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Ostasien

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Anders als Indien war Ostasien für die griechisch-römische Antike ein unbekannter Raum. Man rätselte über die Herkunft der seidenen Stoffe, unterstellte den „Serern“ (den „Seidenleuten“) besondere moralische Qualitäten und hatte auch schon etwas von „Sinern“, also Chinesen, gehört. Aber über Gerüchte, Sagen und utopische Vorstellungen ging das alles nicht hinaus. Erst mit der mongolischen Reichsbildung und der gleichzeitigen Ausweitung des europäischen Handels bis nach China hatten nicht nur die Kaufleute, sondern auch deren Familienangehörige, Schutzbefohlene und Reisegefährten eine Chance, deutlich ihren Horizont zu erweitern. Auf einen Schlag trat ein ganzer Erdteil und ein Kulturraum von eigener Art in das Bewusstsein Europas. Man sprach von Cathay, wenn man Nord-, von Manzi, wenn man Südchina meinte, gewöhnte sich an die exotischsten Namen und füllte sie mit geographischem Sinn. Die Begriffe haben ihre je eigene Geschichte und entsprechen oft nicht den am Ort gebrauchten. Aber sie spiegeln den Zuwachs an Wissen, den die zahlreichen Reisen nach China bewirkten. Aus europäischer Sicht reicht die Entdeckung Ostasiens ins 13. Jahrhundert zurück.

Gefälle zwischen China und Europa

Alle Reisenden erlebten das enorme politische, ökonomische und kulturelle Gefälle zwischen China und Europa. Das mongolische Großreich nahm den größten Teil Asiens und noch ein Stück von (Ost-)Europa ein. Der Großkhan in Khanbaliq beanspruchte die Oberhoheit über das alles. In Europa hielt man ihn – neben dem Mamlukensultan in Kairo und dem (fiktiven) Priesterkönig Johannes – für den reichsten und mächtigsten Herrscher der Erde. Der chinesische Teil seines Reiches schien an all dem Überfluss zu haben, was die europäische Kundschaft begehrte: Seide, Gewürze, Medizinaldrogen, Färbemittel usw. Wer die chinesischen Märkte bereiste, fuhr von einer Großstadt zur nächsten und wunderte sich über die unzähligen Menschen, die dort dicht gedrängt lebten. Zwar neigten die mittelalterlichen so wie alle Reisenden dazu, das, was sie sahen, mit dem, was sie von ihrer Heimat her kannten, die fremden Städte mit den eigenen, zu vergleichen. Aber in Wirklichkeit hielt keine der europäischen Städte den Vergleich mit den chinesischen aus. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kamen Besucher aus Europa aus dem Staunen nicht heraus. Erst als das Reich der Mitte in seine größte ökonomische, politische und demographische Krise geriet und gleichzeitig in Europa die industrielltechnische Revolution einsetzte, drehte sich das Verhältnis in sein Gegenteil um.

China in der Sicht Marco Polos

Viele Reisende konnten von der bestürzenden Überlegenheit der chinesischen Zivilisation berichten. Marco Polo hat das wenn nicht am anschaulichsten, so doch am wirkungsvollsten getan. Allerdings sollte man ihn nicht als Kaufmann bezeichnen und daraus seine beeindruckend genauen Kenntnisse herleiten. Kaufleute waren nur seine Verwandten. Er selbst lebte als Höfling in Khanbaliq und diente dem Großkhan. Vielleicht kam er in dessen Auftrag nach Südwestchina und in das heutige Burma, ganz sicher kannte er den Norden mitsamt dem mongolischen Grasland, sicher auch den Süden, über den er am Ende seines Aufenthalts ausreiste. Alles andere erfuhr er durch Gewährsleute, bei denen er sich über die eigene Erfahrung hinaus kundig machte. Auch das gehört begrifflich und sachlich zu einer „Entdeckung“. Nur so konnte er ein umfassendes, fast vollständiges, wenn auch bisweilen schematisches Bild von China, seinen Provinzen und Städten, seinen natürlichen und kulturellen Verhältnissen, entwerfen. Ihm jede eigene Ortskenntnis abzusprechen, wie dies immer wieder versucht wird, ist Unfug.

