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Indien und Südostasien
ОглавлениеEuropäische Sicht auf Indien
Indien galt um 1500 nicht nur als lohnendes, sondern auch als erreichbares Ziel. Denn man hatte schon einiges darüber gehört, und jedermann glaubte zu wissen, was er dort vorfinden würde. Schon Herodot hatte von den Eigenheiten des Landes gesprochen, und durch den Kriegszug Alexanders des Großen wurde es untrennbar mit dem griechischen, dann europäischen Welt- und Geschichtsbild verbunden. Seitdem galt es als die östlichste Weltgegend, gelegen beim Sonnenaufgang, gesegnet durch maßlosen Reichtum und ein günstiges Klima, bewohnt von ebenso gescheiten wie langlebigen Menschen. Außerdem wurde dem Land eine ganze Reihe wundersamer Erscheinungen (mirabilia) unterstellt, die zu begreifen nicht unmöglich schien, aber doch jedem Beobachter (bzw. Leser) schwer fiel. Es gebe dort seltsame Pflanzen, Einhörner, Elefanten und andere sagenhafte Tiere, wundertätige Steine, Sandmeere und aufwärts fließende Flüsse, vor allem aber jene Menschenrassen, deren merkwürdiges Äußeres oder seltsames Verhalten so sehr vom Gewohnten abwich, dass man sie am Besten als Ungeheuer (monstra) oder Wunderzeichen (prodigia, portenta) verstand: Schattenfüßler, Großohrige, Einäugige, Kopf-, Mund- oder Nasenlose, Pygmäen und Riesen, Hundsköpfige, Großlippler, Rückwärtsfüßler, Einmalgebärende und andere mehr. Von all dem konnte man bei antiken Autoren wie dem älteren Plinius oder Gaius Iulius Solinus lesen, und die mittelalterlichen Schriftsteller gaben deren Wissen – gerne auch mit einer christlichen Deutung verbunden – an ihre eigene Zeit weiter. Außerdem glaubte man an die Existenz eines christlichen Priesterkönigs, in dessen Reich es keine Armut, keinen Raub, keine Lüge und keinen Ehebruch, sondern materiellen Reichtum, gesunde Luft und ebenso gerechte wie effiziente Herrschaft gebe. Man kann die Legende vom Priester Johannes als hochmittelalterliche Form einer politischen Utopie verstehen. Niemand wusste genau, wo man jenes Reich suchen sollte; aber irgendwo zwischen Kaukasus, Himalaya, Indischem und östlichem Ozean musste es liegen. Diesen weiten, nicht leicht zu gliedernden Raum bezeichneten die mittelalterlichen Geographen als Indien.
Wundersame Erscheinungen
Mittelalterliche Reisende, die in diese Weltgegend kamen, fragten auch immer wieder nach der Wirklichkeit der Wunder und zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sich der Augenschein ihrer eigenen Erfahrung mit den Aussagen der literarischen Tradition in Einklang bringen lasse. Man muss sie nicht unbedingt als Entdeckungsreisende bezeichnen. Aber der eine oder andere zeigte eine Art wissenschaftlicher Neugier und verstand sich durchaus als Forscher. Das Ergebnis war freilich meistens enttäuschend, von Wundern keine Spur. Marco Polo und Giovanni de’ Marignolli versuchten deshalb, die mirabilia rational zu erklären: Die Schattenfüßler seien Sonnenschirmträger, die Pygmäen nichts weiter als Affen. Das Einhorn entpuppte sich als Nashorn und ließ sich nicht einmal von Jungfrauen einfangen. Trotzdem blieben viele Dinge so wundersam, dass man am tradierten Indienbild festhalten konnte. Witwenverbrennung und andere Formen ritueller Selbsttötung, die asketische Lebensführung der Brahmanen und die bizarren Bilder der Götzen, das matrilineare Erbrecht im Süden und die Verehrung der Rinder allerorten, Nacktheit und religiöser „Wahn“ – dies alles ließ erkennen, wie sehr die Lebensverhältnisse in Indien und die europäischen Maßstäbe voneinander abwichen. Indien blieb ein alter mundus, eine „andere Welt“ (Jordanus Catalanus von Sévérac, um 1330).
