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Die beiden Amerikas

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„Amerika“ und „Neue Welt“ sind heute Synonyme, und die Auffindung zunächst der Karibischen Inseln, dann des Festlands dahinter gilt als Entdeckung im eigentlichen Sinn des Wortes. Dass schon 500 Jahre vorher wikingische Seefahrer von Grönland nach Neufundland fuhren und dort, in „Vinland“, für eine Weile eine Siedlung unterhielten, spielt – weil alles so folgenlos blieb – zu Recht keine Rolle. Auf keinen anderen Erdteil scheint der Begriff der „Neuen Welt“ so genau zu passen wie auf den amerikanischen Doppelkontinent. Doch das 16. Jahrhundert ging großzügiger mit dem Etikett um und legte sich geographisch nicht fest. Auch die Entdeckungen in Asien und Afrika konnte man als neue, andere, unbekannte Welten beschreiben.

Außerdem stand keineswegs fest, dass sich die amerikanischen Entdeckungen so grundsätzlich von den anderen unterschieden. Kolumbus bestand darauf, nicht an völlig unbekannte Küsten, sondern an die indischen, chinesischen, asiatischen gesegelt zu sein, also tatsächlich im Westen den Osten gefunden zu haben. Dafür gab es Indizien und Argumente, und nicht wenige Zeitgenossen ließen sich von den Kalkulationen des Entdeckers überzeugen. Deshalb wurden Namen und Bezeichnungen wie „Westindien“, „Indios“ und „Indianer“ auf Amerika übertragen und blieben an ihm hängen. Auch hier mischte sich Vorwissen kräftig in die Wahrnehmung ein. Doch während europäische Entdeckungsgeschichte in Asien darauf hinauslief, ältere Traditionen mit neueren Erkenntnissen zu identifizieren, kam es in Amerika darauf an, neues Wissen von den ersten Gleichsetzungen zu lösen. Wie und in welchem Umfang das zu geschehen habe, war zunächst noch umstritten. Die Einsicht in die geographische und damit auch historische, ethnische, kulturelle Eigenständigkeit Amerikas war ein gedanklicher Prozess, der sich über längere Zeit hinzog und erst mit der Annahme einer Wasserstraße im Nordwesten, der „Straße von Anian“ zwischen Sibirien und Alaska (1561), zum Abschluss kommen sollte.

Die mittelamerikanische Küste

Aus verschiedenen Gründen lag es nahe, zunächst nur den Verlauf der amerikanischen Küsten zu erkunden. Man hatte Städte, Häfen, Handel erwartet und nur Dörfer, Buchten, nackte, wenn auch „edle Wilde“ gefunden. Die tropische Vegetation wirkte bezaubernd, aber der dichte Urwald im Hinterland nicht eben einladend. Man suchte die Durchfahrt, um zu jenen Orten weitersegeln zu können, bei denen die Reichtümer Asiens vermutet wurden. Kolumbus verbrachte mehrere Monate damit, die mittelamerikanische Küste zwischen Honduras und Panama abzusuchen, die Passage zum Ganges immer vor Augen (1502/1503). Doch der Erfolg wollte sich nicht einstellen. Entmutigt, von schlechtem Wetter zermürbt und durch die Einheimischen bedrängt, musste er aufgeben. Die letzte seiner vier Reisen in der Karibik war in jeder Hinsicht ein Desaster.

Amerigo Vespucci

Weiter östlich, zwischen Maracaibo und der Mündung des Orinoco, hatte ein früherer Offizier des Kolumbus, Alonso de Ojeda, die Küste erkundet. Reichtümer gab es auch hier nicht; aber man belud die Schiffe mit Farbholz und glaubte, sich in Asien zu befinden. Trotzdem erhielt die Gegend einen neuen Namen: „Venezuela“ („Klein-Venedig“), weil einige pittoreske Pfahlbauten dort standen. Den Einfall hatte ein Italiener, Amerigo Vespucci, der bei der Erforschung der südamerikanischen Küste eine gewisse Rolle spielte und schließlich dem ganzen Kontinent seinen Namen geben sollte. Er stammte aus Florenz und lebte als Bankkaufmann in Sevilla, bevor er 1499 nach Amerika ging. Seiner eigenen Aussage zufolge nahm er an vier Entdeckungsreisen teil. In Wirklichkeit waren es nur zwei, die eine unter Ojeda, die andere – nachdem er die Seiten gewechselt hatte – auf dem Schiff des portugiesischen Kommandanten Gonçalo Coelho. Denn die Flotte, die unter Pedro Álvares Cabral nach Indien fuhr, war durch Zufall auf den östlichsten Teil Südamerikas gestoßen. Seitdem hatte Portugal dort Interessen und später eine Kolonie, das heutige Brasilien, benannt nach dem wertvollen Brasilholz, das man dort fand.

