Читать книгу Das Rabenorakel - Fortunato - Страница 31

Stimmen im Dunkeln

Оглавление

Von ferne sah Goldauge den Schein der Fackeln schwach leuchten, die die Freunde auf ihrer Lichtung entzündet hatten. Sonst war in dem dunklen Wald nichts zu sehen. Wie ein Meer von schwarzen Wellen lagen die Baumwipfel unter ihm, manche bereits voller Blätter, die meisten aber noch kahl vom Winter, der erst vor Kurzem das Land aus seinen eisigen Fängen entlassen hatte. Nachdem er eine Weile geflogen war, meinte der Rabe in ganz weiter Ferne ein kleines Licht auszumachen. Vielleicht war es das Licht des Türmers Plinfix auf Schloss Falkenhorst. Jedenfalls war es zu weit weg, um für die Suche von Bedeutung zu sein. So weit konnten die Täter nicht gekommen sein in der kurzen Zeit, seit Ritter Tuck verschwunden war.

Goldauge ging etwas tiefer. Er versuchte zu schätzen, wie lange ein Mensch im Wald brauchen mochte, um die Strecke zu laufen, die er jetzt von der Lichtung entfernt war. Jedenfalls länger, als Zeit seit dem Überfall vergangen war. Und wenn der Mensch zu Pferd unterwegs war? Auch dann hätte er es in der Zeit kaum bis hierher schaffen können. Goldauge beschloss, seine Kreise wieder enger zu ziehen. Mit scharfem Blick, um den ihn jeder Adler beneidet hätte, suchte er den Wald ab, ob er irgendwo ein Schimmern, ein Glimmen oder ein Blitzen sehen konnte. Er lauschte auf jedes Geräusch, das nicht zum sanften Rauschen der Baumkronen im Frühlingswind passte. Doch nichts. Nirgendwo war etwas zu sehen oder zu hören. Der Wald schien wie tot dazuliegen.

Schon wollte der Rabe den Rückflug antreten, da fesselte ein Geräusch seine Aufmerksamkeit. Es klang wie das Lachen eines Mädchens. So leise wie möglich ließ er sich nieder auf den nächstliegenden Baum, eine riesige Tanne, die ihre schwarzen, nadeligen Zweige zwischen andere Bäume zwängte.

Tatsächlich kamen von da unten ungewöhnliche Geräusche. Es war ein Lachen. Kein fröhliches, sondern eher ein berechnendes Lachen. Und jemand spuckte hörbar durch die Gegend. »Leichtes Spiel«, sagte eine Stimme, scheinbar die einer Frau.

»Er hat nicht damit gerechnet.« Auch die zweite Stimme klang hoch.

»Trotzdem ...«

»Wäre jedenfalls nett, wenn er noch mal aufwacht. Denn ich hätte schon gerne gewusst ...« Den Rest konnte Goldauge kaum verstehen.

»Sollen wir ihn ...«

»... können wir das schon machen. Immerhin haben wir mit ihm viel mehr Mühe, als wenn wir ...«

»Es muss aber ganz ...«

»Vorausgesetzt, er wacht überhaupt noch mal auf ...«

Goldauge versuchte, etwas weiter runterzukommen, um die beiden Fremden zu sehen oder zumindest besser zu hören. Doch das war nicht einfach. Die Nadeln des Baumes stachen ihn bei jeder Bewegung. Überhaupt war er nicht eben vorteilhaft gelandet, ein Zweig steckte unter seinem rechten Flügel, einer drückte gegen seinen Nacken. Goldauge versuchte, sich aus dieser ungünstigen Lage herauszuwinden.

»Hast du das gehört?«, fragte plötzlich eine der Stimmen.

»Was?«

»Na, da war doch was!« Nun klang es, als würde jemand sich aufrappeln. Dann flackerte plötzlich eine Flamme auf, es war eine Fackel, die dort unten womöglich mit Gegenständen bedeckt gehalten worden war. Im Nu war der Baum mit all seinen Ästen hell erleuchtet. Goldauge zuckte zusammen und versuchte, sich so unsichtbar wie möglich zu machen, was für den Raben in dunkler Nacht normalerweise nicht allzu schwer war, wenn er nicht gerade auf einem Baum saß, dessen Zweige ihn empfindlich stachen, was ihn jeden Augenblick aus dem Gleichgewicht zu bringen drohte.

»Ist was da oben?«, fragte jetzt die andere Stimme.

»Weiß nicht.« Jemand machte unten ein paar Schritte vom Baum weg, um besser schauen zu können. Goldauge wünschte sich, ihn nicht zu sehen, denn das würde bedeuten, dass auch der ihn sehen konnte. Dennoch linste er mit seinem goldenen Auge hinab, während er sich gleichzeitig mühte, ein wenig weiter ins Innere des Baumes zurückzurutschen. Er hatte sich schon beinahe eine Flügellänge nach hinten geschoben, als er plötzlich von einem besonders scharfnadeligem Zweig unter der Schwanzfeder gestochen wurde. »Heiliger Abraxas!«, entfuhr es ihm und er zuckte zurück.

»Da!«, rief die Stimme. »Schnell, den Bogen!«

Den Bogen? Meister Goldauge dämmerte Übles. Sie hatten ihn entdeckt. Jetzt nur nichts riskieren. Ließ er sich zu viel Zeit, dann würde er ihnen Rabenbraten auf dem Silbertablett liefern. Hastig verließ er seinen Schlupfwinkel, schlug wild mit den Flügeln, um so schnell wie möglich nach oben zu kommen, möglichst weit weg, ehe ihn ein gut gezielter Pfeil durchlöchern konnte. Waldschützen waren die gefährlichsten, das wusste schließlich jedes Küken. Während er heftig flatternd an Höhe zu gewinnen versuchte, sah er, wie der erste Pfeil sich löste und ihm ein von der Fackel hell erleuchtetes Gesicht mit glühenden Wangen hinterherschaute. Goldauge flog einen Haken und der Pfeil ging daneben – um Haaresbreite. Der Gegner war ein guter Schütze. Ein verdammt guter. Goldauge stieg weiter auf. Allzu hoch konnten solche Pfeile nicht kommen. Doch einige gemeine Tannennadeln, die sich in seinen Federn verfangen hatten, hinderten ihn daran, all seine Kraft einzusetzen. Und schon zischte der zweite Pfeil heran. Der Schütze hatte schnell neu angelegt. Die Spitze erwischte ihn am Flügel, doch sie blieb nicht stecken. Noch wenige Flügelschläge und Goldauge müsste der Gefahr entronnen sein. Das wusste offenbar auch der Schütze. Denn nun schickte er gleich zwei Pfeile mit einem Mal hinterher. »Zum Teufel!«, krächzte der Rabe und wand sich in die Höhe, um beiden Geschossen zu entgehen, was gerade so gelang. Der Kerl war gerissen. Und er jagte offensichtlich nicht zum ersten Mal einen Vogel. Noch zwei Flügelschläge. Noch einen ... Geschafft! Goldauge war in einer Höhe angekommen, in die kein Pfeil vordringen konnte. Normalerweise.

Das Rabenorakel

Подняться наверх