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§ 5. Einzelwesen und allgemeines Wesen
ОглавлениеDiese Verschiedenheiten von Was und Wesen weisen darauf hin, daß auch die entsprechende Seinsweise keine einheitliche sein wird. Aber vor der Prüfung dieser Frage wird es gut sein, neben dem Wesen der Einzeldinge noch das in ihnen verwirklichte »Allgemeine« zu prüfen. Es wurde gesagt: das Wesen »dieser meiner Freude« sei ein anderes als das Wesen der Freude. Zum Wesen der Freude gehört es, daß sie Freude ist (also die Wesenheit Freude darin verkörpert), daß sie Freude an einem Gegenstande oder über einen Gegenstand ist (aber ohne Festlegung auf diesen oder jenen), daß sie das Erlebnis eines seelischen Wesens ist (aber nicht meine oder die eines bestimmten andern). Wir könnten hier auch die früher angeführten Darlegungen des hl. Thomas über die Freude heranziehen. Das Wesen der Freude ist in »dieser meiner Freude« und in jedem einzelnen Erlebnis der Freude verwirklicht und nur in den einzelnen Erlebnissen verwirklicht. Denn was bedeutet der Ausdruck: »die Freude«? Es gibt nicht neben den einzelnen Erlebnissen der Freude eine »allgemeine Freude«, die wie ein Einzelding ihren Platz in der wirklichen Welt – in diesem Fall im Erlebniszusammenhang eines bestimmten seelischen Wesens – hätte. Dennoch sind Aussagen über »die Freude« möglich, die nicht auf ein einzelnes Erlebnis der Freude bezogen sind. »Die Freude erhöht die Lebenskraft.« »Die Freude kann tief oder oberflächlich sein.« Die einzelne Freude ist entweder tief oder oberflächlich; d. h. ich kann im Zweifel sein, ob sie so oder so beschaffen ist, aber an sich selbst steht es fest, wie sie ist. Die Freude aber ist »tief oder oberflächlich«; für sie gibt es keine Entscheidung, ob sie so oder so ist. Es ist sogar sprachlich möglich zu sagen: »Die Freude kann tief und oberflächlich sein.« Auf die einzelne Freude bezogen wäre das ein Widersinn. Es bestehen aber zwischen den Sätzen über die »allgemeine Freude« und denen über die »einzelne Freude« Zusammenhänge. Weil die Freude »tief und oberflächlich« sein kann, besteht für die einzelne Freude die Möglichkeit, entweder tief oder oberflächlich zu sein. Wäre die Freude als solche tief, dann käme auch für die einzelne keine andere Möglichkeit in Betracht. Es wird also, so oft über die Freude etwas gesagt wird, zugleich etwas über die einzelne Freude gesagt. Ist dann vielleicht in dem Ausdruck »die Freude« »alles, was Freude ist«, zusammengefaßt? In manchen Zusammenhängen läßt sich in der Tat eins für das andere einsetzen, z. B.: »Alles, was Freude ist, erhöht die Lebenskraft«. Bei dem andern Satz – »Die Freude ist tief oder oberflächlich« – geht es nicht ohne weiteres. Man wird etwa umformen können: »Von allem, was Freude ist, ist ein Teil oberflächlich, ein Teil tief.« Die sprachlichen Gebilde und ihre Umformungsmöglichkeiten sind uns ein Hinweis auf die Zusammenhänge im Bereich des Seienden, das damit gemeint ist. Die Freude ist jedenfalls ein Name, mit dem alles genannt wird, was Freude ist, jedes wirkliche und mögliche Erlebnis der Freude. In verschiedenen Zusammenhängen bezeichnet er einmal das einzelne Freudenerlebnis (wenn ich sage: »Die Freude hat mich gesund gemacht«, so habe ich dabei nicht »die Freude im allgemeinen« im Auge, sondern eine ganz bestimmte Freude, an dieser Freude aber doch besonders, daß es Freude ist), ein andermal zusammenfassend alle möglichen und wirklichen Freudenerlebnisse; es kann auch etwas gemeint sein, was umfassender ist als eine einzelne Erlebniseinheit, aber doch nicht alles, was Freude ist, umfassend. (»In seinem Leben überwog die Freude den Schmerz«, d. i. alle Freude eines ganzen Menschenlebens.)