China in der Sicht Odoricos da Pordenone

Marco Polo kannte sich gut mit der mongolischen Verwaltungsgliederung, mit mongolischen Sitten und der traditionellen mongolischen Religion aus. Denn er war enkulturierter Mongole am mongolischen Hof. Distanziert blieb sein Verhältnis zu den Chinesen, da sie im Reich Kublais als Untertanen dritter (Nordchinesen) oder gar vierter Klasse (Südchinesen) galten. Vieles fand er wirklich beeindruckend: die Größe der Städte, die Zahl der Brücken, die Menge der Waren. Anderes blieb ihm verschlossen; denn es fehlte ihm der Zugang. Ein Schleier der Wahrnehmung legte sich über seinen Blick, weil er die chinesische Zivilisation nur von außen und oben betrachten konnte. Bestanden andere Voraussetzungen, ergaben sich andere Perspektiven: Odorico da Pordenone, Franziskanermönch aus Udine, besuchte das Reich der Mitte nur eine Generation später. Er stand in niemandes Diensten, ließ sich treiben und lebte zeitweilig bei den Chinesen. Neugier, eigentlich eine Untugend für den Christen, aber eine Voraussetzung für den Wissenserwerb, war ihm nicht fremd. Er machte ähnliche, doch nicht die gleichen Erfahrungen wie Marco Polo. Auch ihn beeindruckten die Städte und Märkte, die meilenbreiten Flüsse Huanghe (Gelber Fluss) und Jangtse, ferner der Kaiserkanal, der den Norden mit dem Süden verband, sowie – nicht zuletzt – die Sitten der Leute. Sogar die künstlich verkleinerten Füße der Chinesinnen waren ihm einige Nachfragen wert. Marco Polo hatte davon geschwiegen. Odorico ließ sich alles erklären, schaute genau hin und machte so eine „Entdeckung“, die seinem bekannteren Vorläufer entging.

Nach der Vertreibung der Mongolen und einem kurzen Intermezzo mit eigenen überseeischen Ambitionen (von denen noch zu sprechen sein wird) zog sich China zurück und erließ Gesetze, die den Seeverkehr wesentlich einschränken sollten. Zuwiderhandelnde wurden als Schmuggler betrachtet. China gab den Handel mit Südostasien nicht auf, aber für die Europäer wurde der Zugang zum Reich der Mitte erheblich erschwert. Das galt für Kaufleute, Diplomaten und Missionare gleichermaßen. Sie waren kein Bestandteil des traditionellen chinesischen Tributsystems, das den Kontakt mit der Außenwelt regulierte, und außerdem benahmen sie sich nicht zivilisiert. Das aggressive Vorgehen der Portugiesen in Süd- und Südostasien hatte sich herumgesprochen, und sie taten auch nichts, um den schlechten Eindruck im Umgang mit den chinesischen Behörden zu korrigieren.

1517 fuhren zwei portugiesische Schiffe den Perlfluss bei Kanton hinauf und verschreckten die Bevölkerung durch Salutschüsse. Immerhin wurde eine Gesandtschaft zum Kaiserhof in Peking (Beijing) vereinbart, die dort für Handelsbeziehungen werben sollte. Zu deren Leiter wurde Tomé Pires bestellt, Verfasser einer »Suma Oriental« und auch in Bezug auf China nicht unkundig: Als erster europäischer Autor beschrieb er den Gebrauch der Essstäbchen. Doch neuerliche Vorkommnisse in Kanton belasteten die Verhandlungen in Peking, und der Gesandte selbst ließ es am gehörigen Auftreten vor dem Kaiser fehlen. Die Fremden wurden schließlich ins Gefängnis geworfen, Pires überlebte die Gefangenschaft nicht. China hatte sich Respekt verschafft und die aufdringliche Seemacht in die Schranken gewiesen. Portugal sah ein, dass die bisher praktizierten Methoden hier nicht verfingen. Die Chinesen galten als gleichwertig, mithin als weiß. Die (unzutreffende) Vorstellung, dass sie gelb seien, kam erst dann zur allgemeinen Geltung, als Chinas Bedeutung seit 1800 dahinschwand.

