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Unterwegs im Niemandsland

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Der Weg war so schmal, dass Marius’ rechtes Bein manchmal an einen Felsvorsprung schrammte. Seit Längerem hatte keiner mehr gesprochen. Golo hatte alle Spaßmacherei verloren und brütete nur noch düster vor sich hin, Ludovico ritt stets ein Stück vor ihnen her, der Anführer einer versprengten kleinen Truppe, die sich den Weg durch unwegsames Gelände suchte, gefolgt von Xenia, die ihm wieder die Anführerschaft überlassen hatte.

Oft war der Pfad, auf dem sie ritten, überwuchert von Gestrüpp und aus dem Erdreich ragenden Wurzeln. Es war offensichtlich, dass hier selten jemand entlangkam. So gefährlich das für den Zustand des Weges war, so sehr beruhigte es Marius doch, denn es war nicht wahrscheinlich, dass Räuberbanden diese Strecke für ihre Fischzüge nutzten. Nein, hier waren sie wirklich im Niemandsland unterwegs.

Mehr als einmal war eines der Pferde auf einen losen Stein getreten und aus dem Gleichgewicht geraten. Einmal wäre Marius beinahe den Abhang hinabgestürzt – hätte nicht Golo, aufmerksam und mutig, einen Satz nach vorne gemacht und Marius’ Pferd einen kräftigen Schlag mit der flachen Hand versetzt, wodurch es sich nach rechts aufbäumte und wieder auf dem Pfad landete. Trotz aller Vorsicht und trotz des langsamen Tempos, mit dem sie vorankamen, war dieser Weg der gefährlichste, den Marius je geritten war.

Immer noch ragten viele Bäume nackt und schwarz in den Himmel. Doch immer häufiger kamen jetzt auch erste blühende und grünende Pflanzen hinzu. Der Hang zu ihrer Rechten flachte immer weiter ab, sodass einige der hohen Bäume zur Linken jetzt mehr Licht abbekamen und sprossen. Auch Tannen mischten sich zwischen die Laubbäume. Man sah jetzt nicht mehr besonders weit.

Dann, nach einige Zeit, wurde der Pfad breiter, die Schlucht zur Linken lief in eine sanfte Senke aus, und auch wenn rechterhand noch ein beträchtlicher Berg den Weg säumte, so war doch klar, dass sie den gefährlichsten Teil hinter sich gebracht haben mussten. »Hoooo«, hielt Ludovico sein Pferd an. »Lasst uns eine kleine Rast machen.«

Sie saßen ab und vertraten sich auf dem kleinen Platz, der sich am Ende des steilen Pfades gebildet hatte, ein wenig die Beine. Auch jetzt fanden sie kaum Worte, sondern schwiegen einander die meiste Zeit an, während sie den Sitz der Satteltaschen prüften, einen Schluck Wasser aus dem Schlauch nahmen und für kleine Erledigungen hinter die Bäume traten. Diese gefährliche Wegesstrecke lag zwar hinter ihnen, doch was kam, wussten sie alle nicht. Vor allem aber mussten die vier Freunde ständig an die anderen denken: an den kleinen Tross, der den ursprünglich geplanten Weg über die Schüttere Klause auf dem Inselwald Zum Stillen Kauz genommen hatte – vor allem aber an diejenigen, von denen keiner wusste, wo sie abgeblieben waren.

Sie sahen einander nicht in die Augen. Schweigsam erledigten sie ihre Angelegenheiten und schon nach kurzer Zeit saß Golo wieder im Sattel. »Wir sollten nicht zu viel Zeit hier verbringen, mein Herzog«, sagte er. »Lasst uns versuchen, den Wald schnell hinter uns zu bringen.«

»Ihr habt recht, mein Freund«, sagte Ludovico sanftmütig. Er gab Marius und Xenia ein Zeichen, dann saßen sie auf und ritten hinter dem Narren her, der sich, ohne zu fragen, an die Spitze der kleinen Gruppe gesetzt hatte.

Ein Geräusch fesselte Marius’ Aufmerksamkeit. »Hört ihr das?« Sie ritten langsamer.

»Ich höre nichts«, sagte Ludovico.

»Doch, doch, da ist etwas.«

Nun hielten sie ganz an und lauschten. »Ein Klappern«, sagte Marius.

»Ja«, pflichtete ihm Xenia bei. »Da klappert was.«

»Stimmt«, stellte jetzt auch Golo fest.

»Und?«, fragte Ludovico. »Soll das etwas für uns bedeuten?«

»Ich weiß auch nicht...«, Marius war zögerlich. Irgendetwas an diesem Klappern ließ ihn aufhorchen.

»Ich denke, wir sollten zusehen, dass wir schnell wegkommen«, stellte der Herzogssohn fest. »Wenn es von Menschen stammt, werden wir gut daran tun, es nicht auf ein Treffen ankommen zu lassen. Und wenn es von einem Tier stammt, muss es uns nicht weiter kümmern.«

»Der Herzog hat recht«, sagte Golo. »Wir müssen weiter.«

Und so trieben sie ihre Pferde wieder an. Es war ein dunkler Pfad, auf dem sie ritten, nicht allzu breit, doch weich bemoost führte er durch einen dicht bewachsenen Teil des Waldes. Der Wind strich gleichmäßig durch das Geäst. Schon bald hatten sie den Berg, an dem sie den ganzen Tag entlanggeritten waren, weit hinter sich gelassen. Nun ging es gerade dahin, ein klein wenig abwärts vielleicht, hin und wieder war der Weg mit weit ausladenden Ästen der Tannen von beiden Seiten überwachsen, so dass er beinahe wie ein Tunnel wirkte. Das Klappern war verklungen. Still war es hier, stiller beinahe als im gesamten Rabenwald. Marius lauschte. Ihm war unheimlich zumute. Vor allem aber war er sich sicher, dass er dieses Klappergeräusch kannte. Wenn er doch nur gewusst hätte, woher ...

Das Rabenorakel

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