Читать книгу Ein naheliegendes Opfer - Elisa Scheer - Страница 16
15
ОглавлениеSie ließ Joe nach Leiching fahren, damit er sich nicht ganz von Frauenpower erdrückt fühlte. Kastanienallee 4, ein hübsches, wenn auch nicht allzu großes Haus, noch relativ neu. Und Parkplätze gab es hier reichlich – Leichings einziger Vorteil, fand sie.
„Und wo wohnte der Creutzer mit seiner Neuen?“
„Waldstetten.“
„Aha, schön weit weg. Er wollte wohl nicht, dass die beiden Frauen miteinander Kontakt aufnehmen?“
„Das können wir ja gleich fragen“, antwortete Liz und klingelte.
Die Frau, die ihnen öffnete, war vielleicht Mitte vierzig – eindeutig zu jung, um die Mutter des etwas verbitterten Juniorchefs vor der Hütte zu sein.
Joe betete das Sprüchlein her, sie zeigten beide ihre Ausweise und baten darum, Frau Creutzer sprechen zu können. Die Frau lächelte. „Das bin ich. Aber kommen Sie doch herein!“
Das Haus wirkte von innen sehr gemütlich – nicht sehr groß, aber geschickt eingerichtet.
„Hier haben Sie nach der Scheidung mit den Kindern gewohnt?“, fragte Liz.
„Ja. Ich habe kurz, nachdem die Scheidung rechtskräftig wurde, eine recht hübsche Summe von meinem Vater geerbt und davon das Haus gekauft. Es war nicht so, dass Hans Peter uns bereitwillig unterstützt hätte – aber sagen Sie, jetzt realisiere ich das erst richtig – Kripo? Lieber Himmel, etwas mit den Kindern? Was ist denn passiert?“
„Ihren Kindern geht es gut“, beruhigte Joe sofort. „Jedenfalls wissen wir nichts Gegenteiliges. Nein, es geht um ihren Ex-Mann.“
„Ist ihm etwas zugestoßen?“
„Er wurde in seiner Jagdhütte tot aufgefunden und die Todesursache ist noch unklar“, erklärte Liz.
Frau Creutzer machte „Oh!“, dann seufzte sie. „Nun ja… Feinde hatte er wohl nicht zu knapp. Sie gehen doch wohl davon aus, dass er ermordet wurde?“
„Das ist durchaus denkbar, aber sicher wissen wir es erst, wenn -“
Frau Creutzer winkte ab. „Lassen Sie nur, man kennt diese Sätze. Aus dem Fernsehen, ich liebe Krimiserien. Ganz ehrlich, wenn man sich bei jemandem vorstellen kann, dass er ermordet wird, dann bei ihm.“ Sie kicherte damenhaft. „Früher habe ich auch manchmal daran gedacht – und ich bin sicher, Carina tut das auch. Oh – ich wollte jetzt nicht damit sagen, dass – Carina würde das natürlich nie – man malt sich so etwas manchmal aus, und das erleichtert dann schon hinreichend, wenn man sich geärgert hat… Naja…“
„Sie haben also Kontakt zu Ihrer – hm – Nachfolgerin?“
Marie Louise Creutzer lächelte. „Natürlich. Spätestens beim ersten Ärger über ihren Frischangetrauten hat sie sich an mich gewandt. Es war ihr beim ersten Mal ein bisschen peinlich, aber der Gedankenaustausch hat uns beiden gut getan. Man erkennt so doch viel besser, dass man nicht selbst schuld daran war, dass es nicht geklappt hatte.“
Liz und Joe wechselten einen ratlosen Blick.
„Obwohl“, fuhr die erste Frau Creutzer fort, „Carina ist nicht viel anders als ich, nur jünger. Ein frischeres Modell, sozusagen. Er hat eigentlich immer den gleichen Typ Frau. Ich glaube nur, Carina redet nicht so viel wie ich…“
„Och“, machte Liz, „uns ist das durchaus recht. Je mehr wir erfahren, desto schneller kriegen wir ja heraus, wer für diese Tat verantwortlich ist. Sagen Sie, Ihr Sohn hat angedeutet, dass Ihr Mann – Exmann – eine außereheliche Tochter hat? Wissen Sie da vielleicht Näheres?“
Ihr Gegenüber lächelte wieder, sanft, aber ganz Herrin der Lage. Wehe dem Mann, der sich mit der anlegt, dachte Joe, egal, wie mädchenhaft sie auftritt.
