Читать книгу Ein naheliegendes Opfer - Elisa Scheer - Страница 20
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ОглавлениеLiz hatte Christine Merten im Internet, bei INPOL und in den Daten der Leisenberger Meldestellen nachgeforscht und so wenigstens die Adresse der Dame herausgefunden – Augustinerweg 5 in Mönchberg. Am Hungertuch schien die Merten also nicht zu nagen, obwohl sich der Kindsvater ja wohl mehr als schofel benommen hatte. Tapfere Frau – oder andere Geldquelle? Erst ermitteln, dann Schlüsse ziehen, ermahnte Liz sich selbst und suchte weiter. Was machte die Frau denn beruflich?
Längeres Herumklicken und Nachfragen beim Finanzamt förderten eine Ausbildung zur Bibliothekarin und eine Vollzeitstelle in der Universitätsbibliothek zutage.
„Na prima“, murmelte Liz, „das finde ich wenigstens ohne Probleme.“
In der Unibibliothek steuerte sie zielstrebig auf die Auskunft zu, die ihr schon im Studium oft weitergeholfen hatte.
„Die Frau Merten? Ja, die haben wir hier schon. Warum wollen Sie das denn wissen?“
Liz zeigte ihren Ausweis vor und sprach von Mord.
„Oh, ja dann… also, die Frau Merten sitzt in einem Büro dahinten. UB E03. Sie gehen durch die Glastür dort hinten, dann den Gang entlang, es ist die dritte Tür rechts.“
Liz verkniff sich angesichts der einleuchtenden Nummerierung ein Ach was und bedankte sich höflich.
In E 03 saß eine relativ jugendlich wirkende Frau, die auf keinen Fall aussah, als sei sie eine Altersgenossin von Marie Louise Creutzer, obwohl die auch schon extrem gut erhalten war. Ließen diese blonden Tussen sich etwa alle liften? Wozu, zum Henker?
„Ja, bitte? Kann ich Ihnen weiterhelfen? Publikumsverkehr ist hier eigentlich nicht, also wenn Sie Fragen zur Ausleihe oder zur Recherche haben -“
Liz zückte ihren Ausweis und stellte sich vor.
„Polizei? Ich weiß jetzt – oh Gott, die Mordkommission? Es wird doch nicht – es ist doch nichts mit Kira passiert?“
Liz beruhigte sie. „Aber es geht tatsächlich um einen Mord, und zwar an Hans Peter Creutzer. Wann haben Sie ihn denn zuletzt gesehen?“
„Großer Gott, Hans Peter? Hui… ermordet? Nun ja, vielleicht nicht völlig überraschend…“
„Allmählich fragt man sich, wie er überhaupt das einigermaßen gesegnete Alter von dreiundsechzig erreicht hat“, konnte Liz sich nicht verkneifen.
Christine Merten kicherte leise. „Sie meinen, er hat sich mit Wonne unbeliebt gemacht? Stimmt. Ich weiß gar nicht, warum er so ist. Offenbar glaubt er, wenn er sich menschlich zeigt, legt man ihm das als Schwäche aus… aber Sie wollten ja wissen, wann ich ihn zuletzt gesehen habe… das weiß ich noch ganz genau. Das war der Tag, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin. Moment, Kira ist am 24. August geboren, 1984, dann war das so etwa… sieben Monate vorher, also Ende Januar. Brauchen Sie das Datum noch genauer?“
Liz winkte ab. „Das ist ja praktisch verjährt – aber seit diesem Termin nie mehr? Nicht mal, um die Unterhaltsfrage zu regeln? Unglaublich…“
Christine Merten zuckte die Achseln. „Er hat mir verschiedene Szenarien angeboten – er könnte die Vaterschaft bestreiten (und so gut waren die Tests damals noch nicht) oder er könnte mich in der Presse als Flittchen hinstellen, das seine Ehe zerstört, obwohl seine Frau doch ein Kind erwartet. Dadurch habe ich überhaupt erst erfahren, dass er verheiratet war. Daraufhin hat er blöde gelacht und gefragt, ob ich ernsthaft gedacht hätte, dass ein wohlhabender Mann über dreißig noch ledig sei. Und dann womöglich eine armselige Studentin heiratet? Nein, seine Frau habe, obwohl sie auch nicht besser sei als ich, wenigstens ordentlich Geld mit in die Ehe gebracht. Ach ja, und der dritte Vorschlag war, er könnte mir auch ein paar Kumpels vorbeischicken. Einige gut platzierte Tritte und das Problem wäre gelöst…“
Liz schauderte. „Ich hätte jetzt richtig Lust, in die Pathologie zu gehen, die Schublade aufzureißen und auf den toten Sack einzuprügeln. So ein – da fällt einem ja echt nichts mehr ein!“
Christine Merten zuckte erneut die Achseln. „Solange alles nach seinem Willen geht, kann er einigermaßen charmant sein. Also solange die Frauen jung und hübsch sind, nie widersprechen, kein Geld wollen und nicht womöglich Kinder kriegen.“
„Aber seine Frau hat vier!“
„Ich weiß. Aber das hat ihm nicht gepasst, glaube ich.“
Liz blinzelte. „Woher wissen Sie das denn? Bei ihrem letzten Treffen haben Sie doch erst erfahren, dass es diese Frau gibt!“
Frau Merten wand sich etwas und rückte die Gegenstände vor ihrem Rechner zurecht, mit eher fahrigen Bewegungen.
