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§ 3. Wesenheit, Begriff und Wesen

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Es wurde gesagt: Wesenheiten lassen sich nicht definieren. Was Freude ist, kann mir niemand begreiflich machen, wenn ich nicht selbst Freude erlebt habe. Habe ich aber Freude erlebt, dann verstehe ich auch, was »Freude überhaupt« ist. Indessen – finden wir nicht in den Lehrbüchern der Psychologie Definitionen der Freude? Und hat uns nicht der hl. Thomas eine sorgfältig ausgearbeitete »Affektenlehre« mit scharfen Begriffsbestimmungen und Einteilungen, Über- und Unterordnungen gegeben? Die Freude wird dort bestimmt als eine »Passion« des »Begehrungsvermögens«; durch ihren Gegenstand unterscheidet sich »die Freude, die einem Gut, von der Trauer, die einem Übel gilt«. Sie entspricht ferner einer bestimmten Stufe im Fortgang der Strebensbewegung: »der Genuß … geht zuerst eine gewisse Verbindung mit dem Strebenden ein, sofern er als ein ihm Gleiches oder Angemessenes aufgefaßt wird: und daraus ergibt sich die Passion der Liebe (amor), die nichts anderes ist als ein Geformtwerden des Strebens durch den Gegenstand des Strebens selbst; darum heißt die Liebe eine Vereinigung des Liebenden mit dem Geliebten. Das aber, was so in gewisser Weise verbunden ist, wird weiterhin begehrt …, damit die Verbindung realiter vollzogen werde, so daß der Liebende das Geliebte genießen könne; und so entsteht die Passion des Verlangens: hat man es aber wirklich erlangt, so erzeugt es die Freude. So ist also das erste in der Bewegung des Begehrens die Liebe, das Zweite das Verlangen, das Letzte die Freude …« Die Freude im engeren Sinne (laetitia) wird von einer Reihe ihr nahe verwandter Gemütszustände abgegrenzt: »… die einen besagen einen hohen Grad der Freude: diese Hochspannung aber ist entweder zu finden im Hinblick auf eine innere Verfassung (dispositio), und dann ist sie Freude, die eine innere Ausweitung des Herzens bedeutet; sie heißt nämlich »laetitia« gleichsam als »latitia«; oder im Hinblick darauf, daß die Hochspannung der inneren Fröhlichkeit (gaudium) sich in äußeren Zeichen Luft macht – dann ist es Frohlocken (exultatio); es heißt nämlich »exultatio«, sofern die innere Fröhlichkeit gewissermaßen nach außen hinausspringt (exterius exilit); dies Hinausspringen ist zu bemerken als eine Veränderung der Miene, worin – wegen ihres nahen Zusammenhanges mit der Einbildungskraft – zuerst die Anzeichen der Gemütsverfassung hervortreten, und dann ist es Heiterkeit (hilaritas); oder sofern man infolge der hochgespannten Fröhlichkeit auch zu Worten und Taten geneigt ist …, und dann ist es Aufgeräumtheit (iucunditas).«

Alles das sind sicherlich richtige, klärende und verdeutlichende Feststellungen; sie weisen der Freude ihre Stelle im Seelenleben zu, sie lehren sie von anderm unterscheiden, was mit ihr verwandt oder ihr entgegengesetzt ist, zeigen, unter welchen Bedingungen sie entsteht, welches ihre Begleiterscheinungen und Folgen sind, und schaffen damit eine wertvolle Grundlage für ihre richtige Einschätzung und praktische Behandlung. Aber gelten sie von der Wesenheit Freude? Zweifellos nicht. Die Wesenheit Freude ist kein seelischer Zustand, sie hat keine Grade, gibt sich nicht in leiblichen Ausdruckserscheinungen kund und treibt nicht zu Worten und Taten an. Man könnte sich fragen, ob es nicht zutreffe, daß sie auf das Gute bezogen und überhaupt auf einen Gegenstand gerichtet sei. Aber auch das wird man verneinen müssen. Es gilt von jeder Freude, aber nicht von der Wesenheit Freude. Es ist nicht das, was die Freude zur Freude macht. Also die Begriffsbestimmung, in die sich die Ausführungen des hl. Thomas zusammenfassen lassen, ist nicht die Bestimmung der Wesenheit. Sie kann es schon darum nicht sein, weil für das Verständnis all dieser Ausführungen bereits vorausgesetzt ist, daß man weiß, was Freude ist.

