Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 26
1.3.10 Begriffshülsen
ОглавлениеNach der aristotelischen Logik ist A eben A, das heißt mit sich identisch (völlig gleich, ein- und dasselbe, lat. Idem = derselbe, dasselbe griech. Iso = gleich, Wahrig, Fremdwörterlexikon. Der Student Oskar ist mit dem Postboten x identisch, Identität im materiellen Sinn). Wenn es aber mehrere in der Sache andere "A" gibt, die zum Beispiel „nur“ in der Struktur identisch sind, also indizierte A: A1, A2, A3, dann erlaubt man sich, mit dem Begriff verschiedene Delta-Unterschiede zuzulassen, indem man Merkmale herausgreift. Identisch in der Größe oder im Gewicht, in der Bedeutung, sonst aber nicht identisch. Ein Modell ist natürlich nicht identisch mit dem realen Objekt, aber strukturell kann es das schon sein. Eine isomorphe Abbildung kommt ideal dicht an das Vorbild, eine homomorphe Abbildung kommt in etwa an es heran.
Der auch für Naturwissenschaftler interessante Begriff „Seele“ ist nicht identisch mit dem der Psychologen, bei denen es mehrere Varianten gibt. Sie kennzeichnen ihn und andere Fälle mit den Anführungszeichen. Identität wird damit aufgegeben. Was wird gewonnen? Wenn etwas nicht mit sich identisch ist, ist es „non A“, praktisch alles in der Welt, nur nicht “A“, nur nicht Seele. als omnyme teilenomonyme teilen,
Die Seele vom Betrieb, die Seele des Korkenziehers und die Seele des Laufs einer Flinte stehen ohne Anführungszeichen. Sie sind eben propria, eigentliche und angestammte Begriffe für ihre Sache, ursprünglich über Metaphern gewonnen, über die Identität eines Merkmals (Seele als Zentrum hier und beim Menschen). Der Begriff Seele kann also wild streuen, bleibt aber immer noch greifbar, interpretierbar. Für den Naturwissenschaftler bleibt er eine Hülse, die einen Sinn vortäuscht. Warum tut man das? Es ist offensichtlich peinlich, der Annahme zustimmen zu müssen, dass der Mensch eine Seele hat, egal wie. „Non A“ wird zum Papierkorb eines heimatlosen Denkens erklärt.
Warum diese wie Haarspalterei anmutende Wortanalyse? Reden kann man viel, auch weil man im Galopp seiner Sätze sich immer verbessern und richtigstellen kann. Wenn aber der Wissenschaftler seine Forschungen begrifflich fundiert, was er ja unbestritten tun muss oder können müsste, ist die Abweichung von einem Millimeter an der Basis eine Abweichung von einem Meter an der Spitze. Das soll hier heißen, dass man schließlich nicht mehr weiss, was etwa die "Spiegelneuronen" tatsächlich leisten.
Es handelt sich um Neuronen, die bestimmte Verhaltensweisen wie Gähnen, sich Ekeln, Lachen, die ein Gegenüber zeigt, „spiegeln“ und beim Beobachter die Reaktion auslösen, sich in identischer Weise sich zu verhalten. Der Ausdruck „spiegeln“ suggeriert, dass der Beobachter unwillkürlich reagieren muss. Der Ausdruck wird nivelliert, vom Neurophysiologischen auf ganz andere Bereiche transferiert, ohne dass gezeigt wird, dass das statthaft ist. Wenn es eine Hypothese sein soll, muss man sie prüfen. Wer sich dieser Aufgabe unterzieht, wird leicht feststellen, dass man es beim Stimulus-Response-Spiel dieser Art gut und gerne beim Gähnen und artverwandten Antworten lassen kann. Außerdem könnte ein Psychologe, der nicht weiß, ob er er mehr naturwissenschaftlich oder doch eher geisteswissenschaftlich motiviert ist, an diesem Streitpunkt sich zu einem klaren Bekenntnis durchringen. Nämlich: Ist das, was in der Ästhetik passiert, ein geistiger Vorgang zu nennen oder morsen Spiegelneuronen ihre Informationen zu anderen Neuronen. Und die morsen dann auch noch zurück, wenn sie sich auf einen Dialog einlassen wollen.
