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Imitationen von Produkten aus Übersee
ОглавлениеTextilgewerbe
Ein gerade aus globalhistorischer Perspektive interessanter Teilbereich der gewerblichen Produktion waren Versuche, aus Übersee importierte Luxuswaren in Europa selbst herzustellen. Wie bereits angemerkt, spielte der umgekehrte Weg auf Grund des geringen asiatischen Interesses an europäischen Produkten praktisch keine Rolle. Bemühungen der englischen Textilindustrie, die seit dem späten 17. Jahrhundert preisgünstig importierten, bedruckten indischen Baumwollstoffe (Kalikos) zu imitieren, gelten als einer der Auslöser des Industrialisierungsprozesses. Um ihnen gegenüber konkurrenzfähig zu bleiben, wurden die Herstellungskosten englischer Baumwolltextilien durch die Mechanisierung einzelner Arbeitsschritte zu reduzieren versucht. Die Mechanisierung des Spinnens und Webens erhielt daraus ebenso Impulse wie Techniken des Stoffdrucks und der Produktion leuchtender Textilfärbemittel. Als entsprechende Erfindungen im 18. Jahrhundert nach einer längeren, durch zahlreiche Patentanmeldungen gekennzeichneten Phase erfolgreich umgesetzt wurden, begannen die englischen Produzenten umgehend, den indischen Markt mit entsprechend verbilligten Produkten zu beliefern – was dort zu schweren Krisen des einheimischen Textilgewerbes führte.
Porzellan
Ein weiteres klassisches Beispiel ist die „Nacherfindung“ des im 18. Jahrhundert selbst für die englische Mittelschicht erschwinglichen chinesischen Porzellans, das als Teil der Modeerscheinung des Teetrinkens nachgefragt wurde. An dieser Aufgabe scheiterten zahlreiche europäische Handwerker und Gelehrte, schufen dabei jedoch eigenständige Produkte wie das Delfter „Porzellan“ und italienische Majolikas. Erst die Verwendung von Kaolin als feuerfestem Bestandteil und Alabaster, Kalkspat beziehungsweise Quarz als Flussmittel durch Johann Friedrich Böttger, der im Auftrag des sächsischen Kurfürsten arbeitete, führte 1708 zur erfolgreichen Herstellung von Hartporzellan. Im Falle des Porzellans – wie auch bei den sehr begehrten, lackierten Kleinmöbeln aus Japan – wurden in Europa nicht nur die Herstellungsprozesse zu imitieren gesucht, sondern auch Design und Ornamentik. Insofern Aspekte der Gestaltung im Gewerbe des 18. Jahrhunderts ohnehin an Bedeutung gewannen, wurden vielfach Zeichenschulen mit dem Ziel gegründet, bezüglich rascher Modewechsel nicht den Anschluss an andere Territorien zu verlieren.
Akklimatisierung exotischer Pflanzen
In das Panorama solcher Maßnahmen gehören letztlich auch die ab dem 18. Jahrhundert zunehmend systematisch verfolgten Versuche, den kostspieligen Import von Rohstoffen aus Asien und der Neuen Welt durch den Anbau entsprechender Nutzpflanzen im eigenen Territorium oder den Einsatz gleichwertiger heimischer Ersatzstoffe zu vermeiden. Berühmt ist das Beispiel der Seidenraupe, die schon im Mittelalter nach Europa gelangt war. Obwohl der Anbau von Maulbeerbäumen, mit deren Blättern Seidenraupen ernährt werden, auch in Zentraleuropa gelang, entwickelte sich daraus trotz aller Bemühungen gerade des 18. Jahrhunderts nur in Oberitalien ein zeitweise profitabler Produktionszweig. Auch bei weniger spektakulären Produkten wie Pottasche, Hanf, Häuten oder Fellen blieben die Gewerbe zentraleuropäischer Territorien auf Importe aus peripheren Regionen angewiesen. Im 18. Jahrhundert wurde die Suche nach entsprechenden Ersatzstoffen zunehmend auf eine nach zeitgenössischem Verständnis wissenschaftliche Basis zu stellen gesucht: Mitglieder sogenannter Ökonomischer Sozietäten und Wissenschaftlicher Akademien, aber auch einzelne Gelehrte, die in botanischen Gärten arbeiteten, bemühten sich um die Akklimatisierung exotischer Pflanzen und prüften die Eignung einheimischer Substitute. Dem ab etwa 1800 erfolgreichen Ersatz von Rohrzucker durch Rübenzucker gingen beispielsweise jahrelange Versuche an der Berliner Akademie der Wissenschaften voraus. Bei der Suche nach zuckerhaltigen Rübenarten wurden mittelfristig, wie beispielsweise auch bei dem Versuch, Schafe mit der Wollqualität spanischer Merinos zu züchten, wichtige allgemeine Erkenntnisse über Praktiken der Züchtung und Kreuzung gewonnen.