Читать книгу Das Rabenorakel - Fortunato - Страница 41

Ein Geräusch ließ Goldauge aufschrecken. Er hätte nicht sagen können, was es war noch woher es kam. Aber das lag womöglich vor allem daran, dass ihm schwindlig war, schwindlig und elend. Er konnte sich nicht bewegen. Zu sehr schmerzten seine Glieder. Und die Wunde brannte heftiger als zuvor.

Im Übrigen aber fror Goldauge. Jede Feder fühlte sich eisig an. Das Geräusch schien näher zu kommen. Ein regelmäßiges Klappern, schnell und hart. Es dauerte einige Zeit, bis Goldauge merkte, dass er selbst dieses Geräusch verursachte: Denn er fror so sehr, dass er mit dem Schnabel klapperte. Goldauge wollte damit aufzuhören, doch es ging nicht. Sein Schnabel gehorchte ihm nicht. Hatte er Fieber? Vermutlich.

Wie lange lag er schon hier in der Astgabel? Eine Stunde oder zwei? Einen ganzen Tag? Er wusste es nicht. Hatte er Hunger? Nein, das nicht. Aber vielleicht spürte er den Hunger auch nur nicht, weil die Schmerzen zu stark waren. Früher oder später würde er etwas essen müssen, ob er nun Hunger hatte oder nicht. Vor allem musste er etwas trinken. Goldauge wusste genau: Wenn er nicht schnell wieder zu Kräften kam, würde er auf diesem einsamen Baum inmitten des riesigen Rabenwaldes elend verhungern und verdursten. Allein aber schien er nicht mehr zu Kräften kommen. Es musste ihn jemand finden. Suchten seine Freunde denn nicht nach ihm?

Mit diesen düsteren und ungewissen Gedanken fiel er langsam wieder in einen unruhigen, von Albträumen und Fieberwahn gebeutelten Schlaf. Er sah den Schurken Crudo vor sich und die ehemaligen Vögte Unold Sinister, Prosper van Dale und Curtius Drunk, er hörte den verräterischen Raben Nero krächzen und sah Don Basilicos Beil aufblitzen, das nach ihm gezielt hatte. So zogen die Schreckensmomente der letzten Wochen und Monate an seinem Inneren vorbei. Kurz wachte er auf und vernahm das Klappern seines Schnabels. Das klang jetzt anders. Es klang auf seltsame, ihm unverständliche Weise doppelt und dreifach ... Wahrscheinlich werde ich verrückt, dachte Goldauge und schloss die Augen. Doch die Geräusche wurden stärker und kamen jetzt nicht, wie er eigentlich geglaubt hatte, aus seinem Innern, sie kamen aus der näheren Umgebung, genauer gesagt: vom Weg da unten – und es war ein vertrautes Geräusch, ein unerwartet vertrautes. Es war das Getrappel von Pferdehufen. Und es waren Stimmen, die sich ins Hufgetrappel mischten. Sie kamen näher.