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„Endlich mal nichts zu tun“, seufzte Joe glücklich und lehnte sich zurück, die Hände im Nacken verschränkt und seinen leeren, sauberen Schreibtisch liebevoll betrachtend.

Anne lachte. „Beschrei´s nicht. Wenn man sowas zu laut sagt, klingelt sofort das Telefon und alles geht von vorne los. Hallo, Max!“

Max Kolka wuchtete eine Kiste herein und lud sie auf dem Schreibtisch ab, den Patrick Weber vor zehn Minuten mit einer ähnlichen Kiste unter dem Arm verlassen hatte, um sich für einen Fall dem Team von Andi Reuchlin anzuschließen.

„Fehlt bloß noch Liz, wollte die nicht Frühstück holen?“

„Kaffee kochen könntest du ja schon mal“, fand Anne.

In diesem Moment trat Liz mit einer sehr vielversprechenden Bäckertüte ein und gleichzeitig klingelte Annes Telefon. Sie lauschte eine Zeitlang, machte dann „Bäh“, und fragte schließlich: „Geresing? Hinter Geresing? Sind wir da überhaupt noch zuständig? Ist das nicht schon – äh, keine Ahnung?“

Anscheinend wurde am anderen Ende fröhlich gelacht, denn sie murrte: „Verarschen kann ich mich selber“, dann legte sie etwas unsanft auf und sah die anderen an.

„Jeder schnappt sich eine Breze oder was immer da Leckeres drin ist und dann fahren wir alle zu einer gottverlassenen Hütte in einem gottverlassenen Wald irgendwo hinter Geresing.“

„Du freust dich so richtig auf den neuen Fall, gell?“, konnte Liz sich nicht verkneifen.

„Den ersten Scheißjob, der dabei anfällt, kriegst du“, drohte Anne. „Du fährst mit Joe, und Max kommt mit mir.“

*

Joe und Liz fuhren brav hinter Anne her, die ein gutes Stück hinter Geresing links abbog und einen Feldweg entlangfuhr, der den Stoßdämpfern alles abverlangte. Als sie schon dachten, es gehe ewig so weiter – ein Schlagloch am anderen – sahen sie ein Stückchen Absperrband und bogen noch einmal links ab. Jetzt gab es zwar keine Schlaglöcher mehr, aber Baumwurzeln.

„Das Präsidium sollte für solche Tatorte ein paar Jeeps anschaffen“, murrte Joe, als er hinter Anne anhielt.

„Hier?“ Liz sah sich ungläubig um – nichts als Wald. „Wer zum Henker geht denn hierher, um sich ermorden zu lassen? Am Arsch der Welt ist ja ein Dreck dagegen!“

Anne kam zu ihnen. „Weiter geht´s jetzt nicht, die Zufahrt ist schon voll. Wir laufen die paar Meter.“

„Was soll denn überhaupt passiert sein?“, fragte Joe. „Du hast uns ja nicht mal gesagt, was die am Telefon gesagt haben!“

„Da vorne in der Hütte liegt ein toter Mann. Offensichtlich ermordet. Mehr weiß ich jetzt auch noch nicht.“

Die Hütte kam in Sicht, eigentlich ein massives Haus, kunstvoll holzverschalt. Davor standen zwei Männer, einer um die dreißig, einer wohl um die fünfzig. Der Ältere rauchte hastig und aschte in einen Kaffeebecher. Ja den Tatort nicht kontaminieren, was?, überlegte Joe. Auf den beiden Treppenstufen zogen sie die üblichen Hüllen über die Schuhe und streiften sicherheitshalber Handschuhe über, dann traten sie ein.

„Puh, ganz schön warm hier drin“, fand Max.

„Aus gutem Grund“, sagte der Gerichtsmediziner, während er an der Leiche herumhantierte – einem Mann um die sechzig, der mit Handschellen an das Gitter vor der Heizung gefesselt war. Joe tippte kurz auf die Heizung – heiß.