Geographische Umrisse
Immerhin zeichneten sich deren geographische Umrisse ab. Von Marco Polo konnte man lernen, dass es eine ununterbrochene Schiffsverbindung zwischen Ostasien und Südasien gab. Ptolemäus und die antike Geographie hatten das anders beurteilt, weil sie den Indischen Ozean als Binnenmeer ansahen. An der Koromandelküste im Osten und der Malabarküste im Westen fuhren alle Schiffe ein Stück weit entlang, und alle mussten um Kap Komorin weit im Süden herum. Große Inseln wie Ceylon, Sumatra und Java lagen auf dem Weg, und wer noch weiter nach Osten oder Norden vordrang, tauchte in die südostasiatische Inselwelt ein. Marco Polo sprach von 7448 Inseln und untertrieb dabei maßlos. Außerdem fiel ihm auf, dass man am Äquator den Polarstern aus den Augen verlor. So weit lagen Indien und Südostasien im Süden. Allerdings beschränkten sich die Kenntnisse der frühen europäischen Indienfahrer auf die Küsten. Sie waren Passanten, die es zum Reich des Großkhans im mongolischen China oder von da wieder heimwärts zog. Für das Hinterland interessierte sich kaum einer. Nur Niccolò de’ Conti, Kaufmann aus Chioggia bei Venedig, machte eine rühmliche Ausnahme.
Route des Hendrik Brouwer
Dabei blieb es fürs Erste. Auch die portugiesischen Seefahrer tasteten sich an den Küsten entlang und suchten als erstes die bequemste Überfahrt von Afrika über den Indischen Ozean. Die Route, die man Vasco da Gama gezeigt hatte, war nur eine von mehreren Optionen. Schon die nächste Flotte unter Pedro Álvares Cabral setzte viel weiter nördlich an und kehrte ein gutes Stück weiter südlich zurück. Als dann die Niederländer aufkreuzten und sich auf Java niederließen, suchten sie eine Route, die an der portugiesischen Konkurrenz vorbei direkt nach Südostasien führte. Hendrik Brouwer fand endlich die beste Verbindung, als er in weiter Entfernung um das Kap der Guten Hoffnung herum, dann immer nach Osten, an Madagaskar und Mauritius vorbei, segelte und schließlich scharf nach Norden, nach Java, abbog (1611). Die Route blieb lange Zeit eine seefahrerische Herausforderung, sie war strapaziös und gefährlich, und nicht wenige holländische Schiffe wurden weit nach Osten an die australische Küste verschlagen, wo sie havarierten. Aber sie war billiger und schneller als die nördliche Alternative und konnte außerdem das ganze Jahr über befahren werden, nicht nur im Halbjahresrhythmus der Monsune. Alle Argumente sprachen für sie.
Jagd nach den Gewürzen
Holländer und Portugiesen konkurrierten bei der Jagd nach den Gewürzen. Es kam also darauf an, die besten Märkte zu finden oder noch besser deren Anbau und Ernte aufzuspüren. In Calicut und den anderen Häfen an der Malabarküste konnte man zwar Pfeffer nahe beim Erzeuger einkaufen; aber dass man für die begehrten Gewürznelken und Muskatnüsse noch viel weiter nach Osten vordringen musste, wurde rasch klar. Man hörte von dem Emporium Malakka auf der Malaiischen Halbinsel sowie von den Banda-Inseln, wo die Muskatnüsse wuchsen, und von den Molukken, wo die Gewürznelken gediehen. Malakka wurde schon 1511 erobert, und der Eroberer, Generalgouverneur Albuquerque, schickte drei Schiffe aus, die das eigentliche und ultimative Ziel der portugiesischen Handels- und Eroberungsfahrten, die sagenhaften Gewürzinseln, aufsuchen sollten. Das Unternehmen war nicht rundum erfolgreich: Der Leiter der Expedition, António de Abreu, kam wegen der widrigen Wetterverhältnisse nicht bis zu den Molukken, sondern nur nach Banda und Ambon. Ein Jahr später kehrte er indes nicht nur mit einer Ladung Muskatnüsse und -blüten, sondern auch mit genauen Karten und Zeichnungen der Route zurück. Eines der drei Schiffe ging verloren, doch der Kapitän, Francisco Serrão, erreichte mit einheimischen Verkehrsmitteln die Gewürzinsel Ternate und handelte dort günstige Einkaufsbedingungen aus. Denn die Nelken wuchsen in den Wäldern und kosteten – so ein portugiesischer Beamter – „fast gar nichts“ (Duarte Barbosa). Schon 1514 und dann regelmäßig, Jahr für Jahr, trafen portugiesische Schiffe auf den Molukken ein. Die rasche, ja hektische Folge der Fahrten spricht für sich. Ein ganzes Jahrhundert funktionierte der Handel, bis Portugal von der VOC verdrängt wurde. Sie vor allem profitierte von den Kenntnissen, die die portugiesischen Seefahrer so mühsam erworben hatten, aber auf Dauer nicht für sich behalten konnten.
