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2.2 Basis-Methoden: Induktion und Formalismus 2.2.1 Schach

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Nicht alle, aber die meisten werden doch sehr nachdenklich, wenn sie sich fragen, ob es mit ihrem Denkvermögen und ihren Lernstrategien denn besser bestellt ist als mit ihren Kochkünsten und der Rückhand beim Tennis. Daher wird schon mal aus dem universitären Umkreis eine gewisse Bereitschaft zur sportlichen Denkleistung angefordert. Was heißt es, "analytisch-synthetisch", "strukturiert" und "problemlösungsorientiert" zu denken, wie es von einem Studierenden verlangt wird, ganz gleich, ob er Geographie studieren möchte oder Medizin. Es ist typisch, das alles beherrscht ja ein jeder schon lange, aber wenn man diese Begriffe hört, erschrickt man gehörig. Die metasprachliche Verpackung der schon versprachlichten "Objektwelt" kommt immer in anspruchsvollem Lackpapier daher und sagt häufig nicht mehr als dass die Reduktion der Oxydation dem Rostentferner "Caramba" oder gleich dem Schmirgelpapier Körnung 275 verdankt wird. Also erkennbar einfach.

Früher, als alles natürlich viel besser war, sagte man, nicht ganz zu Unrecht allerdings, dass der Erwerb von Sprachen, besonders der griechischen und lateinischen, enorm das Denkvermögen schult und den Zugang zu den Fachbegriffen aller Wissenschaften erleichtert: Von Sanskrit, das noch besser gewesen wäre, sprach man nicht, weil das auch die Lehrer selbst nicht konnten. Einen nicht so ausgeprägten aber messbaren Effekt in dieser Richtung kognitiver Prozesse scheinen Computerspiele zu bewirken (so der Psychologe Tilo Strohbach). Nur die Kosten-Nutzen-Rechnung scheint hier nicht so ganz zu stimmen. Wer aber lieber Schach spielt als das Gerundium Gerundivum zu entschlüsseln, analysiert die Stellungsimplikationen beider Parteien und die Spielpsychologie des Gegners. Der kommt zu einer “synthetischen" Konzeption, genannt Taktik und der weitreichenden Strategie. Sie ist immer schon "strukturiert", weil sie nicht nur einfache Reaktionsschemata enthält, ich tausche grundsätzlich Läufer gegen Turm in der und der Position, sondern eine ganze Angriffs- und/oder Verteidigungslinie aufbaut und bereit hält, die sich aus Bewährtem und Neuem zusammensetzt. Mit wenigen, überraschenden Zügen den Angriff auf die linke Flanke verlagern, auf der rechten Schwäche andeuten. Die neue Stellung wäre dann "synthetisch" und "strukturiert" sowieso.

"Problemlösungsorientiert" ist der Akademiker immer und so die ganze Schachpartie als Gesamtaufgabe. Was hat man dabei im Auge: Die Partie hat jederzeit eine Struktur, die sich aus der Aufstellung der Figuren ablesen lässt. Ihre Methode verfolgt das Ziel, den Sieg über den Gegner durch den Angriff mit jeweils anfangs 16 Figuren zu erringen. Das kann man auch, zum Beispiel in der VWL, eine "Ziellogik" nennen, eigentlich ist es aber nur eine Strategie. Das Eigentümliche ist das Berechnen, das den Zufall ausschließt. Das Individuelle drückt sich aus in der Strategie und Taktik des einzelnen. Sich eines Angriffs der zwei Türme zu erwehren, kann umfangreiche Manöver erforderlich machen. Man ist gezwungen, in die Details zu gehen und daher auch Details als untergeordnete Einheiten zu erkennen, um eng umgrenzte Probleme zu lösen. Sie können als conditio sine qua non, also doch lieber Latein?, als absolut notwendig zu lösende Fragen auftreten oder als solche, die mit einer "Teillösung" das gesamte Vorhaben nicht gefährden. Die Russen waren schon immer ausgezeichnete Schachspieler und miserable Latinisten. Napoleon hat erst, als er vor Moskau stand, begriffen, wie sie mit ihm spielen. So weit zu reisen, nur um sich am brennenden Moskau die Hände zu wärmen, das war es ihnen eben wert, zumal die Taktik etwas demütigend für den war, der 23 Jahre lang erfolgreich ganz Europa in Schrecken und schachmatt versetzt hatte.

Die Definition von "Denken" ist absolut keine Zumutung, wenn man weiß: "operational" kann definiert werden, indem man eine Handlung angibt: Hunger ist, wenn man zwei und mehr Tage nichts isst. Denken braucht aber auch Repräsentationen im Gehirn. Es sind die "Darstellungen" der Dinge in einem höchst beweglichen Gehirn.