Coelho sollte die Ausdehnung und den Nutzen der neuen Besitzungen erkunden. Wie weit er kam, ist umstritten. Sicher erreichte er am Neujahrstag des Jahres 1502 jene weite Bucht, die seitdem den Namen „Rio de Janeiro“ trägt. Alles Weitere wird durch Vespuccis Angaben vernebelt. Seine Rolle an Bord wird bescheiden gewesen sein. Doch in seinen publizierten Berichten stellte er sich ganz in den Mittelpunkt des Geschehens. Er verstand es, durch spektakuläre Details die Vorlieben seiner Leser zu bedienen und durch eine geschickte Vermarktung seiner Schriften, durch vollmundige Überschriften und attraktive Illustrationen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und seine angeblichen Erlebnisse zu ziehen. Vor allem seine Erzählungen von Nacktheit und Kannibalismus bei den Wilden wurden in Europa als Sensation aufgenommen. Da er behauptete, bis zum 50. Breitengrad nach Süden, also über den Río de la Plata hinaus fast bis nach Feuerland, vorgedrungen zu sein, beanspruchte er einen Platz in der amerikanischen Entdeckungsgeschichte, der ihm nicht zustand. Das Verdienst des Kolumbus wurde dadurch aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängt, und Vespucci trat an dessen Stelle. Die Geschichte seines Erfolgs ist ein Beispiel dafür, wie Marketing über Leistung triumphiert.

Erforschung der nordamerikanischen Küsten

Weit weniger spektakulär fiel die Erforschung der nordamerikanischen Küsten aus. Hier gab es keinen Kolumbus, keinen Vespucci, kaum (edle oder unedle) Wilde, sondern nur weite Wälder, primitive Siedlungen und reiche Fischgründe. Baccalaos, „Kabeljau-Land“, wurde Neufundland von seinen portugiesischen Entdeckern genannt. Es lohnte sich nicht, hier lange zu verweilen. Die Italiener Giovanni Caboto (1497) und Giovanni da Verraz(z)ano (1524, 1528), der Portugiese Gaspar Corte-Real (1500), der Spanier Esteban Gómez (1524/1525) und der Franzose Jacques Cartier (1534) – sie alle wollten nach Cathay in Ostasien und sahen sich durch die amerikanische Landmasse behindert. Deren Ausmaße wurden allmählich bewusst und die Küsten kartiert. Aber die Versuche, etwa über den Sankt-Lorenz-Strom die Durchfahrt zu finden, waren erfolglos, und das Interesse erlahmte. Nur in England und den Niederlanden blieb der Gedanke an die Nordwestpassage lebendig. Zahlreiche Expeditionen wurden bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts ausgeschickt, um noch weiter nördlich den Küstenverlauf zu erkunden und dort endlich eine eisfreie Durchfahrt zu eruieren. So viel neues Land wurde dabei entdeckt, dass die Örtlichkeiten nach den Entdeckern benannt wurden: „Frobisher Strait“ und „Frobisher Bay“ nach Martin Frobisher (1576–1578), „Davis Strait“ nach John Davis (1585–1587), „Hudson Strait“ und „Hudson Bay“ nach Henry Hudson (1610), „Baffin Bay“ nach William Baffin (1616), „Foxe Basin“ nach Luke Foxe (1631). Doch der eigentliche Zweck der Expeditionen wurde nicht erfüllt. Unüberwindlich schienen die natürlichen Hindernisse, die sich in den Weg stellten: die Kälte, das Packeis, die komplizierte Geographie. Noch im 19. Jahrhundert scheiterten Expeditionen tragisch (besonders John Franklin 1845–1848). Erst dem Norweger Roald Amundsen gelang das Kunststück (1903–1906) (s. Beitrag „Am Rand der Oikumene – Zur Urgeschichte uns fremder Menschen“ in Band I).