„Wieso hat eine Hütte hier im Wald überhaupt eine Heizung?“, überlegte Liz. „Da wird´s doch wohl keinen Öltank geben? Darf man das hier?“

„Kein Naturschutzgebiet“, ließ sich eine Kollegin von der Spurensicherung vernehmen, die gerade mit Klebeband allerlei Geheimnisvolles vom Holzboden aufnahm, „aber es gibt einfach eine gewaltige Propangasflasche, die hat hier ordentlich eingeheizt.“

Anne ging neben dem Arzt in die Hocke. „Kannst du schon was sagen?“

„In groben Zügen. Schlag über den Schädel, dann hier festgekettet… er dürfte verdurstet sein.“

„Äh. Das ist ja eine perfide Methode!“

„Ziemlich unangenehm“, stimmte der Arzt zu.

„Weiß jemand, wer der Tote ist?“, erkundigte sich Joe bei niemand Speziellem.

„Creutzer. Hans Peter Creutzer. Besitzer dieser Hütte.“

„Ist das nicht der Chef von Creutzer Electronics?“, überlegte Max, der den Toten eher ungern betrachtete. Man sah Creutzer an, dass er verzweifelt versucht hatte, von dieser Heizung loszukommen, doch die Handschellen waren zwar gefüttert, aber offenbar sehr eng und sehr stabil, jedenfalls waren die Handgelenke ziemlich zerschrammt.

„Wer sind die beiden da draußen?“ fragte Liz.

„Sohn und Geschäftspartner“, war die Antwort eines Uniformierten. „Sie hatten sich Sorgen gemacht, weil er weder zu Hause noch bei der Arbeit aufgetaucht war.“

„Okay, ich geh die beiden mal befragen, okay? Vorläufig wenigstens.“ Sie zückte ihr Notizbuch und verließ den Raum, der gleich etwas weniger beengt wirkte.

„Herr Creutzer?“

Der Jüngere fuhr herum: „Ja? Was ist denn hier eigentlich passiert?“

„Dazu können wir noch nicht viel sagen“, wehrte Liz routinemäßig ab. „Er ist aber ganz offensichtlich einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen. Hatte er denn Feinde?“

Der Sohn lachte auf. „Bestimmt reichlich!“

„Ach ja, Herr - ?“

„Jonathan Creutzer. Ich bin sein ältester Sohn. Einer Ihrer Beamten hat, glaube ich, meine Daten schon aufgenommen.“

Liz nickte. „Warum? Ich meine, warum glauben Sie, dass er reichlich Feinde hatte?“

„Weil es so war? Schauen Sie, mein Vater war möglichweise ein verdienstvoller Mann, aber er hatte auch so seine Eigenheiten, und er ist mit Frauen und mit Geschäftspartnern nicht immer zimperlich umgesprungen. Da könnte schon jemand zu viel gekriegt haben.“

„Interessant. Fangen wir mit den Frauen an. Wen können Sie uns dort nennen?“

„Also, so arg bin ich da auch nicht auf dem Laufenden. Er hat sich von meiner Mutter scheiden lassen und sich immer ums Zahlen gedrückt (glücklicherweise war sie darauf auch nicht angewiesen), seine zweite Frau, Carina, dürfte mit ihm auch schon nicht mehr ganz glücklich sein – aber wen er momentan im Auge hat – keine Ahnung. Sein Beuteschema sind blonde, blauäugige und eher grazile Frauen, auf jeden Fall jung und nachgiebig.“ Er dachte einen Moment nach. „Ob ihm jeweils bewusst geworden ist, wie alt er mittlerweile schon war?“

„Mehr Frauen fallen Ihnen nicht ein?“

Jonathan Creutzer schüttelte den Kopf. „Ich weiß bloß noch von der, die ein Kind von ihm gekriegt hat, gleichzeitig mit meiner Mutter. Das Kind ist genauso alt wie meine Schwester Tatjana. Geschmacklos, was? Aber wie die heißt…? Meine Mutter müsste das wissen. Und das ist dann ja nun auch schon gut dreißig Jahre her – Tatjana kriegt ja bald selbst ein Kind!“

