Читать книгу Ein gefährliches Alter - Eva Ashinze - Страница 20

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16 «Du hast dich mit Luca verabredet. Ihr wolltet euch um Mitternacht auf dem Pausenhof treffen.»

Nina nickte.

Koller sah sie zweifelnd an. Er hatte blassblaue Augen in einem wettergegerbten Gesicht, die grauen Haare waren militärisch kurz. Er sah nicht aus wie ein Polizist. Eher wie ein Bergführer. Dazu passten die gerahmten Fotos an den Wänden: Alpenlandschaften. Ich mochte ihn ganz gern. Er war anständig und vor allem intelligent. Das konnte ich nicht von allen in diesem Gebäude behaupten.

«Weshalb?», fragte er.

«Ich wollte etwas zurück haben. Etwas, das mir gehörte.» Nina verschränkte die Arme vor der Brust. Schützend. Oder abweisend. Ich war mir nicht sicher. Wir sassen zu viert in Kollers Büro; Nina, Koller, eine Protokollführerin und ich. Frau Behrens wartete im Vorzimmer. Nina hatte sie nicht dabeihaben wollen, und ich war ganz froh darüber. Zu viele Emotionen konnten hinderlich sein.

Ich betrachtete Nina von der Seite. Sie hatte Ringe unter den Augen und war sehr blass. Sie hatte wohl nicht viel geschlafen. Kein Wunder. Trotzdem hielt sie sich bis jetzt ganz gut.

«Und das konnte Luca dir nicht tagsüber geben?», hakte Koller nach.

Nina zuckte die Schultern. «Können schon. Wollte er aber nicht.»

«Ihr habt euch also um Mitternacht beim St. Georgen getroffen. Ist das richtig?»

«Ja.»

«Wie habt ihr euch verabredet?»

«Was meinen Sie mit wie?» Nina sah Koller misstrauisch an. Sie zog an den Ärmeln ihres rosafarbenen Kapuzenpullis, versteckte die Hände darin.

«Naja, wie die Verabredung zustande gekommen ist. Habt ihr euch in der Schule unterhalten oder SMS geschrieben oder …» Er zählte keine weiteren Möglichkeiten auf. Vielleicht kamen ihm keine mehr in den Sinn.

«Ich habe ihm eine WhatsApp geschrieben. Er hat zurückgeschrieben.» Wieder zuckte sie mit den Schultern. «So halt.»

Koller nickte zustimmend. «Und was wolltest du von ihm zurückhaben?»

Nina presste die Lippen aufeinander und sah mich an.

Ich nickte ihr auffordernd zu. Sie musste Koller alles erzählen, auch wenn es nicht einfach war.

«Beantworte bitte meine Frage, Nina», sagte er ruhig.

Nina holte tief Luft. «Luca und ich hatten was zusammen. Ich meine, wir waren nicht zusammen oder so, es war nur … Es war … Wir hatten einfach Spass.»

«Ihr hattet keine Beziehung», hielt Koller nochmals fest.

«Das habe ich doch gerade gesagt.» Nina zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn finster an. «Wir haben einfach so rumgemacht. Und …»

«Wann war das?», unterbrach Koller.

«Was?» Nina geriet aus dem Konzept.

«Wann das war. Im April oder früher schon? Und über welchen Zeitraum?»

«Mann, Sie unterbrechen mich dauernd! So kann ich mich nicht konzentrieren.» Nina schien den Tränen nahe.

Ich sah von ihr zu Koller. Ich war überzeugt, dass er das absichtlich machte. Ich fragte mich, worauf seine Taktik abzielte. Falls er Nina damit verunsichern wollte, hatte er es auf jeden Fall geschafft.

«Entschuldige, Nina», er lächelte sie versöhnlich an. «Ich versuche, mich zu bessern, ja?»

Sie nickte, war aber nicht überzeugt.

«Gut, dann erzähl weiter. Wann habt ihr euch getroffen, und was ist da passiert?»

«Ich weiss nicht mehr genau. Es war nur ein Mal. Also, getroffen haben wir uns schon mehr, in der Schule und so. Aber zusammen waren wir nur ein Mal. Ende März vielleicht. Oder anfangs April.»

«Vor oder nach Ostern?»

Ostern war dieses Jahr auf Ende März gefallen.

«Ich weiss nicht.» Nina sah Koller ausdruckslos an.

Er nickte, obwohl sie keine Frage gestellt hatte.

«Es war nicht geplant. Ich war in der Stadt und mir war langweilig, meine Freundinnen konnten alle nicht abmachen an diesem Tag. Im Starbucks habe ich Luca getroffen, und dann haben wir zusammen abgehängt, und er hat gefragt, ob ich nicht noch zu ihm kommen will. Und dann bin ich mit zu ihm, und dann ist es passiert.» Nina ratterte das alles im Eiltempo herunter; sie wollte es hinter sich bringen.

«Habt ihr miteinander geschlafen?»