(1) Es kann sich ein Dialog zwischen den sogenannten "Spiegelneuronen", zwischen den "Partnern" Kunstwerk und Betrachter entwickeln, der eine wechselseitige Einfühlung erlaubt. Dabei ist es natürlich kühn, auch das Kunstwerk für ein lebendiges Gegenüber zu halten, aber hinter dem Bild steht ja immer ein Künstler, der etwas ausdrücken möchte.
(Tilmann Moser, Kunst und Psyche, S. 8).
Zwischen dem Objekt der Wahrnehmung und dem Beobachter gibt es nur eine Art Einbahnstraße, den Erkenntnis-Zugriff des Beobachters oder seine Intuition, die man noch nicht einmal einen subjektiven Monolog, den man sich ja strukturiert vorstellt, sondern eher einen „Bewusstseinsstrom“ nennen kann. Das Kunstwerk kann nicht in einen Dialog einsteigen. „Das Bild sagt mir etwas oder sagt mir nichts“, und der Pflaumenkuchen sagt mir zu. Da liegt eine einfache Metaphorik, der man nicht auf den Leim gehen darf; denn sie eignet sich in diesem Fall nicht zur Gewinnung von Erkenntnis. Wenn das hier aber kein Dialog ist, was ist es dann? Es ist auf jeden Fall ein Anlass, darüber nachzudenken, was Ästhetik ist.
Im Gegenteil, die Methode eines Psychologen ist doch das aufmerksame Zuhören. Freud hat wohl kaum das Dialogisieren und Diskutieren mit seinem Klienten als Methode seiner talking cure angesehen. Wenn er vor einem Bild steht, kann er allerdings etwas Sensationelles l e r n e n. Das Bild, das immer dasselbe ist, sagt ihm und jedem anderen heute dies und morgen das. Er ist es, der sich entscheiden kann, was er sehen will. Bei seinem Klienten könnte es auch so sein. Wieviel Individualismus wird ihm gewährt unter dem Blick des anderen, dem er vertraut.
Wer einsam ist, unterhält sich mit seinem Spiegelbild im Badezimmer, um mit Verzweifelung zu erfahren, dass er keine Antwort erhält. Auch einen „Dialog der Gebäude und offenen Räume“ (BZ, 20. Mai 2014, Wie ein verirrtes Ufo, Wolf Rüskamp) ist eine verständliche, aber sehr kühne Metapher, die korrespondierende Raumbezüge bezeichnet. Was hier gemeint ist, verdeutlicht auch ein Dialog in der Natur. Er wird zwischen Walen beobachtet und kann länger andauern. Wird einem Wal ein Tonbandmitschnitt vom „Text“ seines Partners vorgespielt, geht er eine Weile darauf ein und stoppt dann plötzlich. Er muss wohl merken, dass die Diaologbeiträge seines Partners „eingefroren“ sind. Er merkt, was auch in Analogie dazu ein Mensch vor einem Bild merken kann, dass er in dieser Situation kein Dialog zu erwarten ist.
Schließlich weiss der Philologe, dass das künsterlerische „Ich“ nicht identisch mit dem biographischen „Ich“ ist. Hunderte Gedichte schreibt der italienische Renaissancedichter Petrarca an und über Laura, die es nur in seiner Vorstellung gab, nicht in seiner Biographie.
Das angeführte Beispiel einer Methodenfundierung, wie man Kunst interpretieren und für einen therapeutischen Zweck einsetzen möchte, hat seinen Reiz. Die Fundierung ist unzureichend, man kann auch sagen, wenig einleuchtend, was aber nicht ausschließt, dass sie in ihrer Anwendung interessante Ergebnisse erbringt. Hier allerdings weniger in dem Sinn, dass eine zusätzliche Heilmethode gefunden wäre, sondern dass der Kunstinterpret selbst virtuos sein Können so vorführt, dass es anregend ist.