Sagt man nun: Wirklich ist also nur das Einzelne, das »Allgemeine« ist ein »bloßer Name«, so ist damit die Sache noch nicht erledigt. Es erhebt sich dann die Frage: Was ist denn ein Name? Es ist nicht der Wortlaut allein, sondern der Wortlaut (oder das »Zeichen«) mit dem ihm zugehörigen Sinn oder der Bedeutung. Das Wort meint einen Gegenstand, aber immer in einem bestimmten Sinn oder durch eine bestimmte Bedeutung. Derselbe Gegenstand kann unter sehr verschiedenen Bedeutungen gemeint sein. »Bonaparte«, »der Kaiser der Franzosen«, »der Sieger von Jena«, »der Gefangene von St. Helena« – der Gegenstand ist derselbe, aber die Bedeutungen alle verschieden. Es sind auch beim selben Wortlaut verschiedene Bedeutungen möglich und entsprechend verschiedene Gegenstände. Wenn ich das lateinische Wort »ora« höre, so kann ich es als den Ausdruck für »Gesicht« nehmen oder kann es in der Bedeutung »Küste« auffassen oder als die Befehlsform »bete!« Was im einzelnen Fall gemeint ist, kann ich nur durch den Zusammenhang herausbekommen. Auch der Name »die Freude« hatte in den verschiedenen Sätzen, die wir betrachteten, verschiedene Bedeutungen und bezog sich auf verschiedene Gegenstände. Es handelte sich aber nicht um einfache Zwei- oder Mehrdeutigkeit (»Äquivokation«), sondern in den verschiedenen Bedeutungen desselben Ausdrucks war ein gemeinsamer Sinnbestand. Derselbe Name kann einmal die bestimmte einzelne Freude bezeichnen und ein andermal alles, was Freude ist, weil hier wie dort eben »Freude« vorliegt, weil überall »dasselbe« erkannt ist. Die Gegenstände sind nicht dieselben und wir können uns ihrer Verschiedenheit auch durch genauere Ausdrücke anpassen, indem wir in einem Fall »diese meine Freude« und im andern »alles, was Freude ist« sagen. (Es mag auch Sprachen geben, die solche Unterschiede durch bloße Abwandlung der Wortform – etwa durch verschiedene Endungen – ausdrücken können.) Was den verschiedenen Ausdrücken gemeinsam bleibt, ist dann Ausdruck eines gemeinsamen Sinnbestandes, der etwas Gemeinsames an den Gegenständen selbst zur Abhebung bringt. Was ist nun das Gemeinsame, das wir mit dem Namen »Freude« nennen? Es drängt sich der Gedanke auf, daß es die Wesenheit Freude sein könnte. Von den Wesenheiten wurde ja früher gesagt, daß sie den letzten Sinn darstellten und das eigentlich Verständliche seien. So müssen wohl auch sie es sein, die letztlich den Worten ihren Sinn geben. In der Tat ist das, was letzter Grund aller Verständlichkeit ist, auch das, was Sprachverständnis und sprachliche Verständigung möglich macht. Das, was Namen eigentlich und letztlich zum Ausdruck bringen, sind Wesenheiten. Wenn wir aber nichts anderes sprachlich zum Ausdruck bringen wollten, dann bestünde unsere Sprache nur aus Eigennamen. Tatsächlich sprechen wir im gewöhnlichen Leben höchst selten von Wesenheiten. Die Gegenstände, vornehmlich die greifbaren Dinge, sind es, mit denen wir im Leben umgehen und von denen wir sprechen. Daß es so etwas wie Wesenheiten überhaupt gibt, das entdeckt nur der grübelnde Denker auf Wegen, die sich von der Einstellung des täglichen Lebens weit entfernen, und dann hat er die größte Mühe, andern begreiflich zu machen, was er meint. Und doch könnte auch der reine Praktiker von den Dingen, mit denen er umgeht, nicht reden, wenn es keine Wesenheiten gäbe. Man wirft dem Nebenmenschen »Selbstsucht« vor, denkt dabei wohl daran, daß er in ungeordneter Weise auf sich »selbst« bedacht ist. Aber wer denkt daran, daß »Sucht« eigentlich »Krankheit« bedeutet und welche Auffassung des Lasters in diesem Namen ausgesprochen ist? Wer denkt daran, wenn er vom Fronleichnamsfest spricht, daß »frôn leichnam« »des Herren Leib« bedeutet? So ist unsere Sprache – und jede menschliche Sprache – durchsetzt mit Ausdrücken, die alle etwas Bestimmtes meinen, eine allgemein verständliche Bedeutung haben, aber diese Bedeutung ist nicht die ursprüngliche und nicht die eigentlich durch das Wort ausgedrückte. Nur wer mit der Geschichte der Sprache vertraut ist, kennt die ursprünglichen und eigentlichen Bedeutungen. »Ursprünglich« und »eigentlich ausgedrückt« besagt dabei nicht dasselbe. Daß die Worte heute nicht mehr ihre Bedeutung haben, ist auf den geschichtlichen Vorgang des Bedeutungswandels in seinen verschiedenen Formen zurückzuführen. Aber auch die Worte in ihrer ursprünglichen Bedeutung meinen gewöhnlich mehr als sie eigentlich ausdrücken. Wir nennen Einzeldinge mit allgemeinen Namen, viele Dinge mit einem Namen. Keine Sprache ist so reich, daß sie für jedes Ding einen Eigennamen hätte. Und selbst wenn wir ein