„Naja“, sagte sie dann, „das war ein saudummer Zufall. Dass seine Frau schwanger war, hatte er mir ja noch so hingerotzt, beim Abschied. Ich wollte natürlich wissen, ob das stimmt, und als Kira dann auf der Welt war, bin ich viel mit ihr spazieren gegangen, und einmal war ich auch dort, wo die Creutzers damals wohnten. Ich wollte wirklich nur gucken, wie sie so ist, sie nicht ansprechen oder so!“, versicherte sie.
„Also, ich hätte sie angesprochen, glaube ich“, antwortete Liz.
„Hätten Sie nicht! Die Sache mit den Kumpels habe ich nicht als leere Drohung aufgefasst. Und bevor er mir oder Kira was antut… gut, jedenfalls hab ich in dem Park dort in der Nähe Kiras Kinderwagen herumgeschoben, und dann kam eine Frau, die mir ziemlich ähnlich sah, auch mit Kinderwagen und einem kleinen Jungen an der Hand. Ich habe nur genickt, so von Mutter zu Mutter, und wollte vorbei, aber dann sie mich angesprochen und wollte wissen, wie mein Baby heißt und wann es geboren ist.“
„Und dann?“ Liz hatte begierig gelauscht und nur notdürftig daran gedacht, mitzuschreiben: Was für ein Melodram!
Christine Merten zuckte die Achseln. „Ich habe gesagt, Kira und am 24. August – und sie hat so etwas seltsam gelächelt und gesagt, ihres heißt Tatjana und ist am 22. August geboren. Ich dachte, ich stelle mich noch harmlos und sage, na so ein Zufall – und ob sie die Schwangerschaft in der Augusthitze auch so lästig gefunden hat, da unterbricht sie mich und sagt, sie weiß Bescheid, er hat ihr alles gesagt, warum, weiß sie auch nicht. Ich bin richtig erschrocken, und da hat sie mir richtig nett den Arm getätschelt und gesagt, wir sollten etwas Kontakt halten, aber Hans Peter braucht das nicht zu wissen. Ich war nicht ganz sicher, ob das nicht gefährlich ist, aber in der Folge haben wir uns ab und zu getroffen oder telefoniert, also bin ich durchaus auf dem Laufenden. Naja, so ungefähr. Ich weiß, dass sie vier Kinder hat, dass er sich kurz nach dem letzten Kind von ihr getrennt hat und eine Frau geheiratet hat, die wieder zehn Jahre jünger ist als ich und auch so ungefähr der gleiche Typ. Ob die Kinder hat, weiß ich nicht – aber Marie Louise müsste das eigentlich wissen.“
„Hat sie nicht. Mit Carina haben wir schon gesprochen“, verriet Liz, die das Gefühl hatte, sich irgendwie revanchieren zu müssen. Warum eigentlich hatten Creutzers Frauen alle so ein großes Redebedürfnis?
„Kannten Sie eigentlich die Jagdhütte von Herrn Creutzer?“
„Jagdhütte? Er ist auf die Jagd gegangen? Das ist mir neu. Davon hat Marie Louise auch nie etwas erzählt. Wo sollte die denn sein?“
„Ziemlich abgelegen. Aber dort haben wir Creutzer tot aufgefunden.“
„Hui“, machte Christine Merten wieder. „Also, er war ja wirklich ein unangenehmer Kerl, um es nicht deutlicher zu sagen, aber sowas wünscht man ja auch niemandem. Vielleicht gab es geschäftlichen Ärger?“
„Möglich. Aber sein Umgang mit Frauen könnte eigentlich auch Feinde – oder besser Feindinnen – auf den Plan gerufen haben, meinen Sie nicht?“
„Mag sein, aber ehrlich – jetzt noch? Ich meine, ich bin jetzt dreiundfünfzig, dann ist er dreiundsechzig. Kann er denn jetzt noch so heftige Gefühle hervorrufen?“
„Meinen Sie nicht? Also, wenn mich jemand so behandeln würde, wie er Sie behandelt hat – ich hätte da durchaus Rachegelüste, auch jahrzehntelang. Rache wird ja bekanntlich am besten kalt genossen.“
„Vielleicht. Mir hat eigentlich der Gedanke genügt, dass ich ihn nie wieder sehen muss – und dass ihm entgeht, welch tolle Tochter er in Kira haben könnte. Gut, sie ihm einmal zu zeigen und zu sagen, ätsch, kriegst du aber nicht, das wäre schon nett gewesen, aber Kira hat gesagt, „den Arsch“ will sie nicht kennenlernen. Vielleicht ist es auch besser so…“
„Ach ja?“
„Ach, sie hätte ihm bestimmt in deutlichen Worten gesagt, was sie von ihm hält. Und wer weiß, was er dann getan hätte? Na, die Gefahr ist ja nun vorbei…“
Das schrieb Liz noch schnell auf – zeichnete sich da etwa ein anderes Motiv ab? – und verabschiedete sich dann: viele Fakten, aber wenig Neues.