Читать книгу Ein naheliegendes Opfer - Elisa Scheer - Страница 22

21

Оглавление

Joe wanderte durch die einzelnen Abteilungen bei Creutzer Electronics und kam sich vor wie Inspector Columbo, von dem er erst am Wochenende eine uralte Folge gesehen hatte. Es fehlte ihm zwar am Trenchcoat und ganz besonders an dieser ekelhaften Zigarre, aber er war allen lästig und stellte dumme Fragen. Jedenfalls kam er sich so vor.

Sicher, alle antworteten freundlich. Der Tod des Seniorchefs war eine Tragödie. Probleme? Welche Probleme? Jemand, der nicht gut mit ihm ausgekommen war? Aber nein, so jemanden gab es hier bestimmt nicht. Entlassungen? In letzter Zeit? Nein, da war hier – in der Personalabteilung – absolut nichts bekannt…

Allmählich hatte er das Gefühl, die gesamte Belegschaft habe sich zusammengetan, um den Alten aus dem Weg zu räumen und dann eine Mauer des Schweigens zu errichten.

Mauer des Schweigens – er wurde schon direkt melodramatisch!

„Gibt es hier eigentlich Auszubildende?“, fragte er schließlich in der Personalabteilung nach, da ihm die Neigung Creutzers in den Sinn kam, ab und zu seine aktuelle Dame gegen ein neueres Modell auszutauschen. Wie ein Auto…

Wäre ihm wohl eine Auszubildende zu jung?

„Ja, Auszubildende haben wir. In der Produktion und im Büro. Was wollen Sie denn von denen? Glauben Sie wirklich, die wissen, wer den Chef umgebracht hat?“

Joe lächelte – wie er hoffte, überlegen. „Wer weiß das schon? Und befragen müssen wir alle, wenn wir auch nicht allen die gleichen Fragen stellen. Sie habe ich doch auch befragt, und das heißt nicht, dass ich Sie besonders verdächtigen würde.“

„Das wäre ja auch noch schöner!“, war die empörte Antwort, aber immerhin bekam er die Angabe, wo er diese Auszubildenden finden konnte.

In der Produktion gab es zwei junge Männer, die den Seniorchef überhaupt noch nie gesehen hatten – sie kannten ihren Ausbilder und den Personalchef, die auch zusammen das Einstellungsgespräch geführt hatten, das war´s. Das einzige Mädchen, Sina Marx, groß, schmal, mit langen schwarzen Haaren, die sorgfältig zurückgebunden waren, um bei den feinmechanischen Arbeiten nicht zu stören, war einmal zum Seniorchef geschickt worden. Warum, wusste sie eigentlich auch nicht: „Er hat nur ein paar Fragen gestellt, ob es mir gefällt und ob ich auch alles verstehe, und dann konnte ich schon wieder gehen. Keine Ahnung, was das sollte, dass hätte der Herr Müller“ – Kopfbewegung hin zu ihrem Ausbilder – „ihm alles ganz genauso sagen können.“

Joe bedankte sich. Ihm war schon klar, was das sollte: Der Chef suchte nach Frischfleisch, aber die junge Frau Marx entsprach so gar nicht seinen Neigungen.

Er seufzte auf dem Weg zur Verwaltung, weil ihm sein eigenes Beuteschema einfiel, mit dem er auch nie Glück hatte. Vielleicht, weil es diese großäugig-hilflosen Wesen gar nicht gab, vielleicht, weil die, die auf den ersten Blick zu passen schienen, dann doch deutlich eigenständiger agierten. Und richtige Hascherl gingen ihm ja dann auch wieder auf die Nerven.

Egal jetzt.

In der Verwaltung sollten es also zwei Mädchen sein, Alina Heckel und Liselotte Kurz. Er stieß die Tür zu einem sehr lebhaften Großraumbüro auf und sah sich um – mindestens zehn Frauen, die tippten, telefonierten, den Kopierer mit Fußtritten traktierten, Dokumente herumtrugen, sich einen Kaffee holten, Papiere in den Reißwolf steckten oder sich einfach unterhielten. Die meisten sahen aus wie Ende zwanzig, nur eine - auf den ersten Blick – passte altersmäßig.

Er trat näher, zeigte seinen Ausweis, nannte seinen Namen und erfuhr, dass er Liselotte Kurz („Sagen Sie Lilo, das tun alle hier“) vor sich hatte. Etwas enttäuscht registrierte er zwar die wilden dunklen Locken und die kleine, eher pummelige Figur, aber das legte sich schnell, als er merkte, wie aufgeweckt und mitteilsam seine Gesprächspartnerin war.

