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Seid gewarnt!

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Über der Burg kreisten einige Geier. Kein gutes Zeichen, fand Florine, die ohne Umwege auf den Turm zusteuerte, in dem Horatius und Zussa Tyk ihre Kammer hatten und in dem auch sie mit Xenia lebte – oder vielmehr: gelebt hatte. Mit elegantem Flügelschwung ließ sie sich am Fenstersims nieder und schaute in das Zwielicht des Zimmers, wo der alte Schreiber des Herzogs an seinem Pult offenbar einen Brief studierte. Sie wollte sich gerade durch ein vornehmes Klopfen mit dem Schnabel bemerkbar machen, als ihr auffiel, dass noch jemand im Raum war – und es war jemand, der keine gute Aura verbreitete. Jedenfalls nicht nach Florines Meinung. Ein massiger Mann saß auf der Truhe neben dem Alkoven, in dem Horatius und Zussa Tyk ihr Bett hatten. Er atmete schwer, und sein Blick durchstreifte die Kammer, als suche er einen Schurken, der ihm an den Beutel wollte. Malediktus.

»Ich verstehe nicht, warum Ihr hier oben lebt. Das ist doch für Euch noch beschwerlicher als für mich«, sagte Malediktus und holte nach jedem zweiten Wort schnaufend Luft. War er aufgeregt oder lediglich außer Atem?

»Ja, ja«, murmelte Horatius Tyk und hob kaum den Blick. Was der Haushofmeister sagte, war ihm offenbar ziemlich egal, während das Schreiben, das er in Händen hielt, seine Aufmerksamkeit fesselte. Schließlich riss er sich davon los und fragte: »Und wann habt Ihr diese Warnung bekommen?«

»Heute Morgen, Meister Tyk«, antwortete Malediktus. »Nun ja, das heißt, heute Morgen habe ich den Zettel vorgefunden Ich war allerdings die letzten drei Tage nicht an meinem Pult.« Er räusperte sich. »Was natürlich mit den Feierlichkeiten zu tun hatte und damit, was ich alles erledigen musste.«

»Natürlich.«

»Ich meine, als Haushofmeister ist man ja praktisch für alles verantwortlich, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

»Gewiss, Merlin, gewiss.«

Florine konnte sich nicht daran gewöhnen, dass der Mann, den sie, seit sie denken konnte, Malediktus genannt hatte, in Wirklichkeit Merlin Tyk Tuss hieß und auch irgendwie mit Horatius und Zussa Tyk verwandt war – ja und also sogar mit Xenia, wenn auch etwas entfernt...

»Das heißt, es könnte sein, dass dieses Schreiben schon seit drei Tagen in Eurer Kammer liegt, Merlin?«

»Nja, äh, das könnte sein.« Der beleibte Haushofmeister schlug die Augen nieder. »Wenn es auch ziemlich unwahrscheinlich ist, nicht wahr? Ich meine, wer legt schon so ein wichtiges Schreiben einfach so bei mir ab und sagt mir nichts.«

Horatius Tyk nahm sein Vordieaugen ab, ein kleines Metallgestell mit Glasscheiben darin, das ihm Doktor Faustus Füchslin geschenkt hatte, damit er besser sehen konnte, und rieb sich die Augen. »Vielleicht derselbe, der es jetzt getan hat?«, fragte er mit einem leicht spöttischen Blick auf Malediktus.

»Hm. Ja«, sagte der Haushofmeister kleinlaut. »Aber glaubt Ihr denn, dass wirklich wahr ist, was da geschrieben steht?«

Der alte Mann nahm das Papier nochmals zur Hand, kniff die Augen zusammen und las laut:

»Seid gewarnt!

Es ist viel Böses, das sein Wesen im Rabenwald treibt.

Wer sich ohne Not in den Wald begibt, wird sich in Not bringen.

Wisst Ihr, Merlin, vielleicht ist es wirklich so, dass diese Botschaft erst jetzt in Eure Kammer gelangt ist. Denn es klingt beinahe so, als habe derjenige, der sie verfasst hat, gewusst, dass einige von uns bald auf eine Reise durch den Wald aufbrechen würden.«

Malediktus wusste nun nicht, ob er das gut finden sollte oder nicht, und entschloss sich deshalb, lieber zu schweigen. »Also stellt sich die Frage, warum derjenige die Reisenden nicht gewarnt hat, solange sie noch hier am Hofe waren«, fuhr der alte Horatius Tyk fort. »Vielleicht weil er gar nicht wollte, dass sie nicht reisen? Aber warum hätte er die Botschaft dann jetzt vorbringen sollen? Vielleicht wollte er die Reisenden aber auch nur von der Reise abhalten! Warum hat er dann aber nicht früher die Botschaft hinterlegt, damit sie noch gefunden werde, ehe die Gruppe aufbricht? Nein, das ergibt alles keinen Sinn. Es muss ein komplizierteres Geheimnis geben.«

»Bestimmt«, sagte Malediktus, dem das alles zu hoch war.

»Oder ein ganz einfaches«, schloss Horatius Tyk. »So einfach, dass man gar nicht daran denkt.«

Florine spürte, wie ihre Wangen glühten. Hieß das etwa, dass Xenia in Gefahr war? In noch größerer Gefahr, als sie alle sowieso glaubten?

Das Rabenorakel

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