Читать книгу Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze - Страница 7
Оглавление3 Ich sass in einem bequemen Sessel, mir gegenüber Willy, der in seine Zeitung vertieft war. Willy Morgenroth ist mein Vermieter und ein Freund. Mit seinen 76 Jahren ist er noch immer rüstig, was er wohl nicht zuletzt den langen Spaziergängen mit Charlie, seinem treuen Golden Retriever, zu verdanken hat. Ich nippte am Rotwein, den Willy mir gebracht hatte und sah aus dem Fenster. Es war Mitte April und der Frühling war endlich voll im Gang. Im März hatte es nicht danach ausgesehen, es hatte noch einmal heftig geschneit, nachdem sich bereits die ersten Schneeglöckchen gezeigt hatten. Nun grünte alles. Ich kuschelte mich enger in meine Strickjacke. Ich war mehr als bereit für den Frühling. Es war ein harter Winter gewesen, in doppelter Hinsicht. Im Februar hatte die Temperatur sich vier Wochen lang unter dem Nullpunkt bewegt, selbst tagsüber. Hinzu kamen die sporadischen Besuche bei Norah, die an meinen Kräften zehrten. Ich seufzte und trank noch einen Schluck Wein. Willy hob den Kopf und musterte mich. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mich nach den Besuchen im Gefängnis zu bemuttern. Er wusste, wie schwer das für mich war. Anstatt viele Worte darüber verlieren, kümmerte er sich um mein Wohlergehen, liess mich teuren Rotwein trinken. Wenn ich doch einmal reden wollte, dann hörte er zu.
Heute wollte ich nicht reden. Also hatte Willy eine seiner geliebten Jazz-Platten aufgelegt und den «Landboten», die Lokalzeitung von Winterthur und Umgebung, zur Hand genommen.
«Haben Sie von diesem Jungen gehört?» Willys Stimme liess Charlie hochschrecken, der zu unseren Füssen gedöst hatte.
Ich kraulte ihm beruhigend den Nacken. «Welcher Junge?»
«Dieser Fünfzehnjährige, der tot aufgefunden worden ist. Massive Kopfverletzungen.» Willy schüttelte bedauernd den Kopf. «Der arme Junge. In was für einer Welt wir leben …» Er brach ab und schüttelte noch einmal den Kopf.
Neugierig geworden streckte ich die Hand nach der Zeitung aus. Willy reichte sie mir. Luca T., ein fünfzehnjähriger Oberstufenschüler, war gestern am frühen Morgen tot auf dem Pausenplatz des Schulhauses St. Georgen aufgefunden worden. Sowohl Todesursache als auch allfällige Täterschaft war bislang unbekannt. Ich liess die Zeitung sinken. Willy hatte Recht. In was für einer Welt leben wir, wenn bereits Fünfzehnjährige getötet werden?
Kurz darauf ging ich zu mir nach oben. Es war ein langer Tag gewesen. Ich öffnete das Fenster in der Küche, setzte mich auf die Fensterbank und zündete mir eine Zigarette an. Ich legte den Kopf in den Nacken und liess kleine Rauchkringel emporsteigen. Ich dachte an den toten Jungen. Fünfzehn Jahre. So alt wie meine Schwester gewesen war, als sie spurlos verschwand. Fünfzehn Jahre. Ein gefährliches Alter.