Читать книгу Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze - Страница 13
Оглавление9 Béjart, mein Bekannter bei der Kantonspolizei, ging nicht ans Telefon. Ich hinterliess eine Nachricht, bat um umgehenden Rückruf und legte auf. Frau Behrens sah mich an.
«Sind Sie sicher, dass das notwendig ist?», fragte sie. «Nina ist doch noch ein Kind …»
Ein Kind, das ein anderes Kind getötet hatte.
«Nina will ein Geständnis ablegen, Frau Behrens», sagte ich. «Ausserdem ist es sowieso besser, sie meldet sich freiwillig, anstatt …»
«Anstatt dass man sie irgendwann einfach holen kommt?» Frau Behrens schlug die Hände vors Gesicht. «Ach, Nina, wie bist du nur in so etwas hineingeraten.»
Nina presste die Lippen aufeinander. «Nicht weinen, Mama», sagte sie und strich ihrer Mutter unbeholfen über die Schulter. «Alles wird gut.»
Alles wird gut. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Wie naiv Fünfzehnjährige sein konnten. Naiv und fordernd, unschuldig und verschlagen. Dieses Wechselspiel gehört wohl zur Pubertät dazu. Teenager sind eine eigene Spezies und für mich unerforschtes Gebiet. Es gäbe sicher geeignetere Anwälte, die auf die Vertretung von Jugendlichen spezialisiert waren. Bevor ich Frau Behrens fragen konnte, wer mich empfohlen hatte, rief Béjart zurück. Ich machte Frau Behrens und Nina ein Zeichen und zog mich auf den Flur zurück, schloss die Tür zum Wohnzimmer.
«Wo brennt’s, van der Meer?»
Ich hasste es, wenn er mich bei meinem Nachnamen nannte. Und er wusste, dass ich es hasste. Deswegen machte es ihm so viel Spass.
Béjart und ich hatten uns vor einigen Jahren kennengelernt, als wir zusammen an einem Fall gearbeitet hatten. Wir hatten den Tod einer jungen Frau aufgeklärt. Eine düstere Geschichte. Unwillkürlich schauderte mich. Seither waren Béjart und ich befreundet. Irgendwie war da auch mehr zwischen uns, eine Spannung, ein Knistern, das wir aber beide zu ignorieren versuchten. Das Leben war kompliziert genug.
«Bist du allein?», fragte ich. Ich hörte Schritte, das Schlagen einer Tür.
«Jetzt bin ich’s.»
«Dann hör zu.» Ich erzählte ihm in groben Zügen von Nina und ihrem Geständnis. «Weisst du, wer für den Fall zuständig ist?»
«Du kannst dich an Koller wenden, er leitet das Ermittlungsteam.»
Koller war ein Kollege von Béjart, mit dem ich auch schon zu tun gehabt hatte. Ein anständiger Kerl.
«Wie ist sie so?»
«Was?» Ich war mit meinem Gedanken noch bei Koller gewesen.
«Was du von deiner Mandantin hältst?»
«Sie hat Angst», sagte ich. «Und sie lügt. Ich weiss nur noch nicht, in welchem Punkt.»
«Wie kommst du darauf?»
«Kleine Dinge. Als sie mir den Tathergang erzählt hat, hat sie ein paarmal leicht mit den Schultern gezuckt. So, als zweifle sie selbst an ihrer Geschichte.»
«Ist das alles?»
Ich überlegte. «Am Schluss hat sie gesagt: Ich bin froh, dass er tot ist.» Ich hielt inne.
«Und?», fragte Béjart ungeduldig.
«Dabei hat sie so komisch gelächelt. Ich meine, ein echtes, glückliches Lächeln war das nicht.»
«Vielleicht interpretierst du zu viel hinein. Vielleicht ist alles so passiert, wie sie gesagt hat.»
«Vielleicht», antwortete ich.
«Steht morgen Abend immer noch?», wechselte Béjart das Thema.
Seit einiger Zeit gingen wir ab und zu zusammen essen, immer in ein anderes Lokal. Wir frassen uns sozusagen durch die Winterthurer Gastronomie. Am nächsten Abend wollten wir der Pizzeria Don Camillo an der Steinberggasse einen Besuch abstatten. Ich bestätigte unsere Verabredung und legte auf.
Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Nina lag auf dem Sofa, den Kopf in den Schoss der Mutter gelegt. Sie weinte geräuschvoll, und ihre Schultern zuckten. Auch Frau Behrens liefen die Tränen über die Wangen. Nina wandte den Kopf, als sie mich hörte. Ihr Gesicht war gerötet, die Augen verquollen, die Haare zerzaust. Sie sah nicht mehr aus wie ein Teenager. Sie sah aus wie ungefähr elf.