Ding mit einem Eigennamen nennen, ist er arm im Verhältnis zur Fülle des Gegenstandes, der dadurch bezeichnet wird und der doch mit seiner Fülle gemeint ist. Die Goten nannten ihren König mit dem Namen Dietrich (thiuda-reiks); damit wurde er als Volksherrscher bezeichnet. Wir können dabei an den Ersten denken, der diesen Namen trug; wir können annehmen, daß der Name noch in seinem ursprünglichen Sinn verstanden und nur für diesen einen Menschen gebraucht wurde: wenn man ihn nannte, so meinte man aber doch den ganzen Menschen, nicht nur den Mann in seiner Herrscherstellung oder mit dem Wesenszug, durch den er zu dieser Stellung berufen war, sondern mit seinem ganzen Wesen. Und darauf zielte diese ganze sprachliche Betrachtung ab: unsere Worte sind keine Wesensnamen, erst recht kein Ausdruck des vollen Was. Sie bezeichnen ein Ganzes, das eine Mannigfaltigkeit von Wesenszügen und außerwesentlichen Zügen in sich schließt, durch einen einzigen Zug, manchmal durch einige Züge, bestenfalls durch Wesenszüge, oft auch durch außerwesentliche »Kennzeichen«. Der Name steht uns für das Ganze, und meist kommt uns gar nicht mehr zum Bewußtsein, was er eigentlich ausdrückt. Unsere Sprache ist so unvollkommen, weil unsere Wesenserkenntnis so unvollkommen ist. Unsere einfachen Namen können nur etwas Einfaches ausdrücken. Einfach aber sind nur die letzten Wesenheiten. Ohne sie als Wesenheiten zu erkennen, wissen wir um sie und bedienen uns ihrer, wenn wir Dinge erkennen und benennen; beides wäre ohne sie unmöglich. Wir wissen schon, daß das Sein der Wesenheiten ein anderes ist als das Sein im Bereich des Werdens und Vergehens. Sie sind nichts »Wirkliches«, aber das Wirkliche wäre nicht – es wäre weder wirklich noch möglich –, wenn sie nicht wären. Es hat Anteil an ihnen, dadurch daß es ein Wesen hat. Jedes Wesenswas (vom Grenzfall des völlig einfachen Wesens abgesehen, das nur Eines sein kann und in dem Was und Wesenheit zusammenfallen) baut sich aus Wesenszügen auf. Die Wesenszüge aber bilden Wesenheiten nach. Wir dürfen nicht sagen, die Wesenszüge seien Wesenheiten. Denn die Wesenheiten sind je eine. Der Wesenszüge aber, die sie nachbilden, kann es viele geben. Die Wesenheit Röte ist in der roten Farbe jedes roten Gegenstandes nachgebildet. Aber die rote Farbe als dingliche Eigenschaft gibt es so oft, wie es rote Gegenstände gibt. Bei manchen Dingen, nicht bei allen, gehört das Rotsein zu ihrem Wesen, z. B. bei der »roten Rose«. Damit ist natürlich nicht die Selbstverständlichkeit ausgesprochen, daß die rote Rose rot ist. Es soll vielmehr gesagt werden, daß zur roten Rose das Rotsein anders gehört als zu manchen andern roten Dingen (z. B. zu einer roten Schürze, die man in den Farbentopf gesteckt hat, weil gerade noch ein Rest Farbe da war). Das Rotsein gehört nicht zur Rose überhaupt, aber zu einem bestimmten Rosen-»Typus« (was ein »Typus« ist, lassen wir jetzt dahingestellt), es ist aus dem bestimmten Wesensbild nicht fortzudenken, während das Blausein der blauen Rosen (wie sie vor einigen Jahren einmal »modern« waren) in dem Gesamtbild etwas Fremdartiges und Unnatürliches war.
Es muß versucht werden, den Unterschied des »allgemeinen Wesens« und des »Einzelwesens« schärfer zu fassen. »Diese meine Freude« ist »eine Freude« und ist »ein Erlebnis«. Das sind verschiedene Stufen der Allgemeinheit und Besonderheit. Es gibt das Wesen dieser meiner Freude, das Wesen der Freude und das Wesen des Erlebnisses. Das Was und Wesen dieser meiner Freude ist ein Einmaliges. Es ist in dieser Freude wirklich, es ist »das Wesentliche« darin. Das Wesentliche der Freude ist überall verwirklicht, wo Freude erlebt wird, in jeder einzelnen Freude; es »steckt« in jedem Einzelwesen, und darum nennt man es »allgemein«. Es steht im Gegensatz zum Individuellen, wenn man unter dem Individuellen das »Unmitteilbare« versteht; denn das allgemeine Wesen ist gerade das Mitteilbare, das, was in einer Mehrheit von Einzeldingen wirklich werden kann. Wenn schon das Wesen des Einzeldinges unselbständig ist, weil es nur in einem andern wirklich werden kann (nämlich in seinem Gegenstand), so ist das allgemeine Wesen doppelt unselbständig, denn es bedarf der Einzelwesen und ihrer Gegenstände, um wirklich zu sein. Das allgemeine Wesen ist aber doch, obwohl es mehrmals »vorkommt«, Eines. Es ist Dasselbe, was hier und dort und in allen ihm zugehörigen Einzelwesen wirklich ist oder werden kann, während das Einzelwesen nur in einem – in seinem – Gegenstand wirklich und möglich ist. Es kann »seinesgleichen« haben, aber es kann nicht »mehrmals vorkommen«.