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III. Wesenhaftes und wirkliches Sein § 1. Zeitlichkeit, Endlichkeit, Unendlichkeit, Ewigkeit
ОглавлениеMit dem Gegensatz von aktuellem und potenziellem Sein – als Seinshöhe und Vorstufe zur Höhe verstanden – haben sich uns noch andere Seinsunterschiede enthüllt. Was zugleich aktuell und potenziell (in diesem Sinn) ist, das bedarf zum Übergang vom einen zum andern der Zeit. Aktuell-potenzielles Sein ist zeitliches Sein. Zeitliches Sein ist Existenzbewegung: immer neues Aufleuchten von Aktualität. Das Seiende, das zeitlich ist, besitzt sein Sein nicht, sondern wird immer aufs Neue damit beschenkt. Damit ist die Möglichkeit des Anfangens und Aufhörens in der Zeit gegeben. Hierdurch ist ein Sinn von Endlichkeit umschrieben: das, was sein Sein nicht besitzt, sondern der Zeit bedarf, um zum Sein zu gelangen, wäre danach das Endliche. Wenn es tatsächlich ohne Ende im Sein erhalten würde, wäre es damit noch nicht im echten Sinne des Wortes unendlich. Wahrhaft unendlich ist, was nicht enden kann, weil es nicht mit dem Sein beschenkt wird, sondern im Besitz des Seins ist, Herr des Seins, ja das Sein selbst. Wir nennen es das ewige Sein. Es bedarf der Zeit nicht, sondern ist auch Herr der Zeit. Zeitliches Sein ist endlich. Ewiges Sein ist unendlich. Aber Endlichkeit besagt mehr als Zeitlichkeit, und Ewigkeit besagt mehr als Unmöglichkeit des Endens in der Zeit. Was endlich ist, bedarf der Zeit, um das zu werden, was es ist. Und das ist ein sachlich Begrenztes: was ins Sein gesetzt wird, das wird als etwas ins Sein gesetzt: als etwas, das nicht nichts, aber auch nicht alles ist. Und das ist der andere Sinn von Endlichkeit: etwas und nicht alles sein. Entsprechend besagt Ewigkeit als Vollbesitz des Seins: nichts nicht sein, d. h. alles sein.
Wenn Zeitlichkeit als solche an Endlichkeit als sachliche Begrenztheit gebunden ist, so ist damit noch nicht gesagt, daß das, was sachlich begrenzt ist, auch notwendig zeitlich sein müsse. Um das Verhältnis von Zeitlichkeit und Endlichkeit zu klären, wird es dringlich, außer dem Sein das, was ist, ins Auge zu fassen – zunächst innerhalb des Bereichs, auf den wir die Untersuchung vorläufig beschränkt haben. Damit kehren wir zu einer Frage zurück, die schon angeschnitten, aber nicht gelöst wurde: die »Erlebniseinheiten« erschienen uns als etwas, was sich im fließenden, zeitlichen Sein des Ich aufbaut und damit zu einem »Ganzen« wird und als solches bewahrt wird, obwohl es keine Möglichkeit hat, in der Zeit »zu stehen und zu bleiben«. Diese merkwürdigen Verhältnisse bedürfen weiterer Klärung.