Erweiterung des Wissens – Der Jesuitenorden

Nur der Erwerb Macaus gelang den Portugiesen in der Folge. Die Europäer blieben für die nächsten 300 Jahre eine Randerscheinung in der chinesischen Welt. Entsprechend gering, oberflächlich und einseitig war ihre Kenntnis des riesigen Reichs. Nur auf drei Wegen ließ sich ihr Wissen erweitern: Seit 1601 bestand eine Niederlassung des Jesuitenordens in Peking, begründet durch Matteo Ricci (1552–1610) aus Macerata in Mittelitalien. Er und seine nicht weniger bedeutenden Nachfolger Adam Schall von Bell (1592–1666) und Ferdinand Verbiest (1641–1688) waren der festen Überzeugung, dass man zuerst den Kaiserhof und die Oberschicht, die konfuzianischen Literati, für den Glauben einnehmen müsse, um womöglich das chinesische Volk christianisieren zu können. Sie erlernten die Sprache, kleideten sich ähnlich wie chinesische Gelehrte, studierten die konfuzianischen Klassiker und befolgten eine ausgeklügelte Akkommodationsstrategie, um das Vertrauen und die Wertschätzung ihrer Umgebung zu gewinnen. Auch der Erwerb reichen landeskundlichen und geographischen Wissens gehörte dazu. Über ihr Vorgehen, ihre Erfolge und Kenntnisse legten sie und alle späteren Jesuitenmissionare in jährlichen Briefen an die Ordenszentrale Rechenschaft ab.

Der Handel

Der Handel zwischen chinesischen und europäischen Kaufleuten konzentrierte sich seit dem frühen 18. Jahrhundert auf Kanton und wurde 1760 durch kaiserliches Dekret definitiv auf die Hafenstadt am Perlfluss beschränkt. Die europäischen Handelsgesellschaften unterhielten dort Faktoreien, auf chinesischer Seite stand ihnen eine kleine Zahl von Großkaufleuten gegenüber, die allein zum Handel mit den Fremden berechtigt waren und eifersüchtig über ihr Monopol wachten. Beide Seiten profitierten erheblich von den Geschäften und es entstand eine gewisse „Interessensolidarität“ (Walter Demel) unter ihnen. Der regelmäßige Kontakt bewirkte auch Meinungen und Kenntnisse voneinander. Allerdings blieben diese räumlich beschränkt und wurden durch die häufigen Konflikte um Abgaben, Preise, Gebühren und angebliche Betrügereien geprägt.

Politische Gesandtschaften

Nicht regelmäßig, aber auch nicht selten kamen politische Gesandtschaften aus Europa an den Kaiserhof in China. Sogar eine gewisse Routine im Umgang mit ihnen kann man erkennen. Die russischen Legationen durchreisten den nord- oder nordwestchinesischen Raum, die portugiesischen, niederländischen und englischen dagegen lernten nur den Osten und Südosten des Landes kennen. Die prominenteste war zweifellos die Macartney-Gesandtschaft von 1792 bis 1794. Ihr wurde auch deshalb so große Aufmerksamkeit zuteil, weil sie viele offene Fragen über das Innere und den gegenwärtigen Zustand des chinesischen Reiches zu beantworten schien.

Altes und neues Bild

Missionare, Kaufleute und Diplomaten erhielten und vermittelten kein einheitliches Bild, sondern widersprachen einander, zum Teil diametral. Die Jesuiten warben für ihren eigenen Standpunkt, wenn sie die chinesische Zivilisation priesen. Die Kanton-Kaufleute dagegen gaben ihre besonderen Erfahrungen wieder, wenn sie über undurchschaubare Geschäftspartner, ungerechtfertigte Zuschläge und Übervorteilung lamentierten. Die Diplomaten hätten ihnen Recht geben können, hatten aber vor allem die Pekinger Hofgesellschaft vor Augen. Jede Gruppe „entdeckte“ ihr eigenes China. Die Gebildeten unter den Besuchern hatten ihren Marco Polo gelesen. Noch immer war sein Buch ein Referenzwerk der Chinaliteratur, ein landeskundlicher Entwurf, der nach wie vor zur Diskussion herausforderte. Man musste sich fragen: Wo liegt Cathay? Ist Khanbaliq mit Peking identisch? Was ist Quinsai, Marco Polos Fabelstadt und Hauptstadt der südlichen Song-Dynastie? Nicht zuletzt: Warum sagte er gar nichts über Chinas Große Mauer, von der man sich sogar im äußersten Süden erzählte? Zunächst traten die neuen Ortsnamen neben die alten, die man von Marco Polo her kannte. Cathay und China schienen zwei verschiedene Länder zu sein. Doch allmählich wurden die scheinbar divergenten Informationen zur Übereinstimmung gebracht. Das neue Bild schob sich über das alte. Marco Polos Angaben wurden verglichen, abgeglichen und identifiziert, schließlich nur noch historisch betrachtet. Am Ende stand die Versöhnung der mittelalterlichen Tradition mit den neuen Empirien des 17. und 18. Jahrhunderts. Auch so kann Entdeckungsgeschichte aussehen.

