Читать книгу Ein naheliegendes Opfer - Elisa Scheer - Страница 3

2

Оглавление

Der Tisch war für sechs Personen gedeckt und man hatte hier auf Tischschmuck und sonstige Überflüssigkeiten verzichtet; das Geschirr hatte zwar einen Goldrand, aber der war schon recht verblasst.

Interessehalber drehte Jonathan seinen Teller um und studierte den Boden – nein, kein Markenporzellan. Also, als seine Eltern noch miteinander verheiratet waren, hatte Mama bestimmt deutlich edleres Porzellan besessen!

Na, auch egal. Geschirr war nicht das Problem.

„Schön, dass du schon da bist, mein Junge!“ Seine Mutter kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Er erwiderte die Umarmung und schnupperte unauffällig: Natürlich, sie hatte sich schon den einen oder anderen Aperitif genehmigt. Mama trank eindeutig ein bisschen zu viel… betrunken war sie nie, aber schon häufig leicht im Tran.

„Du bist der allererste, das freut mich“, fuhr sie fort, während sie zur Sitzgruppe am anderen Ende des Raumes schritt. „Komm, setz dich doch! Einen kleinen Sherry?“

„Nein, Mama, danke schön – und ich glaube, du hattest auch schon einen?“

Sie lächelte fein und klopfte auf das Sofa neben sich. Er setzte sich und erzählte auf ihre Fragen hin bereitwillig von der Arbeit, beteuerte, völlig fit und gesund zu sein, und deutete vage Urlaubspläne an. Zufrieden war seine Mutter damit aber nicht. „Junge, du solltest jetzt aber wirklich allmählich ans Heiraten denken, immerhin wirst du bald dreiunddreißig, findest du nicht, dass es höchste Zeit ist?“

„Ach, Mama, nun lass mir doch Zeit – Julia hat es damit auch nicht so eilig!“

Sie hatte schon den Mund geöffnet, wohl, um weitere mahnende Worte zu äußern, als es wieder klingelte. Erleichtert stand er auf. „Ich geh schon, Mama.“

Vor der Tür standen seine Schwester und sein Schwager. Er umarmte Tatjana vorsichtig, um ihren Achtmonatsbauch nicht zu drücken, und klopfte Paul auf die Schulter. „Alles okay?“

„Klar“, antwortete Tatjana. „Was soll nicht okay sein? Wir haben sogar die Babyecke schon fertig.“

„Babyecke“, wiederholte Jonathan, „dass ihr nicht einmal ein eigenes Kinderzimmer haben könnt?“

„Nun lass doch mal“, schaltete Paul sich ein und schob seine Frau vorsichtig über die Türschwelle. „Wir haben eben nur drei Zimmer, und im dritten wohnt, wie du sicher weißt, Sybilla. Die kann sich doch noch keine eigene Wohnung leisten, im dritten Semester! Und bei Mama wohnen will sie natürlich auch nicht.“

„Voll uncool“, ergänzte Tatjana mit feinem Lächeln.

„Ich mache doch euch keinen Vorwurf!“ Er nahm seiner Schwester den Mantel ab und hängte ihn auf. „Aber ich finde, Vater könnte euch wirklich ein bisschen unter die Arme greifen. Wieso müsst ihr eigentlich Sybilla durchfüttern, das wäre ja wohl sein Job!“

„Fang doch nicht immer wieder mit den alten Geschichten an! Erstens füttern wir Sybilla ja nicht alleine durch. Sie jobbt, deine Mutter zahlt ihr etwas und du gibst doch auch etwas dazu, na, und Basti hat halt nicht so viel. Den müsste man ja fast selbst noch durchfüttern, den Armen. Und außerdem weißt du doch, wie dein Vater denkt: Wozu Mädchen ernähren, die kann man später sowieso für nichts gebrauchen, die kriegen bloß wieder Kinder und die kosten dann wieder sinnlos Geld.“

„Verklagen sollte man ihn eigentlich“, murmelte Jonathan, „oder mal der Presse ein paar Fakten zukommen lassen.“

Herzloser Tycoon lässt Kinder hungern?“, fragte Paul amüsiert. „Nachher gibt es noch eine Spendensammlung für uns… lass das bloß bleiben. Erstens kommen wir selbst gut zurecht – eine Babyecke reicht doch erstmal, und dann sehen wir weiter – und zweitens würde er uns bloß ohne Ende schikanieren, wenn wir ihm seinen Ruf versauen.“

„Auch wieder wahr“, musste Jonathan zugeben und schrak zusammen, als direkt neben ihm die Türglocke wieder schrillte.