Sie hatte ihn in eine ruhige Gesprächsecke geführt, seiner Frage gelauscht und sogleich vielsagend geschnaubt: „Stimmt, er war immer hinter dem Typ naives, zartes Blondchen her, das hat man mir hier schon am ersten Tag erzählt. Mit konnte das ja scheißegal sein“ – sie kniff sich feixend in ihren Hüftspeck, der so arg auch wieder nicht war – „aber die Alina ist genau sein Typ.“

„Und, lief da was?“

„Quatsch! Ich bitte Sie, der Creutzer ist – war – ein alter Sack, der anscheinend zu Hause keinen Spiegel hatte. Alina ist neunzehn, wie ich auch, was soll man da mit so einer Großvaterfigur? Und dann war er ja auch so ein unangenehmer Typ, immer diese Andeutungen, dass sie doch weiterkommen möchte… Das heißt doch, ab in die Kiste oder Kündigung, oder? Ich hab ihr schon gesagt, damit gehen wir zur Gleichstellungsbeauftragten, und wenn die kneift, dann entweder zum Betriebsrat oder gleich zum Arbeitsgericht. Den hätten wir sowas von fertiggemacht – aber am Donnerstag war er wohl gar nicht so richtig entschlossen…“

„Was heißt das?“

„Ich denke, das fragen Sie am besten Alina selbst, da kommt sie gerade, sie war im Materiallager.“

Überflüssige Anmerkung – Alina Heckel trug fünf leere Leitzordner und kämpfte damit, keinen fallen zu lassen.

Klein, schmal, blond – perfekt.

Er wartete, bis sie nahe genug herangekommen war und die Ordner auf einen leeren Schreibtisch hatte fallen lassen. „Puh, diese blöden Dinger! Man kann Dokumente doch speichern, wieso wird hier eigentlich alles immer noch ausgedruckt und abgeheftet? Voll das vorige Jahrhundert…“

„Frau Heckel?“

Sie sah auf. „Ja?“

„Schönberger, Kripo Leisenberg. Mordkommission. Sie haben doch schon gehört, was passiert ist?“

„Ja, klar. Keiner redet hier von etwas anderem. Der Chef ist tot. In seinem Wochenendhaus oder Hütte oder so, gell?“

„Ja, Mensch, Alina – stell dir vor, du wärst da mitgefahren, du wärst jetzt ja vielleicht auch tot? War es denn ein Raubüberfall, Herr Kommissar?“

„Aha?“ Joe wandte sich Alina zu, die ihrer Kollegin giftige Blicke zuwarf. „Warum haben Sie mir das denn nicht gesagt?“

„Hätte ich schon noch, ich bin ja gar nicht dazu gekommen! Außerdem war eh klar, dass ich nicht mitfahre, ich weiß gar nicht, warum der Senior mich so albern angemacht hat, er hätte ja mein Opa sein können. Und nett war er auch nicht.“

„Aber er wollte, dass Sie ihn begleiten?“

„Ja, schon. Angeblich, um über meine Zukunft zu reden – aber das konnte ich mir schon vorstellen. Kam absolut gar nicht in Frage.“

„Und das haben Sie Creutzer auch gesagt?“

„Spinnen – tschuldigung, aber das ist doch nicht ihr Ernst? Mit dem streitet man nicht. Man tut, als hätte man seine Andeutungen nicht registriert und haut bei der erstbesten Gelegenheit ab. Aber ich war so vage, dabei muss er sich eigentlich was gedacht haben… Es kann nicht sein, dass er sich umgebracht hat? Weil er gemerkt hat, dass er alt und verbraucht ist und keine Mädels mehr abschleppen kann?“

Kess unterwegs, die Kleine. In dieser Hinsicht passte sie nicht so ganz ins Beuteschema – obwohl…

Er schüttelte langsam den Kopf. „Kein Selbstmord, kein Raubüberfall. Ein überlegter und nicht gerade zartfühlender Mord. Sie wissen, wo diese Hütte ist?“

Alina zuckte die Achseln. „Auf dem Land, im Wald. Ganz ehrlich, wenn er es mir gesagt haben sollte, hab ich´s nicht mitgekriegt. Aber wozu hätte er es mir sagen wollen? Wenn ich da auf eigene Faust vorgefahren wäre, hätte ich doch beim ersten Grabschen wieder abhauen können – und ich kann mir nicht vorstellen, dass das in seinem Sinne gewesen wäre. Doch, Moment, er hat irgendwas von Maria Blut gesagt, ist das da irgendwo in der Gegend?“

Joe nickte. „Hinter Geresing.“

„Aha. Ich hab´s gar nicht mit ländlicher Idylle. Wenn mir einer ein Wochenende spendieren will, um mich flachzulegen, dann soll er New York aussuchen. Na, oder wenigstens Berlin. Meinetwegen auch bloß München. Aber ein Häuslein im Wald? Vielleicht noch Rehe füttern? Nicht meins.“

Joe blinzelte leicht benommen. Dieser Fall strotzte vor redseligen Frauen. Und keine hatte den blöden alten Sack ernst genommen! Wozu hätten die ihn noch töten sollen?

Er konnte ihnen doch nichts – er zahlte ihnen sowieso nichts, die einzige, die für ihn arbeitete, war diese Alina, und die hatte ja die Nummern von Betriebsrat und Arbeitsgericht sozusagen schon im Handy gespeichert. Und peinlich war der auch nichts.

Ob die Tochter wenigstens ein Hühnchen war? Und die Mutter dazu?

Oder hatten Sohn und Kompagnon so richtig unter Creutzer gelitten? Und was war überhaupt mit den anderen Geschwistern?

Am besten zurück ins Präsidium… er verabschiedete sich von den beiden Mädchen, die ihm freundlich nachwinkten, und fuhr zurück.

Ein naheliegendes Opfer

Подняться наверх