Was wird denn nun durch den Begriff bestimmt? Nicht die Wesenheit, aber auch nicht die einzelne erlebte Freude, jedenfalls nicht eine allein. Jede Freude ist auf etwas Gutes bezogen, jede hat eine bestimmte »Höhe«, jede drängt nach einem Ausdruck. Aber diese Freude ist auf dieses Gut bezogen und jene auf jenes. Die eine hat einen höheren, die andere einen minderen Grad. Der Begriff faßt zusammen, was aller Freude gemeinsam ist (sofern es bei der Bildung des Begriffes darauf abgesehen ist, alles zu erfassen, was Freude ist; an sich können Begriffe ja auch weniger allgemein, ja sogar auf ein Einzelding eingeschränkt sein). Für gewisse Zwecke kann es genügen, dabei nur einige Merkmale »herauszugreifen«, die es ermöglichen, alles, was Freude ist, gegenüber allem andern abzugrenzen. Will man aber auf die Frage antworten: Was ist die Freude? – und will man nicht nur irgendeine richtige Antwort geben (z. B.: »… ein Erlebnis«, oder: »… eine Gemütsbewegung«), sondern die sachlich erschöpfende Auskunft, die »Wesensdefinition«, so wird der Begriff alles enthalten müssen, was zum Wesen der Freude gehört. Dabei ist mit Wesen etwas bezeichnet, was weder mit der Wesenheit noch mit dem Begriff zusammenfällt.

Hering hat folgenden »Hauptsatz vom Wesen« aufgestellt: »Jeder Gegenstand (welches seine Seinsart auch sein möge) hat ein und nur ein Wesen, welches als sein Wesen die Fülle der ihn konstituierenden Eigenart ausmacht. – Umgekehrt gilt – und dies besagt etwas Neues: Jedes Wesen ist seinem Wesen nach Wesen von etwas, und zwar Wesen von diesem und keinem andern Etwas.« Das Wesen ist also die »den Gegenstand ausmachende Eigenart«, »sein Bestand an wesentlichen Prädikabilien«. Hering bezeichnet es auch als Sosein (ποῖον εἶναι). Daß es Wesen von etwas ist, Eigenart eines Gegenstandes, kennzeichnet es als etwas Unselbständiges. Es ist das, wodurch das Was des Gegenstandes bestimmt ist (τὸ τί ἦν εἶναι). Darum ist ein »wesen-loser« Gegenstand undenkbar. Es wäre kein Gegenstand mehr, sondern nur noch die leere Form eines solchen.

In dem Rahmen, in dem wir unsere ersten Untersuchungen anstellten, dem Bereiche des Ichlebens, konnten wir es bisher vermeiden, von »Gegenständen« zu sprechen. Jetzt, da dieser Rahmen überschritten ist – wenn wir auch in diesem Bereich auf »Wesen« und »Wesenheiten« gestoßen sind, so ist doch schon jetzt deutlich, daß es so etwas nicht nur in diesem Bereich gibt, sondern im Bereich alles Seienden –, ist das nicht mehr möglich. »Gegenstand« kann einmal als das genommen werden, was dem erkennenden Geist entgegen- oder gegenübersteht. Dann ist es gleichbedeutend mit Etwas überhaupt: alles, was nicht nichts ist, was darum erkannt und wovon etwas ausgesagt werden kann. In diesem Sinn gibt es »selbständige« und »unselbständige« Gegenstände. So verstanden sind also auch »Erlebnis«, »Freude«, »Wesen« und »Wesenheiten« Gegenstände. Es kann aber auch bei Gegenstand vornehmlich an das Stehen und zwar an das gegen andere abgesonderte Stehen gedacht werden, an Selbständigkeit und Eigen-ständigkeit. Dann ist nicht jedes Etwas Gegenstand, sondern nur das, was in sich selbst Bestand hat, ein Sein in sich. In diesem Sinn sind »Dinge« und »Personen« Gegenstände, in gewisser Weise auch Zahlen und Begriffe; Eigenschaften und Erlebnisse aber sind keine, und auch Wesen nicht.

