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Goldauges Wagemut

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Wenig später war die kleine Lichtung im Wald von Fackeln hell erleuchtet. »Was ist passiert?«, fragte schlaftrunken Ludovico und rieb sich die Augen.

»Wir wissen es noch nicht, Herr«, entgegnete eine der Wachen.

»Aber es sieht so aus, als würde Ritter Tuck fehlen.«

»Fehlen? Warum denn das? Seit wann fehlt er?« Ludovico war sichtlich verwirrt.

»Es scheint, als sei er auf seinem Posten überfallen worden«, erklärte Xenia.

»Hm.« Ludovico starrte eine Weile stumm vor sich hin. »Dann werden wir ihn suchen«, entschied er schließlich. »Wir teilen uns in Gruppen auf und durchstreifen den Wald.«

»Verzeiht, Herr«, sagte Goldauge, der auf Marius’ Schulter saß.

»Aber das scheint mir nicht sehr klug.«

»Ah ja?«

»Ja. Wie viele sind wir? Gerade mal ein gutes Dutzend Leute. Wenn die Gruppen zu klein sind und die Räuber viele, so laufen wir Gefahr, ebenfalls überfallen zu werden. Bildet Ihr aber drei Vierergruppen oder vier Dreiergruppen, dann würde niemand mehr beim Wagen bleiben und auf unser Hab und Gut aufpassen. Lasst Ihr jedoch eine Gruppe hier, dann wären es nur zwei oder drei Gruppen. Und das in einem riesigen Wald und mitten in der Nacht!« Goldauge machte eine kurze Pause, damit seine Worte wirken konnten. »Außerdem würdet Ihr mit Gruppen zu vier Leuten so laut sein, dass Ihr niemanden überraschen könntet. Den Täter findet Ihr so nie. Oder die Täter.«

»Schon gut, schon gut, Meister Goldauge.« Ludovico wedelte mit der Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. »Ihr habt mich überzeugt.« Er räusperte sich. »Wir werden also ...«Er stockte und blickte zu dem Raben hin. »Was also werden wir tun?«

»Ihr werdet die restliche Nacht im und um den Wagen herum Wache halten. An Schlaf ist leider nicht zu denken. Ich aber werde ...« Und hier richtete sich der königliche Vogel stolz auf. »Ich aber werde im Schutze der Dunkelheit nach Ritter Tuck suchen. Wenn er in der Gewalt von Räubern ist, werden die sicher nicht ohne Licht den Wald durchstreifen. Sie müssen Fackeln benutzen, so wie Ihr. Fackeln, die ich aus der Luft erkennen werde. Lasst mich also die Suche aufnehmen und schützt Euch selbst.«

»Tja«, murmelte Ludovico. »Ihr habt natürlich schon irgendwie recht mit alledem. Hm. Und doch weiß ich nicht, ob das ...«

»Aber ich weiß es, Herr«, krächzte Goldauge und stieß sich mit einem keckernden Krähen von Marius’ Schulter ab, um schon wenige Augenblicke später über der Lichtung zu kreisen und dann mit majestätischem Flügelschlag einen Bogen in nördlicher Richtung zu fliegen. Marius sah ihm hinterher. Er kannte Goldauges Methode: Der Rabe würde zunächst in kleineren und dann in immer weiteren Kreisen über den Himmel ziehen, er würde mit seinem Flug Spiralen drehen, so dass ihm beinahe nichts entgehen konnte. Ein Trick, der fast immer funktionierte. Auch die anderen blickten in den dunklen Nachthimmel und schauten dem Raben hinterher, solange er irgend erkennbar war oder sie es sich zumindest einbilden konnten. »Ach, Goldauge«, seufzte Florine leise. »Du bist ein Held.«

Unter anderen Umständen hätte Xenia darüber gelächelt. Doch in diesem Augenblick konnte sie gut nachfühlen, was Florine empfand, wenn sie an ihren Bruder dachte. Ja, dachte auch sie, Goldauge ist ein Held und ein Edelmann.

Ludovico klatschte in die Hände. »Na dann, Freunde, mögen alle bitte ihre Siebensachen packen und zum Wagen rüberbringen.« Xenia sah ihn überrascht an. Während Goldauge so mutig und klug war, wunderte sie sich über Ludovico. Mit jeder Wagenlänge, die sie sich von Schloss Falkenhorst weiter entfernten, schien er sich mehr zu verändern. War er nicht sonst immer ein lustiger Bursche gewesen? Jetzt nahm er seine Aufgaben so ernst, als wäre er schon Herzog. »Bitte, meine Liebe«, sagte er zu Xenia und nahm sie am Arm. »Sei so gut und klettere wieder in den Wagen.«

»Schon gut, schon gut«, entgegnete Xenia und beeilte sich, wieder auf die Ladefläche zu klettern.

»Schon erstaunlich«, bemerkte der Gelehrte Faustus Füchslin, der die ganze Zeit über auf dem Wagen geblieben war und die Vorgänge draußen aufmerksam beobachtet hatte, »wie sich unser junger Freund zu einem verantwortungsbewussten jungen Mann entwickelt.« Und auf Xenias verständnislosen Blick hin erläuterte er: »Nun, er trägt die Verantwortung für diese Reisegruppe. Letztlich sind wir alle seinetwegen unterwegs. Das ist ihm wohlbewusst. Und also versucht er, uns zu schützen und alles ins Lot zu bringen.«

»Ludovico?«, fragte Xenia unvorsichtigerweise.

»Ludovico! Ja, so heißt der Sohn des Herzogs. Ein in adeligen Kreisen weithin beliebter Name. Vom ursprünglich fränkischen Namen Chlodwig, der da kommt vom althochdeutschen Wörtchen hlut, was so viel bedeutet wie laut oder auch berühmt, und natürlich dem beliebten Wort wig, also Kampf.«

»Natürlich«, sagte Xenia, der regelmäßig der Kopf schwirrte, wenn der oberschlaue Füchslin sein Wissen auspackte – und das tat er praktisch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

»Es gibt noch andere Namen, die gewissermaßen ähnlich ...«, erklärte Faustus Füchslin weiter, doch Xenia hörte schon gar nicht mehr zu. Sie dachte an Meister Goldauge, der am nächtlichen Himmel den Wald überflog und Ausschau hielt nach etwas, von dem sie alle nicht wussten, was es war. Oder vielmehr: wer es war ...

Das Rabenorakel

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