Читать книгу Ein naheliegendes Opfer - Elisa Scheer - Страница 26
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ОглавлениеBei CE wirkte die Stimmung leicht gedämpft, aber nicht unbedingt tieftraurig. Der schwarze Stoffstreifen, der am Firmenschild befestigt war, schien eher ein Zugeständnis an die Konvention zu sein als Ausdruck echter Gefühle.
Na, kein Wunder, dachte sich Joe, zeigte der Empfangsdame seinen Ausweis und wurde mit einem Nicken weitergewunken.
Zuerst mal den neuen Chef. Wenn er´s überhaupt war, schränkte er gleich wieder ein.
Im Vorzimmer von Jonathan Creutzer musste er einige Minuten warten, was ihm aber ganz zupass kam. Er setzte sich und sah sich unauffällig um. Normales Mobiliar, keinesfalls richtig chefmäßig – das Büro des Seniors war garantiert nobler ausgestattet. Eine freundliche und gut beschäftigte Sekretärin. An der Wand belanglose Bilder – keine teuren Hobbies (Chef mit selbstgefangenem Schwertfisch oder so ähnlich), keine beeindruckenden Diplome. Wozu auch, einen Abschluss in BWL würde er ja wohl haben, den musste man nicht auch noch an die Wand nageln.
Alle Ordner ordentlich und systematisch beschriftet, hier konnte man alles mit einem Griff finden. Sofern der Inhalt dem Rückenschild entsprach, hieß das. Joe hatte da auch so seine Erfahrungen gemacht…
Er stellte sich den Juniorchef als Arbeitstier vor, als jemanden, der all das machte, womit sich der arrogante Senior hinterher brüstete.
In diesem Moment summte das Telefon der Vorzimmerdame; sie nahm ab und lauschte, dann nickte sie Joe zu. „Herr Creutzer hat jetzt für Sie Zeit.“
Das Büro des Juniors sah doch etwas gehobener aus, als Joe es erwartet hatte. Sparte der etwa an seiner Sekretärin?
Jonathan hatte sich hinter seinem Schreibtisch erhoben und reichte Joe nun höflich die Hand, dann wies er auf den Besucherstuhl. „Sie haben noch Fragen? Äh – Entschuldigung: Kaffee?“
Joe lehnte ab, zückte sein Notizbuch (kein affiges Tablet für ihn, vielen Dank) und kam gleich zur Sache: „Am besten halten wir es kurz, denn Sie haben jetzt ja sicher sehr viel zu tun, nicht?“
„Wie meinen Sie das?“
Grundmisstrauen der Polizei gegenüber oder schlechtes Gewissen? Nein, der Junior schaute sehr arglos drein.
„Na, nach dem Tod Ihres Vaters – da haben Sie doch sicher vieles übernehmen müssen? Und zu organisieren gibt es bestimmt einiges, ich denke da nur an die Beerdigung…“
Creutzer seufzte. „Ja, da haben Sie natürlich Recht – Beerdigung? Soll das heißen, Sie haben die – äh – ihn schon freigegeben?“
„Noch nicht. Wir stehen ja noch ziemlich am Anfang unserer Untersuchungen, nicht? Also, zunächst einmal: Was fahren Sie für einen Wagen?“
„Meinen Wagen? Aber warum – na, egal, Sie werden Ihre Gründe haben. Ich fahre einen BMW. Fünfer. Dunkelgrau metallic. Baujahr 2012.“
„Vielen Dank.“ Joe sah von seinen Notizen auf und lächelte; Creutzer erwiderte das Lächeln - etwas unsicher, wie ihm schien.
„Wo haben Sie denn den Donnerstag verbracht?“, erkundigte sich Joe dann betont beiläufig. Vergeblich – Creutzer regte sich natürlich sofort auf: „Was? Wollen Sie etwa behaupten, Sie verdächtigen mich, meinen eigenen Vater - ? Das ist doch unglaublich!“
Joe warf ihm einen nachsichtigen Blick zu. „Beruhigen Sie sich wieder, das fragen wir doch jeden. Ich fange heute einfach zufällig bei Ihnen an. Wie heißt es im Fernsehen immer? Reine Routine. Also?“
„Hm. Donnerstag, haben Sie gesagt… Am Vormittag war mein Vater ja noch in der Firma. Er war etwas ärgerlich, weil wir einen Vertrag mit Criscom geplant hatten und die Konkurrenz uns diese Verbindung weggeschnappt hatte. Ehrlich gesagt haben wir ein bisschen gestritten – ich fand, bei seiner Vertragsgestaltung müsse man sich nicht wundern, und er fand, ich hätte härter verhandeln sollen. Ich weiß nicht, was man da mit Härte erreichen sollte, Dominic Christen lässt sich doch nicht unter Druck setzen! Naja, wenn Papa sich abgeregt hätte, wäre ihm das sicher auch bald klar geworden. Er hat sich immer schnell aufgeregt – und ziemlich schnell auch wieder eingekriegt. So war er halt.“
„Sie kamen also gut miteinander aus?“
„Aber ja. Ab und zu haben wir uns angeplärrt, aber ich konnte auch ganz schön rausgeben. Solche Engelchen sind wir – waren wir – wohl beide nicht. Von allen vier Kindern bin ich ihm wohl am ähnlichsten.“
Er seufzte.