"Das Denken wird operational definiert als Herstellen von Ordnungen der angetroffenen Welt. Dieses Ordnen vollzieht sich an den Gegenständen ebenso wie an den Repräsentationen der Gegenstandswelten. D. ist auch das Ordnen von Beziehungen zwischen Gegenständen ebenso wie das Ordnen von Beziehungen zwischen Repräsentationen von Gegenständen."

(Lexikon der Psychologie. Arnold, Eysenck, Meili,. Freiburg 1971, "Denken").

Den Satz kann man auf kognitives Denken beziehen wie auf Menschen, die Bewerten und Bedeutungen in ihr Denken einbeziehen. Oskar ordnet seine Beziehungen, indem er Claudia und Hildburg den Laufpass gibt und bei Elvira bleibt. Was hat er sich dabei gedacht? Um jeden einzelnen Schritt zu realisieren, muss er jede einzelne Beziehung durchdenken, dann diese untereinander – warum bei Elvira und nicht bei Claudia oder Hildburg bleiben – und ihre Vorzüge und Nachteile Revue passieren lassen. Als anständiger Mensch wäre er gar nicht in diese Lage gekommen, aber je komplizierter das Leben, umso weniger anständig ist es vermutlich und umso mehr muss man denken, indem man Beziehungen abklärt, um seine Haut zu retten. Alles andere ist Kuddelmuddel, der Don Juan hatte nicht genügend nachgedacht, drum gute Nacht. Möglich machen dies die Repräsentationen im Gehirn, neuronal aufgebaute Cluster, die hier für Personen stehen und für ihre Beziehungen zueinander Der zentrale Gedanke fehlt noch: warum überhaupt. Das ist der leitende, der zentrale Gedanke, der Oskar glühend heiß überfallen haben mag. Strukturiertes, problemorientiertes Denken geht nicht ohne emotionale Basis, aber wenn es stattfindet, sind Emotionen ziemlich genau zu kontrollieren. Oskar wollte Elvira einen Gefallen tun, sie wünscht sich so sehr einen treuen Mann. Und da er sie so sehr liebt, bringt er das Opfer, was noch viele weitere Vorteile hat, wie er ahnt. Denken ist auch immer Weiterdenken und das Entdecken, dass man weiter denken kann und muss. Denken schafft neue Welten.

Das ist eine operationale Definition, nämlich was tut (operational) der Mensch, wenn er denkt. Er stellt Ordnungen her. Mit den Gegenständen im obigen Zitat ist gemeint, dass sie entweder außerhalb des Geistes geordnet werden oder im Geist, wo sie als Engramme oder Repräsentanzen gespeichert sind. Das ist vielleicht nicht so wichtig zu wissen, schon eher aber, wie der denkende Mensch vorgeht, um Ordnungen zu schaffen. Ihm fallen Beziehungen zwischen den Gegenständen auf, wenn Gleichheit, Ähnlichkeit oder eben Unterschiedlichkeit gegeben sind. Bei Ungleichheit kann er den Gegenstand aus der Gruppe der übrigen aussondern. Das ist nicht immer leicht, aber doch erforderlich. Es ist die Differenz, aus der sich ergibt, dass Scharlach nicht Mumps nicht Diphterie ist. Da gibt es eben Unterschiede festzustellen. Wenn Ekzem und Fußpilz ähnlich jucken, müssen sie doch unterschiedlich behandelt werden. Auch Ähnlichkeit muss auf Unterscheidendes interpretiert werden, in der Differentialdiagnose hat der Arzt ein Instrument zur Verfügung, das ihm wohl die meiste Denkarbeit abverlangt und gleichzeitig erleichtert. Bei Gleichheit der Symptome kann man von der identischen Krankheit ausgehen oder sich gründlich irren. Haben drei Kinder rote Pusteln im Gesicht, steckt die Mutter das gesunde vierte zu ihnen ins Bett, um die Pflege gleich zu rationalisieren. Die Basis für diese logischen Grundbegriffe hat Aristoteles gelegt. Man hat sie erweitert, nie beiseite gelegt. Oder ganz andere Logiken entwickelt, die aber nicht konkurrieren.

Als Vorstufe des Denkens, auch historisch, nimmt man die Assoziationen an. Erst kommt der Blitz, dann der Donner. Nicht nur der Mensch nimmt da eine Kopplung vor. Konrad Lorenz fand es amüsant, Bergziegen in Griechenland zu beobachten, die bei jeder Art von lautem Geräusch Zuflucht in einer Höhle suchten vor dem vermeintlichen Regen, auch bei nahen Sprengungen. Man kann darin auch eine frühe Form des Lernens selbst erblicken. Empfindung, Gedächtnis und Wiedererinnern wären dann durch eine Konditionierung, die ohne Steuerung durch den Willen funktioniert, gekoppelt. Wir aber wissen, dass das, was nachfolgt, seinen Grund nicht in dem haben muss, was vorausgeht, auch wenn es häufig so aussieht. Das "Denken" der Ziegen ist, nach unseren Maßstäben nicht "scharf" genug.

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