Die Halbinsel Yucatán

Im Februar 1517 fuhren drei spanische Schiffe von Kuba nach Westen, um die gegenüberliegende Küste zu erkunden. Sie landeten bei der Halbinsel Yucatán und kamen mit der dort noch blühenden Maya-Kultur in Kontakt. Über deren Entwicklungsstand, über Gold, feste Häuser, Maisfelder und Kleidung aus Baumwolle wurden begeisterte Berichte nach Kuba geschrieben. Eine zweite Expedition im darauf folgenden Jahr bestätigte deren Tenor. Erstmals waren die Spanier mit einer indianischen Hochkultur in Berührung gekommen und sahen ihre Hoffnungen auf eine goldene Zukunft sich endlich erfüllen. Eine dritte Expedition unter Hernán Cortés sollte weitere Klarheit bringen; aber sein Ehrgeiz trieb ihn an, die Eroberung des Festlands auf eigene Faust zu versuchen. Ziel des Unternehmens waren jedoch nicht die Maya-Städte auf Yucatán, sondern das viel mächtigere Aztekenreich und dessen Hauptstadt Tenochtitlán auf dem mexikanischen Hochland. Deren Größe und Bedeutung hatten indianische Gewährsleute beschrieben.

Neu-Spanien und Peru

Mit der Zerstörung des Aztekenreichs durch Cortés (1519–1521) ging die Erkundung der Inseln und Küsten in die Conquista, die Eroberung großer Teile des amerikanischen Kontinents, über. Der Erfolg des Unternehmens war sensationell, die Beute immens. Nur durch die Zerstörung des Inkareichs in Peru, wenige Jahre später von Francisco Pizarro inszeniert, wurde Cortés übertroffen. Beide Feldzüge wurden durch glückliche Umstände begünstigt, erwiesen die Überlegenheit der spanischen Waffen und erweiterten den geographischen Horizont der Eroberer beträchtlich. Als Vizekönigreiche Neu-Spanien und Peru gingen die neuen Besitzungen in das spanische Kolonialreich ein (s.S. 135, 198f.).

Der Südwesten der heutigen USA

Von Mexiko und Peru aus wurden weitere Expeditionen organisiert. Cortés schickte Truppen nach Yucatán und auf den Isthmus bei den heutigen Staaten Honduras, Guatemala, Costa Rica, Nicaragua und El Salvador. Ein Ergebnis war die Unterwerfung der Maya-Fürstentümer, ein anderes die Feststellung, dass Yucatán keine Insel sei, wie man lange vermutet hatte. Nach Norden wurde die Pazifikküste bis in den Golf von Kalifornien erkundet. Cortés selbst nahm daran teil. Nach wie vor hoffte man, eine Passage durch die Landmasse zu finden und endlich die direkte Verbindung zwischen Europa und den Märkten Asiens zu entdecken. Einige Konquistadoren drangen in das Hinterland, zum Colorado River und zum Grand Canyon (García López de Cárdenas 1540) vor, in den Llano Estacado (Francisco Vásquez de Coronado 1540) oder die Ausläufer der Rocky Mountains (Juan de Oñate 1598–1608). Doch sie alle wurden durch die Unwirtlichkeit der Landschaften und die Bescheidenheit der Siedlungen enttäuscht. Der Südwesten der heutigen Vereinigten Staaten schied daher aus den Plänen der spanischen Kolonialpolitik aus.