Kontakte zum Mogulhof
Portugal konzentrierte sich auf seine Stützpunkte und Häfen, die VOC auf die Inselwelt des späteren Indonesien. Das indische Binnenland dagegen blieb nach wie vor beiseite. Die ersten Übersichten und Kompendien, die während des 16. Jahrhunderts entstanden (Tomé Pires’ »Suma Oriental«, Duarte Barbosas »Livro«, in gewisser Weise auch Ludovico de Varthemas Reisebericht, später Jan Huyghen van Linschotens »Itinerario«), gingen zwar mehr oder weniger ausführlich auf die Reiche Südindiens, des Dekkan-Hochlands und der Gangesebene, auf Vijayanagar, das Bahmani-Sultanat (Bahmaniden-Sultanat), Orissa, Bengalen und die Sultane von Delhi, ein, aber die Verfasser kannten aus eigenem Erleben nur die Küsten und bezogen ihr weiteres Wissen von einheimischen Informanten. Die indischen Landmächte, zumal das Reich der Großmoguln, die seit 1526 den ganzen Norden beherrschten, betrachteten die europäischen Seefahrer als unbedeutende Randfiguren und konnten sie lange auf Distanz halten. Die ersten europäischen Augenzeugen der Verhältnisse im Mogulreich waren auch keine Kaufleute oder Kolonialagenten, sondern Missionare und Abenteurer wie Ralph Fitch, der mit zwei anderen Engländern über Goa und den Dekkan ins Mogulreich reiste, sich einige Zeit am Hof Akbars des Großen in Fatehpur Sikri aufhielt und schließlich – nach einem einsamen Schlenker über Pegu (in Burma) – im April 1591, acht Jahre nach seiner Abreise, wieder in London eintraf. Immerhin ließ sich die bald darauf gegründete East India Company (EIC) durch Fitchs Erlebnisse dazu anregen, sich auch im innerindischen Handel zu engagieren. 1609 kam der erste Gesandte an den Mogulhof, um (erfolglose) Verhandlungen für die EIC zu führen. Der Kontakt wurde verstetigt, und die Berichte über diese und andere Reisen vermittelten ein genaueres Bild von den Lebensweisen, den Reichtümern und den geographischen Verhältnissen des indischen Festlands. Doch wirklich erfasst und vermessen wurde das ganze Land erst, als seit 1757 von Bengalen aus das britisch-indische Kolonialreich entstand.
Handel im Golf von Thailand
Erst recht die Nachbarreiche und angrenzenden Gebiete blieben – von Europa aus gesehen – lange im Schatten. Afghanistan, das Herkunftsland der Mogulherrscher, im Mittelalter vom Hauptstrang der Seidenstraße durchzogen, wurde bestenfalls als Durchgangsstation betrachtet und in seiner kulturellen Eigenart erst begriffen, als die Kolonialmächte England und Russland sich – im 19. Jahrhundert – an ihm die Zähne ausbissen. Tibet, immerhin schon von Marco Polo und Odorico da Pordenone einigermaßen zutreffend charakterisiert, wurde seit 1627 gelegentlich von christlichen Missionaren (Jesuiten und Kapuzinern) betreten, machte es aber seinen Gästen nie leicht und wurde den Ruf eines Wunderlands nicht los. Auch der Besuch eines holländischen Kaufmanns, Samuel van der Putte, um 1730 konnte daran nichts ändern. Das Königreich Siam tauchte hier und da in den Kompendien des 16. Jahrhunderts auf und schickte sogar eine Gesandtschaft in die Niederlande (1608), eine andere nach Goa (1606). Bei der Hauptstadt Ayutthaya entstanden europäische Handelsniederlassungen und christliche Kirchen. Aber man machte nicht nur gute Erfahrungen miteinander, und das Verhältnis zu VOC und EIC blieb kühl. Zwischen 1680 und 1688 ging Siam eine kurze, heftige Liaison mit dem Frankreich Ludwigs XIV. ein. Um diese Zeit entstanden mehrere Beschreibungen des Landes, die Erkundungen gleichkamen – vor allem Simon de la Loubères »Description du royaume de Siam« sowie Engelbert Kaempfers Aufzeichnungen. Aber der Kontakt verfiel, und die Beteiligten hatten kein Interesse mehr füreinander. Auch Kambodscha war zeitweilig für Kaufleute und Missionare interessant. Der eine oder andere hatte sogar von den Ruinen der verlassenen Hauptstadt Angkor gehört. Aber so wie Angkor unter dichtem Dschungel verschwand, so verschwand das ganze Land bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Gesichtskreis der Europäer. Ohnehin lagen Siam und Kambodscha nicht an der Hauptroute des überseeischen Handels, sondern etwas abseits davon. Der Blick der europäischen Kaufleute war nicht auf die Märkte im Golf von Thailand, sondern auf Ostasien, auf China, gerichtet.