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III. Entstrickung und Schlussbesteuerung bei Körperschaften (§ 12 KStG)

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Fall 4:

Die X-Corporation ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im US-Bundesstaat Delaware. Sie unterhält im Süden von Hamburg eine Betriebsstätte im Sinne des § 12 AO bzw des Art. 5 DBA USA. Die X-Corporation wird nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des US-Bundesstaats Delaware auf die Y-Corporation verschmolzen. Es tritt nach US-Recht zivilrechtlich eine Gesamtrechtsnachfolge ein. Betriebsprüfer P untersucht die steuerlichen Konsequenzen in Deutschland. Lösung Rn 89

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§ 12 Abs. 1 KStG soll als allgemeiner Entstrickungstatbestand[146] – im Körperschaftsteuerrecht dienen und fingiert eine Veräußerung bzw eine Überlassung eines Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert, wenn bei einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Die Regelung bezieht sich ausschließlich auf betrieblich veranlasste Vorgänge. Rein gesellschaftsrechtlich veranlasste Vorgänge, die den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG erfüllen, werden nach der Gesetzesbegründung nicht erfasst.

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Die Gewährung einer Körperschaftsteuerbefreiung gemäß § 5 KStG stellt laut Gesetzesbegründung keinen Ausschluss und keine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts dar. Die Gewährung einer Steuerbefreiung erfolgt gerade in Ausübung des Besteuerungsrechts. Die Rechtsfolgen bei Beginn oder Erlöschen einer Steuerbefreiung ergeben sich daher aus § 13 KStG. § 12 KStG ist nicht einschlägig.

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§ 12 Abs. 2 KStG befreit vom Erfordernis des Ansatzes des gemeinen Wertes und lässt den Buchwertansatz für übergehende Wirtschaftsgüter in den Fällen zu, in denen bei einem beschränkt Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen das inländische Vermögen einer Betriebsstätte als Ganzes auf einen anderen ausländischen Rechtsträger steuerneutral übertragen werden kann. Gemeint sind Übertragungsvorgänge nach ausländischem Recht, die nicht von den Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes erfasst sind (etwa Verschmelzungen ausländischer Körperschaften, von denen mindestens eine eine inländische Betriebsstätte unterhält), wenn der Übertragungsvorgang zwischen Rechtsträgern desselben ausländischen Staates mit einer Verschmelzung im Sinne des § 2 UmwG vergleichbar ist und das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland an den übertragenen Wirtschaftsgütern nicht beschränkt wird[147].

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§ 12 Abs. 3 KStG schließlich regelt als körperschaftsteuerrechtliche Parallelnorm[148] zur Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG die sog. Schlussbesteuerung. Wenn eine Körperschaft, Vermögensmasse oder Personenvereinigung ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz[149] verlegt und sie dadurch aus der unbeschränkten Steuerpflicht eines EU- oder EWR-Mitgliedsstaates ausscheidet, gilt sie nach Satz 1 der Norm als aufgelöst mit der Folge, dass § 11 KStG entsprechend Platz greift. Es kommen daher die aus dem nationalen Recht bekannten Regeln über die steuerliche Behandlung der Liquidation von Körperschaften zur Geltung. An die Stelle des zur Verteilung kommenden Vermögens tritt der Wert des vorhandenen Vermögens, § 12 Abs. 3 Satz 3 KStG. § 11 KStG wird über § 12 Abs. 3 Satz 2 KStG auch dann zur entsprechenden Anwendung verholfen, wenn das Steuersubjekt aufgrund eines DBA infolge der Verlegung seines Sitzes oder seiner Geschäftsleitung als außerhalb des Hoheitsgebietes der EU- oder EWR-Mitgliedsstaaten ansässig anzusehen ist.

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Der Gesetzgeber hat für § 12 Abs. 3 KStG keine glückliche Formulierung gewählt. Die Norm liest sich in Satz 1 unbefangen so, als ob die Verlegung von Sitz und Geschäftsleitung einer französischen Société anonyme (entspricht einer deutschen Aktiengesellschaft) in die Vereinigten Staaten ein Vorgang wäre, der der deutschen Besteuerung unterliegt. Dies ist mE mitnichten der Fall. Jedoch ergibt sich erst aus § 1 KStG, dass die Sitzverlegung (zunächst) von Deutschland aus erfolgen muss, weil sonst schon a priori keine Steuerpflicht besteht, aus der die Gesellschaft ausscheiden könnte. Das in der Literatur vertretene gegenteilige Verständnis ist mE abzulehnen. Nach Dötsch[150] beispielsweise kommt es ausdrücklich nicht darauf an, ob die jeweilige Gesellschaft überhaupt jemals im Inland steuerpflichtig war. Die Vorschrift ist aber, wenn denn der Gesetzgeber sie in diesem Sinne verstanden wissen wollte, mE teleologisch zu reduzieren, weil der Gesetzgeber anderenfalls einen Sachverhalt besteuert, der keinerlei Anknüpfungspunkte zum Inland aufweist. Dies verstößt gegen Völkerrecht. Der deutsche Gesetzgeber darf zB nicht die Sitzverlegung der og französischen Gesellschaft besteuern, wenn diese im Inland zu keinem Zeitpunkt unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig war und auch keiner der Gesellschafter im Inland ansässig ist.