„Hat er diese Frau wenigstens unterstützt?“

„Glaube ich nicht. Er denkt wohl, wenn eine Frau Kinder kriegt, ist das ihr Problem.“ Er lachte auf. „Zu solchen Ansichten neigt – neigte – er etwas: Die Vorteile alle für ihn, die Nachteile für die anderen.“

Der ältere Mann trat näher. „Steinmann. Ich bin der Teilhaber. Jonathan hat Recht – leider hat Hans Peter in letzter Zeit auch nach diesem Prinzip Geschäfte gemacht.“

Jonathan grinste spöttisch. „Na, sagen wir – versucht. Die Gegenseite wirkte naturgemäß wenig interessiert. Denken Sie nur an das Joint-Venture mit Criscom!“

„Dem Hersteller von CD-Laufwerken und Brennern?“, fragte Liz.

„Genau, Na, unter anderem“, übernahm Steinmann wieder. „Der Vertrag war so einseitig angelegt, dass Criscom lieber mit der Konkurrenz abgeschlossen hat. Konnte man ihm wirklich nicht übelnehmen – aber gut fürs Geschäft war das natürlich nicht.“

„Und das hat er öfter gemacht?“

„Ja – beziehungsweise eben versucht“, erklärte Jonathan. „Er hatte so eine merkwürdige Stark-schwach-Ansicht, dass der Starke den Schwachen besiegt und so. Natürlich dachte er, er ist der Stärkste und die anderen sind schwach, also kann er sie übertölpeln. Ein bisschen Sozialdarwinismus, wenn ich mich richtig an meine Schulzeit erinnere. Völliger Blödsinn, natürlich.“

Liz nickte, ohne zu wissen, wie sie dies alles in einen vernünftigen Zusammenhang bringen sollte. Sie ließ sich noch die Adressen all derer geben, die er erwähnt hatte, und wandte sich dann Steinmann zu, der nicht mehr viel Neues beizutragen hatte. Er betonte vor allem, dass man Creutzers Geschäftsgebaren nur unverantwortlich nennen konnte und dass Jonathan als Juniorchef manchmal schier verzweifelt war.

Jonathan bestätigte das. „Ich glaube, wenn es noch ärger geworden wäre, hätten wir am Ende seine Geschäftsfähigkeit anzweifeln müssen. Aber sind Sie ganz sicher, dass es kein Unfall war? Ich meine, diese Hütte hat doch keine Zentralheizung, oder? Er muss den Kamin angefeuert haben – oder mit einer Gasflasche… vielleicht ist er erstickt?“

Liz schüttelte den Kopf. „Es war ganz anders, aber Sie müssen verstehen, dass wir das aus ermittlungstechnischen Gründen noch für uns behandeln müssen. Sie bleiben bitte noch ein bisschen hier – wir würden die anderen“ – sie klopfte auf ihre Adressenliste – „gerne selbst informieren. Das kann recht aufschlussreich sein.“

Creutzer jr. und Steinmann nickten schicksalsergeben. Liz winkte einen der Uniformierten herbei, damit er etwas auf sie aufpasste, und kehrte in die Hütte zurück, wo die sterblichen Überreste von Hans Peter Creutzer gerade in einen grauen Sarg gelegt wurden. Anne kam auf sie zu, und Liz setzte sie im Flüsterton kurz in Kenntnis.

„Gut gemacht. Dann nimm du mit Joe die erste Frau – und ich nehme mir mit Max die aktuelle Gattin vor. Vielleicht weiß die ja noch etwas mehr über ihre derzeitige Rivalin.“

Liz winkte Joe zu sich. „Komm, wir sollen uns die erste Frau Creutzer vorknöpfen, sagt Anne.“

Ein naheliegendes Opfer

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