Japan aus Sicht der Kaufleute

Japan ist ein ähnlicher Fall. Auch darüber hatte Marco Polo als erster gesprochen, allerdings unter anderem Namen: Cipangu (Zipangu) heißt es bei ihm. Portugiesische Kaufleute entdeckten 1543 durch Zufall – weil ihr Schiff in ein Unwetter geriet – die Inseln. Wie in China stellte sich die Frage, wie sich die literarische Tradition mit dem Sicht Augenschein vereinbaren ließe und was Marco Polo gemeint haben könnte, als er von goldenen Fußböden, goldenen Dächern und rot schimmernden Perlen schrieb. Vieles sprach dafür, Cipangu mit Japan zu identifizieren. Doch noch um 1640 fuhren niederländische Schiffe in den nördlichen Pazifik, um nach der sagenhaften Goldinsel zu suchen. Da die Suche keinen Erfolg hatte, gab man sich seitdem mit Japan zufrieden.

Japan aus Sicht der Jesuiten

Den Kaufleuten folgten auch hier die Jesuiten. Was den einen der weltliche Gewinn, war den anderen die Ernte der Seelen, und keiner hatte Grund, sich zu beklagen. Francisco de Xavier (Franz Xaver), später der heilige „Apostel der Japaner“, pries die Sittsamkeit der Bevölkerung und lobte den Ernst der Proselyten. Es sei das beste Volk, das man jemals gefunden habe. Die Ernte war reichlich: Dreißig Jahre später sollen 150.000 Japaner die Taufe empfangen haben und 200 Kirchen erbaut worden sein (s.S. 368–372). Da die Mission von Süden nach Norden voranschritt, stellte sich auch bei den geographischen Kenntnissen der Missionare ein süd-nördliches Gefälle ein: Auf Kyūshū kannten sie sich besser aus als auf Honshū, in Westen Honshūs besser als im Osten. Tōhoku (der Nordosten) wurde mühsam in den Umrissen erfasst, von Hokkaidō (damals Yezo oder Ezo geheißen) ganz zu schweigen. Doch über den hohen Norden wussten auch Japaner nicht gut Bescheid. Denn dort war Ainu-Land, mit dem japanischen Kaiserreich nur lose verbunden.

Die VOC und Japan

Der Erfolg der Jesuiten in Japan hatte mit den inneren Konflikten um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu tun. Als diese abnahmen und ein kompaktes Reich entstand, war auch der Mission der Boden entzogen. Einflüsse aus dem Ausland galten jetzt als bedrohlich. Das Christentum wurde verboten, allen Fremden der Aufenthalt untersagt, der Handel mit ihnen auf die Insel Dejima (Deshima) bei Nagasaki reduziert. Nur die Bediensteten der VOC hatten noch Gelegenheit, Näheres über Japan in Erfahrung zu bringen. Drei von ihnen, die Deutschen Engelbert Kaempfer (1651–1716) und Philipp Franz von Siebold (1796–1866) sowie der Schwede Carl Peter Thunberg (1743–1828), gelten als die Erforscher des Landes in der Zeit seiner Abschließung.

Korea

Nicht zu vergessen ist Korea. Das kleine, aber geographisch und kulturell prominente Land zwischen Japan und China wurde und wird leicht übersehen. Es trug selbst dazu bei, indem es sich zeitweise noch verschlossener gab als seine Nachbarn. Zu den allerersten Europäern, die es nach Korea verschlug, gehörten der niederländische Seemann Hendrik Hamel und 35 seiner Gefährten. 13 Jahre wurden sie an verschiedenen Orten festgehalten (1653–1666), bevor acht von ihnen nach Japan entweichen konnten. Immerhin erhielten sie genügend Freiheiten, um einen recht positiven Eindruck von einem Land zu erhalten, das sich den konfuzianischen Traditionen verpflichtet wusste und die Selbstbescheidung des weisen Mannes zum sozialen Leitbild erhob. Wenn sich China auf den Standpunkt stellte: „Wir haben alles und brauchen nichts“, so galt in Korea: „Wir haben nichts und brauchen nichts“. Mehr als 200 Jahre, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, hielt Korea an seiner selbstgewählten Isolation fest und blieb fremden Blicken weitgehend verborgen.

wbg Weltgeschichte Bd. IV

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