Weitere Feldzüge

Auch die Eroberung Perus zog weitere Feldzüge nach sich. Denn mit Pizarros Handstreich gegen den Inka Atahualpa war das riesige Reich noch lange nicht unterworfen. Widerstandsnester hielten jahrzehntelang aus (am berühmtesten die Hochgebirgsfestung Machu Picchu). Erst recht die nördlichen und südlichen Provinzen blieben zunächst unbehelligt und unerforscht. Nur allmählich wurde den Spaniern bewusst, wie groß das Reich und wie bedeutend die Zivilisation war, die sie fast mühelos besiegt hatten. Sebastián de Belalcázar, Pedro de Alvarado und Diego de Almagro unterwarfen die nördlichen Reichsteile um Quito, Almagro und Pedro de Valdivia rückten nach Süden bis ins heutige Chile vor. Gonzalo Pizarro, Halbbruder des Konquistadors, überschritt von Quito aus die Anden und kam zum Quellgebiet des Amazonas, der damals noch Marañón hieß. Als die Expedition sich im Urwald verlief, führte einer der Offiziere, Francisco de Orellana, die sich auflösende Truppe zum Mündungsdelta und von dort bis zur Insel Cubagua im heutigen Venezuela. Krankheiten, Hitze, Hunger, Orientierungslosigkeit und feindselige Indiostämme setzten ihr zu (1541/1542).

Gier nach Gold

Sie alle trieb ein Motiv an: jener Hunger nach Gold, den ihre indianischen Opfer nur mit Verwunderung und Spott registrieren konnten. „Wie hungrige Schweine waren sie gierig nach Gold“ – so kommentierte voller Verachtung ein Azteke das Verhalten der Spanier. Da die Gier nirgends Befriedigung fand, entstand der Mythos von „El Dorado“, dem „vergoldeten Mann“, der in einem Land Cundimarca lebe und täglich mit Öl eingerieben, dann mit Goldstaub bepudert werde. Jeden Abend fahre er zu einer Lagune, um sich den Staub vom Leibe zu waschen. Wie viel Wirklichkeit auch immer hinter der Erzählung gesteckt haben mag – der „vergoldete Mann“ wurde zum Symbol für eine Sucht, der fast alle Konquistadoren verfielen. Schon Kolumbus, Cortés und Pizarro waren dem Lockruf des Goldes gefolgt; doch als die Legende in der Welt war, wurde die Gier zur Manie. Es gab kaum eine Landschaft in Südamerika, die nicht mit „El Dorado“ in Verbindung gebracht wurde, und schließlich übertrug sich der Name von der Person auf die Geographie. „Eldorado“ wurde zum irdischen (per definitionem nicht erreichbaren) Paradies.

Tummelplatz der Mythen

Überhaupt stellte sich Amerika als ein Tummelplatz der Mythen heraus. Erstens gab es einheimische, die – wie die vom Dorado – den Fremden erzählt wurden. Coronado folgte dem Gerücht von den Sieben Städten von Cibola und war maßlos enttäuscht, als er nur ein kleines, übervölkertes Dorf fand. Später hörte er von einer Fabelstadt Quivira; doch auch sie entpuppte sich als Schimäre. Den Informanten erschlug man. Zweitens glaubten die Europäer, sichere Indizien, wenn nicht sichtbare Beweise für die Existenz jener Wundervölker und wunderbaren Erscheinungen zu besitzen, die man gemeinhin in Indien vermutete. Schließlich meinten nicht Wenige, sich irgendwo in Asien zu befinden. Spuren von Giganten wurden auf Trinidad, Giganten selbst in Patagonien gesichtet, Kopflose in Guayana, Anthropophagen ohnehin überall. Juan Ponce de León fahndete auf Florida nach dem Jungbrunnen (1513), den der spätantike »Alexanderroman« in Indien lokalisiert hatte, und Orellanas Truppe wurde in Brasilien von streitbaren Frauen angegriffen, die man ohne Weiteres als asiatische Amazonen identifizierte. Der Fluss, bei dem das geschah, heißt seitdem Amazonas.

Die Wunder sollten nie völlig verschwinden. Hatte man sie hier nicht gefunden, tauchten sie unvermutet woanders wieder auf. Die Konquistadoren machten dieselbe Erfahrung wie Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II., 1405–1464), als er an ganz anderem Ort einen ähnlichen Mythos enträtseln wollte: didicimus miracula semper remotius fugere – „wir haben gelernt, dass die Wunder immer weiter zurückweichen“. Auch die Erforschung Amerikas blieb ein schwieriges Geschäft, zumal der Doppelkontinent in beiden Richtungen kein Ende nehmen wollte und zu vielfältigen Spekulationen geradezu einlud.

wbg Weltgeschichte Bd. IV

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