„Natürlich. Übrigens ist Christine der gleiche Typus. Ihre Tochter – zwei Tage jünger als meine ältere Tochter Tatjana – heißt Kira. Kira Merten. Viel mehr weiß ich eigentlich nicht über sie.“
„Und hat Ihr Exmann zur Zeit vielleicht ein neues – hm – Interesse?“, erkundigte sich Joe vorsichtig.
„Vermutlich. Aber da weiß ich leider gar nichts. Ich erinnere mich, die Sache mit Christine hat er mir selbst gesagt, so richtig unter die Nase gerieben.“ Sie überlegte einen Moment. „Vielleicht hat er sich an seiner Zeugungskraft berauscht… kennen Sie noch diesen Song „Dschingis Khan“?“
Liz und Joe schüttelten den Kopf.
„Nun, eine Zeile dort heißt Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht, und so sieht sich – hat sich Hans Peter wohl selbst auch gesehen. Der starke Mann…“
Teilnahmsvolles Nicken.
„Was ich eigentlich meine, ist: Was aktuelle Affären betrifft, müssten Sie Carina fragen. Jetzt müsste er so etwas ja ihr hinreiben. Damit Carina sich fragt, was die Neue hat, was sie nicht hat. Wahrscheinlich bloß weniger Jahre auf dem Buckel, Carina müsste jetzt etwa so alt sein wie ich bei der Scheidung war, wenn ich es mir recht überlege. Zeit für etwas Neues… andererseits ist – war Hans Peter jetzt auch schon dreiundsechzig, kann man da denn noch eine junge Frau anlocken?“
„Och…“, antwortete Joe, „so als Sugardaddy?“
Frau Creutzer freute sich sichtlich. „Sugardaddy – das ist gut! Sehr gut sogar! Man merkt, dass Sie noch recht wenig über Hans Peter wissen.“
„Am Anfang einer Ermittlung ist das der Normalzustand“, entgegnete Joe nicht ohne Schärfe. „Klären Sie uns eben auf!“
„Hans Peter ist – war – obendrein ausgesprochen geizig. Er will zwar nicht, dass seine Frauen arbeiten, denn das würde sie ja unabhängig machen, aber er legt auch Wert auf einen wasserdichten Ehevertrag, der im Scheidungsfall bestenfalls das Existenzminimum sichert. Als seine Ehefrau bekommt man ein bescheidenes Taschengeld. Extras nur, wenn sie Repräsentationszwecken dienen. Ich möchte wetten, dass er Christine gar nichts gezahlt hat…“
„Das wäre dann doch aber illegal?“
„Na und? Er hat die besseren Anwälte, behauptet – behauptete – er wenigstens. Und wenn man darauf beharren sollte, ihm Ärger zu machen, könnte man so richtig Probleme kriegen. Sagt er.“
„Das klingt ja schon ein bisschen mafiös“, fand Liz.
„Ein bisschen? Ich glaube, solche Strukturen hätten ihm gefallen – nein, nichts Illegales, er war schon gesetzestreu, wenigstens solange ich mit ihm verheiratet war, also bis 1996 – auch schon wieder länger her… Aber die Mafia als ein System der Machtstrukturen – das hätte ihn schon gereizt.“
Liz und Joe wechselten wieder einen Blick – schon wieder so ein unsympathisches Mordopfer, wie sollte man sich denn da motivieren, gründlich zu ermitteln?
„Ja“, sagte Joe dann, leicht benommen von der Faktenfülle, „vielen Dank erstmal, Frau Creutzer. Ganz ehrlich, wir müssen das alles erst einmal sortieren. Und es natürlich mit anderen Aussagen abgleichen und verbinden.“ Dies garnierte er mit seinem berühmten zutraulichen Lächeln, das noch fast jeden Zeugen weichgekocht hatte.