Dieses Mal kamen Sebastian und Sybilla. „Wir haben uns unten vor der Tür getroffen, so ein Zufall aber auch!“

„Wahnsinnszufall“, relativierte Sebastian, „wir sollten doch alle um sieben hier sein, oder? Und, wie geht´s allen so? Jani, alles okay?“

„Klar. Sie wächst und gedeiht und tritt fleißig um sich.“

Sybilla kicherte, während sie sich aus dem Mantel schälte. „Das wird Vater aber gar nicht freuen – bloß ein Mädchen?“

So what? Er ärgert sich doch über die Schwangerschaft an sich schon genug – der alte Womanizer wird Opa, da graust es ihm doch. Wenn mir alles so egal wäre…“

„Hast Recht, Schwesterchen. Sagt mal“, fragte Sebastian, während sie das Wohnzimmer ansteuerten, „wer von euch hat unseren Erzeuger in letzter Zeit eigentlich gesehen?“

„Na, ich“, antwortete Jonathan, „ich arbeite bei CE, schon vergessen?“

„Beileid. Ich glaube, ich habe ihm Weihnachten eine Karte geschickt. Ziemlich ohne Text“, antwortete Sebastian.

„Wir haben ihn mal besucht“, erzählte Tatjana, „aber er war knurrig und hat Carina schikaniert, und wir sind schon vor dem Essen wieder gegangen, weil die Stimmung so schlecht war. Gar nicht gut für das Baby.“

Paul zog sie fester an sich.

„Ich kann ihn sowieso nicht leiden“, verkündete Sybilla und sah sich herausfordernd um. „Ich will diesen Unsympathen am liebsten nie mehr sehen.“

„Na, er reißt sich auch nicht gerade darum, also könnte dein Wunsch durchaus in Erfüllung gehen“, meinte Sebastian. „Ich glaube, seine Kinder sind für ihn nur eine Fehlinvestition. Brauchen kann er uns ja alle nicht.“

„Junge, wie kannst du so reden!“ Mama stand in der Tür des großzügigen Wohnzimmers. „Ihr seid alle vier wunderbar gelungen!“

Jonathan fand wieder, dass ihre Aussprache leicht verwischt klang. Noch etwas mehr sogar als vorhin. Sebastian hatte das auch bemerkt, wie ihm ein rascher Blickwechsel verriet.

Alle umarmten ihre Mutter mit einer Mischung aus Liebe, Mitleid und Besorgnis, denn ihr hatte die Ehe mit dem Vater nicht gutgetan – und die Scheidung, auch wenn sie fast zwanzig Jahre zurücklag, auch nicht. Immerhin hatte sie damals auf eigenes Geld zurückgreifen können, denn sie hatte von ihrem Vater Unterstützung unterhalten und von ihm später auch recht nett geerbt, so dass sie nicht mit ihrem Exmann um jeden Pfennig kämpfen musste.

Aber auch die Tatsache, dass sie sich nicht auf einen zermürbenden Kampf – eher wohl eine Schlammschlacht – eingelassen hatte, hatte der Vater wahrscheinlich als Schwäche ausgelegt, überlegte Sebastian, während er seiner Mutter liebevoll auf den zarten Rücken klopfte. Er legte ja alles als Schwäche aus.

Und wenn man sich widersetzte und kämpfte, galt man als unverschämt und wurde fertiggemacht. Man musste subtil gegen ihn ankämpfen – aber wie?

„Kinder, setzt euch doch, ich hole rasch das Essen!“

„Nein, Mama“, widersprach Sybilla und tätschelte ihre Mutter liebevoll, „du setzt dich und wir holen das Essen. Ruh dich nur aus.“

Da sie ganz offensichtlich etwas wacklig auf den Beinen war, gab die Mutter gerne nach und so holten ihre fünf Gäste eine Suppenterrine, eine Schüssel Salat, einen Brotkorb, eine Platte mit kaltem Huhn und eine Sauciere mit Remoulade und verteilten sie auf dem Tisch.

Nach kurzem gutmütigem Gezänk über die Frage, wer hier bei fettiger Remoulade besser etwas aufpassen sollte und wem etwas mehr Salat gar nicht schaden würde, wandte sich das Gespräch allgemeinen Themen zu; im Plenum wurden gehässige Bemerkungen über Creutzer senior vermieden, da ihre Mutter dies nicht so sehr schätzte – obwohl sie selbst auch nicht anders dachte.

Ein naheliegendes Opfer

Подняться наверх