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§ 4. Das Wesen und sein Gegenstand; Wesen, »volles Was und Wesenswas« Wesensveränderung und Wesenswandel
ОглавлениеUm über die Seinsweise des Wesens etwas sagen zu können, müssen wir das Verhältnis des Wesens zum Gegenstand, dessen Wesen es ist, noch näher betrachten. Wir können vom Wesen dieser meiner Freude sprechen und vom Wesen der Freude. Das sind verschiedene Gegenstände und verschiedene Wesen. »Diese meine Freude« ist mein gegenwärtiges Erlebnis, etwas Einmaliges, zeitlich Festgelegtes und Begrenztes, mir und keinem anderen Zugehöriges. Wenn sie vorüber ist und wenn ich sie mir wieder »vergegenwärtige«, so ist diese Vergegenwärtigung nicht dasselbe wie das, was ich jetzt erlebe, sondern ein neues Erlebnis, wenn auch mit einem beiden gemeinsamen Gehalt. Eben dieser gemeinsame Gehalt – vorausgesetzt, daß nichts von dem gegenwärtig Erlebten verloren gegangen ist, daß ich Zug um Zug in der Erinnerung das Vergangene wiederaufleben lassen kann, was natürlich ein idealer Grenzfall ist – ist das volle Was dieser meiner Freude, während das »Gegenwärtigsein« oder »Vergangensein« ihre Seinsweisen sind. Zu diesem vollen Was gehört, daß sie Freude an der eben erhaltenen Nachricht ist, daß sie lebhaft ist, daß sie lange anhält. Es gehört nicht dazu, daß ich gleichzeitig ein Geräusch von der Straße höre. Es gehört auch nicht dazu, aber es folgt daraus, daß ich nun »vor Freude« nicht mehr so gut arbeiten kann wie vorher. Vor allem gehört natürlich dazu, daß es Freude ist, eine Verwirklichung der Wesenheit Freude. Fällt das »volle Was« mit dem Wesen dieser meiner Freude zusammen? Das können wir nicht sagen. Vielmehr ist hier noch eine doppelte Unterscheidung zu treffen: 1. Wenn wir Wesen als ποῖον εἶναι oder τί εἶναι fassen, so ist es nicht das Was, sondern das Wassein (bzw. Sosein) oder die Wasbestimmtheit. 2. Zum vollen Wassein (in das wir alles ποῖον εἶναι eingeschlossen denken) gehört auch, wie groß die Freude ist. Aber die Freude kann wachsen, sie kann stärker, reicher und tiefer werden und ist doch noch »diese meine Freude«, dieselbe wie vorher – anders, aber keine andere geworden. Das volle Wassein ist ein anderes, aber das Wesen nicht. Zum Wesen des Gegenstandes gehört alles das und nur das, was erhalten bleiben muß, damit es noch »dieser Gegenstand« bleibt. Natürlich ist diese meine Freude nicht mehr vorhanden, wenn ich keine Freude mehr spüre. Wenn ich die Nachricht einem andern Menschen mitteile und wenn er dann von einer gleichen Freude erfüllt wird, so ist das eine andere als meine. Es gehört also auch zum Wesen dieser Freude, wessen Freude es ist. Und – wie schon früher gesagt wurde – es bleibt nicht dieselbe, wenn es nicht mehr Freude am selben Gegenstand ist. Der Unterschied zwischen dem vollen Wassein und dem Wesen besteht nur dort, wo ein Gegenstand, dessen Sein sich »über eine Dauer erstreckt« – d. h. der Zeit braucht, um fortlaufend zum Sein zu gelangen –, während dieser Dauer Veränderungen unterliegt. Das gilt für alle Gegenstände, deren Sein ein »Werden und Vergehen ist«. Dahin gehören – wie wir schon festgestellt haben – alle Erlebniseinheiten, es gehört dazu aber auch die gesamte Welt der sinnenfälligen Dinge, die Natur. Er besteht nicht bei Zahlen, bei reinen geometrischen Gebilden, bei reinen Farben und Tönen, bei all dem, was man – im Gegensatz zu den »realen« – als »ideale« Gegenstände bezeichnet. Bei ihnen fallen Wassein und Wesen zusammen. In der Welt des Werdens und Vergehens aber ist in dem, was ein Gegenstand jeweils ist, ein fester und ein wechselnder Bestand zu unterscheiden. Der feste Bestand ist das, was wir als das Wesenswas bezeichnen können. Damit ist nicht gesagt, daß das Wesen selbst jeglichem Wandel entzogen sei. Bei einem Menschen sehen wir den »Charakter« als das Bleibende und Feste an, woran wir uns zu halten haben und was uns den Schlüssel zum Verständnis seines wechselnden Erscheinens und Gehabens gibt. Es kommt aber vor, daß so ein Schlüssel plötzlich versagt, nachdem er sich lange Zeit bewährt hat. Der Mensch erscheint uns »wie ausgewechselt«. Es ist keineswegs gesagt, daß wir uns bisher in ihm getäuscht haben. Er kann wirklich »umgewandelt« sein, und sobald wir den neuen Schlüssel entdeckt haben, finden wir uns wieder zurecht. Der Mensch ist noch derselbe, das Wesen aber ist – »verändert« oder »ein anderes«? Das ist nun die Frage. In der Tat scheint mir beides möglich. Von »Veränderung« des Wesens wird man sprechen, wenn nacheinander einzelne Züge des Wesensbildes sich wandeln und so allmählich ein verändertes Gesamtbild entsteht, wie es bei der Entwicklung des Kindes zum Jüngling und des Jünglings zum Mann der Fall ist. Es bleibt dann doch in dem veränderten Gesamtbild ein Grundbestand des früheren. Und das kann auch bei plötzlichen »Bekehrungen«, bei der »Umwandlung des Saulus in einen Paulus«, der Fall sein. Der Eiferer für das mosaische Gesetz ist ja in dem »Gefesselten Jesu Christi« (Eph 3, 1), der im Dienst des Evangeliums sich völlig aufzehrt, noch deutlich wiederzuerkennen, wenn auch die unerbittliche Härte des Kämpfers einer sich selbst verschwendenden Güte gewichen ist und die Starrheit der Gesetzestreue der leichtbeweglichen Lenkbarkeit gegenüber dem leisen Hauch des Heiligen Geistes. Dagegen sind aber auch Fälle möglich, wo kein Bleibendes im Wechsel mehr festzustellen ist. Dann ist es angemessen zu sagen, daß das Wesen »ein anderes«, nicht »verändert« sei. Wenn trotzdem der Mensch noch als »derselbe« anzusprechen ist, so liegt das daran, daß vom Wesen noch sein »Träger« zu unterscheiden ist, dem erst das eine und dann das andere Wesenswas zukommen kann. Wo das Wesen nicht »verändert«, sondern »ein anderes« geworden ist, wollen wir nicht von »Veränderung«, sondern von »Wandel« und »Verwandlung« (Wandel des Wesens – Verwandlung des Gegenstandes) sprechen.
Veränderung und Wandel des Wesens kommt natürlich nur bei veränderlichen Gegenständen in Betracht. Zahlen, reine Farben, reine Töne haben immer dasselbe, unveränderte Wesen.