Nina nickte stumm. Sie warf der Protokollführerin einen Blick zu. Es war ihr nicht angenehm, vor so vielen Unbekannten ihre intimste Geschichte auszubreiten. Kein Wunder, immerhin war sie erst fünfzehn.

«Danach sind wir dagelegen, und ich bin halb eingeschlafen, er steht auf, und plötzlich höre ich so ein Geräusch von seinem Telefon, und ich mache die Augen auf, und da steht der Arsch und macht einfach Fotos von mir. Dabei habe ich doch nichts an. So ein Arsch.» Nina klingt wütend. «Und diese Fotos wollte ich zurückhaben. Oder besser: Luca sollte sie löschen.»

Deswegen hatte Nina sich mit Luca mitten in der Nacht getroffen. Er hatte sie erpresst. Entweder du kommst, oder ich verschicke die Fotos an die Jungs aus der Schule.

«Schwein», sagte Nina. Ihr Gesicht war ausdruckslos. «Und als ich ihn dann getroffen habe, da hat er sich über mich lustig gemacht.»

«Du scheinst mir nicht der Typ zu sein, der sich so leicht erpressen lässt», warf Koller ein.

«Was wissen Sie schon über mich. Ausserdem – was hätte ich machen sollen?»

Koller kritzelte etwas auf ein Stück Papier.

«Soll ich weitermachen, oder was? Ich meine, irgendwie klingt es, als würden Sie mein Geständnis gar nicht wollen. Ich kann auch wieder gehen, wenn Ihnen das lieber ist», sagte Nina trotzig.

«Mach bitte weiter, Nina.» Koller liess sich nicht aus der Ruhe bringen.

«Ich habe zu Luca gesagt, ich bin hier, nun lösch die Fotos. Er hat gelacht. ‹Erst will ich was dafür›, hat er gesagt. ‹Was hast du zu bieten, Nina?› Ich bin wütend geworden, so furchtbar wütend, ich werde manchmal einfach so wütend, jähzornig sagt meine Mutter. Und da habe ich ihn gestossen. Er ist nach hinten gefallen und mit dem Kopf auf den Tischtennistisch aufgeschlagen, genau hier.» Sie berührt die Ecke des Schreibtischs. «Es hat ein ganz komisches Geräusch gemacht, wie ein Knacken. Und dann hat er am Boden gelegen, und da war plötzlich alles voller Blut, und ich habe Luca gerufen, aber er hat nicht geantwortet.» Sie machte eine Pause und starrte vor sich hin.

Im Raum war kein Laut zu hören.

«Ich habe ihn hier angefasst.» Nina deutet auf die Halsschlagader. «Ich habe keinen Puls gespürt. Da bin ich weggerannt.»

«Und sein Handy? Hast du das mitgenommen? Wir haben bei Luca keines gefunden.»

Nina zögerte einen Moment. «Ich habe es mitgenommen und danach weggeworfen.»

«Weshalb hast du es mitgenommen?»

«Na wegen der Fotos halt.» Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände: Wie konnte man nur so dumm fragen.

«Wo?»

«Was?» Sie warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

«Wo hast du das Handy weggeworfen?»

«Ich … Bei diesem Spielplatz im Inneren Lind, der mit der orangefarbenen Rutschbahn, da habe ich es in einen Mülleimer geworfen.»

Ich betrachtete Nina. Sie sah Koller mit weit geöffneten Augen an. Sie sah aus wie jemand, der die Wahrheit sagt. Aber mir hatte sie gestern etwas anderes erzählt. Mir hatte sie erzählt, sie habe das Handy in einen Mülleimer im Münzpark geworfen. Ein Detail nur. Trotzdem.

«Weshalb hast du keine Hilfe geholt?», wollte Koller wissen.

«Ich hatte Angst.»

Koller nickte. Er schien zu überlegen und klickte mit einem Kugelschreiber. Im Raum war nur dieses Klicken zu hören. Nina starrte Koller an. Koller war in die Betrachtung seines Kugelschreibers vertieft.

«Kannst du mir die WhatsApp zeigen?»

«Was?», fragte Nina verwirrt.

«Die WhatsApp, mit denen ihr euch verabredet habt. Kannst du sie mir auf deinem Handy zeigen?»

Nina errötete leicht und schüttelte den Kopf. «Die habe ich gelöscht.»

Wieder nickte Koller. Wieder betrachtete er seinen Kugelschreiber. Dann sah er auf: «Nina, würdest du bitte zu deiner Mutter gehen? Ich muss mich kurz allein mit Frau van der Meer unterhalten.» Er stand auf und öffnete die Tür für sie. «Es dauert nicht lange. Frau Moser wird dir eine Cola bringen.» Er machte mit dem Kinn eine Bewegung zur Protokollführerin. Die erhob sich ebenfalls.

Nina sah fragend zu mir.

«Ist in Ordnung, Nina», sagte ich.

Sie machte die gleiche Bewegung wie gestern: Sie nestelte an ihrem Pferdeschwanz, löste das Haargummi und arrangierte die Haare neu. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, warf sie mir einen ängstlichen Blick zu.

Ein gefährliches Alter

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