Bekannt ist die nicht seltene Metaphorik „Bilder schauen dich an. Und aus den Bildern Augen“ (Berückende Innenwelten, Stefan Tolksdorf, BZ, 22. Juli 2012). Aber das Auge, auch das Auge Gottes, das den Menschen anschaut, kontrolliert, fordert, zum Beispiel moralisches Verhalten. Es fixiert eher als dass es sich auf einen Gedankenaustausch einlässt. Der Rezeptionsvorgang liegt ganz beim Rezipienten, “Rückfragen“ des Bildes wären eigene Prozesse rein fiktiver Art und entstehen vollständig aus dem Möglichkeitsraum des Rezipienten.
(2) Der erste Satz ist eine Art Introduktion, stellt "Platero" vor und gibt in fließenden Achtelbewegungen – "trottando" – stilisierend das Traben des Esels wieder. Zu den Worten "er habe keine Knochen" erklingen plötzlich nur noch nachgeschlagene Achtel, ohne Notenwerte auf den Zählzeiten des Taktes.
(Maximilian Mangold, Juan Ramón Jiménez, Mario Castelnuovo-Tedesco, PLatero y yo, CD, Booklet S. 6)
Noch etwas lässt sich aus dem besprochenen Beispiel ablesen. Die Versuchung ist groß, ein Wissensgebiet, aus dem man sich Beistand für seine Argumente holt, auch nach seinem Renommee auszuwählen. Sein Glanz soll, „Spiegelneuronen“ sind der letzte Schrei auf dem Neuro-Markt, auf die eigene Gedankenführung fallen.
Man müsste aber der Kunst erlauben, phantastische Wirkungen auf den Betrachter auszuüben in einer Weise, die ihn aktiv, schöpferisch werden lässt, weitab von jedem Spiegeln. Das ist ja auch das Anliegen der hier beschriebenen Psychologie, die nicht-genormte Veränderung im Betrachter, der immer schon das Bild nur so, wie er es kann, "in seinem Sinne" interpretierend aufnimmt. Die Aufhebung seiner eigenen Phantasie geschieht in dem Augenblick, wo er die Fremdinterpretation aus dem Buch als seine eigene übernimmt. Sie ist allerdings die (hermeneutische) Voraussetzung dafür, dass er die Belehrung annehmen kann. Erst, wenn ich eine bestimmte Zeichnung im Bilderduden gesehen habe, nehme ich den dazugehörenden Ausdruck "Draisine" zur Kenntnis. Ein Fremdwörterlexikon ist mein Interpret und erlaubt mir dann zu verstehen, dass es sich bei diesen Geräten um den Vorläufer des Fahrrads oder ein einfaches Schienenfahrzeug handelt. Die Übersetzung eines surrealen Bildes mit Hilfe der Psychoanalyse leistet hier der Profi-Interpret mit einer Selektion von Sinn, für die er nur einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit eigenwillig erheben kann. Sinn wird festgefroren und verliert die Lebendigkeit, die ihm ein Dialog in der Tat geben würde.
Noch mehr aus dem Leben gegriffen ist folgendes Beispiel, wo Semantik dringend abgefragt werden muss: Bei Rettungseinsätzen will man wissen, wie stark die Schmerzen eines Unfallopfers sind. Mit Zeichnungen und Piktogrammen, in einem Büchlein zusammengestellt, lassen sich Sprachbarrieren überspringen und körperlich-seelische Zustände ermitteln. Der Verletzte übersetzt seinen Zustand in ein Bild, das der Helfende interpretieren kann, unabhängig von jeder Sprache und Mundart. Wir können uns also mit Hilfe von Bildern interpretieren, auch feinsinnig und komplex. Wo aber gespiegelt wird, gibt es keinen Dialog. In der Kunstkritik heißt es, wer imitiert, das ist eine Art „Spiegeln“, hat schon verloren, in Gesang, Kunst. Warum? Was zählt, ist Kreativität, Phantasie, Individualität.