„Ja, gut und dann habe ich mich mit allerlei Kram aus dem Tagesgeschäft herumgeschlagen und überlegt, wo wir jetzt einen Vertragspartner hernehmen können. Mittags war ich mit Papas Kompagnon, Helmut Steinmann, in der Sandwichbar essen. Die ist gleich hier um die Ecke. Steinmann kennen Sie ja, er stand mit mir zusammen vor der Hütte, als Sie meinen Vater dort untersucht und – äh – abtransportiert haben.“
„Stimmt. Jetzt sind wir so etwa am frühen Nachmittag angekommen.“
„Ja… ich bin dann einfach zurück an den Schreibtisch und habe weiter versucht, alles abzuarbeiten. Ich habe wohl gehofft, Papa am Montag damit zu überraschen, dass absolut nichts mehr anliegt.“ Er lächelte schief. „Einen Moment lang, wenigstens. Irgendwas kommt ja immer wieder rein. Wir haben montags am Vormittag immer eine Sitzung, in der wir das Tagesgeschäft besprechen und alles festlegen, was in der Woche so anfallen wird, und da wollte ich eben alles anschleppen, was man mir auf den Tisch gepackt hatte, und zu allem eine Lösung präsentieren. Ich weiß leider nicht genau, aber bestimmt bis nach fünf… Frau Schätzle war schon nicht mehr da. Das ist meine Sekretärin, Sie haben sie draußen ja gesehen, nicht?“
Joe nickte und überlegte, wie er diesen Eifer einschätzen sollte.
„Ja, und dann bin ich nach Hause und habe meinen Koffer geholt.“
„Koffer?“
„Ich habe das lange Wochenende mit meiner Freundin in Wien verbracht. Übrigens eine hinreißende Stadt, waren Sie da schon mal?“
Joe nickte. Ja, Wien war toll. „Wie heißt denn bitte Ihre Freundin?“
„Julia Breuning.“ Er nannte bereitwillig Adresse und Telefonnummer. Zu bereitwillig? Joe verwies sich dieses völlig unbegründete Misstrauen.
„Wann sind Sie denn gefahren?“
„Geflogen. Bei lumpigen drei Tagen… Der Flieger ist um acht gegangen, also mussten wir um sieben am Flughafen sein. Um kurz vor sechs bin ich losgefahren.“
„Das alles kann Ihre Freundin bezeugen?“
„Also, das mit kurz vor sechs nicht, allerdings nehme ich an, dass sie auch ungefähr um diese Zeit aufgebrochen ist. Wir haben uns am Check-in getroffen. Wir wohnen nicht zusammen, Julia legt Wert auf einen – na, sagen wir Privatbereich. Sie hat auch ihre Wohnung sehr liebevoll und durchdacht gestaltet.“ Er grinste kurz. „Ich glaube, sie hat noch Angst, dass ich etwas einbringen könnte, was das Farbkonzept stört.“ Er tauschte mit Joe einen Weiber!-Blick.
„Das heißt aber, dass Sie für den Donnerstagabend kein lückenloses Alibi haben. Erst ab dem Einchecken“, stellte Joe fest. „Allerdings dürfte es anderen Leuten wohl ähnlich gehen, also regen Sie sich nicht gleich wieder auf.“
„Wenn ich geahnt hätte, dass ich ein perfektes Alibi bräuchte, hätte ich mir eins besorgt, da können Sie drauf wetten“, brummte Creutzer.
„Glaub ich Ihnen“, beruhigte Joe ihn. „Mal etwas ganz anderes – haben Sie so etwas wie einen Familienanwalt?“
„Wozu – ach, wegen des Testaments? Na, wenn Sie glauben, dass da etwas Überraschendes drinsteht… gesagt hat er jedenfalls nie etwas Derartiges. Unser Anwalt heißt Dr. Schreyvogel. Am Fuggerplatz.“
„Wo sonst“, murmelte Joe.
„Stimmt. Hohe Anwaltsdichte dort. Haben Sie denn sonst noch Fragen?“
Joe überlegte, aber dann stand er auf. „Ich glaube, vorerst war´s das. Aber rechnen Sie ruhig damit, dass noch öfter jemand von uns vorbeischaut.“