »wirklich« wie die Sehfähigkeit: sie kann sich nicht in einem entsprechenden Tun (d. h. im Sehen) auswirken und darin ihre Seinsvollendung erreichen (ist keine »Potenz«, die sich »aktualisieren« kann). Aber sie hat eine Wirklichkeitsgrundlage (ihr fundamentum in re): die wirkliche Beschaffenheit des »Blinden« im Unterschied zur Beschaffenheit des »Normalsinnigen«.

»Mängel« gibt es nur im Bereich des wirklichen Seins, und zwar im Bereich des Werdens und Vergehens, nicht der höchsten Wirklichkeit. Nur wo Fähigkeiten vorhanden sind, die sich in einem Tun auswirken können, ist ein entsprechender »Ausfall« möglich. Was vollendet und wandellos ist, das läßt keinen »Mangel« zu. Dagegen sind Verneinungen auch bei »idealen Gegenständen« möglich. »Das Dreieck ist nicht gleichseitig« – darin hat das »nicht gleichseitig« einmal einen bestimmten Sinn; darüber hinaus hat es ein »fundamentum in re« in der tatsächlichen Bestimmtheit des Dreiecks, die diese ihm »zugedachte« ausschließt.

Das Sein der Sachverhalte, das der Privationen und das der Negationen ist ein jeweils verschiedenes und außerdem verschieden von dem bloßen Gedachtsein und von dem Sein des Sinnes als solchen. Aber diese drei Seinsweisen (der Sachverhalte, Privationen und Negationen) haben etwas Gemeinsames: das ist das »fundamentum in re«, das Vorhandensein einer Seinsgrundlage. Und auf jenes zu Grunde liegende Seiende zielt der hl. Thomas mit dem Seienden ab, das er dem ausschließend behandelten gegenüberstellt. Von ihm sagt er im Anschluß an Averroës: »Seiend im ersten Sinn wird genannt, was das Wesen eines Dinges bezeichnet.« Im andern Sinn aber »wird manches seiend genannt, was kein Wesen hat, wie es bei den Privationen offenbar ist«. Diese beiden Sätze sind wichtige Hinweise zum Verständnis dessen, was mit dem »Seienden« und mit dem »Wesen« gemeint ist. Können wir sie mit jenem früher angeführten »Hauptsatz vom Wesen« vereinbaren, daß jeder Gegenstand sein Wesen habe? Oder müßten wir nicht nach diesem Grundgesetz sagen, daß auch die Privationen und Negationen ihr Wesen hätten? Für die Beantwortung dieser Frage ist daran zu erinnern, daß Privationen und Negationen wohl Gegenstände im weitesten Sinne dessen, worüber etwas ausgesagt werden kann, sind, aber nicht Gegenstände im engeren Sinn, in dem sie selbst Gegenstände voraussetzen. Es ist ferner daran zu denken, daß auch der Ausdruck »Wesen« in verschiedenem Sinn gebraucht wird. Wenn man sagen wollte: Es gehört zum Wesen der Privation, daß sie nichts Wirkliches in den Dingen ist, so wäre »Wesen« nur ein anderer Ausdruck für »Sinn«. Und in diesem Sinn wäre eingeschlossen, daß das »Wesen der Privation« jedenfalls kein »wirkliches Wesen« sein kann. Schließlich ist zu beachten, daß der Sinn der Privation der Privation als solcher eigen ist, die einzelne Privation aber bestimmt sich als das, was sie ist, was ihren Sinn oder ihr »Wesen« ausmacht, von dem her, was in diesem Falle mangelt oder ausgefallen »ist«, von dem Seienden, das zur Privation im Gegensatz steht, und das ist etwas, was sein eigenes, wirkliches Wesen hat.

So wenden wir uns jetzt mit dem hl. Thomas dem Seienden zu, das – in seinem Sinn – ein »Wesen« hat, um zu verstehen, was er mit »Wesen« (essentia) meint. »… Weil … das Seiende in diesem Sinn durch die zehn Kategorien eingeteilt wird, muß das Wesen etwas allen Naturen, durch die die Mannigfaltigkeit des Seienden in verschiedene Gattungen und Arten eingeordnet wird (collocatur), Gemeinsames sein, wie das Menschsein das Wesen des Menschen ist: und so bei anderen.« Durch diesen Satz haben wir uns aber in das Netz der aristotelischen Begriffe einfangen lassen und können nicht weiter im Verständnis, ehe wir über diese Begriffe ausreichende Klarheit haben. »Kategorien«, »Naturen«, »Gattungen« und »Arten« sollen uns begreiflich machen, was mit Wesen gemeint ist. Das können sie nur, wenn uns der Sinn dieser Ausdrücke vertraut ist.

Edith Stein: Endliches und ewiges Sein

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