Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 32
1.3.16 Quien mucho abarca poco aprieta
ОглавлениеWer nicht genug kriegen kann, den bestraft – schon mal – die Überfülle. Wer beim Binden der Garben auf dem Feld zu viele Ähren umarmt, dem rutschen sie weg. So eine spanische Spruchweisheit vom Lande.
Es gibt Wissenschaftler für die Seelenkunde. Es gibt Wissenschaftler für die Volkswirtschaftslehre. Und es gibt eben Wissenschaftler, die beides nicht sind, aber viel mit ihnen anzufangen wissen.
Der Freund frivoler bürgerlicher Romane aus der Feder der Franzosen wird nicht durchhalten. Er wird diese Analyse für eine Erfindung eines Menschen halten, der etwas gegen die Schönheit und die frivole Erotik dieser Welt hat. Aber was ist Psychoanalyse. Von ihr meinte Sophie Freud, Enkelin von Sigmund Freud, sie sei narzisstischer Luxus, sie werde im Rahmen einer Glaubensgemeinschaft praktiziert.
Es wäre im übrigen angebracht, wenn der Leser eines wissenschaftlichen Textes auch die Dinge überprüfen könnte, die da gesagt werden. Ein Germanist zum Beispiel sollte einen germanistischen Text, zumal er von der Liebe handelt, auch verstehen können, selbst wenn er ihm nicht zustimmt.
Nur ein psychoanalytischer Sachverstand und ein wirtschaftswissenschaftlich geschulter Geist können beurteilen, ob die soeben zitierten Sätze richtig sind. Schließlich sind alle Fachtermini aus dem Kontext gerissen, in dem sie Heimatrecht haben. Wenn man das unterstellt, dann hätte der Autor nicht geistig über seine Verhältnisse gelebt. Er hätte alles richtig gemacht. Sein Plafond wäre hoch genug, um nur kluge Beobachtungen zum Roman zu machen, Sätze auf der Höhe der angewandten Wissenschaften. Ganz anders sieht es aus, wenn man den Wissenspool anschaut. In der scientific community kann man nicht den Höhlenmenschen auf die psychoanalytische Couch, wie es versucht wurde, legen und man kann nicht mit einem Fachjargon einen Liebesroman zerlegen, der ästhetisch sein will und nicht ein Beitrag zur Psychopathologie (seelischen Krankheiten) in der Reichweite eines Hochschullehrers oder beispielhaft für Mechanismen des Kapitalismus. Hier liegt der Wissenspool, in dem vieles, auch konkurrierendes, Wissen gespeichert ist. Wer ihn noch übersteigen will, muss gute Argumente haben. Nach dem einfachen Motto: Wie kaputt Django im Grunde seines Herzes ist, interessiert den Western-Fan nicht. Hauptsache, sein Rachefeldzug überzeugt. Und man versteht seine leicht durchschaubaren Gründe. Film und Literatur leben davon, dass man sie versteht. Was aus einem Liebesroman wird, wenn man ihn als pathologischen Fall ansehen soll, warum nicht gleich als einen raffinierten Zirkeltanz agitierter Hormone, ormone, H sieht man hier. Man sieht aber auch, dass das als verfehltes Thema zu gelten hat, wenn es letztlich um ästhetischen Genuss gehen sollte. Der Psychologe weiß, was er für seinen Klienten bewirken will. Und hier?
Für den Leser, so er ästhetische Erwartungen hegt, wären die zitierten Zeilen, selbst wenn sie als Abstract, als ganz kurze Zusammenfassung ohne technischen Schnickschnack gedacht wären, völlig unverständlich. Er kann sie nicht zurückübersetzen in eine Geschichte, die ihn interessieren könnte, um intellektuell einen Zugang zu dem zu gewinnen, was da besprochen wird. Man nennt das "Ich kann mir darunter nichts vorstellen." Bei einer Interpretation wäre das aber gar nicht so schlecht, wenn man etwas mit ihr anfangen könnte. Die Analyse "hängt in der Luft". Selbst ein Kochrezept, kurz, bündig, sachlich, und unromantisch, macht Appetit auf den Kalbsbraten, und das Rezept ist ja Analyse und manchmal auch Therapie, wenn es einem den Appetit verschlägt. Hier, bei dem besprochenen Roman, hingegen liest man ein Ärztegutachten, an dessen Schluss nur noch stehen müsste: Dem Antrag auf Analysebehandlung kann entsprochen werden.