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Düsterer Morgen

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In zähen Schwaden zog sich der Nebel aus dem Wald zurück. Nur zögernd breitete sich das trübe Licht des wolkenverhangenen Himmels an diesem Morgen aus. Fröstelnd saß Xenia unter der Plane des Fuhrwerks und lugte hinaus in den kühlen Tag. Meister Goldauge war noch nicht zurückgekommen. Der Wächter war nicht wieder aufgetaucht. Und sie hatte die ganze Nacht kein Auge mehr zugetan. Ebenso wenig Ludovico, der vor dem Wagen saß und vor sich hin brütete. Was er wohl denken mochte? Xenia fühlte Mitleid mit ihm. Sie spürte, dass er sich die Schuld gab, obwohl er doch nichts dafür konnte: Dass sie hier unterwegs waren, das hatte sein Vater so bestimmt. Dass einer der Wächter verschleppt worden war, das hatte letztlich nur damit zu tun, dass es überhaupt Wächter gegeben hatte – eine Vorsichtsmaßnahme und also klug! Dass Meister Goldauge sich auf die Suche gemacht hatte, war das Einzige, was getan werden konnte in der Nacht – und es war die Entscheidung des Raben gewesen, sich auf den Weg zu begeben. Nein, Ludovico hatte sich nichts vorzuwerfen. Allerdings unterstanden ihm alle im Tross, denn er war der Sohn des Herzogs. Und also trug er die Verantwortung. Zum ersten Mal empfand Xenia eine Art Verständnis dafür, dass aus dem unbeschwerten, leichtfüßigen, immer zu Schelmenstücken aufgelegten Ludovico, der stets einen frechen Spruch auf den Lippen trug, ein grüblerischer, ernster Junge geworden war.

Xenia warf die Decke ab, die sie sich um die Schultern gelegt hatte, und kletterte vom Wagen. »Guten Morgen«, sagte sie leise, um die anderen nicht zu wecken, während sie Ludovico zaghaft eine Hand auf die Schulter legte.

»Guten Morgen. Gut geschlafen?« Das sollte vermutlich munter klingen. Doch das tat es nicht. Ludovico räusperte sich.

»Na ja. Vermutlich nicht viel mehr als du.« Sie setzte sich neben ihn.

»Ich frage mich, was wir jetzt tun sollen.« Er blickte sie an, und Xenia erkannte einen Ernst in seinen Augen, der ihr so noch nie aufgefallen war. »Wir können nicht einfach weiterziehen. Aber wir können auch nicht hierbleiben. Und zurück können wir erst recht nicht.«

»Klar«, sagte Xenia, obwohl sie das alles nicht wirklich klar fand. Warum sollten sie nicht weiterziehen? Hier würden sie den verschwundenen Wächter ganz sicher nicht finden. Andererseits: Warum sollten sie nicht noch hierbleiben? König Falk würde den Herzogssprössling sicher nicht vermissen. Er wusste ja bislang nicht einmal von ihm. Wenn sie also ein paar Tage später in Faucas landeten, was machte das schon. Vielleicht sollten sie gar umkehren und noch ein paar Ritter mehr zur Sicherheit mit auf die Reise nehmen? Sie hatten ja kaum die Hälfte des Weges hinter sich gebracht.

»Man müsste Meister Goldauge fragen können«, murmelte Ludovico und schaute mit sorgenvoller Miene zum Himmel.

»Wir können Marius fragen.«

Ludovico nickte. »Ja. Das sollten wir tun.«

Xenia wandte sich um, um Marius zu wecken. Doch der war nicht im Wagen. Hatte er etwa draußen bei den Rittern geschlafen? Sie konnte sich nicht erinnern, wo er sich niedergelegt hatte. Eiligen Schrittes lief sie um den Wagen herum und an den Männern und Pferden vorbei, die nun nach und nach erwachten. Doch Marius war nirgends zu sehen. »Marius!«, rief sie und drehte noch eine Runde und noch eine. Nichts. Mit pochendem Herzen kam sie wieder bei Ludovico an, der an ihren schreckstarren Augen erkannte, was sie berichten würde. »Nichts?«, sagte er.

»Nichts«, bestätigte sie. »Marius ist weg.«

Das Rabenorakel

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