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b) Terminologische Klärung
ОглавлениеDas Böse gehört zu jenen Begriffen, die niemandem unbekannt sind; gerade deshalb wird es je nach religiösen oder philosophisch-weltanschaulichen Akzentuierungen oder Ausgangspunkten verschieden definiert, etwa als das, was nicht sein soll, was zerstört, als Mangel an Sein oder als Nichts, als Endlichkeit oder als gegengöttliche Wirklichkeit, als Schein oder als Schmerz, als Geschick oder frei gewollte Verfehlung, als von Gott verfügtes Menschheitsverhängnis oder als frei gewollte Sünde; es wird ontologisiert oder fatalisiert, moralisiert oder dämonisiert. Auch innerhalb der christlichen Religion gibt es keine eindeutige Definition. Wir werden – jedenfalls zum Einstieg in die Thematik – der Breite des Phänomens am besten gerecht, wenn wir es zunächst nicht als Wesen, sondern von seiner Wirkung her beschreiben.
So verstehe ich unter dem Bösen zunächst alles, was bestehenden Dingen oder lebenden Wesen schadet, ihnen Unheil zufügt, auf die Dauer ihre Zerstörung bedeutet und von Betroffenen deshalb abgelehnt und zurückgewiesen, eventuell verflucht wird. Böses ist kein Wesen an sich, vielmehr verweist es immer auf bestimmte Normen oder auf ein bestimmtes Weltgefüge. Für vieles scheint es geradezu lebensnotwendig zu sein: Ohne Schmerz zum Beispiel kein vitaler Selbstschutz, ohne Enttäuschung keine Dankbarkeit, ohne Einsamkeitserfahrung keine Fähigkeit zur Gemeinschaft. Aber kein ursprüngliches Verständnis des Bösen kann von einem essentialistischen oder dualistischen Element ausgehen. Allerdings spaltet sich die Begriffsbildung sofort in drei Tendenzen auf, die in der christlichen Tradition einander beeinflussen und bedingen.
Die erste Tendenz: Das Böse als allgemeine und höchst analoge Alltagsbestimmung, die sich in immer neuen Formen zeigt und stets neuer Interpretation bedarf. Schaden und Schädliches ist allgegenwärtig und unmittelbar in Gutes verwoben. So kann die faktische Erfahrung von Schädlichem zugleich alle Interpretationen in Zweifel ziehen, die Böses relativieren und als Mittel zum Guten rechtfertigen wollen. Gleichzeitig kann Böses dafür sorgen, dass bestimmte Wirklichkeitssektoren nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. In diesem Sinn hat es eine erinnernde, eine anamnetische Funktion.
Die zweite Tendenz: Sofern alle Weltreligionen die Frage nach dem Heil nachdrücklich stellen (Koslowski 2001), betrifft das Böse zwar nicht immer letzte Dimensionen, kann aber immer auf eine letzte Dimension bezogen werden: auf Heil (Rettung, Erlösung) von Mensch und Menschheit oder Heilsverlust, Leben oder Tod, Versöhnung oder Zersplitterung. Dieser Perspektive eignet gleichermaßen ein starker Zug zu Relativierung wie zu Radikalisierung. Relativiert wurden oft höchste Werte, radikalisiert hingegen kleinste Unregelmäßigkeiten. Wenn eine Weltreligion mit diesen Extremen gut umzugehen weiß, wohnt ihr ein enormes Potential zur Entmythisierung und Nüchternheit inne.
Die dritte Tendenz: Die monotheistischen Religionen führen an diesem Punkt ein Unterscheidungsmerkmal ein, das zu einer umfassenden Neuinterpretation des Bösen geführt hat. Es ist die Entdeckung der moralischen Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. Vor dem Hintergrund freier Verantwortlichkeit macht es jetzt einen Unterschied, ob etwas faktisch schadet (etwa ein Erdbeben, eine Krankheit) oder ob jemand einen Schaden herbeiführen will oder bewusst zulässt. Neben das faktisch Böse (das in der deutschen Fachsprache „Übel“ genannt wird) tritt jetzt das moralisch Böse (das „Böse“ im strengen Wortsinn). Wenn dieses Böse dann in einen religiösen Bezugsrahmen aufgenommen oder gar ausdrücklich als Übertretung von Gottes Willen begriffen wird, handelt es sich, streng genommen, um „Sünde“. Vor diesem Hintergrund treffe ich für diesen Beitrag eine terminologische Entscheidung: In der Regel rede ich vom „Bösen“, auch wenn damit nicht immer ausdrücklich das moralisch Böse gemeint ist. Ebenso gebe ich dem Begriff des Bösen in der Regel auch dann den Vorzug, wenn die religiöse oder theologische Sprache eher zum Begriff der Sünde greift (S. Brandt). Dies dient, wie ich meine, dem allgemeinen Verständnisrahmen dieses Beitrags.
Die Frage nach dem Bösen wird in der westlichen Tradition von Anfang an philosophischen Reflexionen unterworfen, und bis in die Gegenwart hinein versuchen Theologie und Philosophie, der Betroffenheit, die sich mit der Erfahrung des Bösen einstellt, durch rationale Analyse zu begegnen. Das ist in Ordnung und unabdingbar. Allerdings ist auch die Gegenseite zu bedenken. Die Rede vom Bösen enthält – zumal im Rahmen religiösen Redens – immer ein Element der Verurteilung, der moralischen Entrüstung oder der Verzweiflung. Auch die christliche Religion hat für die großen Welträtsel, etwa für die Grauen des 20. Jahrhunderts, keine rational schlüssige Lösung (Schandt). Wenn sich zeigen ließe, dass das Christentum den Gang der Welt und der Geschichte auch in diesen Abgründen ernst nimmt, dann wäre schon viel erreicht. Vielleicht kommt es nur darauf an, dass es sich neu auf seine Ursprünge, nämlich auf das Scheitern seines eigenen, als Gottessohn verehrten Messias besinnt.