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Von der Neuregelung erfasst werden sollten eigentlich nur die folgenden beiden Sachverhalte: (1) Eine aufgrund ihres inländischen Sitzes oder ihrer inländischen Geschäftsleitung unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft verlegt das einzige im Inland verbliebene Anknüpfungsmerkmal in das Ausland und scheidet dadurch aus der unbeschränkten Steuerpflicht aus. (2) Eine aufgrund ihres inländischen Sitzes und ihrer inländischen Geschäftsleitung unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft verlegt ihre Geschäftsleitung in das Ausland und gilt fortan aufgrund einer Art. 4 Abs. 3 OECD-MA entsprechenden DBA-Regelung als in dem ausländischen Staat ansässig. Der Gesetzgeber ist hier in sprachliche Kalamitäten geraten, weil er aufgrund des Gemeinschaftsrechts[151] unter „Ausland“ nicht „EU-Ausland“ verstehen durfte. § 12 Abs. 3 KStG betrifft daher den Fall, dass eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft unmittelbar von Deutschland aus ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einen Nicht-EU- bzw Nicht-EWR-Staat verlegt und dadurch aus der unbeschränkten Steuerpflicht ausscheidet oder dass sie nur eines dieser Merkmale verlegt und aufgrund des jeweiligen DBA als im Ausland ansässig gilt (dies wird regelmäßig bei der Verlegung der Geschäftsleitung der Fall sein). Nach Sinn und Zweck der Norm ebenfalls erfasst ist eine Verlegung der Anknüpfungsmerkmale für die Besteuerung (Sitz oder Geschäftsleitung) von einem EU- bzw EWR-Staat in einen Nicht-EU- bzw Nicht-EWR-Staat, wenn der Verlegung ein Wegzug aus Deutschland vorausgegangen ist[152] (nach der og Auffassung von Dötsch kommt es darauf aber gerade nicht an). Reine Sitzverlegungen in Drittstaaten können hingegen nicht unter die Vorschrift subsumiert werden. Anders als § 6 AStG enthält § 12 KStG ferner keine Regel, nach der die Steuer solange gestundet würde, bis eine Gesellschaft endgültig den EU-/EWR-Raum verlassen hat[153]. Anwendbar ist aber § 4g EStG (Ausgleichspostenmethode), vgl § 12 Abs. 1 HS 2 KStG.

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Lösung Fall 4 (Rn 82):

Sowohl die frühere X-Corporation als auch die Y-Corporation (nach Aufnahme der X-Corporation) sind beschränkt körperschaftsteuerpflichtig nach § 2 Nr 1 KStG, weil sie über die inländische Betriebsstätte inländische Einkünfte im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr 2 Buchstabe a EStG (iVm § 8 Abs. 1 KStG) beziehen. Betriebsprüfer P kommt nun auf die Idee, § 12 Abs. 1 HS 1 KStG anwenden zu wollen. Zudem erinnert er sich aus Ausbildungszeiten noch an § 12 Abs. 2 KStG aF, wonach eine Buchwertfortführung nur möglich war, wenn das jeweils anwendbare ausländische Recht die Übertragung zu Buchwerten zuließ. Vorliegend ist indes richtigerweise § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG einschlägig, wonach die Buchwertfortführung möglich ist, so dass die ausländische Verschmelzung im Inland steuerneutral bleibt: Die ausländische Verschmelzung soll annahmegemäß einer Verschmelzung im Sinne des § 2 UmwG entsprechen. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht der Y-Corporation ist die deutsche Besteuerung mit Körperschaftsteuer sichergestellt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr 1 KStG). Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist hinsichtlich der Betriebsstätte nicht beschränkt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr 2 KStG), und die Nr 3 und 4 des § 12 Abs. 2 Satz 1 KStG sind ebenfalls erfüllt.

§ 1 Die internationale Dimension des Steuerrechts › C. Begründung, Ausschluss und Beschränkung des Besteuerungsrechts › IV. Verstrickung und Entstrickung bei Kapitalgesellschaftsanteilen (§ 17 EStG)

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