Wenn es im »Hauptsatz vom Wesen« hieß, daß jeder Gegenstand ein Wesen habe, so waren nicht nur Gegenstände im engeren Sinne des Wortes gemeint. Auch Eigenschaften und Erlebnisse haben ein Wesen, ja es muß auch vom Wesen des Wesens gesprochen werden. Jedes Ding hat sein Wesen. Ist es ein Einzelding (Individuum) – dieser Mensch oder diese meine Freude –, so ist auch sein Wesen ein Individuum. »Zwei völlig gleiche (individuelle) Objekte haben zwei völlig gleiche Wesen aber nicht identisch dasselbe; von zwei gleichen Blumen, zwei kongruenten Dreiecken hat eben jedes sein Wesen«. Zum Wesen dieses Menschen gehört es, daß er leicht aufbraust und leicht wieder versöhnt ist, daß er die Musik liebt und gern Menschen um sich sieht. Es gehört nicht zu seinem Wesen, daß er eben jetzt über die Straße geht und daß er vom Regen überrascht wird. Auch vom Wesen des Menschen kann und muß gesprochen werden. Zum Wesen des Menschen gehört es, daß er Leib und Seele hat, vernunftbegabt und frei ist. Es gehört nicht zu seinem Wesen, daß er weiße Haut oder blaue Augen hat, daß er in einer Großstadt geboren wird, an einem Kriege teilnimmt oder an einer ansteckenden Krankheit stirbt. Das Wesen umfaßt also nicht alles, was von einem Gegenstand ausgesagt werden kann. Es gibt »wesentliche« und »unwesentliche Eigenschaften«; und zu dem, was und wie er ist, kommt das, was mit ihm geschieht: sein Schicksal, d. i. sein Tun und Leiden (ποιεῖν καὶ πάσχειν), seine Beziehung zu anderen, seine Raum- und Zeitbestimmtheit. Nur was auf die Fragen: was ist der Gegenstand? und wie ist er? antwortet (und nicht all das, sondern nur ein Teil davon), gehört zum Wesen. Andererseits ist nicht alles, was nicht zum Wesen gehört, »zufällig«, sondern manches ist im Wesen begründet. (Der Sinn des »Zufälligen« bestimmt sich als »nicht im Wesen begründet«.) Daß Napoleon den Feldzug nach Rußland unternahm, gehört nicht zu seinem Wesen, aber es ist in seinem Wesen begründet. Unter dem, was im Wesen gründet, ist manches – aber wiederum nicht alles –, was notwendig daraus folgt. So ist jenes Unternehmen Napoleons in seinem Wesen als möglich vorgezeichnet, es ist daraus verständlich, aber wir können es nicht als notwendig daraus folgend bezeichnen: es ist nicht undenkbar, daß er sich anders entschlossen hätte. Dagegen folgt aus dem Wesen des Quadrats notwendig, daß sein Flächeninhalt größer ist als das eines gleichseitigen Dreiecks von gleicher Seitenlänge. Es ist unmöglich, daß es anders wäre. Es folgt aus seinem Wesen und gehört nicht dazu, weil zu seinem Wesen überhaupt keine Beziehung zu einem andern Gegenstand gehört. Dagegen gehört es zu seinem Wesen, daß es vier gleiche Seiten hat.

Das sind nur einige andeutende und unzureichende Aussagen über das Wesen, aber sie genügen, um seine Verschiedenheit vom Begriff und von der Wesenheit zu erkennen. Der Begriff wird gebildet, um den Gegenstand zu bestimmen. Das Wesen wird am Gegenstand aufgefunden. Es ist unserer Willkür gänzlich entzogen. Das Wesen gehört zum Gegenstand, der Begriff ist ein von ihm getrenntes Gebilde, das auf ihn »bezogen« ist, ihn »meint«. Die Begriffsbildung hat die Wesenserfassung zur Voraussetzung. Sie schöpft daraus.

Auch von der Wesenheit ist das Wesen dadurch unterschieden, daß es zum Gegenstand gehört, während die Wesenheit im Verhältnis zum Gegenstand etwas Selbständiges ist. Wir sprechen von der »Wesenheit Freude«, aber vom »Wesen der Freude«. Das Wesen zeigt einen Aufbau aus Wesenszügen, die sich am Wesen zur Abhebung bringen und begrifflich fassen lassen. Das Wesen ist das, was begrifflich faßbar und wodurch der Gegenstand faßbar und bestimmbar wird.

Edith Stein: Endliches und ewiges Sein

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