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Nacht

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Die nächste Nacht verbrachten sie auf einer kleinen Lichtung zwischen frühen, gelb blühenden Sträuchern. Der Duft durchwehte den Wagen des Billigen Jakob, in dem auch Xenia sich zum Schlafen gelegt hatte. Florine saß an ihrer Seite und blickte hinaus in den Wald. Bald würde sie mit Meister Goldauge den Heimflug antreten. Auch Xenia sollte mit zwei Bewaffneten zur Burg zurückkehren, sobald sie den Inselwald zum Stillen Kauz erreicht hatten. Doch nur Xenia wusste, dass sie nicht umkehren würde. Sie würde Marius und Ludovico nicht allein nach Faucas reisen lassen, um sie womöglich nie mehr wiederzusehen. Dafür hatten sie zu viel miteinander erlebt, waren viel zu eng befreundet. Sie seufzte.

»Denkst du daran, dass wir uns bald trennen müssen?«, fragte Florine.

»Ja«, antwortete Xenia mit belegter Stimme. Sie wusste, dass die Frage eigentlich wie die nach der Trennung von Marius und Ludovico geklungen hatte, dass Florine aber tatsächlich ihre bevorstehende Trennung meinte, die Trennung von ihrer ältesten Freundin, mit der sie zwölf Jahre lang die Kammer und jedes Geheimnis geteilt hatte. Denn die Papageiendame hatte Xenias Gedanken längst gelesen, das konnte sie besser als die Großmutter, die Meisterin in derartigen Dingen war.

»Und du bist sicher, dass du nicht mit mir zurück auf die Burg willst?«, fragte Florine so leise, dass Xenia zuerst dachte, sie hätte sich verhört.

»Wie?«, fragte sie sicherheitshalber zurück.

»Ach, Xenia«, seufzte die Papageiendame. »Wir kennen uns jetzt so lange. Ich glaube, ich verstehe dich in manchen Dingen besser als du dich selbst. Denk doch nicht, ich wüsste nicht, dass du die beiden nach Faucas begleiten willst.«

Xenia horchte, ob womöglich irgendjemand das Gespräch belauschte. Doch ringsumher atmeten und schnarchten die schlafenden Gefährten gleichmäßig. Trotzdem rappelte sich Xenia auf und gab Florine ein Zeichen, mit ihr nach draußen zu kommen.

Der Boden vor dem Wagen war so dunkel, dass sie kaum ihre eigenen Füße sehen konnte und unsicher ein paar Schritte von der Kutsche des Billigen Jakob wegtappte. Florine setzte sich auf ihre Schulter und sie sahen gemeinsam in den sternenklaren Himmel. Auch wenn ihr Gespräch nun nicht mehr belauscht werden konnte, hielten sie ihre Stimmen doch gesenkt. Denn auch die unsichtbar postierten Wachen sollten sie nicht hören.

»Florine, ich hätte es dir gleich sagen sollen.«

»Das hättest du«, bestätigte Florine mit nur gespielt beleidigtem Ton. Sie wusste, dass Xenia sich die Entscheidung, Schloss Falkenhorst zu verlassen, nicht leicht gemacht hatte. »Und warum hast du es nicht?«

»Ich habe es nicht über mich gebracht.« Xenia senkte den Kopf.

»Vielleicht wollte ich mir auch einfach noch das Hintertürchen offenhalten.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Florine. »In deinen Entscheidungen bist du immer stark. Aber ich kann verstehen, dass du es nicht über dich gebracht hast. Denn es mir zu sagen musste fast genauso schwer für dich sein, wie es deinen Großeltern zu sagen.«

Xenia nickte und sagte leise »Ja. Das wäre es gewesen. Nun hast du es mir abgenommen. Ach, Florine, was soll ich ohne dich machen?«

»Nun, ich könnte mitkommen«, sagte die Papageiendame, die im Dunkel der Nacht so schwarz aussah wie ihr Bruder Goldauge.

»Das könntest du. Aber erstens hätte ich dann noch mehr Angst um meine Großeltern ...« Sie stockte.

»Und zweitens?«

»Zweitens wird Meister Goldauge zurückkehren auf die Burg. Und ich glaube, dass es richtig ist, wenn du bei ihm bleibst. Ihr zwei gehört zusammen, ihr seid Bruder und Schwester, ihr wart so lange getrennt ...«

»Ja«, sagte Florine. »Das ist ganz ähnlich wie bei dir und deinem Vetter Marius.« Sie räusperte sich. »Und vielleicht sogar ein bisschen wie bei dir und Ludovico.«

»Ach?« Xenia stutzte und suchte das goldblitzende Auge ihrer Freundin. In dem Moment hörten sie nicht weit von sich ein Stöhnen und das Geräusch einiger hastiger Bewegungen. »Hallo?«, rief Xenia unsicher in die Finsternis. Und noch einmal: »Hallo?«

Ihr schien, als versuche jemand, etwas zu sagen. Doch dann war es still, als wäre nichts gewesen. Auf ihr drittes »Hallo« ertönte vom Wagen her eine Stimme: »Xenia?«

Das war Marius.

»Marius. Ich glaube ... Ich ...« Xenia wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Ich denke, ihr solltet mal die Wachen zählen«, sagte Florine da mit trockenem Ton.

Das Rabenorakel

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