Читать книгу Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze - Страница 10
Оглавление6 «Du bist also Nina.»
Das Mädchen, das mir gegenüber sass, zeigte keine Regung. Sie war klein und ziemlich kurvig für ihre fünfzehn Jahre, mit dunklem, lockigem Haar, das sie zu einem losen Pferdeschwanz gebunden hatte. Sie war nicht hübsch im klassischen Sinn – das Gesicht war zu rundlich, der Mund zu breit und das Kinn zu energisch. Aber sie hatte wunderbare Augen, grün-braun, mit langen Wimpern und hellwach.
«Ich will keine Anwältin», sagte Nina. Sie hatte eine angenehme tiefe Stimme, die sie älter klingen liess.
«Deine Mutter denkt aber, du brauchst eine.» Fünfzehn Jahre und Mord – bei dieser Kombination wäre ich als Mutter auch im Dreieck gesprungen.
Ich warf Frau Behrens, die im Türrahmen stand, einen Blick zu. Sie starrte ihre Tochter von der Seite her mit geröteten Augen an, knetete unablässig ein Papiertas//chentuch zwischen den Fingern.
«Es geht nicht um einen simplen Diebstahl», fügte ich hinzu.
Nina zuckte verstockt mit den Schultern. Sie schien sich der Tragweite der Situation nicht bewusst zu sein. Sie schien sich einzig über meine Anwesenheit zu ärgern. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, dann würden mich ganz andere Sorgen plagen.
«Rede mit mir. Erzähl mir, was passiert ist.»
Noch immer zog Nina es vor, mich zu ignorieren.
«Rede mit Frau van der Meer, Schätzchen. Bitte.» Frau Behrens griff nach Ninas Hand.
«Du willst also keine Hilfe, Nina», sagte ich.
Schweigen.
«Nina, bitte», flüsterte die Mutter.
Nina schüttelte ihre Hand unwillig ab.
Ich überlegte. Ich musste eine andere Strategie fahren. Ich beugte mich vor und musterte Nina mit zusammengekniffenen Augen, verharrte so, schwieg.
Irgendwann hielt Nina es nicht mehr aus. «Was ist?», fuhr sie mich wütend an.
Ich schwieg weiterhin.
Nina begann, an ihrem Pferdeschwanz zu nesteln, löste den Haargummi, arrangierte die Haare neu. Ihre Hände zittern leicht und es dauerte eine Weile, bis die Frisur sass. Ich hatte mich geirrt. Nina war nicht verärgert. Sie hatte Angst.
«Frau Behrens», wandte ich mich an die Mutter, eine wohl ganz gutaussehende Frau Ende vierzig, die sich nun aber in einem Zustand der totalen Auflösung befand. Die Haare waren zerzaust, die Kleidung sah aus, als wäre Frau Behrens in einen Sturm geraten, selbst die feinen Falten in ihrem Gesicht schienen in Unordnung geraten zu sein. «Frau Behrens, würden Sie uns einen Moment allein lassen?»
Beatrice Behrens schien unentschlossen.
Ich sah sie mit einem festen Blick an, zog die Augenbrauen hoch und machte mit dem Kinn eine kaum merkliche Bewegung Richtung Nina. Frau Behrens erhob sich, begab sich zögernd Richtung Tür. Es war ihr sichtlich nicht wohl dabei, ihre Tochter mit mir allein zu lassen. Wir befanden uns im Wohnzimmer einer gemütlichen, grosszügigen Altbauwohnung mit Blick auf den Garten. Wie ich den wenigen, wirren Sätzen entnehmen konnte, die Frau Behrens bei meinem Eintreffen von sich gegeben hatte, wohnten sie und Nina allein hier. Der Vater von Nina war vor einigen Jahren verstorben. «Herzinfarkt. Dabei war er noch so jung.»
Frau Behrens gab sich einen Ruck. «Ich bin in der Küche, Nina, ja? Du brauchst nur zu rufen.»
Nina reagierte nicht.
Beatrice Behrens seufzte schwer, dann verliess sie das Wohnzimmer. Als sie bereits unter der Tür stand, rief Nina ihr hinterher.
«Es tut mir Leid, Mama», rief sie.
Beatrice Behrens drehte sich um und suchte Ninas Blick. Dann zog sie die Tür hinter sich zu.
Ich schaute Nina an. Ihre Augen hatten noch immer diesen ängstlichen Ausdruck. Aber da war noch etwas Anderes. Nur was?